Leseprobe
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Vorwort
der Erstauflage
Auf
der Frankfurter Buchmesse 2010 sprachen wir über den Plan,
ein Buch über Deutschlands „äußerst
öffentlichkeitsscheue und der breiten Masse kaum bekannte
Milliardäre“ (Financial
Times Deutschland)
herauszubringen. Der zunächst angedachte Titel „Wie
Milliardäre den Kapitalismus überwinden“ schien
das gehörige Quentchen an Ironie zu enthalten, das einem
solchen Thema angemessen war, von dem Carl Schmitt einst sagte,
kein Soziologe wage sich dran. Und ich hatte ja schon ein
einschlägiges Buch geschrieben, das sich vor allem auf die
Geschichte der amerikanischen Reichtumsforschung konzentrierte
(Hirten
und Wölfe. Wie Geld- und Machteliten sich die Welt
aneignen).
Eine Beschränkung allerdings allein auf Deutschland war auch
bei dem neuen Projekt nicht sinnvoll, denn diese Schicht der
Superreichen, die ja weltweit nur wenige tausend Personen und
Familien umfasst, ist ein globales, ein, wenn man so will,
kosmopolitisches Phänomen.
Wir, das heißt
Verleger, Verlagslektorin und ich, sprachen also über dieses
Buch, amüsierten uns und optierten schließlich –
eingedenk der neuen Protestbewegungen Occupy Wall Street und 99
Prozent – für den Haupttitel 0,1 Prozent. Ich begann,
meine Materialberge zu sichten, Neues zu sammeln und erste
Skizzen zu schreiben. Es war die Zeit, in welcher in den USA der
Vorwahlkampf innerhalb der Republikanischen Partei um die
Präsidentschaftskandidatur an Fahrt auf- und ungeahnte
Schärfe annahm. Die großen amerikanischen Blätter
der Ost- und Westküste titelten bald „Big backing for
Romney from the wealthy few“, „A Big Check, and
Gingrich Gets a Big Lift“ und so fort. Je mehr man sich in
diese Welt des hemmungslosen Stimmenkaufs vertiefte, je ominöser
bei uns die Auseinandersetzungen um den kleinen Nebenschauplatz
Schloss Bellevue und in Europa um den großen Eurogoldrausch
wurden, desto mehr verdüsterte sich meine Stimmung.
Der
Mut, dieses Buch zu schreiben, verließ mich fast nach der
folgenden Episode. Das Thema Superreiche hatte ja in der Krise
der Finanzmärkte endlich auch die Mainstream-Medien
erreicht, altkonservative Zeitungen nahmen sich der
unverkennbaren „plutokratischen“ Tendenzen in unserer
Gesellschaft an und lobten nicht nur Marx, sondern sogar den
Anarchismus. Und so bekam auch ich – wegen meines früheren
Buches – des öfteren Interviewanfragen. Ich wollte mir
aber den Kopf frei halten und sagte deshalb nur bei ein, zwei
Gelegenheiten zu. Und wenn ich mich schon darauf einließ,
wollte ich wenigstens die Wogen testen und mit der einen oder
anderen These auch übertreiben und provozieren.
Ein
willkommener Anlass war die inzwischen jährlich erscheinende
Sonderausgabe des Manager
Magazins
„Die 500 reichsten Deutschen“. Hinter dieser
Publikation stecken eine gewaltige Fleißarbeit der
Redaktion und sicher auch eine brisante Datenbank. Doch
öffentlich diskutiert werden die Erkenntnisse kaum –
und schon gar nicht vertieft. Man war noch nicht einmal, soweit
ich sah, auf die Idee gekommen, die Vermögensbestände
der 500 reichsten Deutschen zu addieren. Ich tat das also und
„errechnete“ eine Summe von 3,3 Billionen, also 3300
Milliarden Euro. Das war natürlich, bezogen allein auf die
500 Reichsten, um den Faktor zehn zu hoch. Diese (im ganzen
Kontext meiner Argumentation durchaus nebensächliche)
Aussage „500 haben 3300“ floss in zwei Interviews und
von da in zahlreiche Blogs und Foren.
Was dann geschah,
drohte mir meine Unbefangenheit auch gegenüber dem ganz
allgemeinen Thema gänzlich zu nehmen. Zunächst einmal
merkte kaum jemand, dass diese Zahl nicht stimmen konnte. Dann
kamen Fixierungen auf dieses Detail und da und dort Aggressionen.
Und auf einmal spürte ich, welche ungeheuren Macht- und
Herrschaftsenergien eine leichtfertige Provokation hervorrufen
kann und welche – sagen wir einmal –
Selbsverteidigungskräfte in diesem Macht- und
Herrschaftssystem stecken. Wagemut also war angesagt. Jetzt erst
recht weiterzuschreiben war die einzige Lösung – und
das zugleich mit der Lockerheit und dem Vergnügen, die
allein uns jene Unabhängigkeit und innere Freiheit sichern,
die zu den Errungenschaften unserer Epoche gehören. Beharren
wir also auf unserer subjektiven Souveränität, die
durch Geldmacht in Gefahr ist, und machen wir uns auf
gelegentlich unterhaltsame Weise kundiger über das 0,1
Prozent der Menschheit, das den Prozess der Globalisierung und
die Welt der Postmoderne zu usurpieren droht.
Dieses Buch
ist Teil eines offenen Projekts, keine abgeschlossene Analyse
oder gar ein fertiges Theoriestück. Es soll anregen, sich
weiter mit diesem Thema zu beschäftigen – auch im
Internet.
Dank an Ingrid Lohmann, Rainer Rilling sowie
Christel Buschmann, Karl Philip Lohmann, Renate Krysmanski, Tom
Krysmanski, Rainer Schmidt, Thomas Druyen, Detlev Schelsky,
Monika Schaack, Reinhard Hauff, Peter Krysmanski, Martin Zeis,
Val Burris, J.F., W.M. und nicht zuletzl Beate Koglin und Markus
J. Karsten vom Westend Verlag.
Hamburg/Münster,
August 2012
Vorwort
und Leseprobe der Neuauflage 2015
siehe:
https://www.amazon.de/Das-Imperium-Milliard%C3%A4re-ebook/dp/…
S.
34 f (Ein weites Feld/Gibt es eine „globale herrschende
Klasse“?)
Die
Konzentration an der Spitze der Reichtumspyramide aber ist es,
die interessiert. Die Mechanismen dahinter sind seit langem
bekannt. So schrieb Dough Henwood 1997 über das
US-amerikanische Finanzsystem, einerseits erfülle es „seine
angebliche Aufgabe, die Ersparnisse der Gesellschaft in Richtung
der besten Investitionen zu lenken, nur höchst kümmerlich.
Das System ist wahnsinnig teuer, gibt eigentlich falsche Signale
zur Lenkung der Kapitalströme und hat überhaupt kaum
etwas mit wirklicher Investitionstätigkeit zu tun. Auf der
anderen Seite aber macht der Finanzmarkt eines sehr gut: Er
bewirkt die Konzentration von Reichtum. Der Mechanismus ist
einfach: Mit Hilfe staatlicher Verschuldung werden Einkommen von
unten, von den einfachen Steuerzahlern, nach oben zu den reichen
Bondholders, verschoben. Statt die Reichen zu besteuern, borgt
die Regierung von ihnen und bezahlt für dieses Privileg auch
noch Zinsen. Auch die Konsumentenkredite bereichern die Reichen;
wer bei stagnierenden Löhnen und Gehältern seine
VISA-Karte benutzt, um über die Runden zu kommen, füllt
mit jeder Monatsrate die Brieftaschen der Gläubiger im
Hintergrund. Unternehmen des produktiven Sektors zahlen ihren
Aktionären Milliarden an jährlichen Dividenden,statt
ins Geschäft zu investieren. Kein Wunder also, dass der
Reichtum sich auf spektakuläre Weise immer mehr ganz oben
zusammenballt.“ (Dough Henwood: Wall
Street: How it works and for whom,
London/New York 1997, S. 6)
S.
168 f: Sparpolitik (Varianten des Kapitalismus/Milieuskizzen)
Paul
Krugman hat sich eine Weile in Großbritannien aufgehalten,
mit Politikern und Experten aus dem Cameron-Lager gesprochen und
seine Kritik an der Sparpolitik auf den Punkt gebracht.
Sparpolitik wird zum Paradebeispiel jener uralten Strategie, beim
Volk durch die Erzeugung von Furcht Pläne durchzusetzen, die
dem Volk schaden. Auf den ersten Blick schadet die Schuldenkrise
ja den Gläubigern, den angeblich so vielen Kleinen und
angeblich auch den von Banken abgeschirmten Großen. Die
Großen aber spielen mir dem Schuldendienst, der auf jeden
Fall und immer zuerst „die Banken“ rettet. Politiker
und Technokraten wissen seit John Maynard Keynes sehr genau, dass
der Auf- und nicht der Abschwung die richtige Zeit fürs
Sparen ist.
Aber sie haben, so Krugman, ein höheres
Motiv und längerfristige Ziele: durch Sparpolitik nämlich
das europäische soziale Sicherheitsnetz abzuwerfen und damit
die große Scheidung zwischen dem 0,1 Prozent und dem Rest
zu einer dauerhaften Gesellschaftsordnung zu machen. Sparpolitik
impliziert also Umbauabsichten, nicht kurzfristige
Reparaturarbeiten.
Bei seinen konservativen
Gesprächspartnern stößt Krugman auf eine seltsame
Metapher zur Begründung der Sparpolitik, sie setzt die
Schuldenproblematik einer Nationalökonomie mit den
Schuldensorgen einer normalen Familie gleich. Eine Familie, die
zu viele Schulden habe, müsse den Gürtel eben enger
schnallen. Aber eine Volkswirtschaft funktioniert ganz anders,
das Geld zirkuliert innerhalb des Systems, so als würden
Familienmitglieder einander Geld leihen und mit diesem Geld
„Familienprodukte“ herstellen und konsumieren. Und
hier wird es dann interessant. Die Sparpolitiker wissen auf
dieses Argument keine vernünftige Antwort und retten sich
mit dem Satz: „Aber es ist doch entscheidend, den Umfang
des Staates zu verringern.“ Und darum, so Krugman, geht es
letztendlich. Die Krise muss als Vorwand für den gezielten
Abbau des Staates herhalten. „lm Sparkurs der britischen
Regierung geht es gar nicht um Schulden und Defizite. Es geht
darum, die Defizitpanik als Vorwand für den Abbau von
Soziaiprogrammen zu nutzen. Und genau das passiert
selbstverständlich in Amerika“ (Paul Krugman:
Austerity Agenda, New York Times, 31.5.2012).
So
steckt auch hinter derSparpolitik das allgemeinere Ziel, die
Grundstruktur aller Kapitalmilieus zu verschleiern, nämlich
das katastrophale Anwachsen von Reichtum und Produktivität
auf der einen und von Armut und Arbeitslosigkeit auf der anderen
Seite.
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