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Humberto R. Maturana / Francisco J. Varela
Der Baum der Erkenntnis

Wie wir die Welt durch unsere Wahrnehmung erschaffen – die biologischen Wurzeln des menschlichen Erkennens


Bern München Wien 1987 (Scherz); 280 Seiten; ISBN 3-502-19446-7








Wie zu Anfang unseres Jahrhunderts in der Physik vollzieht sich heute in der Biologie eine naturwissenschaftliche Revolution. Maßgeblichen Anteil daran haben die Neurobiologen Humberto Maturana und Francisco Varela.

Sie stellen hier erstmals in allgemeinverständlicher Form ihr Systembild der elementaren Lebensvorgänge sowie der Prozesse dar, durch die wir zu Wissen bzw. Erkenntnis gelangen. Durch dieses Systembild wird nicht nur das Weltbild der Biologie, sondern auch unser tradiertes Weltverständnis umgewälzt.

Diese Darstellung der Neuen Biologie – die Biologie lebender Systeme vom Einzeller bis zur menschlichen Gesellschaft – läßt uns erkennen, daß Kooperation und Toleranz, nicht Konkurrenz und das „Gesetz des Dschungels“, die Grundlage aller Lebensvorgänge sind.

Die Welt, in der wir leben, ist eine Welt, die wir im Prozess des Erkennens gemeinsam erschaffen. Es liegt an uns, ob wir die in unserem biologischen Erbe angelegten Gesetze des Lebens erkennen und danach handeln oder ob wir sie verkennen und die Grundlagen unseres Lebens und unserer Menschlichkeit damit zerstören. (Klappentext)


Humberto Maturana


geboren am 14. September 1928 in Santiago de Chile) ist ein chilenischer Biologe und Philosoph mit dem Schwerpunkt Neurobiologie.




Francisco Varela


geboren am 7. September 1946 in Santiago de Chile, † 28. Mai 2001 in Paris, war ein chilenischer Biologe, Philosoph und Neurowissenschaftler, der zusammen mit Humberto Maturana vor allem für die Prägung des Begriffs Autopoiese bekannt wurde.


Inhaltsverzeichnis


Vorwort der Autoren
Vorwort des Übersetzers






1. Das Erkennen erkennen



2. Die Organisation des Lebendigen



3. Geschichte: Fortpflanzung und Vererbung



4. Das Leben der „Metazeller“



5. Das natürliche Driften der Lebewesen



6. Verhaltensbereiche



7. Nervensystem und Erkenntnis



8. Die sozialen Phänomene



9. Sprachliche Bereiche und menschliches Bewußtsein



10. Der Baum der Erkenntnis






Glossar, Quellen der Abbildungen, Sachregister


Leseprobe


Vorwort der Autoren (geringfügig gekürzt und ohne Fußnoten)






Das Buch, das der Leser jetzt in Händen hält, ist nicht nur eine weitere unter vielen Einführungen in die Biologie der Erkenntnis. Es ist ein vollständiger Entwurf für einen alternativen Ansatz zum Verständnis der biologischen Wurzeln des Verstehens. Wir wollen den Leser gleich zu Beginn warnen: Die Vorstellungen, die ihm hier präsentiert werden, stimmen wahrscheinlich nicht mit denen überein, an die er gewöhnt ist. Wir werden nämlich eine Sicht vortragen, die das Erkennen nicht als eine Repräsentation der „Welt da draußen“ versteht, sondern als ein andauerndes Hervorbringen einer Welt durch den Prozeß des Lebens selbst.

Um dieses Ziel zu erreichen, werden wir einer an streng logischem Vorgehen orientierten Route der Entwicklung von Konzepten und Ideen folgen, auf der jedes Konzept auf vorangegangenen Konzepten aufbaut, bis das Ganze zu einem unzerteilbaren Netzwerk geworden ist. Es ist deshalb nicht empfehlenswert, dieses Buch flüchtig und „diagonal“ zu lesen. Als Ausgleich für die vom Leser erwartete Anstrengung haben wir das Buch durch zahlreiche Illustrationen aufgelockert – auch, weil wir immer wieder die alte Erfahrung bestätigt gefunden haben, daß ein Bild oft mehr sagt als tausend Worte. Außerdem haben wir die zentralenBegriffe in ein „vernetztes“ Diagramm eingeschrieben, das die Route unserer Entdeckungsreise darstellt. Dieses Diagramm und die außerhalb des laufenden Textes gestellten Zusammenfassungen der wichtigsten Gedanken und Konzepte werden es dem Leser erleichtern, sich vor Augen zu führen, bei welcher Station unserer Reise er gerade angelangt ist.

Dieses Buch entstand auf Grund besonderer Umstände: Im Jahre 1980 bemühte sich die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) aktiv um ein Verständnis der vielen Schwierigkeiten, denen sie in Fragen der sozialen Kommunikation und des Transfers von Wissen begegnete. Rolf Behncke, ein Mitarbeiter von ODEPLAN (dem Planungsministerium der chilenischen Regierung), hielt es in diesem Zusammenhang für wichtig, die Mitglieder der OAS mit unserem Ansatz vertraut zu machen – in Form einer kohärenten Darstellung der Grundlagen der Kommunikation als der biologischen Existenz des Menschen. Die OAS griff diesen Vorschlag auf und machte einen entsprechenden Vertrag mit den Autoren. Das Projekt begann im September 1980 mit einer Serie von Vorträgen, die wir abwechselnd einem Publikum vortrugen, das weitgehend aus Sozialarbeitern und Managern bestand.

Diese Vorlesungen wurden in den folgenden Jahren transkribiert, gründlich überarbeitet und 1984 als Privatdruck der OAS zur lnformation ihrer Mitglieder in Buchform herausgegeben. Für die vorliegende Ausgabe wurde dieser Text noch einmal korrigiert und in Einzelheiten erweitert. Wir sind der OAS dankbar für ihr Interesse, ihre finanzielle Unterstützung und die Erlaubnis, dieses Buch nun weltweit zu publizieren. (…)

Ein Wort über die Geschichte der Ideen, die hier präsentiert werden, ist ebenfalls am Platz: Sie lassen sich bis auf das Jahr 1960 zurückverfolgen, als Humberto Maturana begann, von der gewohnten biologischen Tradition abzuweichen. Er versuchte nämlich, lebende Systeme als den Prozeß zu verstehen, der diese verwirklicht, und sie nicht durch die Beziehung zu ihrer Umwelt zu erklären. Dieser Ansatz beschäftigte ihn während des folgenden Jahrzehnts und fand 1969 seinen ersten klaren Ausdruck in dem Artikel „The neurophysiology of cognition“, in dem einige seiner zentralen Vorstellungen über die zirkuläre Organisation lebender Systeme und das nicht-repräsentationale Funktionieren des Nervensystems dargelegt wurden. Mitte der sechziger Jahre studierte Francisco Varela bei Humberto Maturana, und seit den siebziger Jahren arbeiten wir beide als Kollegen an der Universität von Chile zusammen. Wir arbeiteten weiter an einer Neuformulierung der biologischen Phänomenologie, was in einem 1973 veröffentlichten Buch über „Autopoiesis und die Organisation des Lebendigen“ seinen Niederschlag fand. Diese beiden grundlegenden Arbeiten sind heute in dem Buch Autopoiesis and Cognition vereinigt.

Die politischen Ereignisse in Chile 1973 veranlaßten uns beide dazu, unsere Forschungsarbeit an weit entfernten Orten und jeder auf seine Weise fortzusetzen, wobei neue theoretische und experimentelle Gebiete erschlossen wurden. Erst 1980, als die Umstände es wieder möglich machten, nahmen wir unsere Zusammenarbeit in Santiago de Chile wieder auf. Das vorliegende Buch vereint die Ideen, die wir beide einzeln oder zusammen während all dieser Jahre entwickelt haben. Es ist in unseren Augen eine neue, nachvollziehbare Synthese von Anschauungen über das Leben und das Bewußtsein, die wir teilen und die von ersten Intuitionen Humberto Maturanas vor gut 25 Jahren ihren Ausgang nahmen.

In erster Linie ist dieses Buch jedoch eine Einladung an den Leser/die Leserin, seine/ihre gewohnten Gewißheiten loszulassen und so zu einer anderen Sichtweise dessen zu gelangen, was das Menschliche ausmacht.

Humberto Maturana und
Francisco Varela,
Frühjahr 1987








Siehe auch


Wikipedia-Artikel zu dem Buch: wikipedia.org/wiki/Der_Baum_der_Erkenntnis