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Bill McKibben
Das Ende der Natur



München 1990 (List); 232 Seiten; ISBN 3-471-78182-X






Die Natur, so hat es für uns den Anschein, währt ewig, sie bewegt sich mit unendlicher Langsamkeit durch die vielen Perioden ihrer Geschichte, Zeiträume, deren Bezeichnungen wir nur undeutlich erinnern, wenn wir an den Biologieunterricht zurückdenken: Devon, Trias, Kreidezeit und Diluvium. (…) Man hat uns erklärt, die Menschheitsgeschichte sei wie eine Minute, wenn man die Geschichte der Erde als einen Tag messe, doch ist es dieser langwährende Tag, der uns im Gedächtnis haften geblieben ist. (…) Da selbst die Zeitspanne von einer Million Jahren schier unermesslich ist, schließen wir daraus: Nichts verändert sich innerhalb kurzer Zeit. Veränderungen brauchen eine unvorstellbar lange – eine „geologische“ – Zeitspanne.

Dieser Vorstellung von Zeit liegt ein großes Mißverständnis zugrunde. (…) Die beruhigende Vorstellung von einer ewigwährenden Zukunft, die wir aus dem scheinbar bodenlosen Brunnen der Vergangenheit schöpfen, ist eine Täuschung. Die Evolution, die seit jeher so langsam und allmählich gewirkt hat, benötigte zwar Milliarden Jahre, um uns aus dem Urschleim zu schaffen, aber das heißt noch nicht, dass die Zeit immer so schwerfällig voranschreitet. Manche Ereignisse – gewaltige Ereignisse – können sehr schnell eintreten. (…)

In fast derselben tröstlichen Weise, in der wir uns die Zeit als unermesslich vorstellen, halten wir die Erde für unvorstellbar groß. (…) Für jeden von uns ist die Welt riesig, „für unsere Sinne unendlich“. (…)

Unsere beruhigende Vorstellung von der Dauerhaftigkeit unserer natürlichen Umgebung, unser Vertrauen darauf, daß sie sich allenfalls äußerst langsam und kaum wahrnehmbar verändert, ist also das Ergebnis einer unbewusst verzerrten Wahrnehmung. Es ist durchaus möglich, daß noch zu unseren Lebzeiten in unserer Welt Veränderungen eintreten, die sich auf uns auswirken – ich meine nicht Kriege, sondern gewaltigere und folgenreichere Ereignisse. Ich bin überzeugt, daß wir – ohne es zu merken – die Schwelle zu einer solchen Veränderung bereits überschritten haben: daß wir vor dem Ende der Natur stehen, daß dieses Ende nicht länger ein mögliches, sondern ein tatsächlich eingetretenes Ereignis darstellt.

Unter dem Ende der Natur verstehe ich nicht das Ende der Welt. Der Regen wird weiterhin fallen, und die Sonne wird weiterhin scheinen, wenn auch anders als bisher. Wenn ich „Natur“ sage, meine ich damit bestimmte menschliche Vorstellungen von der Welt und von unserem Platz in ihr. Die Auflösung dieser Vorstellungen beginnt jedoch mit konkreten Veränderungen der Wirklichkeit, die uns umgibt – Veränderungen, die von Wissenschaftlern gemessen und beziffert werden können. Immer häufiger werden diese Veränderungen unserer Wahrnehmung widersprechen, bis schließlich unsere Vorstellung von der Natur als etwas Ewigem und von uns Unabhängigem zerstört ist und wir nur zu deutlich sehen, was wir angerichtet haben.

(Aus „Eine neue Atmosphäre“, S. 15 ff)


Bill McKibben


geboren 1960 in Palo Alto, Kalifornien, ist ein US-amerikanischer Umweltaktivist und Autor. Er verfasste eine Vielzahl an Büchern zu den Themen globale Erwärmung und alternative Energie. Im Sommer 2006 führte er die größte Demonstration in der amerikanischen Geschichte gegen die globale Erwärmung an. 2009 führte er die Aktivitäten der Organisation 350.org an, die mit 5.200 gleichzeitigen Demonstrationen in 181 Ländern stattfand, um auf das Problem der globalen Erwärmung aufmerksam zu machen. Das Magazin „Foreign Policy“ führt ihn in der Liste der 100 wichtigsten globalen Vordenker und MSN zählt ihn zu einem der einflussreichsten Menschen des Jahres 2009. Er ist Mitunterzeichner eines im Dezember 2018 veröffentlichten offenen Briefes, in dem der Politik ein Scheitern bei der Thematisierung der Krise vorgeworfen und dazu aufgerufen wird, sich Bewegungen wie Extinction Rebellion anzuschließen und einen Konsumverzicht zu leisten. (Aus Wikipedia, 2019)


Inhaltsverzeichnis


Danksagung

TEIL I: DIE GEGENWART

Eine neue Atmosphäre
Das Ende der Natur


TEIL II: DIE NAHE ZUKUNFT

Ein gebrochenes Versprechen
Eine Trotzreaktion
Ein Weg des größeren Widerstands


Register


Zitate


Wir haben die Atmosphäre und damit auch das Wetter verändert. Indem wir das Wetter verändern, machen wir jeden Fleck auf der Erde zu etwas Künstlichem, zu Menschenwerk. Wir haben die Natur ihrer Eigenständigkeit beraubt, und das hat verhängnisvolle Folgen für ihr Wesen. Das Wesen der Natur ist ihre Eigenständigkeit; ohne sie gibt es nur noch uns. (S. 68)

Es hat sich herausgestellt, daß wir als Gattung stärker sind, als wir gedacht haben – viel stärker. In gewisser Hinsicht erweisen wir uns als Gott ebenbürtig – zumindest als Gottes Rivalen –, fähig, die Schöpfung zu zerstören. (S. 87)

„Treibhauseffekt“ – diese Bezeichnung ist weit passender, als es sich ihre Urheber hätten träumen lassen. Kohlendioxid und Spurengase wirken wie die Glasscheiben eines Treibhauses – die Analogie ist zutreffend. Aber sie stimmt in einem weiteren Sinn: Wir haben ein Treibhaus gebaut, ein Werk des Menschen, wo einstmals ein lieblicher, wilder Garten blühte. (S. 100)

Daß die neue „Natur“ unseren Stempel trägt, heißt nicht, daß wir sie beherrschen können. Sie muß nicht unbedingt grimmig ausfallen,aber sie
muß gar nichts, und deshalb werden wir sehr lange brauchen, um unser Verhältnis zu ihr zu klären, sofern uns das überhaupt jemals gelingen wird. Das hervorstechende Merkmal dieser neuen Natur ist ihre Unberechenbarkeit, so wie das der alten Natur ihre Zuverlässigkeit war. Das klingt vielleicht merkwürdig, da wir uns daran gewöhnt haben, natürliche Vorgänge wie Regen oder Sonnenschein als launenhaft und als schwer prognostizierbar zu betrachten. Auf kurze Sicht und im Hinblick auf eng begrenzte Regionen sind sie das auch (…). Aber in größeren Maßstäben war die Natur sehr beständig, und im Weltmaßstab war sie Musterbeispiel der Zuverlässigkeit – „so sicher, wie der Sommer auf den Frühling folgt“, heißt es im Volksmund. (S. 104)

Letztendlich ist mir natürlich klar, daß eine Trotzhaltung
[weiter wie gewohnt, business as usual; E.W.] wirtschaftliches Wohlergehen und eine Art Sicherheit bedeuten kann – daß mehr Staudämme den Einwohnern von Phoenix in Arizona helfen können und daß die Gentechnik den Kranken helfen kann, und daß es so viele fortschrittliche Erfindungen gibt, die nach wie vor gegen das menschliche Elend auf der Welt eingesetzt werden können. Auch ich habe kein dringendes Bedürfnis, meine Lebensführung einzuschränken. Wäre ich der Meinung, wir könnten die Entscheidung aufschieben und sie unseren Enkeln aufhalsen, dann wäre ich damit einverstanden. So wie die Dinge liegen, habe ich nicht vor, in einer Höhle zu leben oder auch nur in einer ungeheizten Kammer. Während es zehntausend Jahre gedauert hat, um uns dahin zu bringen, wo wir heute stehen, werden einige wenige Generationen genügen, um uns zurückzubefördern. Doch unsere Zeit könnte die Epoche sein, in der die Menschen beschließen, wenigstens den bisher eingeschlagenen Weg nicht weiter zu verfolgen – die Epoche, in der wir nicht nur die erforderlichen technischen Anpassungen vornehmen, um die Erde vor einer zu starken Erwärmung zu schützen, sondern auch die notwendigen Anpassungen in unserem Denken, um sicherzustellen, daß wir nie wieder unseren Vorteil höher veranschlagen werden als den aller anderen Lebewesen. (S. 219)


Siehe auch


Rezension in der taz vom 10.8.1990



Bill McKibben: Die taumelndeWelt. Wofür wir im 21. Jahrhundert kämpfen müssen