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Internationale Vereinigung / Initiative für Natürliche Wirtschaftsordnung (INWO)
Zukunftsfähige Wirtschaft

Beiträge zur 4. Internationalen Tagung der INWO in Bern 1995



Vertrieb: INWO Schweiz / Deutschland / Österreich; 144 Seiten






«Zukunftsfähige Wirtschaft» – unter diesem Motto stand die Tagung, die die Internationale Vereinigung für Natürliche Wirtschaftsordnung (INWO) gemeinsam mit der Erklärung von Bern und der Grünen Partei der Schweiz am 15. und 16. September 1995 in Bern durchführte.




Mit Beiträgen von Hans C. Binswanger, Peter Bosshard, Felix Bührer, Helmut Creutz, Thomas Estermann, Pierre Fornallaz, Peter Kafka, Margrit Kennedy, Sol Lyfond, Renato Pichler, Werner Rosenberger und Luzius Theiler


INWO e.V.


Die "Initiative für Natürliche Wirtschaftsordnung" (INWO e.V.) ist ein gemeinnütziger Verein mit politischem Bildungsauftrag. Ihr Ziel ist es, einer möglichst großen Öffentlichkeit Ideen zur Gestaltung eines gerechten und stabilen Geldsystems und einer gerechten und effizienten Bodenordnung zugänglich zu machen. Diese Ideen sind grundlegend für eine faire, von kapitalistischen Verwerfungen befreite Wirtschaftsordnung – eine FAIRCONOMY. Sie ermöglicht Rahmenbedingungen für ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit, Würde und Gerechtigkeit.
Siehe: www.inwo.de (= www.fairconomy.de), www.inwo.ch, www.inwo.at




Autoren


Peter Kafka, Physiker am Max-Planck-Institut für Astrophysik bei München, Autor von «Gegen den Untergang. Schöpfungsprinzip und globale Beschleunigungskrise». Pierre Fornallaz, Prof. dipl. Ing., 20 Jahre Industrietätigkeit, 13 Jahre ETH-Professor. Mitbegründer des Ökozentrums Langenbruck. Mitglied des Ethischen Rates der ABS (Alternative Bank Schweiz), Autor von «Die Ökologische Wirtschaft. Auf dem Weg zu einer verantworteten Wirtschaftsweise». Renato Pichler, Präsident der Schweizerischen Vereinigung für Vegetarismus, Leiter der Infostelle: Vegi-Büro Schweiz. Mitglied der TALENT-Leitung. Hans C. Binswanger, Prof. Dr., Hochschule St. Gallen, Leiter des Institutes für Wirtschaft und Ökologie. Autor von: «Geld und Magie», «Arbeit ohne Umweltzerstörung», «Geld und Natur» und «Geld und Wachstum». Peter Bosshard, Dr., Mitarbeiter der Erklärung von Bern. In der Schweiz und in internationalen Netzwerken engagiert zu Fragen der Finanzbeziehungen zwischen Nord und Süd. Luzius Theiler, Ökonom / Soziologe, Vorstandsmitglied der Grünen Partei Schweiz. Helmut Creutz, Techniker, Betriebsleiter, Architekt, Fluglehrer, Erfinder. Seit 1980 Beschäftigung mit dem Geldproblem. 1990 Lehrauftrag an der Uni Kassel. Vorträge, Seminare und zahlreiche Publikationen. Autor des Buches «Das Geldsyndrom» (1993). Margrit Kennedy, Prof. Dr., Hochschule Hannover, Professorin für technischen Ausbau und ressourcensparendes Bauen, Architektin, Stadtplanerin und Ökologin. Mitarbeiterin an einem der ersten europäischen Projekte für Permakultuir in Steyerberg. Autorin des Buches: «Geld ohne Zinsen und Inflation. Ein Tauschmittel das jedem dient» (1990). Thomas Estermann, Psychologe, Mitglied der TALENT-Leitung, Autor von «Alternative Geldmodelle» und «Schuldenfreies Tauschgeld TALENT». Sol Lyfond, Aktionskünstler, Köln, Begründer des Projekts «Herzgehirn» und der «Talentskulptur», Strassenaktionen «Hefe und Knete», «Saubere Kohle», «Schuldengebirge, Credo und Kredit» und «Zeitbombe». Felix Bührer, lic. oec. publ. Betriebswirtschafter, Mitarbeiter der Freien Gemeinschaftsbank BCL in Dornach und Mitbegründer der Alternativen Bank ABS. Werner Rosenberger, Primarlehrer, Publizist, Präsident der INWO International, Mitautor von «Landvergabe im Baurecht. Eine Dokumentation zuhanden der Gemeinden» und Autor von «Die Welt im Umbruch. Entwurf einer nach-kapitalistischen Wirtschaftsordnung». Dieter Gränicher, freier Filmschaffender. Von ihm stammen die Fotografien in diesem Buch.


Inhaltsverzeichnis


Werner Onken
Vorwort







Peter Kafka
Krise heisst Entscheidung







Pierre Fornallaz
Die ökologische Herausforderung – eine Befreiung!



1.

Was heißt ökologisches Wirtschaften?
Probleme vermeiden – Richtig rechnen – Muße schenken



2.

Die wegweisende Essenz des Entropiegesetzes



3.

Das Haben-und-Sein-Diagramm



4.

Das ethische Erwachen



5.

Die Notwendigkeit anspruchsvoller Vernetzung



6.

Schlußfolgerung







Renato Pichler
Die wirtschaftlichen und ökologischen Folgen unserer fleischorientierten Lebensweise




Weltweite Fleischproduktion steigt weiter an – Gülle verursacht Waldsterben – Zerstörung der Gewässer – Übersäuerung des Bodens – Treibhauseffekt – Ressourcenverschwendung – Nahrungsmittelverschwendung – Gesundheitliche Auswirkungen – Ökonomie – Kosten auf die Steuerzahler abgewälzt – Subventionierter Wahnsinn – Schlußbetrachtung







Hans Christoph Binswanger
Perspektiven einer nachhaltigen und umweltgerechten Wirtschaft







Peter Bosshard
Globaler Kings Club – Internationale Finanzbeziehungen ohne Mythen betrachtet




Die Verschuldung reproduziert sich selbst – Die Wettbewerbsfähigkeit beißt sich selbst in den Schwanz – Die Zinsen stammen nicht vom Mond – Der Ausweg entpuppt sich als globaler Kings Club – Schuldenstreichungen haben eine lange Tradition – Die wirtschaftlichen Interessen haben sich verändert – Es braucht ein internationales Konkursrecht – Die Kreditwürdigkeit ist eine Fata Morgana – Schuldenstreichungen sind kein Patentrezept







Luzius Theiler
Von der Vereinheitlichung zur Vernetzung – An den Grenzen der Globalisierung







Helmut Creutz
Armut und Arbeitslosigkeit, Überschuldung und Wachstumszwang




Welche Rolle spielt das Geld? – Die sozialen Folgen – Die ökonomischen Folgen – Die ökologischen Folgen – Was ist zu tun?







Margrit Kennedy
Frauen tragen die grösste Last – Zur Reform der Geld. und Bodenordnung




Das Geld als Ursache für Krieg und Unterdrückung – Die Lösung des Geldproblems – Die Lösung der Bodenrechtsfrage – Bezug zur politischen und wirtschaftlichen Situation der Frauen







Thomas Estermann
Das TALENT-Experiment der INWO Schweiz




Einleitung – Praktische Umsetzung einer revolutionären Theorie – Was sind TALENT, wie entstehen sie? – Die Wirkung des Geldes auf den Tausch – TALENT-Schöpfungsrechte – TALENT als regionale Zweitwährung – TALENT und Freiwirtschaft – Transparenz als Schutz vor Machtmissbrauch – Vorrangstellung des Geldes – TALENT: ein Beitrag zur Überwindung der Erwerbslosigkeit – Die Zukunft des TALENT-Experiments







Sol Lyfond
Alltag und Utopie konkret: Die Talentskulptur. Perspektiven des Kölner Netzwerkes für geldloses Tauschen




Alltag konkret
Der Start – Der Markt – Die Struktur – Die Resonanz der Öffentlichkeit – Drei Vorhaben




Utopie konkret
Die drei wichtigsten Eigenschaften – Private Nutzung und allgemeines Eigentum – Die Nutzungsgebühr, ein der Natur abgeschautes Prinzip – Perspektiven der Forschung – Der kapitalistische Wahn – Die Utopie des gerechten Geldes – Die Utopie der kunstvollen Wirtschaft – Kunst als Bezahlung unserer Schulden – Das konkrete Material – Hefe und Knete – Zusammenfassung







Felix Bührer
Was bedeutet menschenfreundliches Banking? – Freie Gemeinschaftsbank BCL




Eine Gruppe von Menschen will... – Menschenfreundliches Banking – Fragen anstelle eines Schlußwortes








Schritte auf dem Weg zu einer ökologisch verträglicheren Wirtschaft




Beispiel: Alternative Bank Schweiz (ABS)
Beispiel: Oekozentrum Langenbruck







Werner Rosenberger
Ein besonderes Hilfsgeld steigert die Effizienz der Spendengelder




Revolving Fonds – Zur Effizienz der Revolfing Fonds – Effizienzsteigerung durch Einführung von „Selbsthilfegeld“ – Ein eigenes Geld für Hilfsorganisationen? – Das Hilfsgeld (HIGE), ein kontrolliertes Tauschmittel – Zweck und Wirkung des Hilfsgeldes – Zur Einführung des Hilfsgeldes







Zu den Autoren



Weiterführende Literatur


Leseprobe


Vorwort






«Zukunftsfähige Wirtschaft» – unter diesem Motto steht die Tagung, die die Internationale Vereinigung für Natürliche Wirtschaftsordnung (INWO) gemeinsam mit der Erklärung von Bern und der Grünen Partei der Schweiz am 15. und 16. September 1995 in Bern durchführt. Denkanstösse für eine zukunftsfähige Wirtschaftsordnung zu geben und Ansätze für ein entsprechendes Handeln zu benennen, setzt eine Auseinandersetzung mit bisherigen Wirtschaftsweisen voraus; ebenso den kritischen Befund, dass diese nicht nur nicht «zukunftsfähig» sind, sondern sogar zukunftsgefährdend. Wie gefährlich die bisherige Art des Wirtschaftens und wie hoch die Verantwortung der jetzigen Menschengeneration für eine wirtschaftliche Kurskorrektur ist, mögen ein Zeitraffervergleich von Professor Eckhard Grimmel und eine Grafik von Professor Frederic Vester zeigen:

In seinem Buch «Kreisläu/e und Kreislaufstörungen der Erde» illustriert Eckhard Grimmel, wie lange und wie erfolgreich die Natur vor uns Menschen 'gewirtschaftet' hat. «Denken wir uns die 4,5 Milliarden Jahre Erdgeschichte auf ein Jahr geschrumpft, ergibt sich, dass die Erde zwei bis drei Monate lang 'wüst und leer' war, wie es in der Schöpfungsgeschichte der Bibel heisst. Dann entstand im Laufe des März/April das erste Leben, und zwar im Meer. Aber erst im November kamen einige Tiere auf die Idee, an Land zu gehen. Die endgültige Landbesiedelung, zunächst durch Amphibien, dann durch Reptilien, geschah Anfang Dezember. Die ersten Säugetiere entstanden am Ende der ersten Dezemberwoche. Aber die meisten der heute lebenden Arten haben sich erst am Silvestertag gebildet. Menschenähnliche Säugetiere treten erst in der zweiten Hälfte dieses letzten Tages auf. Die Anfänge der Kultur – dokumentiert in schriftlichen Aufzeichnungen in Indien, China, Mesopotamien und Ägypten – bildeten sich um 23.59 Uhr. Jesus lebte vor 20 Sekunden, Karl der Grosse vor 10 Sekunden und Bismarck vor einer Sekunde. Wie kommt es», fragt Grimmel schliesslich, «dass die Menschen mit immer schneller werdendem Tempo die Erde ruinieren, in 'Erdsekunden' das zerstören, was im 'Erdenjahr' davor mühsam aufgebaut worden ist? Warum haben die Menschen noch immer keine naturgemässen Wirtschafts- und Sozialordnungen?» (Reinbek 1993, S. 16 und 17).

Die Einmaligkeit unseres derzeitigen Augenblicks im Prozess der schöprerischen Evolution verdeutlicht eine Grarik aus dem Buch «Leitmotiv vernetztes Denken» von Frederic Vester. (München 1988, S. 41) [Hier folgt im Buch die Abbildung.] Demnach befinden wir uns in einem Übergangsstadium zwischen einer bis ins 19. Jahrhundert hineinreichenden quasi-stationären Entwicklung, und einer noch offenen Zukunft. An einem «kritischen Punkt» wird sich entscheiden, ob die Menschheit auf ihrem bisherigen Weg des exponentiellen Wirtschaftswachstums einer globalen Katastrophe entgegengeht oder ob es ihr gelingt, ihre weitere Entwicklung in einem neuen ökonomisch-ökologischen Gleichgewicht zu stabilisieren. Das Wachstum der Geld- und Realwirtschaft ist jedenfalls zu einem Tumor im Gesamtorganismus von Mensch und Erde geworden, der den Fortbestand des Lebens gefährdet. Ein jährliches Wachstum in Höhe von 3% bedeutet eine Verdoppelung des Sozialprodukts in knapp 24 Jahren, ein Anwachsen auf das 100fache in 235 Jahren und auf das Millionenfache in 470 Jahren! Doch was sind 24, 235 oder 470 Jahre in einer Evolution von Millionen Jahren? Die Entscheidung zwischen Katastrophe oder Neuordnung des menschlichen Zusammenlebens erfordert die Lösung ökonomischer und politischer Fragen. Und sie schliesst auch die weltanschauliche Frage nach dem Sinn unseres Daseins ein: Woher kommen wir, welchen Auftrag haben wir auf Erden und wohin gehen wir anschliessend?

Wenn man, wie der Physiker Peter Kafka in seinem Buch «Gegen den Untergang. Schöpfungsprinzip und globale Beschleunigungskrise» (München 1994), in grossen Zeiträumen denkt und aus gleichsam kosmischer Distanz auf die Erde blickt, merkt man, dass dort 'der Teufel los' ist, dass die Fortschrittsideologie der Moderne die Welt in eine immer tiefere Krise hineintreibt – Krise verstanden als eine Zeit der Entscheidung zwischen Katastrophe oder Neubeginn. Nach einer Jahrmilliarden langen natürlichen Evolution wird sich Kafka zufolge in dieser und in der nächsten Generation entscheiden, ob es der Menschheit gelingt, im Prozess der evolutionären Selbstorganisation Mittel zur Selbstbeschränkung des wirtschaftlichen Wachstums zu finden und den Weg in ein neues globales Gleichgewicht zu gehen – den Weg der «Selbstorganisation des freien Marktes ohne die Zwänge des Kapitalwachstums». (Kafka, S. 156 ff) Mit Kafkas Beitrag «Krise heisst Entscheidung» beginnt die vorliegende Aufsatzsammlung, die die INWO Schweiz zu der Tagung «Zukunftsfähige Wirtschaft» herausgibt. Darin wird das wirtschaftspolitische Neuland kurz umrissen, auf dem die Autoren der weiteren Beiträge die noch bestehende zukunftsgefährdende Wirtschaftsweise analysieren, auf dem sie das Fernziel einer «zukunftsfähigen Wirtschaftsordnung» andeuten und auf dem sie schliesslich über verschiedene 'kleinere' Schritte auf dem Weg zum 'grossen' Fernziel berichten. Ein Schwerpunkt ist dabei die Darstellung des TALENT-Experiments der INWO-Schweiz, denn die bisherigen Erfahrungen mit diesem Versuch, schon innerhalb der bestehenden falschen Wirtschaftsstrukturen in die richtige Richtung einer 'grossen' Strukturreform zu gehen, bilden den Hintergrund, vor dem das Gesamtkonzept für die Tagung «Zukunftsfähige Wirtschaftsordnung» entstanden ist. Zunächst vertieft Prof. Dr. em. ETH Pierre Fornallaz vom Ökozentrum Langenbruck bei Olten das Leitbild eines «transformierten Wirtschaftsverständnisses». Auf den zwar verschiedenen, aber sich ergänzenden ökonomisch-juristischen, naturwissenschaftlich-technischen und philosophisch-spirituellen Ebenen muss ein Gesamtbild einer zukunftsfähigen Wirtschaftsordnung entworfen werden.

Renato Pichler von der Schweizerischen Vereinigung für Vegetarismus führt die Folgen der fleischorientierten Ernährungsweise für Natur und Mensch vor Augen. Es sind allesamt Folgen, die ohne den langen Umweg Über politische Weichenstellungen vermindert werden könnten, wenn möglichst viele Personen eigenverantwortliche Entscheidungen für eine Änderung ihrer Lebensgewohnheiten treffen. Ebenso notwendig wie eine selbstkritische Überprüfung unserer täglichen Konsumgewohnheiten ist eine Anerkennung der Tatsache, dass das Sozialprodukt nicht nur ein Ergebnis des Aufwands von menschlicher Arbeit, Kapital und technischem Fortschritt ist. Prof. Dr. Hans Christoph Binswanger, Direktor des Instituts für Wirtschaft und Ökologie an der Hochschule St. Gallen, hält der ökonomischen Fachwissenschaft entgegen, dass auch die Natur wesentlich zum Zustandekommen des Sozialprodukts beiträgt. Neben Arbeit und Kapital müsse auch sie als «dritter Sozialpartner» respektiert werden. Binswanger gibt eine wissenschaftliche Begründung für die politische Forderung nach einer Energiesteuer, welche die Nutzung natürlicher Ressourcen bereits innerhalb der bestehenden Wachstumswirtschaft verteuert und dadurch möglicherweise auch vermindert. Dieses Plädoyer für die Energiesteuer endet mit dem Hinweis, dass darüber hinaus auch noch der «modernen Wirtschaft inhärente Wachstumszwang überprüft» werden müsse. Die Berechtigung gerade dieses letzten Hinweises unterstreichen die beiden Beiträge von Peter Bosshard und Luzius Theiler über die Instabilität des globalen Finanzsystems und über weltwirtschaftliche Grenzen des Wachstums. Peter Bosshard – er ist Sekretär der Erklärung von Bern – beziffert die ausufernde Verschuldung des Südens und Ostens beim Norden auf annähernd zwei Billionen US-Dollar. In Anspielung auf die unseriösen Geschäftspraktiken des ominösen European Kings Club bezeichnet er das Weltfinanzsystem als einen Globalen Kings Club, dessen zunehmender Instabilität sowohl mit Schuldenstreichungen als auch mit einem internationalen Konkursrecht entgegengewirkt werden müsse. Luzius Theiler vom Vorstand der Grünen Partei der Schweiz mahnt ebenfalls zur Abkehr von der Gigantomanie einer weltweiten Vereinheitlichung der, Produktions- und Konsummuster à la McDonald's und mtv. Seine Gegenüberstellung von Ricardos Freihandelstheorie und Keynes' kritischer Gegenposition führt zu der Frage, ob es wirklich der Freihandel an sich ist, der zu immer mehr multinationaler Vereinheitlichung führt. Könnte die Überwucherung der Erde mit grenzüberschreitenden Monopolen nicht auch darauf beruhen, dass das Gefüge von Weltmarktpreisen und «komparativen Kostenvorteilen» (Ricardo) durch das nicht-neutrale, zinstragende Geld sowie durch protektionistische Handelshemmnisse verzerrt' wird? Ein von der buchstäblich grenzenlosen Kapitalkonzentration befreiter Freihandel würde vielleicht eine Entwicklung zu einer weniger transportintensiven Dezentralisierung der Produktionsstätten begünstigen. Während bei Bosshard und Theiler anklingt, dass das Wirtschaftswachstum auf globaler Ebene kritische Grenzen erreicht bzw. überschritten hat, untersucht der Wirtschaftspublizist Helmut Creutz das geradezu explosionsartige Wachstum der Geldvermögen und der Schulden des Staates, der Privatwirtschaft und der privaten Haushalte in einem einzelnen Land wie Deutschland. Die tiefere Ursache für diese krebsartigen Wachstumsprozesse sieht er in Strukturfehlern des bestehenden Geldes, welches die Produktion und den Austausch der Güter nicht neutral vermittelt, sondern über den Märkten thront und die Marktvorgänge selbstherrlich an seinen eigenen marktfremden Renditeinteressen ausrichtet. Das hat Creutz zufolge schwerwiegende soziale und ökologische Folgen. Der durch die wachsende Schuldenzinslast verschärfte Verteilungskonflikt zwischen Arbeit und Kapital lässt sich zwar vorübergehend durch eine beiderseitige Teilhabe am Wachstum – d.h. zulasten der Natur! – abmildern. Auf mittlere und längere Sicht gibt es bei einer Beibehaltung dieses dysfunktionalen Geldes jedoch nur die Wahl zwischen einer sozialen oder einer ökologischen Katastrophe. Das Beängstigende am zins- und zinseszinsbedingten Wachstum von Geldvermögen und Schulden sind ihre exponentiellen Zuwachsraten, die vom Planeten Erde auf die Dauer ebensowenig getragen werden können wie die exponentielle Zunahme der Weltbevölkerung, des Ressourcenverbrauchs sowie der Produktion von Gütern und Abfällen in der oben abgebildeten Grarik von Frederic Vester. Als entscheidende Weichenstellung in der vor uns liegenden Phase des Übergangs zur Katastrophe oder zu einem neuen Gleichgewicht von Wirtschaft und Natur fordert Helmut Creutz deshalb eine strukturelle Änderung der Geldordnung, wodurch das Geld neutral wird und seine Selbstvermehrungs- und Wachstumsdynamik erlahmt. Margrit Kennedy, Professorin für Architektur und ressourcensparendes Bauen, erweitert diese Perspektive einer Reform des Geldwesens um eine Reform des ebenfalls noch sozial- und umweltunverträglichen Bodenrechts. Sie erläutert ausserdem, wie beide Reformansätze zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Frauen beitragen könnten. Nach diesem Ausblick auf eine Strukturreform der Wirtschaftsordnung geht es in den letzten Beiträgen dieses Buches um kleine Schritte, die notwendig sind, um die Wirtschaft von ihrem bisherigen zukunftsgefährdenden Katastrophenkurs abzubringen und sie auf den zukunftsfähigen Kurs eines neuen Gleichgewichts zu leiten. Erfahrungsgemäss kann Neues nicht 'über Nacht' an die Stelle von Altem treten. Es braucht eine Übergangszeit, in der das Neue vielerorts keimen und wachsen kann, bis es allmählich genügend Kraft bekommt und das Rückgrat einer neuen «zukunftsfähigen Wirtschaftsordnung» bilden kann. Thomas Estermann von der INWO Schweiz gehört zu den Initiatoren eines solchen kleinen Schritts, nämlich des TALENT-Experiments. Er gibt Einblicke in die Funktionsweise und Ziele dieses Experiments, das mittlerweile zum Vorbild für ähnliche Experimente in Deutschland geworden ist. Eines dieser Folgeprojekte ist die Talentskulptur in Köln, über dessen Aufbau, Ziel und auch künstlerisches Selbstverständnis der Bildhauer Sol Lyfond als ihr Initiator hier berichtet. Während die TALENT-Experimente alternative Tauschmodelle darstellen, sind die Alternativbank der Schweiz (ABS) und die Freie Gemeinschaftsbank (BCL) in Dornach bei Basel Versuche der Einübung eines ethisch vertretbaren Umgangs mit Ersparnissen und Krediten. Die Arbeitsweise der BCL erläutert der Betriebswirt Felix Bührer, der in ihr als freier Mitarbeiter tätig ist und der auch die ABS mitgegründet hat. Abschliessend stellt der Präsident der INWO International, Werner Rosenberger, noch einmal den Bezug von alternativen Tauschmodellen zur Weltwirtschaft her, indem er für Drittweltländer einen Vorschlag macht, Gelder von Hilfsorganisationen in Gestalt von lokal begrenztem neutralen Geld zirkulieren zu lassen. Damit soll im Interesse der wirtschaftlichen Belebung einzelner Regionen verhindert werden, dass Spendengelder in die Hände der Machteliten des Südens gelangen. Die Veranstalter der Tagung «Zukunftsfähige Wirtschaftsordnung» im September 1995 in Bern sind sich dessen bewusst, dass sie keine fertigen Rezepte für eine solche Wirtschaftsordnung präsentieren können, sondern nur Anstösse zum weiteren Nachdenken und Handeln. Sie verstehen sich selbst als Teile eines weit verzweigten Netzwerks von Initiativen, in denen Menschen in zahlreichen Ländern der Erde unterwegs sind, um an der Verwirklichung einer «zukunftsfähigen Wirtschaftsordnung» mitzuwirken – gemäss dem hoffnungsvollen Motto: «Wenn viele Menschen an vielen Orten viele kleine Schritte tun, werden sie das Gesicht der Welt verändern.»

Werner Onken