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Eine andere Welt ist nicht nur möglich, sie ist im
Entstehen. An einem ruhigen Tag kann ich, wenn ich sehr genau
lausche, ihren Atem hören.« Die indische
Schriftstellerin und politische Aktivistin Arundhati Roy
formuliert eine Haltung und Erfahrung, die zuversichtlich stimmt
und Mut macht – trotz der vielfältigen Krisen unserer
Zeit.
Beides tut not. Denn viele Menschen erleben die
offenkundige Krise des Kapitalismus, den spürbaren
Klimawandel, die Verknappung fossiler Energien (»Peak Oil«)
als Sinnkrise des Wirtschafts- und Wohlstandsmodells westlicher
Prägung. Wer geglaubt hat, es könnte nicht schlimmer
kommen, wurde in jüngster Zeit eines Besseren belehrt. Im
April 2010 havarierte die Ölplattform Deepwater Horizon und
hinterließ ein ökologisches Desaster im Golf von
Mexiko – und berechtigte Zweifel an der Handlungsfähigkeit
von Regierungen und der Verantwortungsbereitschaft mancher
Wirtschaftskonzerne. Ein Jahr später brachte ein Erdbeben
den Super-GAU für das japanische Atomkraftwerk Fukushima;
zurück bleibt – für Jahrhunderte – eine
radioaktive Todeszone in unmittelbarer Nachbarschaft der
Millionenmetropole Tokio.
Was aber ist die Botschaft
hinter diesen apokalyptischen Bildern? – Zunächst wird
offenkundig: Erdöl und Atomkraft – die Pfeiler, auf
denen die westliche Welt steht – wanken beträchtlich.
Die Kosten, die wir (und die Natur) zur Aufrechterhaltung unseres
energetisch exzessiven Lebensstils zu tragen haben, sind enorm
und erscheinen in keiner Betriebsbilanz. Wir sehen aber auch auf
einer tieferen Ebene, was passiert, wenn die Rationalität
von Naturwissenschaft und Hochtechnologie auf eine merkwürdige
Paarung aus »Gottvertrauen und Gott-sein-Wollen«
(Claus Biegert) trifft. Es entsteht eine explosive Mischung aus
technokratischer Hybris, Profitkalkül einzelner Firmen,
Versagen staatlicher Aufsicht und die offenkundige Bereitschaft
zu Menschenopfern. Ein salopper Umgang mit dem ominösen
»Restrisiko«, das einzugehen die Verantwortlichen in
Politik, Wirtschaft und Wissenschaft offenbar achselzuckend
bereit sind. Ein »wachstumsfrommes« Handeln, das im
Rausch des technologischen Fortschritts Fehler nicht mehr erlaubt
– und deshalb im präzisen Wortsinne als »unmenschlich«
zu bezeichnen ist. Denn Fehler zu machen ist menschlich, gehört
zur conditio humana. Die Katastrophe von Fukushima zeigt:
Wir haben uns eine Welt geschaffen, für die wir Menschen
nicht (mehr) geschaffen sind. Sie überfordert und entgleitet
uns. Und hinterlässt eine verstrahlte und kontaminierte
Zukunft, die für niemanden mehr eine lebenswerte Gegenwart
sein wird.
Angesichts dieser – letztlich
vorhersehbaren – Katastrophen und des politischen Lärms,
den sie ausgelöst haben, fällt es schwer, mit der
indischen Dichterin Arundhati Roy den »Atem einer
entstehenden neuen Welt« zu spüren. Und dennoch: Die
grundsätzliche Wandlungsbereitschaft, die Einsicht, »dass
sich etwas ändern muss«, ist in unserer Gesellschaft
seit den jüngsten Ereignissen so weit verbreitet wie nie
zuvor. Die Zeit für einen gesellschaftlichen Wandel ist
reif, »Business as usual«, ein schlichtes »Weiter
so!« klingt in den Ohren aufmerksamer Zeitgenossinnen und
Zeitgenossen eher als Bedrohung denn als Beruhigung.
»Nachhaltigkeit« ist zu einer Chiffre für jene
»andere Welt« geworden, die sich viele
ersehnen.
Gleichwohl erleben sich die meisten Menschen in
ihrem Handeln als »blockiert«. Wenigen gelingen erste
Schritte hin zu einer nachhaltigen, naturverträglichen und
sozial sensiblen, achtsamen Lebensführung. Noch weniger
verfügen über den Mut und »langen Atem«,
sich von all dem zu befreien, was uns festhält in einer
Gegenwart, die nachweislich keine Zukunft hat. Selbst denjenigen,
die eigene Kinder oder Enkel haben, fällt es schwer,
generationenübergreifend zu denken und zu handeln und auf
diese Weise der Zukunft ihrer Kinder eine Heimat in ihrem Leben
zu geben.
Wovor haben wir Angst? Warum fällt uns der
individuelle wie gesellschaftliche Wandel zu mehr Nachhaltigkeit
so schwer? Warum befreien wir uns nicht von dem Ballast einer
verschwenderischen Konsumgesellschaft, von der Abhängigkeit
begrenzter fossiler Ressourcen und damit von den sich
abzeichnenden globalen Verteilungskämpfen? Wie ließe
sich Frieden schließen mit uns und mit unseren Mitmenschen,
Frieden aber auch mit der äußeren Natur, unserer
natürlichen Mitwelt?
Diese Fragen stehen im Zentrum
des neuen Buches von HansPeter Dürr. Seine Antwort mag
zunächst überraschen: Ausgerechnet die Erkenntnisse aus
der modernen Quantenphysik, die in den ersten Jahrzehnten des
vergangenen Jahrhunderts das naturwissenschaftliche Weltbild
revolutioniert haben (jedoch bislang spurlos in unserem
Alltagsverständnis von Natur geblieben sind), sollen den Weg
in eine gute Zukunft weisen.
Im Mittelpunkt steht dabei
die Überwindung des materialistischen Weltbilds durch die
neue Physik, allem voran die Einsicht, dass Materie nicht aus
Materie aufgebaut ist. Wenn wir Materie immer weiter
auseinandernehmen und zu ihrem »Innersten« vordringen
– bleibt am Ende nichts mehr übrig, was uns an Materie
erinnert: kein Stoff, nur noch Form, Gestalt, Symmetrie,
Beziehung. So die ebenso irritierende wie faszinierende
Erkenntnislage der neuen Quantenphysik. Sie bedeutet die
Umkehrung unseres bisherigen Verständnisses von Materie und
Form: Das Primäre ist Beziehung, der Stoff das Sekundäre.
Im Grunde bleibt nur etwas, was in der Deutung von Hans-Peter
Dürr mehr dem Geistigen ähnelt: eine Welt voller
Möglichkeiten – ganzheitlich, offen, lebendig. Und das
zweite, was uns die neue Physik lehrt: Alles ist mit allem
verbunden, nichts in der Natur ist isoliert, bloßer »Teil«.
Wie umgekehrt das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile. Auch
wir Menschen sind, so Dürr, »nicht Teile einer
Wirklichkeit, sondern beteiligt an einer Wirklichkeit.
Diese Wirklichkeit wird in jedem Augenblick neu geschaffen, und
so bereichert jeder kreative Beitrag von uns die Wirklichkeit
unserer Zukunft.« Das bedeutet: Wenn alles mit allem
zusammenhängt, ist nichts umsonst, nichts vergeblich!
Das
Besondere an Hans-Peter Dürr ist, dass er bei dieser
abstrakten, naturphilosophischen Weltsicht nicht stehen bleibt,
sondern in einer lebendigen, bilderreichen Sprache deren
Konsequenzen für unsere Lebenswelt aufzeigt. Entsprechend
ist auch dieses Buch aufgebaut: Nach den ersten beiden Kapiteln,
die in das neue Denken der Physik einführen, die Grenzen des
materialistischen Weltbilds aufzeigen und das Paradigma des
Lebendigen als Basis für unser individuelles wie
gesellschaftliches Zukunftsengagement einführen, besteht der
Hauptteil des Buches aus einem »Wörterbuch des
Wandels«. Zwölf zentrale Themen und Konfliktfelder der
Gegenwart, mit denen wir uns auf dem vor uns liegenden Weg in
eine zukunftsfähige Gesellschaft intensiv auseinandersetzen
müssen, werden gedanklich vertieft und alltagsnah behandelt:
von A wie Arbeit und Atomkraft bis Z wie Zivilgesellschaft und
Zukunft.
Auch wenn er dabei die Grenzen der Physik als
akademischer Disziplin immer wieder überschreitet, spricht
Hans-Peter Dürr in seinem Buch als Naturwissenschaftler.
Sein Antrieb, Physiker zu werden und insbesondere zu den Atomen,
den Atomkernen und Elementarteilchen hinabzusteigen, entsprang
nach Krieg und Zusammenbruch dem Wunsch, »zu erkennen, was
die Welt im Innersten zusammenhält«. Er suchte nach
den Irrungen und Wirrungen des Krieges den Weg zu verlässlicher,
nicht von fehlbaren Menschen diktierter Wahrheit. Dass Hans-Peter
Dürr auf dem Wege hinunter »ins Innerste der Welt«
nicht nur »Philosophen« wie dem Nobelpreisträger
Werner Heisenberg begegnete, sondern mit Edward Teller auch
Kernphysikern, die Atombomben bauten, war nicht seine Absicht. Es
war aber Grund und Anlass für ihn, ein »passionierter
Grenzgänger« zu werden. Ihm wurde die Ambivalenz der
Forschung deutlich: dass tiefe Einsichten auch unmittelbar zu
Kenntnissen führen, die unsere Lebenswelt einschneidend
verändern, ja sie zerstören können.
Hans-Peter
Dürrs Buch macht Mut. Mut zu einem anderen Denken. Mut zu
einem anderen Leben. »Die Zukunft ist offen«, lautet
das Credo des renommierten Physikers und Naturphilosophen. Wir
können die Enge unseres materialistischen Weltbilds
überwinden und zu einem Leben in besserem Einklang mit der
Natur zurückfinden. Der Träger des Alternativen
Nobelpreises zeigt Wege auf, wie wir mit neuem Denken und
beherztem Tun die Krisen unserer Zeit bewältigen. Und damit
unser eigenes Leben und das aller anderen lebendiger machen. Das
hier vorgelegte Buch ist die Quintessenz seines Denkens:
theoretisch fundiert und dennoch nah am Leben und seinen Fragen.
Wer sich Zeit und Ruhe nimmt, den Gedanken Hans-Peter Dürrs
zu folgen, der kann den Atem jener anderen Welt hören, die
nicht nur möglich, sondern im Entstehen ist.
München,
im Sommer 2011 Manuel Schneider
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Leben
ist ein erstaunliches Phänomen. Eine außerordentliche
Seltenheit in unserer Welt, wenn nicht sogar einzigartig in
unserem großen Kosmos, der sich vor etwa fünfzehn
Milliarden Jahren aus einem Urknall entwickelt haben soll. Von
unserer Kenntnis der unbelebten Materie her, die uns auf der Erde
umgibt und das Universum in Form von unzähligen Sonnen,
Sternhaufen und Galaxien füllt, erscheinen die belebten
Formen der Materie wie reine Wunder: als äußerst
unwahrscheinliche, komplexe, empfindliche und verletzbare
Organisationen von Materie, die nur unter ganz begrenzten äußeren
Bedingungen existieren können. Kleinste Abweichungen dieser
Bedingungen bringen sie zum Kippen, führen zu ihrem Tode,
verwandeln sie in stabilere unbelebte Formen.
Leben ist,
so besehen, immer in Gefahr, weil es nicht auf einem stabilen
Gleichgewicht beruht. Es verdankt seine relativ hohe
Beständigkeit einer ausgleichenden Bewegung, einem
Fließgleichgewicht, ganz ähnlich wie wir dies beim
Gehen bewerkstelligen, indem wir geschickt von einem labilen Bein
zum anderen wechseln und uns dadurch fortbewegen. Mit seinem
Bewusstsein und seiner Fähigkeit zum absichtsvollen Handeln
hat der Mensch eine neue Stufe des Lebendigen erklommen. Sie
ermöglicht ihm, die Welt auf doppelte und recht
unterschiedliche Weise wahrzunehmen. Er erlebt sie zunächst
ganz unmittelbar innerlich, weil er, wie alles andere, »Teil«
dieser Weit ist; und erfährt sie dann nochmals anders über
seine Sinne in seinem hellen Bewusstsein als etwas Äußeres,
von sich selbst Abgetrenntes.
Es ist diese Betonung der
äußeren Welt, die von der Trennung ausgeht, durch die
der Mensch sich selbst als Lebewesen in Frage stellt und mit sich
selbst auch ein Großteil des höher entwickelten Lebens
auf der Erde in Gefahr bringt. Es ist die Negierung der inneren
Wahrnehmung der Wirklichkeit als einer Ganzheit, welche den
Menschen zu seiner Naturvergessenheit führt und ihn dazu
verleitet, sich im Wettstreit mit anderen den Ast abzusägen,
auf dem er sitzt.
Es ist eine Tragödie, dass dieser
homo sapiens sapiens, diese wohl flexibelste,
differenzierteste und lebendigste Kreatur sich heute anschickt,
seine eigene Lebendigkeit und die der anderen Mitlebewesen nur
als die Bewegung einer raffinierten, aber determinierten Maschine
zu deuten. Dieses Missverständnis kann verheerende Folgen
zeitigen, vielleicht nicht der katastrophalsten Art, was ein
vorzeitiges Ende alles Lebens auf unserem einmaligen Planeten
bedeuten könnte. Wahrscheinlicher erscheint, dass es den
Menschen als letztes Glied der Evolution am empfindlichsten
treffen wird. Denn dieses hochkomplexe, vielfältig
austarierte und eben deshalb recht robuste Biosystem kann in
seiner Gesamtheit in der einen oder anderen Form auch ohne uns
Menschen leben. Die Natur braucht uns nicht. Wir aber brauchen
sie. Ohne das Biosystem der Natur und seine ganz speziell auf der
Erdoberfläche ausgebildete Form, in die wir evolutionär
hineingewachsen und symbiotisch eingepasst sind, können wir
Menschen nicht sein.
Die Geschichte der Menschheit ist
reich an Beispielen, wo neue tiefe Erkenntnisse über die
Wirklichkeit dazu verleiteten, diese neuen Einsichten als die
letzte und eigentliche Wahrheit zu betrachten, nach der sich nun
das Leben der Menschen und der Zivilisation auszurichten hätte,
um künftig nicht mehr zu scheitern. So musste sich der Papst
unlängst für den Übereifer und die Überheblichkeit
seiner Diener entschuldigen, die etwa einen Galilei 1633 bei
Androhung des Verbrennungstodes seine Thesen abschwören
ließ, dass die Erde sich täglich um ihre Achse und
jährlich um die Sonne drehe. Die Geschichte hat in diesem
Fall gegen die Behauptungen der Kirchenmänner entschieden
und dies eindeutig. Galilei hatte zweifellos recht, die Kirche
nicht. Doch laufen heute die Naturwissenschaftler mit ähnlicher
Arroganz Gefahr, den Wahrheitsanspruch ihrer Aussagen über
die Struktur der Wirklichkeit und deren Gesetzlichkeit nun
ihrerseits fahrlässig zu überhöhen und zu
verabsolutieren.
Die vielfältigen, teilweise
euphorischen Vorstellungen mit Blick auf das begonnene neue
Jahrtausend lassen uns vergessen, dass sich durch die neuen
Erkenntnisse der Physik im Mikrokosmos zu Beginn des 20.
Jahrhunderts unser bisheriges wissenschaftliches Weltbild
grundlegend verändert hat. Das Erstaunliche dabei ist, dass
sich diese revolutionären Einsichten in den vergangenen bald
hundert Jahren seit ihrer theoretischen Klärung kaum auf die
anderen Wissenschaften ausgewirkt und nur ganz oberflächlich
Eingang in das allgemeine Denken unserer Gesellschaft gefunden
haben.
Und dies nicht etwa, weil die darin entwickelten
Ideen sich nicht wissenschaftlich bewährt haben oder
durchsetzen konnten. Im Gegenteil, sie bilden heute praktisch
unangefochten das Fundament, auf dem die exakten
Naturwissenschaften aufbauen. Sie haben darüber hinaus durch
die damit verknüpfte neue Technik auch unsere Gesellschaft
im Guten wie im Bösen umfassend und tiefgreifend verändert.
So hat sich durch die Mikroelektronik und Halbleitertechnik
unsere industrielle Gesellschaft zu einer
Informationsgesellschaft gewandelt, in der praktisch unbegrenzte
Datenmengen verarbeitet, geordnet und in weniger als einer
Zehntelsekunde bis zu entferntesten Orten unserer Erde gebracht
werden können. Wobei dies leider, doch verständlicherweise,
nicht eine ähnlich schnelle Verständigung zwischen den
Menschen gefördert hat, sondern durch die Globalisierung
eher die traditionellen Spannungen zu verstärken scheint.
Die Entfesselung der Energien in den Atomkernen haben durch die
Atombomben und die »friedliche« Nutzung der
Kernenergie uns Menschen Kräfte in die Hand gegeben, mit
denen wir heute uns selbst und den höher entwickelten Teil
der Biosphäre in Sekundenschnelle vernichten oder ganze
Areale für uns Menschen auf Jahrhunderte unbewohnbar machen
könnten, wie die großen Reaktorunglücke in
Tschernobyl oder jüngst in Fukushima gezeigt haben.
Wie
ist es möglich, dass alle diese vielfältigen,
erstaunlichen und gewaltigen Konsequenzen der neuen Physik
wissenschaftlich und gesellschaftlich angenommen und in den
Alltag integriert wurden, ohne gleichzeitig auch damit die
eklatant andere Weltsicht zu übernehmen, durch welche diese
Physik erst »verständlich« wird? Der Hauptgrund
hierfür dürfte sein, dass die neuen Vorstellungen, die
uns die neue Physik abverlangt, nicht nur schwer verständlich
und »verdaulich« sind. Sie verändern auch unser
Weltbild auf eine grundlegende und zunächst durchaus
verstörende Art und Weise. Sie zeigen aber auch Wege auf,
wie wir den vielfältigen Krisen unserer Zivilisation
begegnen und sie überwinden können. Von beidem soll in
diesem Buch die Rede sein: vom neuen Denken und von neuem Mut und
Handeln in Krisenzeiten wie den unsrigen.
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