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Hans-Peter Dürr, Marianne Oesterreicher
Wir erleben mehr als wir begreifen

Quantenphysik und Lebensfragen



Freiburg im Breisgau 2001 (Herder); 160 Seiten; ISBN 3-451-04847-7








Die Quantenphysik ist durch Nachdenken und Experimentieren zu revolutionierenden Erkenntnissen gelangt, die unsere Welt bestimmen, auch wenn nur wenige diese Theorien im eigentlichen Sinne verstanden haben. Das vorliegende Buch geht der Frage nach, ob und inwieweit ein an der Quantenphysik geschultes Bewusstsein näher an das Verständnis von Lebensfragen und von religiösen Fragen heranreichen kann als ein Denken, das der klassischen Physik verpflichtet ist. Insbesondere um existentielle Grundfragen geht es: um das Thema persönlicher Verantwortung, um den Wert der individuellen Existenz, um die Bewertung der personalen Ich-Du-Beziehung. HansPeter Dürr, eine Persönlichkeit mit Wegweiserqualitäten, wie wir sie im neuen Jahrtausend nötig haben, ist der ideale Gesprächspartner für diese Dimension des Themas. Die Zusammenhänge von Naturwissenschaft und Religion, Ökologie und gesellschaftlicher Veränderung haben den Heisenberg-Nachfolger immer umgetrieben. Wie können wir über das sprechen, was Wissenschaft nicht fassen kann? Was bedeuten Selbst, Identität, Verantwortung für den Quantenphysiker? Eine spannende Begegnung.


Hans-Peter Dürr


geb. 1929, Promotion bei Edward Teller in Berkeley, Habilitation und apl. Professor an der Universität München, arbeitete am Max-Planck-Institut für Physik und Astrophysik in München 17 Jahre mit Werner Heisenberg an grundlegenden Problemen der Quantenphysik. Direktor am Max-Planck-Institut für Physik, Werner-Heisenberg-Institut, München (zeitweise Geschäftsführung). Unter seinen Auszeichnungen: Right Livelihood Award (Alternativer Nobelpreis) 1987; Elise and Walter Haas International Award der University of California 1993. (Bekannter Namenskollege: Hans Peter Duerr, Ethnologe)




Marianne Oesterreicher


Dr. phil., Studium der Philosophie, Germanistik, bildenden Kunst und Kunstgeschichte, Herausgeberin und Autorin mehrerer Bücher.


Inhaltsverzeichnis


Statt eines Inhaltsverzeichnisses werden Zitate gegeben, die bestimmte Stationen des Gesprächs kennzeichnen.






„Die Welt als Objekt ist fragwürdig geworden.“






„...das ist also das unscharfe Bild von ‚Freiheit‘ auf dem alleruntersten Niveau.“






„Vergessen wir also einmal das Greifen und Begreifen!“






„Dass also die Welt viel lebendiger ist, als es uns manchmal scheinen möchte?“






„Die Evolution arbeitet immer da am intensivsten, wo Neues entsteht.“






„Die Wirklichkeit ist nicht nur scheu, sondern sie lässt sich in dem Sinne gar nicht greifen.“






„...wir schöpfen die Unendlichkeiten verschieden aus.“






„Wir erleben mehr als wir begreifen.“






„Wirklichkeit ist ein Zusammenspiel von ‚Wirks‘“






„Einmal ist es der nächste Schritt auf dem Weg, und das andere Mal geht es um die ganze Landschaft.“






„Wie kann ich das Netz haben, ohne die Knoten des Netzes einzeln zu knüpfen?“






„Wir können dann zwar verschiedener Meinung sein, wurzeln aber trotzdem alle im Selben.“






„Die Quantenmechanik stößt eine Tür auf in die zugrunde liegende Offenheit der Welt.“






„Alle ahnen alles.“






„Dass ich in dieser großen Offenheit überhaupt noch bestimmte Wahrnehmungen habe, das ist eigentlich das Geheimnis des Lebendigen.“






„Die Materie ist die Kruste des Geistes.“






„Ja, es war einfach so, wie wenn ein Älterer einen Stab an einen Jüngeren weitergibt...“






„...ich möchte hoffen, dass die Zeit bald kommen wird, wo wir die alte Fährte wieder aufnehmen werden.“






„...es ist alles ein Beitrag an die verborgene große Weisheit, die alles Neue trägt und nährt.“


Leseprobe


Vorwort






Dies ist vor allem ein Buch über eine Begegnung und die Darstellung eines langen Gesprächs, in dem es um mögliches Verstehen von Quantenphysik ging und besonders darum, was man aus der Beschäftigung mit ihr für das Leben lernen kann, wenn man nicht viel von Physik weiß, so wie ich. Eigentlich ist es zugleich ein Buch über Hans-Peter Dürr geworden. Sein Name erscheint zwar als Autorenname, weil alles Wesentliche in diesem Buch von ihm gesagt wurde, aber ich habe das, was ich während dieses Gesprächs erlebt habe, aufgeschrieben. Daraus folgte für mich, dass ich auch immer wieder versuchte, meinen Gesprächspartner als Person zwischen den Zeilen spürbar werden zu lassen.






Es ist mir bewusst, dass Dürr vor einem fachlich gebildeteren Publikum anders, wissenschaftlich fundierter, gesprochen hätte. Sicher hätte ein quantenphysikalisch gewitzterer Mensch als ich es bin mit ihm noch verschlungenere Wege in diesem schwierigen Gebiet gehen können. Die Tatsache aber, dass Dürr mich, die Fachfremde, für eine Weile an der Hand nahm, um ihr den einen oder anderen Aspekt zu zeigen, hat besondere Reize. Es ergab sich so ein eher impressionistischer, assoziations- und bildreicher Zugang.






Da es sich um eine sehr komplexe Thematik handelt, war es nicht nur unvermeidlich, sondern zugleich auch für mein Verständnis wünschenswert, dass wir an einigen Stellen einmal oder sogar mehrere Male zurückkehrten zu bereits Gesagtem, jeweils in einem etwas anderen Zusammenhang. Schlicht linear lassen sich solche Themen nicht behandeln. Der physikalisch unbelastete Leser bekommt so Atmosphärisches, Erlebnisse, Ahnungen, Nachdenken über Konsequenzen im Zusammenhang mit diesem faszinierenden Gebiet auf eine Weise vermittelt, die ein richtig systematisches Buch nicht bieten könnte.






Dass ich Dürr mit meinen Fragen auch in Bereiche locken würde, die über das Gebiet der reinen Wissenschaft zum Teil weit hinausreichen, war von Anfang an beabsichtigt.






Solche Gespräche transportieren ja zwangsläufig nicht nur ,Wissen', sondern auch Biographisches. Und das ist gut so, denn innerhalb eines Menschen können verschiedene Erkenntnisbereiche eine Verbindung eingehen, auch dann, wenn nicht immer genau beschrieben werden kann, wie der Mensch das eigentlich macht.






Unsere Gespräche haben sich alle in München abgespielt, und zwar, bis auf das letzte, im ehemaligen Institutszimmer von Werner Heisenberg – einer seiner Nachfolger ist Hans-Peter Dürr. Sie waren aber von der Art, dass es mir oft so schien, als säßen wir in einer bestimmten Landschaft am Meer, genauer am Mittelmeer. Da meine Landschaftsphantasien, während wir sprachen, für mich auch eine Art von Realität hatten, habe ich im Folgenden versucht, sie immer wieder mit der Darstellung unserer Gespräche zu verbinden, um so die Atmosphäre zu erfassen, die sich in dieser Zeit zwischen uns gebildet hatte. In dieser Landschaft spiegeln sich die Elemente wider, die in den Gesprächen bildhaft eine Rolle spielen: Wasser, Wellen, Steine, Sand, Bäume, Fischer, Fische ...






Meine manchmal unausgesprochenen Zweifel und Aha-Erlebnisse während des Redens gehören für mich ebenfalls so sehr zum Gesamterlebnis dieses Gesprächs, dass ich auch sie deshalb hier wiedergebe.






Der unmittelbare Anlass zu dem Gespräch war das von Dürr nachdrücklich geäußerte Bedauern darüber, dass die Einsichten der Quantenphysik, die nun, seit den ersten Anfängen, schon hundert Jahre alt ist, trotz mancher populärwissenschaftlichen Literatur immer noch viel zu wenig in den Zeitgeist eingedrungen sind.






Es war ein besonders großes Glück für mich, auf meiner Suche nach Formen der Verbindung zwischen Wissenschaft und Leben Hans-Peter Dürr als Gesprächspartner zu gewinnen. Er ist ja nicht nur ein renommierter Naturwissenschaftler, Teilchenphysiker, ehemals Schüler, Assistent und Freund von Werner Heisenberg, sondern zugleich schon lange als klug, verantwortungsbewusst und durchsetzungsfähig Handelnder in der Öffentlichkeit präsent, was ihm unter anderem auch die Verleihung des Alternativen Nobelpreises einbrachte. Er ist eine Persönlichkeit, die tiefe Einsichten in die Quantenphysik mit dem starken Engagement eines politisch Handelnden in Personalunion vereinigt.






Dies war eine Begegnung mit einem der Menschen, an deren Vorbild man sich heute wird halten müssen, wenn man einigermaßen gut im neuen Jahrhundert zurecht kommen will.






Für seine Geduld und die inspirierende Zusammenarbeit danke ich Hans-Peter Dürr sehr herzlich.






Für hilfreiche Gespräche danke ich den Professoren Michael von Brück, LMU München, und Hartmann Römer, Universität Freiburg. Weiterhin danke ich Dr. Regine Kather, Privatdozentin für Philosophie an der Universität Freiburg, für Ermutigung und die Lektüre des Manuskriptes.






Wildtal, im Dezember 2000
Marianne Oesterreicher


Siehe auch


Hans-Peter Dürr: Das Netz des Physikers (1988)



Hans-Peter Dürr: Die Zukunft ist ein unbetretener Pfad (1995)



Hans-Peter Dürr: Für eine zivile Gesellschaft (2000)



Hans-Peter Dürr: Auch die Wissenschaft spricht nur in Gleichnissen (2004)



Dürr, Meyer-Abich, Mutschler, Pannenberg, Wuketits: Gott, der Mensch und die Wissenschaft – Gespräche 1997



Fernsehinterview im Bayerischen Rundfunk am 29.5.1998



Global Challenges Network e.V. – »Global denken – vernetzt handeln« – wurde 1987 von Prof. Dr. Hans-Peter Dürr gegründet. GCN sieht in der Zusammenarbeit aller gesellschaftlichen Gruppierungen eine notwendige Voraussetzung für lösungsorientiertes Handeln. Das heißt: Idealerweise arbeiten Wissenschaft, Wirtschaft, Medien, Initiativen und engagierte Bürgerinnen und Bürger in ausgewählten Projekten interdisziplinär. Allen Projekten gemeinsam ist die Absicht, einen konkreten Beitrag zur Zukunftsfähigkeit unserer Lebens(um)welt zu leisten.