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Menschenbeben –
mit diesem Begriff charakterisiert Robert Jungk den weltweiten
Aufstand gegen Krieg, Unmenschlichkeit und Gewalt. Das Buch
ergreift Partei. Es ist Hoffnung für die, die sich
ohnmächtig wähnen, Mahnung für die Mächtigen,
Warnung für die Schwerhörigen.
»Haben
wir, die Generation der Warner und Zweifler, nicht vielleicht das
Gegenteil von dem erreicht, was wir uns vorgenommen hatten? –
Wir wollten die Zeitgenossen gegen die lebensfeindlichen
Drohungen eines blinden Fortschritts mobilisieren, und das ist
uns bei vielen gelungen. Gleichzeitig aber sind wir durch die
Beschreibung der Allgegenwart und der an Unüberwindlichkeit
grenzenden Macht der Herrschafts- und Zerstörungstechnik bei
anderen – und sie sind wohl noch zahlreicher – zu
Wegbereitern der Resignation geworden. (…) Wäre es
nicht dringend notwendig, frage ich mich (…), von dem
Beginn des Sichwehrens zu berichten, von der unterschätzten
Macht der Schwachen? War es jetzt nicht an der Zeit zu ermutigen,
statt nur zu ängstigen?« (Seite 12 f)
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Ich
habe mich auf die Suche gemacht nach all jenen Orten, an denen
sich der Protest am eindrucksvollsten manifestiene, wollte
Menschen finden, die sich von den scheinbar erstarkten
politischen und technischen Machtsystemen nicht länger
einschüchtern ließen, hoffte, deutliche Anzeichen für
eine mögliche Rettung aus der großen Not zu
entdecken.
Jetzt,da ich diesen Erfahrungsbericht
niederschreibe, bin ich trotz mancher Enttäuschungen
zuversichtlicher als zu Beginn meiner „Expedition“.
Die sich so stark geben, sind in Wahrheit schwächer als sie
auftreten, und diejenigen, die meinen, sie seien zur Ohnmacht
verurteilt, sind stärker als sie vermuten. Die Mächtigen
von heute sind geplagt von inneren Widersprüchen, verwirrt
durch Irrtümer, tief verunsichert von nagenden Zweifeln. Sie
können keine anziehenden, glaubhaften Zukunftsbilder mehr
entwerfen, weil sie nur noch so tun, als glaubten sie an ihre
Schlagworte vom unversiegbaren Reichtum, an ihre Versprechung
demokratischer Freiheit, die sie selber ständig
verletzen.
Diese innere Gefährdung der
Herrschaftssysteme nimmt in dem Maße zu, wie das tägliche
Umfeld, in dem sie leben, ihnen feindlicher wird. Die zunehmende
Ablehnung der Bevölkerung genügt zwar noch nicht, die
Organisationen und Installationen, durch die sie sich gefährdet
sieht, zu beseitigen. Aber sie reicht jetzt schon aus, die
„weichen Bestandteile“ dieser harten Apparate,
nämlich ihre denkenden und manchmal auch fühlenden
Mitarbeiter zunehmend zu beeinflussen. Die Ministerien,
Verwaltungsgebäude, Kasernen, Kernkraftwerke,
Chemiefabriken, Startbahnen, Manövergelände, Arsenale,
Testanlagen, Raketenstellungen, Sende- und Lauscheinrichtungen,
Laboratorien und Deponien werden physisch immer stärker
befestigt und isoliert. Doch die Insassen dieser heutigen
Festungen und Sperrkreise können nicht so vollständig
abgeschirmt werden, daß jeder Einfluß von ihnen
ferngehalten wird.
Im Brüsseler Hauptquartier der
NATO sah ich auffällige Warnplakate angeschlagen, in denen
für einen zum internen Gebrauch hergestellten
Walt-Disney-Film geworben wurde. Sein Thema: die eindringliche
Warnung an das Personal vor schädlichen
Außeneinflüssen.
Dieser Isolierungsversuch und
viele andere sind ziemlich aussichtslos. Man kann Menschen
vielleicht gegen feindliche Ideologien immun machen. Aber ihren
Lebensinstinkt wird man nicht dauerhaft betäuben, ihren
Überlebenswillen nicht für immer brechen können.
Von Gregory Berglund, einem ehemaligen hohen Offizier der US
Airforce, dem zeitweilig sechs mit Atombomben ausgerüstete
Flugsysteme unterstellt waren, habe ich erfahren, wie zermtübend
eine solche schreckliche Verantwortung sein kann, wie
unaufhörlich quälend das Gefühl der möglichen
Mitschuld an einem Super-Holocaust ist. Er hat mir erzählt,
wie ihm während eines Urlaubs auf einer Fahrt in der
Londoner Untergrundbahn diese Katastrophenvorstellungen plötzlich
so sehr zusetzten, daß er beschloß, sofort nach
seiner Rückkehr zum Stützpunkt Bentwaters in Ostengland
seine Ablösung von dieser „Massenmord-Aufgabe“
zu verlangen.
Schockiert von dem beabsichtigten Ausbruch
eines hohen Geheimnisträgers aus dem Irrenhaus ihrer
Atomstrategie wurde daraufhin sofort alles unternommen, um ihn
für geisteskrank zu erklären. Berglund wurde zuerst in
England, dann in den USA in eine psychiatrische Anstalt nach der
anderen geschickt. Trotz der Bemühungen, ihn durch starke
Psychopharmaka in eine chemische Zwangsjacke zu stecken und
widerstandslos zu machen, ließ er sich nicht umstimmen und
konnte sich durch Nachdenken und Selbstanalyse nach und nach ganz
vom Verfolgungswahn seiner Berufskaste befreien. Schließlich
setzte er seine Befreiung aus der rechtswidrigen Internierung
durch und wurde von nun an zu einem der wichtigsten Zeugen des
weltweiten Widersands.
Solchen „Bekehrten“ bin
ich im Laufe meiner Suche nach Zeichen der Hoffnung häufig
begegnet. Sie waren durch schwierige persönliche
Wandlungsprozesse gegangen, ehe sie sich zum kompromißlosen
Kampf für die Erhaltung des Lebens entschließen
konnten. Unter dem Eindruck von Einsichten, die meist im
Widerspruch zu ihrer Umgebung, zu ihrem bisherigen Denken und Tun
standen, hatten sie ihre berufliche Existenz und die Anerkennung
ihrer Umgebung aufs Spiel setzen müssen.
Diesen
Abspringern, Umkehrern, Außenseitern gibt nicht Fanatismus
Kraft, sondern die Überzeugung, daß jeder einzelne von
ihnen für viele andere eintreten muß, die eine solche
Entscheidung nicht oder noch nicht treffen können.
„Eine
von uns, die sich kompromißlos für den Frieden
einsetzen kann, hat das Gewicht von mindestens zehntausend
anderen Frauen, die nicht so weit gehen wollen“, sagte mir
eine der Engländerinnen, die seit vielen Monaten den
amerikanischen Luftstützpunkt Greenham Common belagern. Das
klingt überheblich, aber sie brachte es mit so ruhiger
Selbstverständlichkeit hervor, daß ich tief
beeindruckt war.
Nicht nur Zerstörer leben unter uns,
sondern auch Lebensretter.
Wüchse ihre Zahl so sehr,
daß sie die künftige Entwicklung entscheidend
beeinflussen, dann könnte ihnen glücken, was
Revolutionen bisher noch nie gelang: die Besserung der
Verhältnisse durch die Besserung der Menschen.
Ein
großes Beben geht durch die ganze Welt. In immer neuen
Stößen erschüttert es das Bestehende. Und wenn es
auch vorübergehend zu verebben scheint, irgendwo und
irgendwann hebt sich der Boden abermals. Die Angst, der Zorn und
die Hoffnung der Bedrohten schaffen unaufhörlich Unruhe. Das
ist ein andauerndes und weit umfassenderes Phänomen als die
bisherigen Revolutionen. Ich nenne es „Menschenbeben“.
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