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Hans-Peter Dürr
Warum es ums Ganze geht

Neues Denken für eine Welt im Umbruch


München 2009 (oekom verlag); 190 Seiten; ISBN: 978-3-86581-173-8
herausgegeben von Dietlind Klemm und Frauke Liesenborghs






Was können wir wissen? Was sollen wir tun? Was dürfen wir hoffen?

Hans-Peter Dürr gibt neue Antworten auf alte Fragen. Er zeigt auf, dass die Verwerfungen unserer Zeit – ob Kriege, Klimawandel oder die Krise der Ökonomie – die fatalen Folgen alten Denkens und eines überkommenen Weltbildes sind. Ein Paradigmenwechsel steht an! Die grundlegenden, revolutionären Ergebnisse der modernen Physik weisen den Weg in eine lebenswerte Zukunft, die geprägt ist von Vielfalt und Verbundenheit: Vielfalt in Natur und Kultur, Verbundenheit der Menschen untereinander – und mit der Natur.

In diesem Buch fasst Hans-Peter Dürr, langjähriger Mitarbeiter von Werner Heisenberg und Träger des Alternativen Nobelpreises, sein Lebenswissen zusammen – das intellektuelle Vermächtnis eines der bedeutendsten Vordenker unserer Zeit.

»Ein Baum, der fällt, macht mehr Krach, als ein Wald, der wächst!« So lautet eine alte tibetanische Weisheit. Unsere Wahrnehmung wird von »fallenden Bäumen« dominiert – unsere ganze Geschichte ist voller »fallender Bäume«: Krieg und Zerstörung ... Doch dann wundern wir uns, dass es trotz all dieser Zerstörung immer noch Leben und Vielfalt auf dieser Erde gibt. Wir erkennen daraus, dass es der »wachsende Wald« ist, auf den es letztlich ankommt. Er ist es, der das Leben fortführt – langsam, unauffällig und doch beständig. Lasst uns nicht im Getöse der Zerstörung das langsame Entfalten des Neuen übersehen! (Hans-Peter Dürr)


Hans-Peter Dürr


geb. 1929, Mitglied des Club of Rome und lange Jahre Direktor des Max-Planck-Instituts für Physik in München. Dort war er von 1958 bis 1976 Mitarbeiter von Werner Heisenberg, dem Mitbegründer der Quantenmechanik und Nobelpreisträger für Physik. Dürr gilt als einer der bedeutendsten Querdenker unserer Zeit und Impulsgeber der internationalen Umwelt- und Friedensbewegung. 1987 erhielt er den Alternativen Nobelpreis und 1995 – als Mitglied von Pugwash International – den Friedensnobelpreis. (Bekannter Namenskollege: Hans Peter Duerr, Ethnologe)


Inhaltsverzeichnis


Vorwort der Herausgeberinnen






KAPITEL I – Warum wir Verantwortung übernehmen müssen




»Die Persönliche Schuld, die uns als Mitglied einer Gesellschaft an deren Verbrechen trifft, ist im allgemeinen viel kleiner als die Schuld, die uns Außenstehende hinterher zumessen. Unsere persönliche Schuld ist andererseits viel größer als die Schuld, die wir uns selbst eingestehen.«



Eine Welt in Trümmern – Zusammenhalten und Kooperieren




Schrecken des Krieges / Rette sich, wer kann



Wissen als Macht – Edward Teller und die Bombe




Edward Teller und die nukleare Bedrohung / Teufel und Engel – Der Konflikt zwischen Teller und Oppenheimer



Verdrängung und Schuld – Hannah Arendt und der Weg in die Verantwortung




Schuld – eine Frage der Perspektive / Kulturelle Vielfalt und Zuversicht



Der Auszug aus dem Elfenbeinturm – die »Göttinger Erklärung«




Aufmüpfige Wissenschaftler – empörte Politiker






KAPITEL II – Warum Wissenschaft nicht wertfrei ist




»Kein Physiker, kein Biologe, Ökonom oder Chemiker ist mehr Experte für das Politische als alle übrigen nachdenklichen Staatsbürger.«



Werner Heisenberg – philosophischer Physiker und Vorbild




Arbeitsalltag mit Werner Heisenberg / Heisenberg und die Entwicklung der »Uranmaschine« / Kopenhagen 1941 – Das Treffen mit Niels Bohr



Die Welt im Umbruch – Kalter Krieg, Kernenergie und Friedensbewegung




Krieg der Sterne – Amerika in den 1980er-Jahren / Gorbatschow und der Mut zum Frieden



Die Stärke des Schwachen – Krieg und eine neue Kultur des Friedens




Krieg als Ultima Ratio? / Für eine Kultur des Friedens



Wissen als Wertung – Meine Verantwortung als Wissenschaftler




Wissen ohne Wertung? / Pflicht zur Mitnatürlichkeit






KAPITEL III – Wie das Unlebendige lebendig wird




»Die Grundlage der Welt ist nicht materiell, sondern geistig.«



Altes Weltbild, neues Denken – Revolution in der Physik




Die Umkehrung des alten Weltbildes / Werner Heisenberg und das neue Weltbild / Materie, Form, Gestalt



Welt als Beziehung – eine neue Sichtweise




Ordnung des Lebendigen / Grenzen des Wissens



Physik und Alltagserfahrung – Versuch einer Annäherung




Neues Denken – alte Sprache / Naturprozesse nachhaltig nutzen



Kommunikation und Dialogfähigkeit – die Rolle der Zivilgesellschaft




Glauben, Verstehen und Begreifen – die vergessene Transzendenz / Umsteuern, aber wie? / Die dritte globale Kraft / Global denken – vernetzt handeln






KAPITEL IV – Wie das neue Denken zum Handeln führt




»Wirklichkeit ist keine starre Realität, sie ist voller Möglichkeiten – und sie ist in uns. Sie kann von uns geändert und neu gestaltet werden.«



Schmetterling und Pendel – Die Kreativität der Instabilität




Chaos und Leben / Die ordnende Hand



Die Diät der Energiesklaven – Lebensstil und Verantwortung




Spitze des Eisbergs / Neue Lebensstile / Was tun?



Die Suche nach der Wahrheit – Religion und Wissenschaft




Innen und Außen / Erfahrung von Transzendenz



Mensch und Natur – Warum es ums Ganze geht




Empathie und Ellenbogen / Die Welt – ein Gedicht / Fehlertoleranz und Kreativität






Zur Person Hans-Peter Dürr



Personenregister, Bildquellen


Leseprobe


Vorwort der Herausgeberinnen






Viele Menschen treibt die Sorge um, dass die zahlreichen globalen Krisen und Verwerfungen unserer Zeit überhand nehmen und zunehmend unser Leben bestimmen: Ob Kriege, Klimawandel oder ökonomische Krisen – die Verunsicherung und Ratlosigkeit ist groß, die alten Patentrezepte von Wachstum und Wohlstand scheinen nicht mehr zu greifen. Kein Zweifel, wir leben in einer Welt im Umbruch.






Entsprechend grundlegend und drängend sind die Fragen, mit denen wir konfrontiert sind: Wie wird der Klimawandel nicht nur die Natur, sondern auch unsere Gesellschaften verändern? Welchen Lebensstil werden wir uns in Zukunft leisten können? Wofür reichen die Ressourcen – die natürlichen wie auch die geistigen? Werden die kriegerischen Auseinandersetzungen zunehmen? Warum können wir nicht alle in Frieden leben? Wird es noch Gerechtigkeit unter den Menschen und gegenüber der Natur geben? Wer kümmert sich eigentlich um die Zukunft?






Bevor wir eine vorschnelle Antwort auf all diese Fragen geben, müssen wir uns vielleicht zunächst von einer grundlegenden Illusion verabschieden. Dies meint jedenfalls der Physiker und Querdenker Hans-Peter Dürr: »Wir denken immer noch in den Strukturen des 19. Jahrhunderts und kleben an der Illusion, dass es mit List und Tücke gelingen wird, die Welt in den Griff zu bekommen.« In dem vorliegenden Buch, in dem Dürr eine Gesamtschau seines Denkens gibt, zeigt der engagierte und kritische Naturwissenschaftler eindrucksvoll auf, dass all das Aussein auf »Beherrschung« von Natur und Gesellschaft fatal in die Irre führt. Nicht nur, dass wir ständig scheitern. Wer »beherrschen« will, verstellt sich auch den Blick für die vielfältigen Möglichkeiten, im Einklang mit der Natur – auch mit der eigenen Natur – zu leben und endlich tätig zu werden. »Teilhabe statt Beherrschung« lautet die Zukunftsvision von Hans-Peter Dürr. »Wir haben lange genug an den Ästen gesägt, auf denen wir sitzen. Jetzt wird es Zeit, unseren Platz im Ganzen der Natur neu zu definieren und uns endlich als Teil eines Gesamtprozesses zu verstehen und damit die Chance zu ergreifen, dass jeder und jede von uns einen Teil dazu beitragen kann, das Lebendige lebendiger werden zu lassen.«






Hans-Peter Dürr appelliert damit zugleich an die Verantwortung eines jeden Einzelnen von uns. Eine Verantwortung, die getragen ist von dem Bewusstsein und dem Gefühl allseitiger Verbundenheit und die immer wieder neu gestärkt wird über Kommunikation und einen offenen Dialog miteinander: eine ermutigende Vision, dass eine würdige Zukunft für alle möglich ist.






Gewiss, die Strukturen der globalisierten Markwirtschaft, der nationalen wie internationalen Politik, der sozialen Institutionen und die Organisation des Gemeinwohls sind nicht von heute auf morgen umzukrempeln. Sie wirken wie »unlebendige« Gegner, nicht geeignet, ein wirkliches Gegenüber auf Augenhöhe zu sein. Aber: Hinter all diesen scheinbar uneinnehmbaren, behäbigen Monumenten stehen letztlich Menschen. Menschen, die sehr wohl Einfluss darauf haben, wie aus den Mauern der Macht so etwas wie »grüne Hecken« werden können, die durchlässig und somit offen sind für ihre Bearbeitung durch eine zivile Gesellschaft.






Hans-Peter Dürr gehört zu der Generation von Wissenschaftlern, die von der Quantenphysik geprägt wurden. Als langjähriger Mitarbeiter des Nobelpreisträgers Werner Heisenberg hat er die Entstehung der neuen Physik und die Ausformulierung ihres neuen Weltbildes »hautnah« mit erleben und mitgestalten können. Für ihn sind es vor allem zwei Grundeinsichten der neuen Physik, die auch für die Lösung unserer heutigen Probleme wegweisend sind:






Zum einen der Zusammenbruch unseres materialistischen Weltbilds durch die überraschende physikalische Erkenntnis, dass Materie nicht aus Materie aufgebaut ist und damit die Grundlage unserer Welt nicht materiell, sondern geistig ist. Und zum anderen die Einsicht, dass in der Natur letztlich alles mit allem auf höchst subtile Weise zusammenhängt und es daher gilt, aus dieser universellen Verbundenheit heraus zu denken und zu handeln. Es zeichnet Hans-Peter Dürr aus, dass es ihm gelingt, diese abstrakten, von der neuen Physik gespeisten Einsichten auch für den politischen und persönlichen Alltag fruchtbar zu machen und in einer bilderreichen Sprache aufzuzeigen, wie dieser holistische Ansatz unser Denken, Fühlen und Handeln tiefgreifend beeinflusst und uns hilft, den vielfältigen Herausforderungen unserer Zeit gerecht zu werden.






Die Entstehung dieses Buches wurde immer wieder unterbrochen durch längere Vortragsreisen von Hans-Peter Dürr, diesmal in Japan, China und Indien. Noch immer ist der 1929 geborene und weltweit viel gefragte Wissenschaftler und Vortragsredner unterwegs – mal in der Ferne, mal vor Ort. Der Gang in eine Schule um die Ecke ist ihm genauso wichtig, oft sogar wichtiger, wie Einladungen zu hoch offiziellen Treffen von Wirtschaft und Politik. Wobei er auch diese Chance nutzt. »Infizieren« nennt Dürr die Möglichkeit, in Kreisen von Entscheidungsträgern zu sprechen. Wer ihm, dem Träger des Alternativen Nobelpreises, jemals bei einem dieser Anlässe und Vorträge begegnet ist, hat die Erfahrung gemacht, dass man sich seinen anschaulich und lebendig vorgetragenen Argumenten für ein Umdenken kaum entziehen kann.






Die zentralen Themen, die sich wie ein roter Faden durch seine Vor träge wie auch durch dieses Buch ziehen, sind Gewalt (»Frieden ist möglich«), Atomenergie (»russisches Roulette«) und im Angesicht des Ressourcenverbrauchs und Klimawandels die Fokussierung auf den persönlichen Lebensstil (»Was brauchen wir wirklich?«). Den geistigen Hintergrund bilden jeweils die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse der modernen Physik, die bislang kaum Eingang gefunden haben in unser Alltagsverständnis von Wirklichkeit und Natur. Das vorliegende Buch ist eine Gesamtschau seiner Gedanken, die auch die biografischen Hintergründe für das Denken von Hans-Peter Dürr beleuchtet und von seinen Begegnungen mit Personen wie Hannah Arendt, Edward Teller, Werner Heisenberg oder Michail Gorbatschow berichtet.






Wir haben Hans-Peter Dürr in den vergangenen Jahren immer wieder bei Vorträgen und Diskussionsrunden erlebt. Oft haben wir uns die Frage gestellt, was die Menschen, vor allem junge Menschen, so an ihm fasziniert? Warum löst sein Credo eines »liebenden, lebendigen Dialogs« so viel Zustimmung aus? Wahrscheinlich spricht Hans-Peter Dürr einen Teil in uns an, den wir für verschüttet gehalten haben, nämlich die Ahnung, dass es außerhalb der von Menschen behaupteten Macht und konstruierten Ordnung auf unserem Globus noch etwas anderes gibt: eine realisierbare Vision einer solidarischen, achtsamen Gesellschaft. Lokale und weltumspannende Netzwerke bilden bereits heute ein spürbares Gegengewicht zum globalen Irrsinn und bereiten den nachhaltigen Umbau unserer Zivilisation vor. Hans-Peter Dürr erinnert uns an diesen verloren geglaubten Traum, er macht Mut und weckt in uns die begründete Hoffnung, dass wir Menschen das Potenzial haben, die Probleme unserer Zeit heute und in Zukunft gemeinsam und friedlich lösen zu können.






München, im Sommer 2009



Dietlind Klemm und Frauke Liesenborghs






Dietlind Klemm, Journalistin, leitet im Chateau d'Orion im Südwesten von Frankreich die Gesprächsreihe »Lebenswerke«. Hans-Peter Dürr war im Sommer 2008 eine Woche lang dort zu Gast. Frauke Liesenborghs, Journalistin und Soziologin, ist seit achtzehn Jahren Geschäftsführerin von Global Challenges Network e.V., gegründet von Hans-Peter Dürr.









aus KAPITEL IV – Wie das neue Denken zum Handeln führt / Die Diät der Energiesklaven – Lebensstil und Verantwortung (S. 156 f)



Was tun?






Wir wissen, dass wir nicht allein auf dieser Welt sind. Unsere unmittelbare Erfahrung offenbart uns, dass wir Teil eines größeren Ganzen sind, zu dem auch unsere Mitwelt gehört. Sich moderat verhalten, entschleunigen, ein maßvoller, gemächlicher und gelassener Umgang miteinander sind weitere wichtige Voraussetzungen für ein friedvolles Zusammenleben. Es gibt allerdings immer wieder Gründe dafür, in Hinblick auf das menschliche Miteinander sehr pessimistisch zu sein. Ich bin es auch oft und sehe unsere eigene Zivilisation in einem Prozess des »Verhungerns«. Wir verhungern geistig, oder vielleicht sollte man sagen seelisch und emotional. Wir sind abgeschnitten von unserer wichtigsten Quelle, die uns lehrt, warum dieses Leben überhaupt sinnvoll ist.






Wir haben in unseren industrialisierten Ländern einen nicht-materiellen Hunger und versuchen verzweifelt, ihn durch die Befriedigung von immer weiteren, vermeintlich dringenden materiellen Bedürfnissen zu stillen. Doch sie sättigen nicht, weil der Mensch nicht allein vom Brot lebt. Wir bekommen immer nur Brot, werden gleichsam überfüttert, obwohl wir eigentlich etwas ganz anderes brauchen und wollen; wir geraten auf diese Weise noch mehr in die Abhängigkeit von Äußerlichkeiten. Wir befinden uns hier in einem Teufelskreis, den wir aufbrechen müssen.






Sich moderat verhalten und entschleunigen sind dafür nützliche Verhaltensweisen. Moderat zu leben bedeutet aus meiner Sicht, flexibler zu sein und sich der Welt umfassender öffnen zu können, weil ich gewissermaßen nicht immer alles auf nur eine Karte setzen muss. Ich habe genügend, gebe Ruhe, bleibe neugierig und offen für die vielen Dimensionen, die uns unsere Existenz bietet.






Der Aspekt der Entschleunigung folgt dem wichtigen Naturgesetz, dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik: Alles Besondere, Ausgezeichnete, Spezielle geht im Laufe der Zeit ohne äußere Unterstützung kaputt, verwandelt sich in Unordnung. Aber der Vorgang kann auch in umgekehrter Richtung verlaufen, wenn nämlich eine »ordnende Hand« eingreift. Dafür ist im physikalischen Sinne nicht nur Energie erforderlich, sondern auch eine Entscheidungsfähigkeit im Falle einer Gabelung oder Bifurkation, damit sich das System – das eigene Leben – neu ordnen, in eine unwahrscheinlichere Richtung fortbewegen kann. Beim Menschen kann man diese Energie auch steuernde Intelligenz nennen, die eingeschaltet werden muss. Es ist eine Intelligenz, die unterscheidet und auswählt. Aber es braucht eben nicht nur Intelligenz, sondern vor allem auch Zeit! Intelligente Entscheidungen brauchen Zeit. Wenn ich mir in bestimmten Situationen nicht ausreichend Zeit nehme und alles weiter beschleunige, dann gebe ich der steuernden Intelligenz keine Chance. Ich fördere am Ende nur noch die beliebig schnellen, stupiden Zerstörungsprozesse und nicht die langsameren, intelligenten Aufbauprozesse, die die eigentliche Wertschöpfung ausmachen. Eine Gesellschaft, die sich nicht mehr genügend Zeit nimmt, wirtschaftet deshalb, im Ganzen betrachtet, immer abwärts.






Aufbauprozesse sind notwendigerweise langsam, es sind in gewisser Weise »Heilungsprozesse«, weil sie einen intelligenten Dialog benötigen, in dem sich Verschiedenartiges zu etwas Neuem ordnen oder verbinden muss. Aufgrund ihrer »Langsamkeit« sind deshalb Aufbauprozesse kaum so spektakulär wie etwa eine »Infektion«. Doch wir lieben das Spektakuläre, weil wir unser Leben in der Regel oft als langweilig empfinden. Deshalb wird in der Geschichtsschreibung von diesen »langweiligen« aufbauenden Dingen so wenig berichtet. Zugleich aber ist dies auch der Grund dafür, dass wir so pessimistisch über die Menschen und über die menschliche Geschichte reden. Eine tibetanische Weisheit, auf die ich bereits früher in diesem Buch näher eingegangen bin, besagt: Ein Baum, der fällt, macht mehr Krach als ein Wald, der wächst.






Die ganze überlieferte Geschichte ist voller »fallender Bäume«. Und wir fragen uns deshalb mit großem Erstaunen, wie es denn möglich sein kann, dass es heute nach dreieinhalb Milliarden Jahren Evolutionsgeschichte des Lebendigen noch irgendwelches Leben und so komplexe Organismen wie den Menschen auf dieser Erde gibt, wo doch fortdauernd diese wechselseitige Zerstörung des einen durch den anderen, die Kriege unserer »historischen« Helden und all die anderen Katastrophen passiert sind. Meine Antwort: Der »wachsende Wald« war wohl hauptsächlich die unerwähnte stetige Aufbauarbeit von Frauen im Hintergrund. Sie waren und sind im Wesentlichen die ständig wertschöpfende Kraft.