langelieder > Bücherliste > Atlas der Globalisierung, Ausgabe 2006




LE MONDE diplomatique (Hrsg.)
Atlas der Globalisierung


Die neuen Daten und Fakten zur Lage der Welt




Erschienen im September 2006
200 Seiten; ISBN 13: 978-3-937683-07-2; ISBN-10: 3-937683-07-0
„Le Monde diplomatique“ / taz Verlags- und Vertriebs GmbH, Berlin


Bestellmöglichkeit: www.monde-diplomatique.de/atlas


Weitere Ausgaben:


Atlas der Globalisierung 2003
Atlas der Globalisierung spezial: Klima
Atlas der Globalisierung 2009
Atlas der Globalisierung 2011: Das 20. Jahrhundert
Atlas der Globalisierung 2012: Die Welt von morgen


Inhaltsverzeichnis


Kapitel 1
Bedrohte Umwelt



Wenn die Polkappen schmelzen
Leben mit dem Klimawandel
Sauberes Wasser – knappes Gut
Nahrung und Energie aus den Weltmeeren
Die Atomkraft und ihre zivile und militärische Nutzung
Potenziale und Grenzen erneuerbarer Energien
Massenvernichtungswaffen – die neuen Gefahren
Industrieunfälle und ihre Verursacher
Der Müll und seine Verwertung
Rohstoffe für die Welt
Wie der Kampf gegen den Hunger scheitert
Falsche Versprechen – Gentechnik in der Landwirtschaft
Das unaufhaltsame Wachstum der Städte
Gesundheit, Privileg der Reichen






Kapitel 2
Die neue Geopolitik



Das Ende der Blöcke und die neuen Kriege
Der erfundene Kampf der Kulturen
Wachstum und Ungleichheit in der Welt
Die unpopuläre Supermacht
Globalisierte Kriminalität
Die reichen Länder schotten sich ab
Die neue Weltordnung – Machtmonopol auf Zeit
Die neuen Grenzen des Imperiums
Wal-Mart: mit schlechtem Beispiel voran
Sponsoren der Demokratisierung
Der Ausbau Europas
Die Welt aus der Sicht Moskaus
Erosion der Macht - die umkämpften Peripherien
Afrika – ein Drama und seine Akteure
Lateinamerika auf dem Weg in die Unabhängigkeit
Gute Zeiten für Waffenhändler
Die Vereinten Nationen und die Vereinigten Staaten
Aktivisten einer globalen Zivilgesellschaft
Die unkontrollierte Macht der Mediengiganten
Migration und das Geschäft mit der Armut






Kapitel 3
Gewinner und Verlierer



Wachstum durchaus erwünscht
Kapitalstrom in die falsche Richtung
In der Schuldenfalle: kein Ausweg für die ärmsten Länder
Pensionsfonds – Täter und Opfer zugleich
Freihandel, das Prinzip des Stärkeren
Dienstleistung – die neue Ware auf dem Weltmarkt
Standorte: die Drohung mit dem Ausland
Finanzparadiese für Reiche und Terroristen
Agrarsubventionen, die den Hunger mehren
Freihandel in der Kriese
Milliardäre aller Länder, vereinigt euch!
Die Milleniumsziele, die schädliche Illusion
Güter, die der ganzen Welt gehören
Alte und neue Armut in Nord und Süd
Arbeitsmärkte: offizielle Zahlen und verborgene Fakten
Sozialversicherung unter Druck
Frauenrechte: Rückschritte im Fortschritt






Kapitel 4
Ungelöste Konflikte



Der Nahe Osten: viel Öl und wenig Wasser
Palästina – ein schrumpfendes Land
Irak: von der Diktatur zur Besatzung
Irak: das Disaster der USA
Kurdistan, Land in vier Staaten
Indien und Pakistan – im Schatten der Bombe
Afghanistan: Waffen, Drogen, Taliban
Tschetschenien, die ausgeblutete Republik
Südkaukasus: Pipelines und ethnische Konflikte
Moldavien: Ein Land sucht den Anschluss
Exjugoslawien: Der Zerfall ist noch nicht zu Ende
Kosovo: albanische Zukunft in einer unruhigen Region
Zypern: Die EU erbt einen Krisenherd
Westafrika: Putschisten, Warlords, Demokraten
Das Afrika der großen Seen: nach dem Genozid
Ostafrika – von Darfur bis Somalia
Kolumbien: Paramilitärs und Guerilla
Abhängige Gebiete, letzte Kolonien






Kapitel 5
Der Aufstieg Asiens



Ostasien meldet sich zurück
Vom Maoismus zum Marktsozialismus
China – die Risiken des Booms
Rebellion in Stadt und Land
Umweltzerstörung auf Chinesisch
Die Welt aus der Sicht Pekings
Die Welt aus der Sicht Neu-Delhis
Indiens später Aufschwung
Kaschmir: Entspannung, aber keine Lösung
Sri Lanka fehlt der Wille zur Föderation
Japan: Lernen aus der Wirtschaftskriese
Die Welt aus der Sicht Tokyos
Japan: kalte Freundschaft zu den USA
Atomwaffen und Hungersnot in Nordkorea
Südostasien lebt vom Export
Indonesien – langsam voran in die Demokratie
Muslime, Christen und Buddhisten - das Südostasien der Religionen






Aus der Werkstatt des Kartographen (von Philippe Rekacewicz)
Sachregister
Autorenregister


Leseproben


Vorworte von Ignacio Ramonet und Klaus Töpfer
siehe:
www.monde-diplomatique.de/atlas









Einleitung zu Kapitel 1: Bedrohte Umwelt



Silberstereif am Horizont



von Mark Hertsgaard



(Farbige Hervorhebung von E. Weeber)






Wer in diesem Atlas liest, läuft Gefahr, von lähmender Verzweiflung erfasst zu werden. Die Probleme, die hier dokumentiert sind, wirken so ernst und allgegenwärtig, dass man sich fragt, was man gegen den übermächtigen Status quo noch ausrichten kann. Und doch wäre es kontraproduktiv, sich dieser Verzweiflung zu überlassen. Wir müssen ihr vielmehr widerstehen, wenn wir unser gemeinsames Ziel erreichen wollen, nämlich für die Menschen und für das ganze Ökosystem eine bessere Zukunft zu sichern.






Als Journalist, der seit mehr als zwanzig Jahren über Politik und Ökologie schreibt, nehme ich mich von diesem Defätismus-Vorwurf nicht aus. Meine Zunft ist Teil des Problems. Wer von uns würde nicht verzagen, wenn er tagtäglich Meldungen von Kriegen, Epidemien und anderem Unheil liest? Mitschuld tragen aber auch Umweltschützer und Verfechter des sozialen Wandels. Mit ihrem Lamento scheinen sie den Menschen alle Hoffnungen und Visionen rauben zu wollen, ohne die der Kampf für eine bessere Zukunft von vornherein verloren ist.






Sie wissen schon, wovon ich rede: dieser todernste bis tragische Ton von Verlautbarungen, in denen gnadenlos alles heruntergebet wird, was in der Welt schief läuft, ohne ein Wort davon, was man besser machen könnte. In diese Falle tappen auch so kluge und wohlmeinende Leute wie Al Gore. Vor kurzem kam »An inconvenient Truth« heraus, ein Dokumentarfilm, in dem Clintons einstiger Vize den Klimawandel wirklich gut erklärt, mitsamt wissenschaftlichen Fakten und möglichen Folgen, aber er sagt fast nichts zu der Frage, was die Menschen dagegen tun können.






»Ein brillanter Diavortrag«, meinte Rocky Anderson, der Bürgermeister von Salt Lake City nach der Premiere, »aber danach willst du dir einen Strick nehmen. Es fehlten einfach die Lösungen.« Nachdem er den Film gesehen hatte, verfasste Anderson einen Vortrag, in dem er davon erzählt, wie seine Stadt die Emission von Treibhausgasen drastisch reduziert hat – und wie dabei auch noch Geld in die Kasse floss. »Eine positive Botschaft ist wichtig«, meint Anderson, »die Leute reagieren ganz wunderbar auf die Aussage: Ja, es gibt schwer wiegende Probleme, aber wir packen sie an, und wenn wir es richtig machen, können wir es schaffen.«






Anderson ist gottlob nicht der einzige Umweltpolitiker, der das begriffen hat. Immer mehr grüne Aktivisten in den USA reden heute weniger über mögliche Katastrophen und mehr über praktische und sogar ökonomisch lohnende Lösungen. Wie zum Beispiel Betsy Taylor, die Gründerin des Center for a New American Dream: »Wir haben beschlossen, in Zukunft die Hälfte unserer Zeit dafür zu verwenden, den Leuten zu zeigen, wie man die Probleme lösen und damit auch noch ein besseres Leben haben kann.«






Woher kommt dieser Wandel? Die Aktivisten haben sich auf einen Grundzug der menschlichen Natur besonnen: Wenn man die Menschen mit zu vielen schlechten Nachrichten und unlösbaren Problemen konfrontiert, langweilt man sie, und sie schalten buchstäblich ab. Das ist wie bei einer Fußballmannschaft, die überzeugt ist, dass der Gegner überlegen und der Schiedsrichter sowieso gekauft ist. Wer wie ein Verlierer denkt, wird auch verlieren.






Nicht dass mich jemand falsch versteht: Ich plädiere nicht dafür, die harten Fakten zu schönen oder auf kleine Schritte zu setzen, wo radikale Lösungen vonnöten sind, sondern empfinde es als meine journalistische Pflicht, kompromisslos die Wahrheit zu sagen. Aber ich möchte, dass wir die ganze Wahrheit sagen. Ich habe es satt, mir ständig anzuhören, dass »die Guten« verlieren, ich will wissen, wie wir gewinnen können.






Was in diesem Atlas zu kurz kommt, sind Informationen über die »positiven Aktivitäten«. Dabei gibt es viele Menschen und Organisationen – im öffentlichen wie im privaten Bereich, im Norden wie im Süden der Welt – die mit langem Atem und erfolgreich an Problemlösungen arbeiten. Über diese Menschen sollten wir genauso viel erfahren wie über das, wogegen sie kämpfen.






So haben sich zum Beispiel in den USA, obwohl die Bush-Regierung die Umweltbewegung anfeindet, 275 Städte verpflichtet, den Ausstoß von Treibhausgasen weit stärker zu reduzieren, als vom Kiotoprotokoll verlangt. Und es kommen ständig neue Städte dazu. Gouverneur Arnold Schwarzenegger setzt im größten und politisch wichtigsten US-Bundesstaat, Kalifornien, ernsthaft auf Ökologie – nicht zuletzt weil die kalifornischen Wähler das wollen.






In Sachen Klimawandel ist Schwarzenegger mit Bush über Kreuz, seit er 2005 versprochen hat, dass Kalifornien seinen Ausstoß an Klimagasen bis 2020 um 20 Prozent und bis 2050 um 80 Prozent reduzieren wird. Aber der Gouverneur redet nicht nur, er tut auch was. Zum Beispiel unterstützt er ein Programm, das eine Million Solardächer schaffen soll und damit die größte Solarenergiekampagne der Welt darstellen dürfte. Er hat in Kalifornien ein Gesetz durchgebracht, das 30 Prozent weniger Ausstoß von Treibhausgasen für Autos vorschreibt, und hält trotz einer Klage der Autoindustrie und der US-Regierung daran fest. Und er redet mit den anderen Westküstenstaaten, Oregon und Washington, darüber, handelbare Emissionsrechte nach EU-Vorbild einzuführen.






Das Ganze macht auch deshalb Mut, weil Kalifornien die fünftgrößte Wirtschaftsmacht der Welt ist. Seine Entscheidungen könnten also nicht nur auf andere Regierungen, sondern auch auf multinationale Konzerne abfärben. Inzwischen steht der Emissionshandel auch in New York und in sieben anderen Staaten im Nordosten der USA zur Debatte. Das macht dann, zusammen mit Kalifornien, die drittgrößte Wirtschaftsmacht der Welt. Ihre künftige Politik (Verbesserung der Energieeffizienz, Förderung von Windrädern und Solaranlagen) könnte einen Schub für die alternative Energietechnologie bedeuten und die Kosten so weit senken, dass sie fürjedermann erschwinglich wird.






Inzwischen erhöhen Investoren den Druck auf die großen Unternehmen und auf Wall Street, das Problem endlich ernst zu nehmen. Das »Investor Network on Climate Risk«, zu dem sich Pensionsfonds und institutionelle Anleger zusammengeschlossen haben, droht der Industrie, dass ihre Anleger ihr Geld aus Firmen abziehen könnten, die den Klimawandel ignorieren. Und mittlerweile haben sich erstaunlich viele Großkonzerne zu der Zusage durchgerungen, ihre beanstandeten Praktiken zu verändern.






US-Umweltschützer erzielen ihre Siege allerdings zumeist nicht auf bundesstaatlicher Ebene, sondern in Einzelstaaten und in Städten und Kommunen. So hat das Parlament von Idaho beschlossen, seine Kohlekraftwerke für zwei Jahre stillzulegen. Und Maryland – mit einem Republikaner als Gouverneur – hat das Kiotoprotokoll unterzeichnet.






Außerdem sei an den Erfolg von Wangari Mathai erinnert: Die Wissenschaftlerin und Umweltaktivistin aus Kenia erhielt 2004 den Friedensnobelpreis, und zwar ausdrücklich für ihr Engagement in Sachen Umwelt. Eine der ermutigendsten Geschichten, die ich kenne, ist die der brasilianischen Stadt Curitiba, die Bill McKibben in seinem Buch »Hope, Human and Wild« beschrieben hat. Curitiba hat sich aus einer höllischen Dritt-Welt-Stadt, die in Verkehr und Müll schier erstickte, in ein Modell für Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit verwandelt – obwohl die Stadt sehr arm ist. Das wurde möglich, weil die Menschen einen Bürgermeister gewählt haben, der hochfliegende Ideen entwickelt und dennoch unbeirrbar praktisch denkt. Jaime Lerner entwarf die Vision von einem weniger verschmutzten, sozial gerechteren Curitiba, begann dann aber, den Bürgern klar zu machen, dass diese Vision nur Wirklichkeit wird, wenn sie selbst dazu beitragen. Und das taten sie dann auch.






Menschen wie Jaime Lerner können nicht nur eine Stadt, sondern ein ganzes Land und vielleicht sogar die Welt verändern. Es stimmt, unsere Erde ist in Gefahr, leider. Aber das muss nicht so bleiben. Wenn wir – durch diesen Atlas – Bescheid wissen über die Lage der Welt und dieses Wissen nutzen, um nicht auf die Hindernisse zu starren, sondern unserer Fantasie freien Lauf zu lassen – dann werden wir eine Welt schaffen, die es wert ist, gefeiert zu werden.