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Jugendinitiative Steinhöring 2000-2004

Mangel an realistischer Nüchternheit?

Ein Diskussionsbeitrag zum Thema Jugendtreff, von Ernst Weeber (16. Nov. 2003)




Ist unser “Projekt Jugendtreff” nun doch zum “Problem Jugendtreff” geworden? Ich muss zugeben, dass es in den vergangenen Monaten Tage gab, an denen mir selbst einige Jugendtreff-Probleme schwer auf dem Gemüt lasteten. Es hat in jüngster Zeit sogar einen kurzen Moment gegeben, in dem ich selbst das Projekt als gescheitert ansah und mich innerlich verärgert distanzierte. Auch jetzt, beim Schreiben dieses Artikels, sehe ich manche Zustände und Tendenzen im Jugendtreff Steinhöring (JUTS) mit Sorge. Und doch plädiere ich erneut dafür, dass wir uns weiter um das Projekt Jugendtreff bemühen. Auch nach einigen Rückschlägen traue ich es unseren Jugendlichen weiterhin zu, ihren Jugendtreff auf sinnvolle Weise zu betreiben.


Woher kommt mein Vertrauen, woher kommt es immer wieder neu? Ist das die reine Blauäugigkeit, ein Mangel an realistischer Nüchternheit? Vielleicht muss ich mir diesen Vorwurf gefallen lassen. Jedenfalls aber kommt meine Vertrauensseligkeit nicht aus sich-selbst-bestätigenden Gesprächen über die Jugendlichen und über den JUTS, sondern aus den Gesprächen mit den Jugendlichen. Meine regelmäßigen Kontakte mit den Jugendlichen zwingen mich immer wieder, die Probleme differenziert zu betrachten.


Selbstverständlich frage auch ich mich nach der Gemeinnützigkeit und dem erzieherischen Wert eines Jugendtreffs, und ich teile manche Bedenken, die mir vorgetragen werden – allerdings nicht bis hin zu dem Fazit, dass der Jugendtreff schon vom Konzept her verfehlt ist und neben den Spesen nichts als Probleme mit sich bringen kann. Ja, Probleme und Konflikte bringt der Jugendtreff ganz zweifellos mit sich – die sind geradezu Bestanteil des Konzepts! Ein solches Konzept kann freilich nur aufgehen, wenn wir uns auf die Mühe einer aufbauenden Auseinandersetzung mit den Jugendlichen einlassen – weil es eben auch an uns liegt, dem Projekt einen Sinn zu geben. Die häufig beschworene Realität ist nicht etwas, das ein für alle mal feststeht – jeder von uns gestaltet sie mit, aktiv oder passiv, und sogar wenn er oder sie fest davon überzeugt ist, dass ein Einzelner überhaupt nichts bewirken kann. Einstellungen, an denen festgehalten wird, prägen die Realität, schaffen Realitäten, neigen also dazu, sich selbst zu bestätigen. Wenn Sie, die Bürgerinnen und Bürger der Gemeinde, davon überzeugt sind und erwarten, dass der Jugendtreff sich als Fehlschlag herausstellt, dann wird er das wahrscheinlich auch tun. Dann hat er so gut wie keine Chance.


Eine Kernidee des Jugendtreffs ist die größtmögliche Selbständigkeit der Jugendlichen bei der Gestaltung, beim Betrieb und bei der Verwaltung der Einrichtung. Gerade dieser Grundsatz ist aber auch ein wesentlicher Stein des Anstoßes für viele von Ihnen: kann denn das gutgehen?! Nach den Vorkommnissen in den vergangenen Monaten werden sich viele bestätigt fühlen in der Ansicht, dass wir uns eine Menge sinnloser Mühe und Plage ersparen, wenn wir uns den Jugendtreff sparen. Es besteht die Befürchtung, dass die Einrichtung eines solchen Jugendtreffs die Probleme der Jugend nicht vermindert, sondern vermehrt und verschärft. Selbst die wohlerzogensten Jugendlichen werden doch anfällig für dumme Ideen, wenn man sie als Gruppe zu lange sich selbst überlässt, nicht wahr? Selbst die wohlerzogensten Jugendlichen vergessen ihre gute Erziehung gelegentlich und tun dann Dinge, die ihre Eltern gar nicht gerne sähen (vorsichtig ausgedrückt). Manche Jugendliche mussten gar Eigenschaften und Potentiale jenseits der guten Erziehung entwickeln, um den Einflüssen, von denen sie erzogen wurden, standhalten zu können. Auch diese Eigenschaften und Potentiale sammeln sich dann im Jugendtreff, dort fließen sie alle zusammen und verstärken sich gegenseitig. Prost Mahlzeit! Und besten Dank für ein derartiges Konzept! Man hört und sieht ja, was dabei rauskommt! – Aber was wird denn gehört und gesehen?


Zu sehen ist, dass die Außenanlagen des Jugendtreffs noch nicht fertig sind, die Container haben noch keinen neuen Anstrich bekommen, die ganze Anlage sieht noch immer nach Baustelle aus. Der Blick ins Innere der Container zeigt, dass Ordnung und Hygiene noch einiges zu wünschen übrig lassen. Bei Geburtstagsfeiern kam es zu nächtlichen Ruhestörungen, zu Unratablagerungen und zu Beschädigungen in der Umgebung des JUTS. Es gibt, unbestritten, Gründe für Beanstandungen.


Zu beobachten war im vergangenen Sommer und Herbst aber auch eine Gruppe junger Leute, die viele Stunden freiwilliger Arbeit investierten, um aus der Örtlichkeit einen passablen Jugendtreff zu machen. Dass diese Arbeiten noch nicht zu dem gewünschten Ergebnis geführt haben, ist, zumindest was die Außenanlagen betrifft, nicht den Jugendlichen anzulasten – die haben fleißig improvisiert mit den Mitteln, die zur Verfügung standen oder organisiert werden konnten. Die Gruppe von regelmäßig aktiven Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist dabei zu einem Team geworden, bereit, Verantwortung zu übernehmen, bereit, in Zusammenarbeit mit der Gemeinde planvoller vorzugehen und das “Stadium der Improvisation” zu verlassen. – Diese weniger spektakuläre Seite der Entwicklung sollte auch gesehen werden.


Das JUTS-Team ist seit Monaten bemüht, sich selbst eine Vereinsstruktur zu geben und den Betrieb des JUTS in geordnete Bahnen zu bringen. Berater/innen des Kreisjugendrings (KJR) wurden hinzugezogen, es gab informative Treffen und Diskussionsrunden. Am Wochenende 13./14. September absolvierten acht Mitglieder des JUTS-Teams ein Seminar des KJR, um sich einige Grundkompetenzen zur Führung eines Jugendtreffs anzueignen. Die Satzung für einen “Verein Jugendtreff” ist nahezu fertig, ihre einzelnen Punkte wurden in wöchentlichen Treffen im JUTS diskutiert. Es gab Diskussionsrunden gemeinsam mit dem Bürgermeister und mit Gemeinderäten, in denen eine schriftliche Nutzungsvereinbarung über den Jugendtreff und die damit verbundenen Rechte und Pflichten entworfen wurde.


Die selbstkritische Diskussion ist auch im JUTS-Team im vollen Gange. Die Diskussion zwischen den Jugendlichen und den Erwachsenen könnte an Ergiebigkeit zulegen, wenn sie direkter geführt würde (ohne den Umweg über die Gerüchteküche). Dass von den Jugendlichen manches anders beurteilt wird als von der älteren Generation, sollte niemanden verwundern. Dass eine Verständigung möglich ist und wie viel den Jugendlichen an einer solchen liegt, habe ich in meiner Mentoren-Rolle immer wieder erfahren. Es gab Momente, in denen ich unzufrieden, unfreundlich, ungehalten war – und von den Jungen zur vernünftigen Aussprache “zurückgeholt” wurde.


Eine vorübergehende Schließung des JUTS, wie sie jetzt vom Gemeinderat beschlossen wurde, erscheint mir verständlich. Einige wichtige Voraussetzungen für einen verantwortbaren Betrieb des JUTS sind noch nicht erfüllt, und die in der Gemeindeöffentlichkeit zunehmenden Bedenken müssen ernst genommen werden. Die Erfahrungen des vergangenen Jahres sollten uns – die Jungen und die Älteren – ermöglichen, einen neuen Anlauf von Grund auf besser zu organisieren. Dazu einige Anmerkungen:


Jugendtreff Steinhöring e.V. – Um die Trägerschaft des Jugendtreffs offiziell übernehmen zu können, wird das JUTS-Team mit seinen aktiven Mitgliedern einen eingetragenen Verein gründen. In seiner Satzung werden Aufgaben, Ziele und die Gemeinnützigkeit des Jugendtreffs festgelegt. Der Entwurf einer solchen Satzung liegt vor.


Die Nutzungsvereinbarung ist der Vertrag zwischen dem JUTS e.V. und der Gemeinde Steinhöring, in dem die Rahmenbedingungen für den Betrieb des Jugendtreffs geregelt werden. Dazu gehören die Aufgaben des JUTS e.V. als Träger und die Leistungen der Gemeinde. Auch die Hausordnung für den Jugendtreff ist Bestandteil der Vereinbarung. Ein Entwurf der Nutzungsvereinbarung ist bereits ausgearbeitet.


Förderverein – Eine wichtige Rolle in der Zusammenarbeit zwischen den Jugendlichen und der Gemeinde kommt allen jüngeren oder älteren Gemeindemitgliedern zu, die zwar nicht mehr zur Zielgruppe des Jugendtreffs gehören, aber dem Projekt aufgeschlossen und wohlwollend gegenüberstehen und bereit sind, je nach eigenem Vermögen einen kleinen Beitrag zu leisten, um die Realität mitzugestalten. Solche Beiträge können sein: Fachwissen, praktische Kompetenzen oder Werkzeuge für bestimmte Arbeiten zur Verfügung stellen, bei der Beschaffung von Ausstattungsmaterial oder Geldmittel helfen, als Ansprechpartner für dieses oder jenes zur Verfügung stehen. Erfahrungsgemäß kommen die unterstützenden Kräfte in der Gemeinde nicht zur Wirkung, wenn sie sich nicht ebenfalls organisieren. Deshalb wird die Gründung eines Fördervereins angestrebt. Auch für den Förderverein liegt bereits ein Satzungs-Entwurf vor.


Die Gestaltung der Außenanlagen des Jugendtreffs soll mit dem Gesamt-Konzept der Freizeitanlagen zusammenpassen. Die Zusammenarbeit von JUTS und Gemeinde beim Planen und beim Ausführen der Arbeiten ist hier von besonderer Bedeutung.


Öffnungszeiten und Thekendienst – Geöffnet kann der Jugendtreff nur werden, wenn mindestens eine Person anwesend ist, die während der Öffnungszeit die Aufsicht übernimmt und das Hausrecht vertritt. Das “Amt” dieser Person wurde als “Thekendienst” betitelt. Der Thekendienst kommt als erster und geht als letzter; er gibt die Getränke aus, beaufsichtigt die Getränkekasse und achtet darauf, dass die Hausordnung eingehalten wird; beim Abschließen des Jugendtreffs überprüft er, ob Fenster, Türen, Wasserhähne geschlossen, Lichter und sonstige elektrische Geräte ausgeschaltet und die Heizkörper auf Minimalbetrieb eingestellt sind. Den Thekendienst kann nur übernehmen, wer mindestens 16 Jahre alt ist und im JUTS-Team als vertrauenswürdig gilt. Diese Regelung hat sich im Alltagsbetrieb mit dem Stammpublikum bewährt. Bei besonderen Anlässen mit größerer Besucherzahl kam es jedoch zu unkontrollierten Situationen und Auswüchsen, hier besteht noch ein weiterer Regelungsbedarf. Vielleicht braucht es bei größeren Veranstaltungen einen speziellen Ordnungsdienst.


Besondere Veranstaltungen mit größerem Publikumszulauf sind genehmigungspflichtig und müssen in Zukunft professioneller geplant werden, um zu gewährleisten, dass die Regeln eingehalten werden. Größere Veranstaltungen wurden vom JUTS-Team unter anderem deshalb befürwortet, weil dadurch ein größerer Gewinn in der Getränkekasse zustande kommt. Diese Einnahmen können dann in die Ausstattung des Jugendtreffs investiert werden. Ein Jugendtreff sollte aber nicht auf die Einnahmen durch den Getränkeverkauf angewiesen sein, bei dem i.d.R. die alkoholischen Getränke eine entscheidende Rolle spielen!


Hygiene – Auf Ordnung und Hygiene im Jugendtreff haben eigentlich alle Besucher zu achten, das gehört zur Hausordnung (und zu den Punkten, die einen nicht mehr so jungen Mentor in die Resignation treiben können). Selbstverständlich ist auch ein Putzdienst vorgesehen und am Werk; Einsatz und Häufigkeit könnten allerdings noch deutlich erhöht werden, es hapert wohl noch an einem strikten “Qualitätsmanagement”...


Die “jüngeren Jugendlichen“ – Es wurden Bedenken geäußert, dass die jüngeren Jugendlichen im JUTS nun zu kurz oder gar in schlechte Gesellschaft kämen. Tatsächlich liegt das Alter der meisten Stammbesucher im JUTS über 15 Jahren. Das liegt nicht daran, dass die Älteren die Jüngeren verdrängt hätten, zumindest haben sie das nicht absichtlich getan. Es ist kein Wunder, dass die Älteren mehr von der nötigen Selbständigkeit und Eigeninitiative (ohne die gar nichts vorwärts gegangen wäre) mitgebracht haben als die Jüngeren, und der Örtlichkeit auf diese Weise unwillkürlich ihren Stempel aufgedrückt haben. Das JUTS-Team ist sich aber bewusst, dass die Jüngeren ins “Programm” mit einbezogen werden müssen. Als “Kinderbetreuung” darf ein Jugendtreff aber nicht missverstanden werden.


Illegale Drogen (Ein beliebtes Thema!) – Der Konsum oder auch nur das Mitbringen illegaler Genußgifte sind im JUTS strengstens verboten. Dieses Verbot wird im JUTS mit Sicherheit wesentlich gründlicher beachtet als an vielen anderen Treffpunkten Jugendlicher. Rucksäcke, Hand- und Hosentaschen werden allerdings nicht gefilzt, das kann auch nicht verlangt werden. Abwertende Pauschalurteile über unserere “drogenverseuchte” Jugend bezeugen in erster Linie Hilflosigkeit und Doppelmoral und tragen nichts bei zu einer wirklichen Bekämpfung des Problems.


Legale Drogen (Ein peinliches Thema!) – Der Konsum der Genußgifte Alkohol und Nikotin ist ab einem bestimmten Alter legal und wird weitgehend verharmlost. Ein Nichtraucher, der sich über die verrauchte Luft in einem geschlossenen Raum beklagt, gilt nicht selten als überempfindlich. Wer bei einem geselligen Anlass nicht mittrinkt und sich frühzeitig verabschiedet, weil ihn die zunehmende Alkoholeuphorie langweilt, erntet kaum Lob dafür. Wer seinen eigenen Feierabend ohne Stimulierung durch Nikotin und/oder Alkohol nicht mehr ertragen kann und nichts anstößiges darin sieht, wenn er in leicht angetrunkenem Zustand mit dem Auto von der Stammkneipe nach Hause fährt, kann trotzdem ein ehrbarer Bürger sein, sollte sich aber vielleicht nicht zu sehr in abfälliger Weise über die heutige Jugend ereifern. Es ist den Jugendlichen schwer zu vermitteln, was an den Rauch- und Trinkritualen so schädlich sein soll, wenn sie doch scheinbar so unerlässlich sind für Entspannung und Lebensfreude und unter den Erwachsenen so fleißig gepflegt werden. Es ist den Jugendlichen auch schwer zu vermitteln, warum die Stimulation durch Hanfrauchen so viel schlimmer und schädlicher sein soll als die Stimulation durch Alkohol, warum das eine gesellschaftsfähig, das andere verwerflich und kriminell ist. – Der Konsum der legalen Genußgifte im JUTS ist ein Thema, das mir viel Kopfzerbrechen bereitet, selbst wenn sich die Jugendlichen an die Vorgaben des Jugendschutzgesetzes halten. Rauchen und Alkoholtrinken gilt bei den Heranwachsenden mehr oder weniger als cool, als Signum von Freiheit und persönlichem Stil – als genau das nämlich, wofür es auf großen Werbeplakaten ausgegeben wird, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Die Meinung, das Empfinden, dass Entspannung und eine fröhliche Geselligkeit ohne Alkoholisierung und Zigaretten gar nicht denkbar ist, ist keine neue Modeanschauung unter den Jugendlichen, sondern eine tief in unserem Alltag verwurzelte, übernommene Einstellung. Ich sähe es gerne, wenn diese Genußmittel wenigstens im JUTS eine geringere Wichtigkeit besäßen, wenn die Jugendlichen aus eigener Kritik, aus dem eigenen Widerstand gegen diese “Realitäten”, aus eigenem Bewusstsein heraus und auch aus Solidarität mit den Unter-16-jährigen sich freiwillig noch mehr beschränken würden als es die Jugendschutzbestimmungen verlangen – aber mit diesem frommen Wunsch oute ich mich auch im JUTS nur als unverbesserlicher Idealist. Die “Realitäten” gelten auch im JUTS schon als unveränderliche Realität, der man sich ergeben muss.


Ich hoffe, dass die Gründungsversammlungen des Verein Jugendtreff und des Fördervereins bald einberufen werden können, dass die Diskussion um den Jugendtreff konstruktiv weitergeht und dass praktikable Regelungen gefunden werden, mit denen beide Seiten gut leben können: die Jungen und die Älteren. Und vor allem hoffe ich in meiner Blauäugigkeit, dass beide Seiten verstehen, was es bedeutet, sich gegenseitig – trotz allem – zu achten.