|
Diese
Seiten sind voller Theorie und voller Anspruch, dem ich selbst
oft nicht genüge. Manchmal bin ich selbst deprimiert, weil
so wenig „vorwärts“ geht. Ja, auch ich fühle
mich oft müde und ohnmächtig und zur Genüge damit
beschäftigt, den eigenen Stress zu bewältigen. Auch
darüber möchte ich mich austauschen: wie wir uns bei
zunehmendem Stress gegenseitig stärken und motivieren
können. Teilen wir unsere Erfahrungen, die bedrückenden
und die ermutigenden, indem wir drüber reden! Bestärken
wir uns gegenseitig in dem Wollen, wirksame Bestandteile einer
vielfältigen, lebendigen, liebevollen gesellschaftlichen
Bewegung zu sein.
Kontemplation
Das
brauche ich immer wieder: Die eigene Sammlung in ruhiger
Zurückgezogenheit. Ich nenne es für mich:
Kontemplation – ich begebe mich in einen
„abgegrenzten Bezirk“. Zur Entspannung, zum
Nichtstun, zur Langeweile, zur Beschaulichkeit. Gelegentlich
auch, um mich ungestört und bewusst selbst zu bemitleiden
(wodurch sich, wie ich erfahren habe, mein Selbstbedauern
ziemlich schnell selbst erledigt).
Zur Kontemplation
muss ich nicht unbedingt allein sein. Es geht auch gemeinsam.
Sich
im Kreis versammeln
Am hilfreichsten
ist für mich der Austausch im Kreise vertrauter Menschen,
mit denen ich über Emotionen ebenso reden kann wie über
allgemeine oder spezielle Ansichten. Es müssen nicht
unbedingt alte Bekannte sein. Wichtig ist eine Begegnung unter
Wohlwollen und geistiger Sammlung. Ausschlaggebend ist die
Regel, dass immer nur eine Person spricht, während alle
anderen zuhören. So erlebe ich das Wir.
Je
mehr mich das Chaos beutelt, desto sehnsüchtiger schaue ich
nach einem größeren Wir aus, und desto
bereiter bin ich, selbst bei der Geburt eines Wir
mitzuhelfen. Und ich bin sicher nicht der einzige, dem es so
geht. Ich sehe mich umgeben von anderen Ichs, die sich ehrlich
um alle möglichen Formen von Gemeinschaft bemühen und
neue Regeln üben. Ich glaube es ist schon im Entstehen, das
globale Wir, aber es muss noch heranreifen und geboren
werden, und es ist noch nicht gesagt, ob es gesund zur Welt
kommen kann. Es ist in einem chaotischen Zustand, und das
einzige, was ich tun kann, ist: üben, wo‘s
geht.
Deshalb sehne ich mich nach solchen Kreisen, in
denen das bewusstere Wir geübt wird, wenigstens im
Kleinformat, dafür aber ganz praktisch.
Das globale
Wir kann nicht im versammelten Kreis verwirklicht werden,
dazu ist es zu groß. Das globale Wir kann ich mir
nur als Bewusstseins-Hintergrund eines „Netzwerks“
vorstellen. Doch das Netzwerk besteht aus lauter kleineren und
größeren Kreisen, in denen ein paar alte
Verhaltensgewohnheiten durch eine neue Art von „Höflichkeit“
ersetzt werden. Die Grundregel des Kreises, dass immer nur eine
Person spricht und alle anderen zuhören, ist eine starke
Herausforderung meiner Bewusstheit und meiner Teilnahme.
Dieser
Grundregel des Kreises kommt in den meisten Gesprächsrunden,
die ich miterlebe, kein hoher Stellenwert zu. Bei „lockeren“
geselligen Anlässen ist sie, wie mir scheint, geradezu
kontraindiziert. Wo wird sie bislang eigentlich angewandt?
Hauptsächlich bei „gezwungenen“ Anlässen,
bei denen irgend eine Autorität das Wort „führt“:
In der Schule, bei Vorträgen, bei moderierten Diskussionen.
In einer geselligen Runde möchte man sich dagegen
„ungezwungen“ unterhalten, „frei“ von
aufgesetzten Regeln.
Dass man seinem Gesprächspartner
aufmerksam zuhört und ihn ausreden lässt, habe auch
ich als eine Regel der Höflichkeit gelernt und weitgehend
verinnerlicht. Ohne bewusste Achtsamkeit scheint diese Regel
aber nur in kleinsten Gesprächsgruppen von 2-3 Personen zur
Geltung zu kommen; in größeren Gruppen wird sie von
anderen „Gewohnheiten“ überlagert. Je größer
der Kreis der Gesprächsteilnehmer wird, desto mehr
„höfliche Zurückhaltung“ und
Aufmerksamkeit ist erforderlich, damit jede und jeder zu Wort
kommt; desto leichter zerfällt er in kleine Untergruppen.
Schon bei vier Teilnehmern reicht die gewohnheitsmäßige
Disziplin oft nicht mehr aus und es entstehen zwei
Zweier-Gespräche. Bei größeren Runden ohne
Gesprächsleitung ist fast immer ein stetig variierender
(und auf seine Weise reizvoller) Prozess der Grüppchenbildung
im Gange. Die gewohnten „Spielregeln“ des
Miteinanderredens scheinen nicht dafür geeignet, einen
größeren Kreis zusammenzuhalten. Sie scheinen immer
wieder zur einfachsten Spielvariante zurückzuführen:
zum Zwiegespräch.
Wo die Grundregel des Kreises
nicht zur Gewohnheit geworden ist, erfordert sie eine bewusste
Achtsamkeit, die ich leicht erst mal als stressige
Disziplinierung empfinde. Wohltuend und bereichernd fühlt
sie sich nur in einem Kreis an, in dem sie schon „eingespielt“
ist, in dem also das „spielerische Element“ im
Austausch wieder spürbar ist.
Dann kann es auch mal
turbulent zugehen, z.B. nach einem witzigen oder
emotionsgeladenen Einwurf. Für einen kurzen Moment zerfällt
der Kreis in lauter lachende oder aufgeregte Grüppchen. Und
doch finden die Grüppchen wieder in den Kreis zurück:
Irgend jemand erhebt seine Stimme und wird wieder von allen
gehört. Kein Grüppchen hängt sich mehr ab, die
größere Runde ist „irgendwie“
interessanter geworden. Ich fühle mich nicht mehr
gestresst. Ich bin einfach mit dabei. Ich empfinde eine
Gemeinschaft, ein Wir. Je öfter ich dies erlebe,
desto stärker vermisse ich es bei Gesellschaften, die
dieses Spiel nicht kennen.
Ich betone das „spielerische
Element“. Dabei haben die meisten Spiele, die ich kenne,
etwas mit Wettbewerb zu tun. Wer kommt als erster ans Ziel? Wer
sammelt die meisten Punkte? Wer kann sich durchsetzen? Ein Wir
gibt es allenfalls in Mannschaften, die wiederum gegeneinander
antreten. Klar, das kann eine Mordsgaudi ergeben, und auch ich
lasse mich ja gerne immer wieder drauf ein. Aber das
Kooperative, das gegenseitige Unterstützen, das
Zusammenspiel – wie beim Federball: den Ball gemeinsam
möglichst lange oben zu halten – das kommt doch
auffallend selten vor und fehlt mir oft.
Einen subtilen
Wettbewerb spüre ich auch häufig in „lockeren“
Gesprächsrunden. Ich wundere mich nicht darüber.
Auftrumpfen, darstellen, gut ankommen, gut dastehen, sich
behaupten, wetteifern – steckt das nicht doch noch ganz
tief in uns? „Alpha-Tiere“, die das Sagen haben,
spielen jedenfalls eine Rolle, in der kleinen Gesprächsrunde
wie in der großen Politik: Wortführer,
Meinungsmacher, Experten, Leistungsträger, Rebellen,
Redekünstler, Spassvögel. Auf der anderen Seite die
Zuhörer und Zuschauer, die teils mit ihrer passiven Rolle
zufrieden sind, teils auch gerne mal das Wort ergreifen würden,
es aber einfach nicht zu fassen kriegen. Man muss halt sehen,
wie man „mithalten“ kann. Spezies gegen Spezies,
Team gegen Team, jeder gegen jeden. Zum Glück ist das nicht
das einzige Grundprinzip der Evolution!
Es gilt, viele
verschiedene Interessengruppen „an einen Tisch“ zu
bringen. Am besten funktioniert es im wörtlichen Sinn, wenn
gemeinsames Essen angesagt ist (global funktioniert genau das
leider gar nicht). Oder jemand regt ein Spiel an: Dann ist eine
kleine belustigende Herausforderung angesagt und alle Anwesenden
nehmen sie entweder selbst an oder schauen wenigstens zu, wie
andere sie annehmen und bewältigen.
Ich schlage
folgendes Spiel vor: Wenn eine Person spricht, hören
alle anderen zu. Das geht auch ganz locker und wirklich
spielerisch. Auch hier darf es hitzig oder gemächlich
zugehen. Auch hier darf man auftrumpfen, wenn die Gelegenheit es
erlaubt, oder sich zurückhalten, wenn einem danach ist.
Dieses Spiel kann sogar zur Gewohnheit werden. Und aus dem
energiezehrenden Gerangel kann ein spürbar
energiespendendes Zusammenspiel werden.
|
|