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Dirk Löhr
Die Plünderung der Erde

Anatomie einer Ökonomie der Ausbeutung
Ein Beitrag zur Ökologischen Ökonomik



Kiel 2008 (Verlag für Sozialökonomie); 407 Seiten; ISBN 3879984557


Siehe auch: www.die-pluenderung-der-erde.de






Jahr für Jahr werden zwischen 3.000 und 30.000 Tier- und Pflanzenarten ausgelöscht – wir befinden uns mitten im größten Artensterben während der letzten 65 Millionen Jahre. Zugleich übersteigt jedes Jahr (!) die Zahl der Menschen, die durch die Folgen von Armut, Hunger, unzureichendem Zugang zu Wasser etc. getötet werden, die Zahl aller Soldaten, die während der sechs Jahre des Zweiten Weltkrieges ihr Leben Ließen. Die Zerstörung der Natur und die Zerstörung von Menschen: Beides hängt eng miteinander zusammen; das Vernichtungswerk hat System. Unter dem ideologischen Deckmantel der Effizienz wird aktuell ein brutaler wie methodischer Raubzug gegen Mensch und Natur geführt. Der dabei von den Privatisierungs-Gurus und den Rendite-Junkies in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik vorgelegte Plan ist nicht die behauptete Lösung, sondern der Kern des Problems: Er fordert umfassende Exklusionsrechte an nicht vermehrbaren Ressourcen einerseits und den Tanz um das Rentabititätsprinzip andererseits ein – uralte Steine des Anstoßes, die schon im Alten Testament zu finden sind. Mit der Globalisierung bekommen sie eine neue Dimension.

Diese Neuerscheinung versteht sich als kritisches Lehrbuch. Angesichts der Härte, mit der sich die Lehrbuchorthodoxie mittlerweile an der Realität stößt, ist Häresie das Gebot der Stunde.


Dirk Löhr


Prof. Dr., MBA, Jahrgang 1964, ist nach einer Laufbahn als Manager seit 1997 am Umwelt-Campus Birkenfeld der Fachhochschule Trier und nebenberuflich als Steuerberater tätig. Er lehrt die Fachgebiete Steuerlehre und Ökologische Ökonomik.


Inhaltsverzeichnis


Teil I

Die Struktur: Umweltpolitik als Ordnungspolitik







I.1

Leitgedanken



I.1.1

Zum Begriff der Ordnungspolitik



I.1.2

Zielebenen der Umweltpolitik







I.2

Die Beurteilungskriterien



I.2.1

Das Nachhaltigkeitsziel



I.2.1.1
I.2.1.2
I.2.1.3

Schwache Nachhaltigkeit („Weak sustainability“)
Starke Nachhaltigkeit („Strong sustainability“)
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen



I.2.2

Effektivität, ökologische Zielerreichung



I.2.2.1
I.2.2.2
I.2.2.3

Zielbündelung, Belastungs- und Nutzungsstrukturen
Versorgungsstrukturen bei netzgebundenen Monopolen
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen



I.2.3

Effizienz: Das herrschende umweltökonomische Paradigma



I.2.3.1
I.2.3.2
I.2.3.3
I.2.3.4
I.2.3.5

Ökonomische Zielfestlegung: Maximierung der Wohlfahrt
Darstellung des Property-rights-Ansatzes
Kritik des Property-rights-Ansatzes
Exkurs: Zur Bedeutung des Rentabilitätsprinzips
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen



I.2.4

Verteilungsgerechtigkeit



I.2.4.1
I.2.4.2
I.2.4.3
I.2.4.4
I.2.4.5

Gegenständliche Privilegien und die Anfangsverteilung von Gütern
Gegenständliche Privilegien und Einkommensverteilung
Eigentumsrechte an natürlichen bzw. netzgebundenen Monopolen
Die Renten aus natürlichen bzw. netzgebundenen Monopolen
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen







I.3

Feldstudien



I.3.1

Privatisierung von sog. „Allmendegütern“



I.3.1.1
I.3.1.2
I.3.1.3
I.3.1.4

Der „Klassiker“: Grund und Boden als Ressource / Flächenhaushaltspolitik
Handelbare Emissionsrechte und die Übertragung des Konzepts auf die Flächenhaushaltspolitik
Ressourcenbasierte Patente
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen



I.3.2

Der Gegenentwurf: Treuhänderschaft an Allmenderessourcen



I.3.2.1
I.3.2.2
I.3.2.3
I.3.2.4

Darstellung der Prinzipien
Exkurs: Redistribution als Konfliktlösungsmechanismus
Örtlichkeit, Subsidiarität und einzelfallgerechte Abweichungen vom Idealtypus
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen



I.3.3

Exkurs: Common-pool-Lösung für öffentliche Güter



I.3.4

Erweiterung: Netzgebundene Monopole – natürliche Monopole



I.3.4.1
I.3.4.2
I.3.4.3
I.3.4.4
I.3.4.5

Allgemeine Betrachtungen zum natürlichen Monopol
Die Stromversorgung und die Rolle der EVUs
Die Versorgung mit Wasser
Gestaltungsalternativen
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen







I.4

Globalisierung: Zur Struktur eines Aneignungsmechanismus



I.4.1

Ziele und Versprechungen



I.4.2

Effizienz: Mehr Wohlfahrt durch Globalisierung



I.4.2.1
I.4.2.2
I.4.2.3
I.4.2.4

Handel, Internalisierung der Gewinne und Externalisierung der Kosten
Ausschließbarkeit, Eigentumsrechte, Souveränität und externe Flächenbelegungen
Die Einrichtung eines universellen Aneignungsmechanismus
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen



I.4.3

Globalisierung und Vereinheitlichung



I.4.4

Verteilungsgerechtigkeit: Gewinner und Verlierer der Globalisierung



I.4.4.1
I.4.4.2
I.4.4.3
I.4.4.4

Die sozialen Auswirkungen der sinkenden Terms of trade
Exkurs: Globalisierung als Hierarchisierung des Raumes
Die Schuldenfalle
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen







Teil II

Der Prozess: Von der Wiege bis zur Bahre







II.1

Leitideen







II.2

Von der Wiege...: Ressourcenökonomische Betrachtungen



II.2.1

Zielsetzung und Legitimation



II.2.1.1
II.2.1.2
II.2.1.3

Abdiskontierung und Zeitpräferenz: Der Ausbeutungspfad als intergenerationelle Verteilungsfrage
Alternativkonzept: Rawls‘ „Principles of justice“
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen



II.2.2

Effiziente Ressourcenabbau und -erntepfade



II.2.2.1
II.2.2.2
II.2.2.3

Nicht regenerierbare Ressourcen und die Hotelling-Regel
Regenerierbare Ressourcen: Biologisches und ökonomisches Optimum
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen



II.2.3

Ökologische Zielerreichung



II.2.4

Verteilungsgerechtigkeit



II.2.4.1
II.2.4.2
II.2.4.3

Zur Undurchführbarkeit des Ressourcenmanagements i.S.v. Rawls bei einem positiven Zinssatz
Nullzinssatz bei Privateigentum an Ressourcen als verteilungspolitische Katastrophe
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen







II.3

Geld, Zins und Wirtschaftswachstum



II.3.1

Zielsetzung und Legitimation



II.3.1.1
II.3.1.2
II.3.1.3
II.3.1.4
II.3.1.5

Wachstum und Kapitalismus
Wachstum und Wohlstand
Herkömmliche wirtschaftspolitische Zielsetzungen
Nachhaltigkeitsstrategien und Wirtschaftswachstum
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen



II.3.2

Wohlfahrt und Wachstum: „...bis der Arzt kommt“?



II.3.3

Erreichung der ökologischen Zielsetzungen



II.3.4

Verteilungsgerechtigkeit



II.3.5

Exkurs: Ein Wachtumsmodell



II.3.5.1
II.3.5.2
II.3.5.3

Ableitung aus dem Solow-Modell
Modifikationen des Wachstumsmodells von Solow
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen



II.3.6

Notwendige und hinreichende Voraussetzungen für Wachstumsfreiheit



II.3.7

Gegenentwurf – zur praktischen Umsetzung







II.4

...bis zur Bahre







Teil III

Realpolitik als strukturkonservative
„Politik der kleinen Schritte“







III.1

Leitgedanken







III.2

Fokus: Legitimation / Zielfestlegung



III.2.1

Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung: Darstellung



III.2.2

Beurteilung







III.3

Fokus: Control-Ebene (Ökologie / Effektivität)



III.3.1

Auflagen / Ordnungs- und Planungsrecht



III.3.1.1
III.3.1.2

Darstellung
Beurteilung



III.3.2

New Public Management



III.3.2.1
III.3.2.2

Darstellung
Beurteilung







III.4

Fokus: Allokation (Ökonomie / Effizienz)



III.4.1

Freiwillige Selbstverpflichtungen



III.4.1.1
III.4.1.2

Darstellung
Beurteilung



III.4.2

Kooperationen



III.4.2.1
III.4.2.2

Darstellung
Beurteilung



III.4.3

Exkurs: Ausweitung der Organisationsgrenzen



III.4.4

Besteuerung



III.4.4.1
III.4.4.2
III.4.4.3
III.4.4.4

Allgemeine Vorbemerkungen
Besteuerung (I): Ökosteuer
Besteuerung (II): Fixkostensteuern
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen







III.5

Fokus: Verteilungsgerechtigkeit



III.5.1

Besteuerung (III): Lenkung im Rahmen



III.5.1.1
III.5.1.2

Darstellung
Beurteilung



III.5.2

Besteuerung (IV): Offene Subventionen



III.5.2.1
III.5.2.2

Darstellung
Beurteilung







Teil IV

Zum Schluss:
Zivilgesellschaftlicher Protest mit Kompass






Anmerkungen und Literatur



Abbildungsverzeichnis



Verzeichnis der Tabellen und tabellarischen Übersichten



Stichwortverzeichnis


Leseprobe


Vorwort






„Seid fruchtbar und vermehret euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch und herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem Land regen.“ (Gen. 1:28)






Der Auftrag an den Menschen zumindest des christlich-jüdischen Kulturkreises lautet also, sich „die Erde untertan zu machen"? Nach Hüttermann/Hüttermann handelt es sich hierbei um den wohl am gründlichsten missverstandenen Satz der Bibel. Das entscheidende Wort wyirdu wird wohl im Deutschen mit „herrschen“ übersetzt, bedeutet ursprünglich jedoch sowohl Herrschaft wie Knechtschaft. Die Sprache hat sich erst im Laufe der Zeit ausdifferenziert, und nicht selten findet der Ethymologe denselben Wortstamm für Begriffe, die heute in gegensätzlicher Bedeutung gebraucht werden. Wenn „er würdig ist, herrscht der Mensch über die Vögel und die Tiere [als Synonym für die Natur, d. Verf.], wenn er es nicht wert ist, wird er tiefer sinken als sie, und sie werden über ihn regieren.“ Es geht also weniger um die uneingeschränkte Herrschaft, die Gewalt über die Erde mit ihren Kreaturen, sondern eher um die „würdige" Verwaltung eines „Lehens". Die Verwaltung des Lehens kann in Anbetracht der Größe der Aufgabe nur in organisierter Form erfolgen; es bedarf geeigneter Institutionen. Als eine der wichtigsten Institutionen der marktwirtschaftlichen Ordnung wird gemeinhin das „Privateigentum“ gesehen. Nun entstammt „Privateigentum“ ethymologisch dem lateinischen „privare" und bedeutet auch „rauben". Die Eroberung der Welt geschah und geschieht über Raub. Zunächst klingt das alles dick aufgetragen: Das uns ach so vertraute Privateigentum – Raub? Und wenn dem so sein sollte: „Raub", Diebstahl an einem „Lehen"? Das riecht nach Veruntreuung. Starker Tobak also.






Tatsächlich war die Geschichte der Zivilisation eine Gratwanderung: Privateigentum war immer schon eine seiner Triebfedern. Die Natur wurde im Zusammenhang mit der „Einfriedung" von Territorien zum ersten Mal bewusst gestaltet und verändert. Mit der neolithischen Revolution wurden erstmals Territorien eingezäunt. Die sesshaft gewordenen Siedler machten gegenüber Rivalen, zu denen v.a. Nomaden gehörten, ihre Eigentumsansprüche auch mit Gewalt geltend. Es ging darum, diese vom Boden und seinen Früchten auszuschließen.






Im Feudalismus bekam das Eigentum eine andere Gestalt; es verkörperte nicht zuletzt ein Herrschaftsverhältnis. Dies änderte sich mit der bürgerlichen Revolution, mit der die Ideologie von Freiheit und Gleichheit propagiert wurde. Die Herrschaft der Feudalherren wurde aufgebrochen. Freilich wurde die Idee der „Einfriedung", wie sie das Privateigentum verkörperte, nicht abgeschafft, sondern generalisiert. Zudem wurde die Idee auch auf die Staatenbildung übertragen (Idee der „Nation").






Der letzte Schritt in diese Richtung wird durch die Eigentumstheoretiker und die Globalisierung gesetzt: Der Gedanke der Ausschließung von Menschen mittels der Einfriedung wird nicht etwa abgeschafft, sondern universell gemacht. Luft, Wasser, genetische Ressourcen – die Privatisierung wird auf die unterschiedlichsten Räume und Gegenstände übertragen.






Das Megathema „Globalisierung" als vorläufiger Höhepunkt der Entwicklung umschreibt, wie der für den westlichen Kapitalismus charakteristische Aneignungsmechanismus über den gesamten Globus gezogen wird. Dieser Aneignungsmechanismus ist dabei äußerst aggressiv. So ist z.B. das herrschende Patentrecht die Grundlage für eine zweite Welle des Kolonialismus und u.a. verantwortlich für Abermillionen von Toten (fehlender Zugang zu bezahlbaren Medikamenten, beispielsweise gegen AIDS), für einen Rückgang der Biodiversität (vgl. Kap. 1.3.1.3.) etc. Indessen nehmen wir die diese Aneignungsmechanismen begründenden Institutionen wie z.B. das Eigentum an Grund und Boden, auf dem sog. „Völkerrecht“ beruhende Vereinbarungen wie WTO, TRIPs und GATS oder Kyoto – also ohne Unterschied, ob „klassisch" oder „neu" – kritiklos hin. Dies gilt last not least auch für das Geld, obwohl wir ahnen, dass hier – schon seit sehr viel längerer Zeit, als Marx die Entstehung des Kapitalismus verortete – etwas nicht stimmt.






Mit Mechanismen wie der Privatisierung von biogenetischen Ressourcen, Wasser, der Atmosphäre etc. werden die Schätze der Natur nicht nur den Menschen in den Entwicklungs- und Schwellenländern der südlichen Hemisphäre, sondern auch künftigen Generationen geraubt. Mit seinem berühmten Satz „Eigentum ist Diebstahl" zielte Proudhon, der große Widersacher von Karl Marx, nicht etwa auf das – im Wettbewerb – selbst geschaffene Eigentum ab (in den Worten Vandana Shivas: „Produktionsrahmen"). Es ging ihm vielmehr um eben jenes Eigentum an Dingen, die niemand geschaffen hat (Shiva: „Schöpfungsrahmen") und deren Kontrolle eine monopolartige Machtkonzentrationen in Wirtschaft und Gesellschaft begründen und verstärken kann. Die Macht von Banken, von internationalen Konzernen wie Monsanto oder Nestlé etc., hat ihre Basis nicht zuletzt auch in den Produkten, mit denen sie im Markt agieren.






Das vorliegende Buch möchte dem Leser eine andere Brille als die der orthodoxen Lehrmeinungen aufsetzen. Diese „andere Perspektive" ist umso notwendiger, als bei der Besetzung der VWL-Lehrstühle in Deutschland mittlerweile eine geistige Uniformität eingezogen ist, die ein Herr Honecker auch per Dekret niemals hätte erreichen können und die ihn wahrscheinlich auch vor lauter Neid hätte erblassen lassen. Die VWL hat einen Konsens erreicht, der manchmal den Eindruck vermittelt, dass sie am Endpunkt der Erkenntnis angelangt und im Besitz der endgültigen Wahrheit ist. Entsprechend gebärden sich auch viele Ordinarien. In anderen Ländern ist das Spektrum der Meinungen zumeist wesentlich bunter als in Deutschland. Doch auch wenn hierzulande noch so viele ökonomischen „Experten" nahezu unisono Generationen von Studierenden wieder und wieder apodiktisch verkünden, dass die Erde eine Scheibe sei, um die sich die Sonne dreht, wird diese Behauptung durch die permanente Wiederholung nicht wahrer. Die Fakten stoßen sich an der ökonomischen Theorie. M.E. ist kein Fach so hochgradig ideologisiert wie die Wirtschafts„wissenschaft", die zu einer Kunst der Rechtfertigung von Privilegien verkommen ist. Der Verfasser ist überzeugt davon, dass künftige Generationen auf die heute verbreiteten ökonomischen Lehren einmal genauso zurückblicken werden wie wir auf das Mittelalter, als – auch von durchaus nicht dummen Leuten – die Erde als die schon erwähnte Scheibe verkauft wurde und man Herrschaft aus dem Gottesgnadentum heraus legitimierte. Wer mir vorwirft, dieses Buch sei tendenziös, hat Recht. Er sollte allerdings nicht vergessen, denselben Vorwurf auch der Orthodoxie zu machen. Werturteile sind unvermeidlich. Anders als in den meisten Büchern der Orthodoxie werden jedoch die hier zugrundegelegten Werturteile dem Leser nicht einfach untergeschoben, sondern explizit gemacht.






Das vorliegende Buch knüpft mit seinem Titel an das immer noch aktuelle Werk von Herbert Gruhl, „Ein Planet wird geplündert " an. Mit der kritischen Betrachtung von Institutionen geht es jedoch über die Perspektive Gruhls hinaus. Es bleibt allerdings nicht bei den Institutionen stehen: Das Thema „Zerstörung der Natur" betrifft auch Kultur und Religion. Der Verfasser dieses Buches ist kein Christ. Dennoch wäre es eine Unterlassung, nicht auf die religiös-kulturellen Wurzeln der Ökologie zu verweisen, die sich für den abendländischen Kulturkreis durchaus in der Bibel (v.a. in den fünf Büchern Mose bzw. in der Torah) finden lassen. Beispielsweise wurde hier durch detaillierte Landnutzungs- und Bewirtschaftungsregeln darauf geachtet, dass die Felder nicht ausgelaugt wurden und sich regenerieren konnten; die Speisegesetze zielten darauf ab, das Ökosystem möglichst intakt zu halten; Wälder wurden verschont und durften selbst im Krieg nicht abgeholzt werden etc. etc. Hüttermann/Hüttermann betonen, dass bislang alle Völker, die an die Grenzen ihrer Ressourcen stießen, untergegangen sind. Für die Juden trifft dies nicht zu, obwohl nicht nur ihre „geostrategische" Lage äußerst ungünstig, sondern auch die Ausstattung mit Ressourcen sehr dürftig war – eigentlich war das Volk Israel zum Aussterben geradezu prädestiniert. Nach Hüttermann/Hüttermann konnte das Volk Israel nur „durchhalten", weil sie mit ihren z.T. strengen Regeln eine nachhaltige Volkswirtschaft konstituierten – wahrscheinlich die bislang einzige ihrer Art. Diese – m.E. gut belegte – These verdient mehr Beachtung, als ihr bislang zuteil geworden ist. Nachhaltigkeit und seine alttestamentarischen Wurzeln – ein weiterer Faden, der das vorliegende Werk durchzieht. Ein großer Teil des Wissens um das nachhaltige Wirtschaften ging allerdings zwischenzeitig verloren. Beispiel Landwirtschaft: Weil die Juden in der Diaspora keine Landwirtschaft betrieben und es jüdische Bauern erst wieder Ende des 19. Jahrhunderts gab, verloren die entsprechenden Vorschriften für die Juden ihre Bedeutung. Ähnliches galt für die Christen, die sich ohnehin stärker auf das Neue Testament mit seinem – insoweit gänzlich anderen Charakter – stützten: „Die christliche Religion hatte (..) dem Geist der Aufklärung nichts entgegenzusetzen, der, wie Francis Bacon, die Natur als Hexe betrachtete, der ihre Geheimnisse mit Gewalt zu entreißen seien. Damit war die Natur zur Plünderung freigegeben.“ Also: „Macht euch die Erde untertan", so wie man es heutzutage gemeinhin versteht. Effiziente Naturbeherrschung also anstatt „Sustained livelihood".






Der Verfasser neigt also dazu, das „Nachhaltigkeitsdreieck" um die kulturelle Dimension zu einem „Nachhaltigkeitsviereck" zu ergänzen.






Das vorliegende Buch möchte – wie gesagt – eine andere Perspektive vermitteln. Es geht darum, Zweifel an überkommenen Paradigmen zu wecken. Es ist auch, aber nicht nur ein Lehrbuch. Sapere aude: Der Leser soll angehalten werden, sich ihres/seines eigenen Verstandes zu bedienen. Dementsprechend ist nicht beabsichtigt, die bereits bekannten umweltökonomischen Konzepte zum 1036sten Male in epischer Breite wiederzukäuen. Auch das Aufschichten mathematischer Berge, die dann am Schluss Mäuse gebären, überlasse ich denjenigen, die – am Ende der Sackgasse ihres Faches angekommen – nichts Sinnvolleres mehr mit sich und ihrer Zeit anzufangen wissen. Allerdings können die tradierten Konzepte nicht völlig außen vor gelassen werden. Sofern sie zum paradigmatischen Kern der Orthodoxie gehören, sollten sie bekannt sein. Kritik an etwas, was man nicht durchdrungen hat, war ein Markenzeichen vieler extremer Linksausleger nicht erst seit 1968. Die betreffenden Konzepte werden u.a. in Kästen mit der Kennzeichnung „Hinweis" beschrieben. Diejenigen Leser, denen die betreffenden Konzepte bekannt sind, mögen diese Hinweise einfach überspringen. Die anderen sollten sich der knappen Darstellung bewusst sein und angeregt werden, die Konzepte möglicherweise unter Heranziehung weiterer Lehrbücher zu vertiefen.






Das vorliegende Buch gliedert sich folgendermaßen: Im ersten Teil wird Umweltpolitik als Ordnungspolitik betrachtet. Es wird die Struktur des Ausbeutungsmechanismus an Natur und Mensch aufgezeigt. Es werden Analysen getroffen und ordnungspolitische Grundsätze entwickelt. Im ersten Teil werden zwei Strömungen charakterisiert: Einmal die Property-rights-Theorie, welche den Gedanken der Einfriedung immer weiter vorantreiben will, und eine Gegenströmung, der ich – mangels bisheriger Bestimmtheit der Negation – einstweilen noch keine Bezeichnung geben will. Beide wollen Änderungen an den vorhandenen Institutionen bzw. der Art und Weise vornehmen, wie die Eigentumsrechte verteilt sind. Die Orthodoxie legitimiert ihre Vorschläge mit Effizienzüberlegungen. Dieses Primat der Effizienz wird im Grundsatz hinterfragt. Schließlich wird der theoretische Rahmen anhand von Feldstudien illustriert. In diesem Zusammenhang wird die Analyse u.a. um solche natürlichen Monopole erweitert, die auch umweltpolitische Relevanz haben.






Der zweite Teil führt ausdrücklich den Faktor Zeit ein und betrachtet die angesprochene Problematik prozesshaft, von der Wiege bis zur Bahre. Die Wiege (z.B. der Acker) und die Bahre (z.B. die Deponie) sind grundsätzlich schwer vermehrbar und der „Schöpfungssphäre" zuzuordnen. Die These ist, dass die Gemeinschaft diese beiden Enden des Wirtschaftsprozesses fest in der Hand halten muss. Dann kann sie alles, was dazwischen liegt (die Sphäre der Produktion) frei laufen lassen. Damit setzt sich das vorliegende Buch wiederum von geläufigen Ansätzen wie dem Stoffstrommanagement ab, die genau die Sphäre der Produktion beeinflussen wollen und gerade auf eine Kontrolle der „Enden" verzichten. Es wird ausführlich die Auswirkung des Zinses auf die Ausbeutungspfade von nicht regenerierbaren und regenerierbaren Ressourcen diskutiert. Schließlich wird dargestellt, warum der Zins uns nicht erlaubt, in eine nachhaltige, wachstumsfreie Wirtschaft umzusteuern. Auswege werden aufgezeigt, die im alternativen Spektrum breit diskutiert werden, allerdings in der orthodoxen Literatur nicht zu finden sind.






Im dritten Teil werden prominente umweltpolitische Instrumente analysiert, mit denen ein ordnungspolitischer Anspruch nicht einhergeht. Dieser Ansatz ist in dem Sinne strukturkonservativ, als dass Änderungen an der Zuteilung der Eigentumsrechte möglichst vermieden werden soll.






Der vierte Teil stellt eine Zusammenfassung dar und bietet Schlussfolgerungen.






Die aufgestellte Analyse und die sich daraus ergebenden Forderungen sind teilweise „radikal". Viele der dargestellten Konzepte basieren auf den Ideen der Geld- und Bodenreformer, allen voran Silvio Gesell. Diesem m.E. verkannten, aber dennoch bedeutendsten Ökonomen der Neuzeit ist das vorliegende Buch gewidmet. Vom etymologischen Gehalt her bedeutet „radikal", an die Wurzeln zu gehen, Sachverhalte konsequent zu durchdenken (nicht etwa Bomben zu basteln u. dgl.). Der Verfasser ist sich im Klaren darüber, dass die aus dieser Analyse heraus entwickelten Lösungsvorschläge kaum Chancen auf politische Verwirklichung haben. Dennoch muss es erlaubt sein, konzeptionelle Leitideen zu skizzieren, damit die Diskussion wie auch der politische Prozess ein Mindestmaß an Orientierung bekommt. Es ist kein Ruhmesblatt für die Wissenschaft, wenn sie sich in den Sumpf des üblichen politischen „Durchwurschtelns" hineinziehen lässt. Der notwendige Reformprozess, der realiter nicht anders als schrittweise stattfinden kann, bekommt so keine Richtung.






Denjenigen Studierenden, die bei anderen Dozenten hören, rate ich an, diesen Gegenentwurf – selbst wenn er ihnen noch so logisch erscheinen mag – während ihrer Klausur wieder zu vergessen und auch bei einer eventuellen Bachelor-, Master- oder Doktorarbeit allenfalls zu verreißen (dies mag sich zynisch anhören, doch weiß ich, wovon ich rede). Wer dies nicht über sich bringt, möge ihn am besten nicht erwähnen bzw. sich ein irrelevantes Thema für seine wissenschaftliche Abschlussarbeit suchen. Wer nämlich das Paradigma verlässt, eignet sich nicht gut für eine Initialisierung durch die „Scientific community". Möglicherweise erinnert sich aber die/der eine oder andere Studierende daran, dass es noch andere Auffassungen gibt, wenn sie/er in der „Scientific community" angekommen und etabliert ist.






Mein Dank gilt schließlich insbesondere Herrn Fritz Andres, ohne dessen Anregungen das Buch in dieser Form nicht entstanden wäre, Herrn David Fiedler für die Korrekturvorschläge und Frau Katja Therre für die technische Unterstützung.






Dirk Löhr, Februar 2008