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Manchmal
kann ich richtig spüren, wie gern ich lebe, und dann fange
ich an zu staunen. Es gibt so vieles, worüber man nur
ehrfürchtig innehalten und sich nicht genug wundern kann. Es
ist ein Wunder, dass unser blauer Planet als lebendige Insel in
der unvorstellbaren Weite des Weltalls überhaupt entstehen
konnte. Die ungeheure Vielfalt der Lebensformen, die die
Evolution des Lebendigen auf unserer Erde hervorgebracht hat, ist
genauso unfassbar. Und über uns selbst und über das,
was in so relativ kurzer Zeit aus uns geworden ist, kann man sich
auch nur wundern. Kaum einhunderttausend Jahre ist es her, als
sich die ersten Vertreter unserer Spezies auf den Weg gemacht
haben. Inzwischen sind wir überall auf der Erde unterwegs,
wir sind sogar auf dem Mond gewesen. Und dabei entdecken und
gestalten wir nicht nur unsere äußere Welt. Wir fangen
auch an, uns selbst immer besser zu verstehen. Unser Leben ist
ein Erkenntnisprozess. Inzwischen sind wir erstaunlich weit
vorangekommen auf diesem Weg der Erkenntnis. Niemand weiß,
wohin er uns führen wird. Aber wenn wir aufhörten, ihn
weiter zu gehen, wenn wir irgendwann aufhörten, Suchende zu
sein, weil wir meinen, alles zu wissen und alles verstanden zu
haben, dann hätten wir das größte Wunder
verloren, das wir alle mit auf die Welt gebracht haben: unsere
Entdeckerfreude.
Zum Glück brauchen wir unsere
Entdeckungsreise durch das Leben nicht immer wieder ganz von vorn
zu beginnen. Sie beginnt auch nicht irgendwo, sondern genau in
der Welt, die uns vorangegangene Generationen als Ergebnis ihrer
Versuche hinterlassen haben, eine Welt zu schaffen, in der es
keine Probleme mehr gibt und alles besser werden sollte. Nicht
alles, was sie uns dabei vererbt haben, ist heutzutage noch
hilfreich. Auf manches könnten wir gern verzichten, und
viele dieser Hinterlassenschaften bereiten uns heute weitaus
größere Probleme, als das unsere Vorfahren damals
absehen konnten oder wollten. Aber was wäre das für ein
Leben, wenn alles schon so wäre, wie wir es uns wünschen?
Dann gäbe es morgen keine Überraschungen und übermorgen
keine Enttäuschungen mehr. Dann brauchten wir selbst nichts
mehr zu tun und es gäbe für uns nichts mehr, um das wir
uns noch kümmern könnten. Dann hätten wir das
andere große Wunder verloren, das wir alle mit auf die Welt
gebracht haben – unsere Gestaltungslust.
Glücklicherweise
sind unsere Probleme immer noch groß genug, und verstanden
haben wir noch längst nicht alles. Deshalb sind wir auch
noch immer entdeckend und gestaltend unterwegs. Genauso wie alle
lernfähigen Tiere. Allerdings mit einem entscheidenden
Unterschied: Wir haben ein größeres Gehirn, mit dem
wir uns mehr merken können. Aber was noch wichtiger ist: Wir
können unsere Erfahrungen, unser Wissen und all die vielen
zum Teil so schmerzvoll erworbenen Erkenntnisse darüber,
worauf es im Leben ankommt, an andere Menschen, vor allem an
unsere Kinder weitergeben. Von Generation zu Generation haben
Menschen so ihr Wissen und Können, ihre Fähigkeiten und
Fertigkeiten überliefert. Auch wenn dabei immer wieder
vieles von diesem gemeinsam generierten und überlieferten
Wissensschatz verloren gegangen ist, so hat sich dieser Schatz
doch ständig erweitert. Noch nie haben Menschen so viel
gewusst und so viel vermocht wie wir heute.
Je
erfolgreicher wir aber unsere Welt mit all diesem Wissen nach
unseren Vorstellungen verändern, desto unausweichlicher
werden auch wir selbst, wird auch unsere eigene Entwicklung von
diesem Veränderungsprozess erfasst. Nie zuvor in der
Menschheitsgeschichte sind in so kurzer Zeit solch dramatische
und globale Umwälzungen der bisherigen Lebensbedingungen
ausgelöst worden wie gegenwärtig von uns. Zwangsläufig
werden nun auch wir selbst uns auf eine bisher nie dagewesene
Weise verändern. Das macht ein bisschen Angst, denn wir
wissen ja nicht, was dabei aus uns wird.
Dass mehr in
jedem einzelnen Menschen steckt als das, was bisher aus ihm, also
auch aus Ihnen oder mir, geworden ist, haben wir wohl schon immer
geahnt. Sie brauchen sich ja nur kurz vorzustellen, Sie wären
als kleiner Inuit am Polarkreis oder als Amazonasindianerin im
tropischen Regenwald aufgewachsen. Oder meinetwegen auch hier bei
uns als Kind einer arbeitslosen, alleinerziehenden Mutter oder
einer wohlsituierten Akademikerfamilie. Vielleicht auch bei
Eltern, die gar kein Deutsch können, womöglich sogar
weder Lesen noch Schreiben gelernt haben. Überall wäre
aus Ihnen oder mir etwas geworden. Aber jedes Mal eben etwas
anderes. Je nachdem, in welchem Kulturkreis und unter welchen
Bedingungen wir aufgewachsen wären, hätten wir ganz
bestimmte der in uns angelegten Möglichkeiten besser
entfalten können als andere.
Und wir hätten dann
auch ein anderes Gehirn bekommen. je nachdem, ob wir in eine
komplexere oder eine weniger komplexe Lebenswelt hineingewachsen
wären, und in Abhängigkeit davon, wie gut oder weniger
gut wir es geschafft hätten, uns in dieser Welt
zurechtzufinden, diese Welt zu verstehen und uns selbst als
Gestalter dieser Welt zu erfahren, wären auch mehr oder
weniger komplexe neuronale und synaptische Verschaltungsmuster in
unserem Gehirn stabilisiert worden.
Genau das ist ja die
wesentliche Erkenntnis, die die Hirnforscher in den letzten
Jahren zutage gefördert haben: Unser Gehirn wird so, wie und
wofür wir es besonders gern und deshalb auch besonders
intensiv benutzen. Es muss also auf uns selbst zurückwirken,
wenn wir unsere eigene Lebenswelt und damit auch die Lebenswelt
unserer Kinder immer stärker verändern. Und wenn die
Hirnforscher recht haben, müssen wir davon ausgehen, dass
sich solche Veränderungen entweder günstiger oder auch
ungünstiger auf die Entfaltung der in uns und in unseren
Kindern angelegten Potentiale auswirken und zur Herausformung
komplexer oder weniger komplex vernetzter Gehirne führen.
»Der
Übergang vom Affen zum Menschen, das sind wir«, hatte
uns Konrad Lorenz ja schon vor einigen Jahrzehnten ins Stammbuch
geschrieben. Er hat nicht gesagt, wie weit wir auf diesem Weg zu
dem, was wir werden könnten, bereits vorangekommen sind. Und
wenn man nach wissenschaftlichen Befunden sucht, die uns Auskunft
darüber geben, wie es in uns, vor allem in unseren Gehirnen
aussieht und wie es künftig mit uns weitergehen wird, so
findet man leider nur sehr wenig, was darauf hindeutet, dass wir
diesen Übergang aus eigener Kraft schaffen könnten.
Einen freien Willen haben wir nicht, unsere aus der Steinzeit
mitgebrachten Verhaltensweisen lassen sich auch nicht
unterdrücken, unser Unbewusstes treibt uns vor sich her, und
unser Ich hat keine Ahnung davon, wer es ist, geschweige denn wie
viele. Hormone steuern unsere Gefühle, und die vernebeln uns
den Verstand. Das Einzige, was sich mit hoher statistischer
Sicherheit voraussagen lässt, ist, dass wir im Durchschnitt,
je älter wir werden, auch umso häufiger depressiv oder
dement werden. Na prima. Angesichts dieser wissenschaftlichen
Erkenntnisse bleibt einem ja auch gar nichts anderes
übrig.
Glücklicherweise gibt es aber auch noch
andere wissenschaftliche Befunde. Die weisen in eine ganz andere
Richtung. Von denen hört man aber nicht so oft in den
Medien. Die lassen sich nicht gut vermarkten, denn sie
beschreiben nicht, was an uns alles so schrecklich ist und
weshalb so viele von uns so oft im Leben scheitern. Sie erzählen
eher viele kleine Beispiele, die es überall in unserem Land
gibt, die nicht nur zeigen, dass es möglich ist, sondern
auch wie es gelingen kann, unsere eigene Lebenswelt und damit
auch die unserer Kinder so zu gestalten, dass es in Zukunft immer
etwas besser möglich wird, das wunderbare menschliche
Potential zur Entfaltung zu bringen, das in uns allen angelegt,
in jedem von uns verborgen ist.
Gern lade ich Sie in
diesem Buch ein, gemeinsam mit mir herauszufinden, wie das auch
bei Ihnen zu Hause, in der Schule Ihrer Kinder, in Ihrem
Wohngebiet oder in Ihrer Firma gehen kann. Wonach wir dabei
suchen müssten, ist nicht das Geheimnis des Erfolgs. Um in
unserer gegenwärtigen Welt erfolgreich zu sein, braucht man
weder seine menschlichen Potentiale zu entfalten, noch muss man
beim Übergang vom Affen zum Menschen besonders weit
vorangekommen sein. Falls Sie bis eben noch gehofft hatten, in
diesem Buch Hinweise zu finden, wie Sie die Erkenntnisse der
Neurobiologie nutzen können, um Ihr Leben, Ihre Beziehungen
zu anderen Menschen, die Erziehung Ihrer Kinder oder Ihre
berufliche Entwicklung in Zukunft noch erfolgreicher zu gestalten
als bisher, dann schlagen Sie es jetzt lieber wieder zu. Stellen
Sie es einfach in eine sehr entlegene Ecke Ihres Bücherregals.
Vielleicht holen Sie es später noch einmal hervor, wenn Sie
bemerkt haben, wie leicht man auf der ständigen Suche nach
Erfolg in seinem eigenen Leben genau das übersieht, was ein
gelingendes Leben ausmacht: Man kann es nicht »machen«,
und es geht nicht allein.
Wonach wir also in diesem Buch
suchen wollen, ist nicht das Geheimnis des Erfolgs, sondern das
Geheimnis des Gelingens. Das Besondere an diesem Geheimnis des
Gelingens besteht darin, dass man es nicht beschreiben oder
erklären kann. Es muss sich, so altmodisch es klingt,
offenbaren. Das heißt, dass es immer und überall da
ist und wirksam wird, unabhängig von uns und unserem Zutun.
Wenn es nicht so wäre, gäbe es weder unseren
wundervollen Planeten noch das Leben in all seiner Vielfalt und
Fülle, so wie es sich auf unserer Erde entwickelt hat. Und
uns selbst mit unserem zeitlebens erkenntnisfähigen Gehirn
gäbe es dann auch nicht. Das Geheimnis des Gelingens wirkt
also unabhängig davon, ob wir es erkennen oder gar
verstehen. Und wir können es auch nicht erzwingen, dass
etwas gelingt. Deshalb ist es so ziemlich die verrückteste
Idee, auf die man überhaupt kommen kann, ein Buch über
etwas zu schreiben, was sich gar nicht beschreiben lässt,
was sich nur mit etwas Glück – oder, um auch hier
wieder ein altmodisches, aber passendes Wort zu gebrauchen, mit
Gnade – dem offenbart, der offen dafür ist, es zu
erspüren.
Das kann freilich nur dann gelingen, wenn
wir nicht gleich nach Antworten und fertigen Rezepten suchen.
Vielleicht müssten wir uns Fragen stellen. Und das müssten
Fragen sein, die uns selbst dazu bewegen, durch eigenes
Nachdenken und aufgrund unserer eigenen Erfahrungen nach
Antworten zu suchen. Wir müssten zudem versuchen, uns dabei
nicht von unseren bisherigen Vorstellungen, sondern lieber von
unserer Vorstellungskraft leiten zu lassen. Und wir sollten uns
schließlich an jeder Stelle unserer Entdeckungsreise
kritisch fragen, ob die Antworten, die wir gefunden haben, nicht
nur durch unsere eigenen Erfahrungen, sondern auch durch die
aller anderen Menschen, die wir kennen und die uns nahestehen,
bestätigt werden. Ich weiß nicht, ob es gelingt, aber
ich lade Sie ein, es gemeinsam mit mir zu versuchen...
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