Leseprobe
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Einleitung (Farbige
Hervorhebungen von E.W.)
Was bringt eine
Architektin, Stadtplanerin und Ökologin mit einer
Doktorarbeit über »Öffentliche und internationale
Angelegenheiten« dazu, ein Buch über Geld zu
schreiben?
Um diese Frage zu beantworten, muss ich zu den
Jahren 1979 bis 1984 zurückgehen, als ich im Rahmen der
Internationalen Bauausstellung (IBA) in Berlin den
Forschungsbereich Ökologie/Energie leitete. In diesem
Zusammenhang war es zum ersten Mal möglich, umfangreiche
ökologische Projekte im städtischen Raum zu planen und
auszuführen. Während zahlreicher Einladungen zu
Vorträgen im In- und Ausland stießen unsere Arbeiten
auf großes öffentliches und fachliches Interesse, aber
auch immer wieder auf Skepsis. Das häufigste Argument
lautete: »Das ist ja alles sehr schön und wichtig,
aber das rechnet sich nicht.«
Nun war für mich
die Anwendbarkeit unserer Ideen nicht nur von fachlicher
Bedeutung, sondern auch eine Frage des Überlebens, und ich
fragte mich: Was nützt es denn, wenn es »sich
rechnet«, aber wir die Luft nicht mehr atmen, das Wasser
nicht mehr trinken, die Energie nicht mehr produzieren, den Lärm
nicht mehr ertragen und die Nahrung nicht mehr essen können?
Denn schon zwischen 1979 und 1980 wurde deutlich, dass die
biologischen Lebensgrundlagen in der Stadt – Luft, Wasser,
Boden, Energie, Nahrung – gefährdet waren. Das hieß,
sollten wir wirtschaftlich nicht in der Lage sein, diese
Grundlagen zu verbessern und zu erhalten,würden wir uns
mittel- bis langfristig selbst umbringen.
Die
wirtschaftliche Frage aber wurde immer mehr zur entscheidenden.
Ich begegnete weltweit Menschen guten Willens, und voller guter
Ideen. Alle ökologischen Probleme waren technisch lösbar
– was fehlte und immer noch fehlt, sind die
wirtschaftlichen und politischen Voraussetzungen für die
Anwendung auf breiter Basis, oder einfach gesagt: das Geld. Mir
war klar, dass der Kampf ums Geld für ökologische
Maßnahmen und Projekte einen Konflikt an vielen Fronten
bedeutete: Erstens befanden wir uns damals in einer Einführungs-
und Umstellungsphase, die immer mit erhöhten Kosten
verbunden ist. Zweitens waren und sind noch immer langfristige
volkswirtschaftliche Gesichtspunkte keine Grundlage von
Finanzierungsrichtlinien oder Baubestimmungen. Und drittens
konnten und können noch immer Luft, Wasser und Böden
relativ kostenlos belastet werden, obwohl neue gesetzliche
Grundlagen für deren Schutz und/oder Besteuerung die Lage
inzwischen verbessert haben.
Doch eine – die
vielleicht wichtigste – Kampffront blieb mir bis 1983
verborgen: die zinsbedingte Kraft des Geldes, mehr Geld zu
erwirtschaften, beziehungsweise die Tatsache, dass sich die
Rentabilität jeder ökologischen Maßnahme mit dem
Zins, den man für sein Geld auf dem Kapitalmarkt bekommt,
messen lassen muss. Als mir dann noch die verschiedenen
Wachstumsmuster in der Natur und im Geldwesen und die Ursachen
unseres pathologischen Wirtschaftswachstumszwangs klar wurden,
geriet ich ziemlich in Rage. Ich fühlte, dass ich gut
vierzig Jahre meines Lebens eine der grundsätzlichen
Voraussetzungen für mein tägliches Leben nicht
durchschaut hatte: die Funktion unseres Geldwesens. So begann
ich, mehr darüber zu lesen, zu diskutieren und dann auch zu
schreiben, weil ich fast überall bei Freunden, Bekannten,
Kollegen und Fachleuten auf das gleiche Unverständnis stieß.
Die Aussicht, dass uns oder spätestens unseren Kindern mit
diesem zerstörerischen System der schlimmste ökonomische
oder ökologische Zusammenbruch in der neueren Geschichte
bevorstand, und das weit verbreitete Unwissen um die Folgen
unseres Geldsystems ließen mich anfangen, darüber zu
schreiben. Zuerst einige Aufsätze, die von vielen Menschen
gelesen und kommentiert wurden.
Es vergingen jedoch fünf
Jahre, bis ich erkannte, dass Geld aus der Sichtweise dieses
Buches – eher eine »öffentliche und
internationale Angelegenheit« ist als eine rein
ökonomische. Da ich in jenem Bereich promoviert hatte,
begann ich, obwohl Nichtökonomin, ein Buch über
Ökonomie zu schreiben, das sich mit der grundlegenden
Maßeinheit dieses Berufsstands, dem Geld,
beschäftigt.
Mein Ziel war, eine Einführung zu
geben, die sowohl spannend als auch leicht verständlich sein
würde und vielen Menschen als Anregung dienen sollte, mehr
über die Hintergründe, Probleme und Möglichkeiten
der Veränderung erfahren zu wollen.
Seit das Buch
1988 in einer ersten Version veröffentlicht wurde, hat sich
die Welt dramatisch verändert. Die sozialistischen Länder
sind unter anderem daran gescheitert, dass sie meinten, ohne eine
freie Marktwirtschaft auskommen zu können. Damit
verhinderten sie, dass sich die ökonomische
Wahrheit in den Preisen ausdrücken konnte. Was die
meisten Menschen in den ehemaligen Ostblockstaaten jedoch bis
heute nicht begreifen, ist, dass im wirtschaftlich dynamischeren
Kapitalismus die Preise bisher weder die
ökologische noch die soziale Wahrheit ausdrücken
und dass dieser Mangel nicht durch das Auswechseln von Parteien,
Parteiprogrammen oder führenden Politikern zu beheben ist.
Die Fehler liegen hier tiefer und besser versteckt im Geldsystem,
doch auch im Boden- und Steuerrecht. Um sie zu beheben, muss ein
Bewusstwerden und Umdenken bei vielen erfolgen.
Durch die
Öffnung der Ostblockstaaten und neuerdings Chinas für
westliche Importe und Kredite ist die Geschwindigkeit, mit der
die Problematik des Geldsystems in den letzten Jahren weltweit
zugenommen hat, dramatisch weiter angewachsen. So weiß
heute jeder, dass weder die hoch industrialisierten Länder
noch die Länder der Dritten Welt ihre Schulden
zurückbezahlen können; dass sich die Diskrepanz
zwischen Armen und Reichen in allen Ländern ständig
vergrößert und dass Unterschiede in den
Devisenreserven heute schon als potenzielle Waffe gelten. Auch
weitsichtige Ökonomen und Bankfachleute verlangen nun
fundamentale Veränderungen. Von einer solchen Veränderung
handelt dieses Buch.
Es beschreibt die Funktionsweise des
Geldes und legt die Gründe für die anhaltenden
Schwankungen eines unserer wichtigsten Maßstäbe dar.
Es erklärt, warum das Geld die Welt nicht nur »in
Schwung hält« (money makes the world go round),
sondern dabei auch immer wieder zerstörerische Krisen
verursacht. Es zeigt, wie die gewaltigen Schulden der Dritten
Welt, ebenso wie Arbeitslosigkeit und Umweltprobleme,
Waffenproduktion und Bau von Atomkraftwerken, verbunden sind mit
dem Mechanismus, der das Geld bis heute in Umlauf hält: dem
Zins. Zusammen mit dem Zinseszins (Zins auf Zinsen) ist er einer
der Hauptgründe für das wirtschaftliche Überwachstum
und die Konzentration und Umverteilung der Geldvermögen.
Nach dem amerikanischen Wirtschaftshistoriker John L. King
ist der Zins »die unsichtbare Zersörungsmaschine«
in den so genannten freien Marktwirtschaften.
Es ist das
Anliegen dieses Buches, Möglichkeiten der Veränderung
aufzuzeigen, von denen nur wenige Experten wissen (wollen?), aber
eine immer breitere Öffentlichkeit. Da dass Thema zu wichtig
ist, um es allein vermeintlichen Experten zu überlassen, ist
es notwendig, eine öffentliche Diskussion zu initiieren, an
der viele teilnehmen können. Das Besondere meiner
Ausführungen liegt deshalb in der Art, dieses komplexe Thema
so einfach wie möglich darzustellen, so dass jeder, der mit
Geld umgeht, verstehen kann, was auf dem Spiel steht. Zwei
weitere Besonderheiten liegen darin, dass im Unterschied zu
anderen Büchern, die sich in der Vergangenheit mit diesem
Thema beschäftigt haben, herausgearbeitet wird, wie die
vorgeschlagenen neuen Geldsysteme ausnahmslos für alle einen
Gewinn bedeuten und welche Maßnahmen jede/r selbst
ergreifen kann, um die notwendigen Veränderungen
herbeizuführen.
Es ist nicht so schwierig, wie es
scheinen mag, den Mechanismus des Zinses, der das Geld heute in
Umlauf hält, zu ersetzen und Geldsysteme zu schaffen, die
gleichzeitig umlaufgesichert sind und verschiedenen Zwecken
dienen. Die Grundprinzipien der hier angebotenen Lösungen
wurden im Lauf der Geschichte in verschiedenen Ländern
angewendet und seit Beginn dieses Jahrhunderts an mehreren Orten
erfolgreich erprobt. Was ansteht, ist die breite Anwendung dieser
Lösung auf regionaler, nationaler und internationaler
Ebene.
Seit 2003 wird nun – vor allem im
deutschsprachigen Raum – die Anwendung auf der regionalen
Ebene von einer wachsenden Menge von Menschen, die sich zu
Initiativen zusammengeschlossen haben, erprobt.
Die Idee,
regionale »Komplementärwährungen«
einzuführen – die ich im Laufe einer fünfmonatigen
Vortragsreise um die Welt 2001 bis 2002 entwickelt hatte –
fiel 2003 auf fruchtbaren Boden. Christian Gelleri und
Thomas Mayer entwickelten den »Chiemgauer«, ein
Gutscheinmodell zur Förderung der Region um Prien am
Chiemsee. Außerdem tauchte dieselbe Idee, fast zeitgleich,
in unterschiedlichen geographischen Gebieten auf: in Bremen mit
dem Roland, in Berlin mit dem Berliner, in Witzenhausen mit der
Kirschblüte, in Traunstein mit dem Sterntaler und in Sachsen
Anhalt mit dem Urstomtaler. Inzwischen sind es über 50
Initiativen im deutschsprachigen Raum, wovon 13 schon ihre eigene
Währung ausgegeben haben. Das bestärkt mich in der
Annahme, dass es sich hier um ein Konzept handelt, welches
entwicklungsfähig ist. Eine zentrale Frage ist, ob die
zarten Pflänzchen der Selbsthilfe dieses Mal die Chance
haben, ihre optimale Größe und damit ihr
Lösungspotenzial voll zu entfalten.
Im Gegensatz zu
Wörgl, Schwanenkirchen und vielen anderen deutschen und
US-amerikanischen Beispielen der 30er Jahre des vergangenen
Jahrhunderts, die durch gesetzliche Vorgaben »von
oben« beendet
wurden, hoffen die Initiativen nun, dass ihre kreativen, neuen,
unterschiedlich gestaltete Lösungen – als Antwort auf
die spezifischen Probleme der jeweiligen Region – den
Beweis erbringen können, dass es auch anders geht: dass
Globalisierung und Regionalisierung sich nicht ausschließen
müssen, sondern fruchtbar ergänzen können. Sie
erwarten, dass ähnlich wie in Japan, der Staat und die
Zentralbanken einsehen, dass diese Bewegung die wirtschaftliche
und vor allem die soziale Lage stabilisieren und helfen kann, das
Gemeinwohl zu fördern, ohne den Staat und damit letztlich
den Steuerzahler durch zusätzliche Ausgaben zu belasten.
Denn diese Möglichkeit – neue Nutzen stiftende Währung
zu schaffen – stellt die billigste und effektivste Maßnahme
dar, um ungenutzte Ressourcen – wie Millionen von
Arbeitslosen – und ungedeckten Bedarf – wie Millionen
von Aufgaben, die darauf warten, erledigt zu werden –
zusammenzubringen.
Obwohl es inzwischen ein Buch zum Thema
»Komplernentäre
Währungen«
gibt (Margrit Kennedy und Bernard Lietaer, »Regionalwährungen
– neue Wege zu nachhaltigem Wohlstand«,
Riemann Verlag, München, 2004), habe ich dieses erste Buch
noch einmal überarbeitet und auf den neuesten Stand
gebracht, denn es bietet noch immer eine leicht lesbare
Einführung in das Thema Geldreform als eine der wesentlichen
Begründungen für sektorale und regionale
Komplementärwährungen, die auch – wie ich zeigen
werde – aus anderen Gründen wichtig sind.
Die
Analyse des Problems und der Lösung (Teil 1) ist noch fast
dieselbe wie vor fast 20 Jahren. Die Zahlen zeigen – im
Lauf der Zeit noch drastischer – wie sowohl die enorm
gewachsene Staatsverschuldung wie auch die Umverteilung von
Vermögen und die Umsätze im Bereich der spekulativen
Geldtransaktionen parallel mit den exponentiell wachsenden
Zinsansprüchen gestiegen sind.
Die praktische
Umsetzung in der Gegenwart (Teil 2) sieht allerdings anders aus.
Ich sehe sie nicht mehr allein in der Umsetzung durch
Zentralbanken und Staat, sondern vorerst in der Einführung
sektoraler und regionaler Komplementärwährungen
(Kapitel VIII). Sie sind – wie der Name sagt – keine
Alternative zum heutigen System, sondern eine Ergänzung, und
werden das heutige Geld weder abschaffen noch gefährden. Im
Gegenteil, sie werden helfen, es zu stabilisieren und länger
am Leben zu erhalten. Vielleicht werden sie auch helfen, es auf
die Bereiche zu beschränken, die es gut erfüllt und mit
entsprechenden Änderungen in der Steuergesetzgebung auch
weiterhin erfüllen könnte.
Das ist leicht
nachvollziehbar. Komplementärwährungen entstehen und
funktionieren immer dann am besten, wenn das herkömmliche
Monopol-Geld-System mit seinem exponentiellen Wachstumszwang an
seine voraussehbaren Grenzen gerät, weil exponentielles
Wachstum auf Dauer – mathematisch nachweisbar – nicht
funktionieren kann. Die Akzeptanz und breite Umsetzung dieser
Lösungen könnte bedeuten, dass wir endlich das
ungenutzte Potenzial einer der genialsten Erfindungen der
Menschheit – Geld – zur Lösung der schwierigsten
Konflikte nutzen können, die wir im Moment in Deutschland
und weltweit haben.
Margrit Kennedy, Steyerberg,
Oktober 2005
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