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Weiter gegen den Untergang


Eine Auffrischung


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Ernst Weeber




Sich sammeln



Wie ich meinen Mut bewahre






Diese Seiten sind voller Theorie und voller Anspruch, dem ich selbst oft nicht genüge. Manchmal bin ich selbst deprimiert, weil so wenig „vorwärts“ geht. Ja, auch ich fühle mich oft müde und ohnmächtig und zur Genüge damit beschäftigt, den eigenen Stress zu bewältigen. Auch darüber möchte ich mich austauschen: wie wir uns bei zunehmendem Stress gegenseitig stärken und motivieren können. Teilen wir unsere Erfahrungen, die bedrückenden und die ermutigenden, indem wir drüber reden! Bestärken wir uns gegenseitig in dem Wollen, wirksame Bestandteile einer vielfältigen, lebendigen, liebevollen gesellschaftlichen Bewegung zu sein.

Kontemplation

Das brauche ich immer wieder: Die eigene Sammlung in ruhiger Zurückgezogenheit. Ich nenne es für mich: Kontemplation – ich begebe mich in einen „abgegrenzten Bezirk“. Zur Entspannung, zum Nichtstun, zur Langeweile, zur Beschaulichkeit. Gelegentlich auch, um mich ungestört und bewusst selbst zu bemitleiden (wodurch sich, wie ich erfahren habe, mein Selbstbedauern ziemlich schnell selbst erledigt).

Zur Kontemplation muss ich nicht unbedingt allein sein. Es geht auch gemeinsam.

Sich im Kreis versammeln

Am hilfreichsten ist für mich der Austausch im Kreise vertrauter Menschen, mit denen ich über Emotionen ebenso reden kann wie über allgemeine oder spezielle Ansichten. Es müssen nicht unbedingt alte Bekannte sein. Wichtig ist eine Begegnung unter Wohlwollen und geistiger Sammlung. Ausschlaggebend ist die Regel, dass immer nur eine Person spricht, während alle anderen zuhören. So erlebe ich das Wir.

Je mehr mich das Chaos beutelt, desto sehnsüchtiger schaue ich nach einem größeren Wir aus, und desto bereiter bin ich, selbst bei der Geburt eines Wir mitzuhelfen. Und ich bin sicher nicht der einzige, dem es so geht. Ich sehe mich umgeben von anderen Ichs, die sich ehrlich um alle möglichen Formen von Gemeinschaft bemühen und neue Regeln üben. Ich glaube es ist schon im Entstehen, das globale Wir, aber es muss noch heranreifen und geboren werden, und es ist noch nicht gesagt, ob es gesund zur Welt kommen kann. Es ist in einem chaotischen Zustand, und das einzige, was ich tun kann, ist: üben, wo‘s geht.

Deshalb sehne ich mich nach solchen Kreisen, in denen das bewusstere Wir geübt wird, wenigstens im Kleinformat, dafür aber ganz praktisch.

Das globale Wir kann nicht im versammelten Kreis verwirklicht werden, dazu ist es zu groß. Das globale Wir kann ich mir nur als Bewusstseins-Hintergrund eines „Netzwerks“ vorstellen. Doch das Netzwerk besteht aus lauter kleineren und größeren Kreisen, in denen ein paar alte Verhaltensgewohnheiten durch eine neue Art von „Höflichkeit“ ersetzt werden. Die Grundregel des Kreises, dass immer nur eine Person spricht und alle anderen zuhören, ist eine starke Herausforderung meiner Bewusstheit und meiner Teilnahme.

Dieser Grundregel des Kreises kommt in den meisten Gesprächsrunden, die ich miterlebe, kein hoher Stellenwert zu. Bei „lockeren“ geselligen Anlässen ist sie, wie mir scheint, geradezu kontraindiziert. Wo wird sie bislang eigentlich angewandt? Hauptsächlich bei „gezwungenen“ Anlässen, bei denen irgend eine Autorität das Wort „führt“: In der Schule, bei Vorträgen, bei moderierten Diskussionen. In einer geselligen Runde möchte man sich dagegen „ungezwungen“ unterhalten, „frei“ von aufgesetzten Regeln.

Dass man seinem Gesprächspartner aufmerksam zuhört und ihn ausreden lässt, habe auch ich als eine Regel der Höflichkeit gelernt und weitgehend verinnerlicht. Ohne bewusste Achtsamkeit scheint diese Regel aber nur in kleinsten Gesprächsgruppen von 2-3 Personen zur Geltung zu kommen; in größeren Gruppen wird sie von anderen „Gewohnheiten“ überlagert. Je größer der Kreis der Gesprächsteilnehmer wird, desto mehr „höfliche Zurückhaltung“ und Aufmerksamkeit ist erforderlich, damit jede und jeder zu Wort kommt; desto leichter zerfällt er in kleine Untergruppen. Schon bei vier Teilnehmern reicht die gewohnheitsmäßige Disziplin oft nicht mehr aus und es entstehen zwei Zweier-Gespräche. Bei größeren Runden ohne Gesprächsleitung ist fast immer ein stetig variierender (und auf seine Weise reizvoller) Prozess der Grüppchenbildung im Gange. Die gewohnten „Spielregeln“ des Miteinanderredens scheinen nicht dafür geeignet, einen größeren Kreis zusammenzuhalten. Sie scheinen immer wieder zur einfachsten Spielvariante zurückzuführen: zum Zwiegespräch.

Wo die Grundregel des Kreises nicht zur Gewohnheit geworden ist, erfordert sie eine bewusste Achtsamkeit, die ich leicht erst mal als stressige Disziplinierung empfinde. Wohltuend und bereichernd fühlt sie sich nur in einem Kreis an, in dem sie schon „eingespielt“ ist, in dem also das „spielerische Element“ im Austausch wieder spürbar ist.

Dann kann es auch mal turbulent zugehen, z.B. nach einem witzigen oder emotionsgeladenen Einwurf. Für einen kurzen Moment zerfällt der Kreis in lauter lachende oder aufgeregte Grüppchen. Und doch finden die Grüppchen wieder in den Kreis zurück: Irgend jemand erhebt seine Stimme und wird wieder von allen gehört. Kein Grüppchen hängt sich mehr ab, die größere Runde ist „irgendwie“ interessanter geworden. Ich fühle mich nicht mehr gestresst. Ich bin einfach mit dabei. Ich empfinde eine Gemeinschaft, ein Wir. Je öfter ich dies erlebe, desto stärker vermisse ich es bei Gesellschaften, die dieses Spiel nicht kennen.

Ich betone das „spielerische Element“. Dabei haben die meisten Spiele, die ich kenne, etwas mit Wettbewerb zu tun. Wer kommt als erster ans Ziel? Wer sammelt die meisten Punkte? Wer kann sich durchsetzen? Ein Wir gibt es allenfalls in Mannschaften, die wiederum gegeneinander antreten. Klar, das kann eine Mordsgaudi ergeben, und auch ich lasse mich ja gerne immer wieder drauf ein. Aber das Kooperative, das gegenseitige Unterstützen, das Zusammenspiel – wie beim Federball: den Ball gemeinsam möglichst lange oben zu halten – das kommt doch auffallend selten vor und fehlt mir oft.

Einen subtilen Wettbewerb spüre ich auch häufig in „lockeren“ Gesprächsrunden. Ich wundere mich nicht darüber. Auftrumpfen, darstellen, gut ankommen, gut dastehen, sich behaupten, wetteifern – steckt das nicht doch noch ganz tief in uns? „Alpha-Tiere“, die das Sagen haben, spielen jedenfalls eine Rolle, in der kleinen Gesprächsrunde wie in der großen Politik: Wortführer, Meinungsmacher, Experten, Leistungsträger, Rebellen, Redekünstler, Spassvögel. Auf der anderen Seite die Zuhörer und Zuschauer, die teils mit ihrer passiven Rolle zufrieden sind, teils auch gerne mal das Wort ergreifen würden, es aber einfach nicht zu fassen kriegen. Man muss halt sehen, wie man „mithalten“ kann. Spezies gegen Spezies, Team gegen Team, jeder gegen jeden. Zum Glück ist das nicht das einzige Grundprinzip der Evolution!

Es gilt, viele verschiedene Interessengruppen „an einen Tisch“ zu bringen. Am besten funktioniert es im wörtlichen Sinn, wenn gemeinsames Essen angesagt ist (global funktioniert genau das leider gar nicht). Oder jemand regt ein Spiel an: Dann ist eine kleine belustigende Herausforderung angesagt und alle Anwesenden nehmen sie entweder selbst an oder schauen wenigstens zu, wie andere sie annehmen und bewältigen.

Ich schlage folgendes Spiel vor: Wenn eine Person spricht, hören alle anderen zu. Das geht auch ganz locker und wirklich spielerisch. Auch hier darf es hitzig oder gemächlich zugehen. Auch hier darf man auftrumpfen, wenn die Gelegenheit es erlaubt, oder sich zurückhalten, wenn einem danach ist. Dieses Spiel kann sogar zur Gewohnheit werden. Und aus dem energiezehrenden Gerangel kann ein spürbar energiespendendes Zusammenspiel werden.









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