langelieder > Bücherliste > Mayer 1999




Lothar Mayer
Ausstieg aus dem Crash

Entwurf einer Ökonomie jenseits von Wachstum und Umweltzerstörung


Oberursel 1999 (Publik-Forum); 384 Seiten; ISBN 3-88095-093-8






Die sozialen Bewegungen des 19. Jahrhunderts, die Sozialdemokratie und die Androhung einer Weltrevolution in Gestalt des real existierenden Sozialismus haben etwas hervorgebracht, was Marx gewiß nicht zufriedengestellt, aber doch seiner Kapitalismuskritik zum Teil den Boden entzogen hätte: den rheinischen Kapitalismus, das sozialdemokratische Jahrhundert, die soziale Marktwirtschaft – also eine sozial gezähmte Form des Kapitalismus, die uns heute, zurückblickend aus der kalten Klimazone des Wirtschaftsliberalismus, schon fast wie ein verlorenes Paradies vorkommt. Es könnte also scheinen, als gäbe es eine Form des Kapitalismus, mit der es sich leben läßt – wenn wir sie nur wieder erreichen könnten.

Aber am Ende des 20. Jahrhunderts ist klar, daß dies eine Illusion ist und daß Marx die weltgeschichtliche Rolle des Kapitalismus nur hinsichflich seiner menschlichen und gesellschaftlichen Bösartigkeit in den Blick bekommen hat und in den Blick bekommen konnte. Ein sozial gezähmter Kapitalismus konnte den Massenwohlstand der Industrieländer hervorbringen. Aber die übrigen vier Fünftel der Menschheit müssen draußen bleiben. Die natürlichen Lebensgrundlagen des Planeten vertragen nicht einmal den Wohlstand der Reichen, geschweige denn seine Ausdehnung auf die gesamte Menschheit.

Die erste, gesellschaftliche und geschichtsphilosophische Hälfte der Kapilalismuskritik ist also geschrieben, die zweite, thermodynamische und evolulionsbiologische bleibt zu schreiben. Das vorliegende Buch ist ein bescheidetter Versuch, zu diesem Projekt einige Bausteine und Skizzen beizutragen. (Prolog)


Lothar Mayer


arbeitete seit seinem Studium in Saarbrücken und München als Simultandolmetscher bei internationalen Organisationen, Konferenzen und Konzernen; seit den 70er Jahren engagierte er sich in der Umweltbewegung. Der Konflikt, der sich zwischen diesen beiden Welten aufbaute, fand seinen Ausdruck in einer ersten kritischen Analyse des Kapitalismus als Hauptverursacher der Naturzerstörung: Ein System siegt sich zu Tode (1992).


Inhaltsverzeichnis


Prolog






1

Geld frißt Leben



1.1

Einleitung



1.2

Geldvermehrungswirtschaft verdrängt Versorgungswirtschaft



1.3

Selbstorganisation



1.3.1
1.3.2
1.3.3
1.3.4

Dissipation
Abgrenzung
Autopoiese und Kohärenz
Strukturelle Koppelung



1.4

Die ökologische Steuerreform: Läßt sich das System zähmen?



1.5

Globalisierung – Krönung der kapitalistischen Durchdringung der Welt







2

Exkurs: Selbstorganisation



2.1

Begriffe



2.2

Selbstorganisation in der Natur



2.2.1
2.2.2
2.2.3
2.2.4

Selektive Offenheit oder Abschluß
Dissipation
Autopoiese
Strukturelle Kopplung



2.3

Kapitalistische Marktwirtschaft als selbstorganisierendes System



2.3.1
2.3.2
2.3.3
2.3.4

Abschließung
Dissipative Struktur
Autopoiese
Strukturelle Kopplung: Die Wahrnehmung des Systems und seine Wechselwirkung mit der Umwelt



2.4

Zusammenfassung







3

Das Triebwerk des Kapitalismus



3.1

Zusammenfassung







4

Exkurs über die Bedürfnisse



4.1

Grundbedürfnisse und andere Bedürfnisse



4.2

Bedürfnisse als ultimative Ressource der kapitalistischen Marktwirtschaft



4.3

Der Konsument als Senke des Systems



4.4

Die Konsumentenklasse



4.5

Die Dealer



4.6

Zusammenfassung von Kapitel 3 und 4







5

Die ressourcenbegrenzte Wirtschaft



5.1

CO2-Emissionen als konkrete Übersetzung des Nachhaltigkeitsziels



5.2

Nachhaltiges Wirtschaften durch ökologische Steuerreform?



5.2.1
5.2.2
5.2.3
5.2.4

Mittel- und langfristiger Strukturwandel
Ökosteuern
Geld
Dematerialisierung



5.3

Wie würde eine CO2-Wirtschaft in der Praxis funktionieren?



5.4

Eigentum, Investitionen, Kapitalbildung



5.5

Der Markt und die Rolle des Konsumenten



5.6

Noch Fragen?



5.7

Zurück in die Steinzeit?



5.7.1
5.7.2
5.7.3
5.7.4
5.7.5

Wohnen
Ernährung
Verkehr
Privater Konsum
Öffentlicher Konsum



5.8

Notbremse



5.9

Eine Kultur der emanzipativen Selbstbegrenzung



5.10

Zusammenfassung







6

Der Naturvertrag



6.1

Die Ökonomie der Natur und die Wirtschaftlichkeit der Wirtschaft



6.1.
6.1.
6.1.
6.1.
6.1.

Die Ökonomie der Natur
Die Ökonomie der Agrargesellschaft
Die industrielle Revolution im engeren Sinn
Die kapitalistische Marktwirtschaft
Der Industriekapitalismus als „Kulturstufe“



6.2

Weltverhältnis



6.2.1
6.2.2

Kultivieren
Kolonisieren



6.3

Von der vorindustriellen zur nachindustriellen Solarwirtschaft



6.3.
6.3.
6.3.
6.3.

Vorindustrielle Solarwirtschaft
Nachindustrielle Solarwirtschaft
Ressourcenschonende Konsummuster
Zurück in den Schoß der Natur



6.4

Zusammenfassung







7

Der Völkervertrag



7.1

Ressourcenbegrenzung des Nordens – Modernisierung des Südens



7.1.1
7.1.2

Primat der Verwertung
Gundbedürfnisstrategie



7.2

Umkehr des Zerstörungsprozesses



7.3

Naturverträgliche Technologien



7.4

Besonders gefährdete Bereiche



7.5

Weltinnenpolitik“ (E. U. von Weizsäcker)



7.5.1
7.5.2

Internationale Kontrolle
„Global Governance“



7.6

Zusammenfassung







8.

Zurück in die Zukunft



8.1

Weiter so bis zum Crash: Was passiert, wenn nichts passiert



8.2

Ausstieg aus dem Crash: Einstieg in die nachindustrielle Solarwirtschaft



8.3

Alles utopisch?






LESEBUCH (Seite 239-366)






Zu Kapitel 1 – Geld frißt Leben



Die Verdrängung der Versorgungswirtschaft durch die Geldvermehrungswirtschaft • Die kommerzielle Verschiebung • Der ökologische Umbau der Industriegesellschaft • Externe Kosten, Internalisierung






Zu Kapitel 2 – Exkurs: Selbstorganisation



Thermodynamik: Offene und geschlossene Systeme • Syntropie (= negative Entropie) • Autopoiese: Take-off • Selbstläufer, Eigendynamik der Selbstorganisation






Zu Kapitel 3 – Das Triebwerk des Kapitalismus



Geld • Geldschöpfung • Monetäre Wertschöpfung – ein Vergleich • Kreislaufwirtschaft • Verwertung: Die Aneignung des Genoms • Verwertungshelfer • Local Exchange and Trading Systems – LETS • Die Grameen-Bank • Kohärenz vorwärts und rückwärts • Klemme • Wirtschaftlich/unwirtschaftlich






Zu Kapitel 4 – Exkurs über die Bedürfnisse



Arbeit für das nächste Jahrhundert: Geld, Kredit, Investitionen, Eigentum






Zu Kapitel 5 – Die ressourcenbegrenzte Wirtschaft



Kohlenstoffkreislauf • CO2-Systembetrachtung • CO2-Budget konkret • Die 1,5-Kilowatt-Gesellschaft • Von der CO2-Währung zur Syntropiewährung • Bewertungsmethoden und Steuerungswirkung einer Syntropiewährung • Nachhaltigkeitstest • Aneignung und Ausschließung • Privateigentum und Demokratieverständnis • Privateigentum in einer ressourcenbegrenztenÖkonomie • Die Tragödie der Allmende • Halbzeit






Zu Kapitel 6 – Der Naturvertrag



Eine begrenzte Welt • Reproduktive Arbeit • Nachhaltige Landwirtschaft • Die Energienutzung in der vorindustriellen Solarwirtschaft • IPAT-Formel • Malthus 2000 • Der ökologische Fußabdruck • Global Commons, Erbe der Menschheit • Entwicklungsschuld des Nordens







Literaturverzeichnis, Zeitschriften, Zeitungen, Vorträge
Stichwortverzeichnis, Danksagung


Leseprobe


siehe auch: www.ausstieg-aus-dem-crash.de






Aus: Zurück in die Zukunft











Diese beiden Generationen stehen vor der Herausforderung, die wesentlichen Entwicklungslinien der menschlichen Entwicklung vollkommen umzukehren, Jahrtausende alte Gewißheiten abzulösen, ja geradezu in ihrer Wirkungsrichtung umzukehren. Sie müssen die Welt in eine völlig neue Richtung führen, weg von einem seit Jahrtausenen wirksamen Wachstumspfad – bezüglich Menschen, Gütern und Geschwindigkeit – hin zu einer globalen Stabilisierung. Entweder dies gelingt diesen zwei Generationen, oder aber das Gesamtsystem gerät in eine furchtbare Katastrophe. Es wird jetzt niemanden mehr überraschen, daß wir zu den zwei Generationen gehören, die diese Aufgabe werden bewältigen müssen. Ein Ausweichen ist nicht mehr möglich. (Franz Josef Radermacher)











ln den vorangegangenen Kapiteln werden zwei Hoffnungen oder Versprechungen artikuliert, die der Menschheit ein Überleben auf einer lebenswerten Erde in Aussicht stellen, an die aber viele Menschen nicht mehr glauben können. Dies sind die Stabilität der Biosphäre, die mit einer ressourcenbegrenzten Wirtschaft erhalten werden könnte, also die Fähigkeit des ungeheuer komplexen Ökosystems Erde, Störungen und Veränderungen zu absorbieren, ohne dabei seine dynamische Gleichgewichtslage wesentlich zu verändern, und die natürliche Dynamik der Bevölkerungsentwicklung. Diese Versprechungen sind allerdings an Bedingungen geknüpft, so daß wir bildhaft von einem Bund oder einem Pakt der Menschheit mit der Natur sprechen könnten.

Die Warnung, die Franz Josef Radermacher ausspricht, hat gute Gründe. Die beiden Hoffnungen oder Versprechungen sind nicht unbegrenzt haltbar.

Die Bevölkerungsdynamik hat sehr wohl ihre Eigengesetzlichkeit. Das Wachstum wird auch ohne unser Zutun bei 20 oder 25 Milliarden Menschen zum Stehen kommen. (In ihrem pessimistischen Szenario rechnete die UNO 1994 mit einer Weltbevölkerung von 28 Milliarden im Jahre 2150). Aber ob sich die Bevölkerung bis zum Jahre 2100 bis auf 20 Milliarden vermehrt oder ob sich ihre Vermehrung schnell weiter abflacht, irgendwo zwischen zwölf und fünfzehn Milliarden ihren Höhepunkt überschreitet und dann langsam zurückgeht – diese Alternativen übersetzen sich nicht einfach in 50 Prozent mehr oder weniger Überlastung der Tragfähigkeit der Erde. Die Alternative unhebremstes Wachstum bedeutet, daß die Übernutzung und Zerstörung der Lebenserhaltungssysteme allein aufgrund des Bevölkerungswachstums noch 50 Jahre lang weitergeht mit der Konsequenz, daß alle zusammenhängenden Waldgebiete der Tropen so zerstört sind, daß sie sich nicht mehr regenerieren können, daß also anstelle der grünen Lunge ein breiter Wüstengürtel die Erde umgibt; die Bodenerosion hat dann ein weiteres Viertel, vielleicht schon mehr als die Hälfte des fruchtbaren Bodens zerstört; die Ausbreitung der Wüsten führt zu Klimaveränderungen, die die Wüstenbildung verstärken; die Meere sind leergefischt weit über den Punkt hinaus, an dem sich Fischbestände innerhalb überschaubarer Zeiträume erholen können; der CO2-Anstieg in der Atmosphäre stößt Veränderungen im Klima, in der Vegetation, in den Meeresströmungen an, die die Lebensbedingungen auf der Erde einschneidend verändern.

Von der Biosphäre und der komplexen Vernetzung ihrer komplexen Subsysteme wissen wir viel zuwenig, lächerlich wenig, um genau bestimmen zu können, wann der Riß in diesem Netz so groß wird, daß das Gesamtsystem nicht mehr in seinen ursprünglichen dynamischen Zustand zurück-, sondern in einen anderen Systemzustand überspringen wird. Wie dieser Systemzustand aussehen wird, kann niemand auch nur annähernd vorhersagen. Nur eines läßt sich unzweifelhaft feststellen: Er wird für niedere Organismen wie Bakterien, Hefen und Pilze und vielleicht auch für manche Insektenarten sehr viel leichter zu ertragen sein als für höhere Säugetiere, geschweige denn für Menschen.

Gibt es noch eine Chance für einen Ausstieg aus dem Crash? Die Antwort ist: Ja, unter ganz klaren Bedingungen (damit werden die Vorstellungen, die in den Kapiteln 3 und 5 entwickelt wurden, und die Forderungen, die sich daraus ergeben, schlagwortartig zusammengefaßt):

1. Begrenzung des Syntropieverbrauchs der Menschheit auf ein Budget, das mit der Erhaltung der Tragfähigkeit der Biosphäre vereinbar ist; d. h. leichte Anhebung des Verbrauchsniveaus in vielen Ländern der Dritten Welt und Reduzierung in den Industrieländern auf ein Drittel des derzeitigen Standes (das Element A = affluence/Wohlstand in der lPAT-Gleichung, s. u.).

2. Schaffung der Bedingungen, die den demographischen Übergang zu einer stabilen Weltbevölkerung fördern.

Der Pakt mit der Natur, der auf die Erfüllung der ersten Bedingung gerichtet ist, muß ergänzt werden durch einen Völkervertrag, der die Voraussetzungen für die Erfüllung der zweiten Bedingung schafft (s. Kap. 7).

Wenn die zurückgebliebenen Länder auf eine Stabilisierung der Bevölkerung einschwenken sollen (Faktor P), muß ihnen die Erreichung eines Wohlstandsniveaus ermöglicht werden, das – mit einer ausreichenden Sicherheitsmarge – die Erfüllung der Grundbedürfnisse und ein bescheidenes Maß an Komfort gewährleistet (s. o. Punkt 2). Voraussetzung dafür ist die entschlossene Hilfe der Industrieländer bei der Schaffung zivilgesellschaftlicher Strukturen; ein Schuldenerlaß, der an die Bedingung geknüpft ist, daß die erlassenen Gelder für soziale und ökologische Zwecke verwendet werden; die Hilfe bei der Schaffung der Möglichkeiten der Familienplanung, zu der sich die Industrieländer bei der Bevölkerungskonferenz von Kairo verpflichtet haben; Hilfe bei der Einführung der besten und bestangepaßten Techniken zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Absorptions- und Regenerationsfähigkeit der Lebenserhaltungssysteme (dazu gehören ökologische Landwirtschaft, nachhaltige Forstwirtschaft, wassersparende und bodenschonende Bewässerungsmethoden, Nutzung der Solarenergie, Förderung der self-reliance [s. Harborth 1991]).

Die Selbstbegrenzung der Industrieländer (Faktor A) ist eine weitere notwendige Voraussetzung für die Wohlstandssteigerung in den Entwicklungsländern – sie macht den dafür erforderlichen Umweltraum frei. Das ressourcenbegrenzte Wirtschaften schafft auch eine dritte notwendige Voraussetzung: ein globalisierbares und zukunftsfähiges Modernisierungsmodell (Faktor T).

Die Hoffnung, von der ich spreche, ist also kein vages Gefühl, kein wolkiger Wunschtraum, sondern ein ganz konkretes Szenario, dessen Verwirklichungschancen durchaus realistisch sind, wenn wir die daftir notwendigen Bedingungen schaffen. Dieses Szenario antwortet auf die Frage: Wie könnte die Welt im Fall einer bewußt auf Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit gerichteten Entwicklung im Jahre 2025 aussehen? Bevor ich es ausmale, skizziere ich das Gegenszenario, die Welt, auf die wir uns einrichten müssen, wenn wir den Dingen ihren jetzigen verhängnisvollen Lauf lassen. Ein apokalyptisches Horrorgemälde? Nein – es geht darum, wie Klaus Töpfer in einem Fernsehgespräch sagte, „klar zu machen, was passiert, wenn nichts passiert“.











IPAT-Gleichung: I = P · A · T
Impact = Population · Affluence · Technology
(Umweltauswirkung = Bevölkerung · materieller Wohlstand · Technik)






Siehe auch:


Lothar Mayer: Ein System siegt sich zu Tode – Der Kapitalismus frißt seine Kinder (1992)



Lothar Mayer: Die CO2-Bremse – Mit dem Emissionsbudget gegen den Klima-Crash (2019)