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Die Natur, so hat
es für uns den Anschein, währt ewig, sie bewegt sich
mit unendlicher Langsamkeit durch die vielen Perioden ihrer
Geschichte, Zeiträume, deren Bezeichnungen wir nur
undeutlich erinnern, wenn wir an den Biologieunterricht
zurückdenken: Devon, Trias, Kreidezeit und Diluvium. (…)
Man hat uns erklärt, die Menschheitsgeschichte sei wie eine
Minute, wenn man die Geschichte der Erde als einen Tag messe,
doch ist es dieser langwährende Tag, der uns im Gedächtnis
haften geblieben ist. (…) Da selbst die Zeitspanne von
einer Million Jahren schier unermesslich ist, schließen wir
daraus: Nichts verändert sich innerhalb kurzer Zeit.
Veränderungen brauchen eine unvorstellbar lange – eine
„geologische“ – Zeitspanne.
Dieser
Vorstellung von Zeit liegt ein großes Mißverständnis
zugrunde. (…) Die beruhigende Vorstellung von einer
ewigwährenden Zukunft, die wir aus dem scheinbar bodenlosen
Brunnen der Vergangenheit schöpfen, ist eine Täuschung.
Die Evolution, die seit jeher so langsam und allmählich
gewirkt hat, benötigte zwar Milliarden Jahre, um uns aus dem
Urschleim zu schaffen, aber das heißt noch nicht, dass die
Zeit immer so schwerfällig voranschreitet. Manche Ereignisse
– gewaltige Ereignisse – können sehr schnell
eintreten. (…)
In fast derselben tröstlichen
Weise, in der wir uns die Zeit als unermesslich vorstellen,
halten wir die Erde für unvorstellbar groß. (…)
Für jeden von uns ist die Welt riesig, „für
unsere Sinne unendlich“. (…)
Unsere
beruhigende Vorstellung von der Dauerhaftigkeit unserer
natürlichen Umgebung, unser Vertrauen darauf, daß sie
sich allenfalls äußerst langsam und kaum wahrnehmbar
verändert, ist also das Ergebnis einer unbewusst verzerrten
Wahrnehmung. Es ist durchaus möglich, daß noch zu
unseren Lebzeiten in unserer Welt Veränderungen eintreten,
die sich auf uns auswirken – ich meine nicht Kriege,
sondern gewaltigere und folgenreichere Ereignisse. Ich bin
überzeugt, daß wir – ohne es zu merken –
die Schwelle zu einer solchen Veränderung bereits
überschritten haben: daß wir vor dem Ende der Natur
stehen, daß dieses Ende nicht länger ein mögliches,
sondern ein tatsächlich eingetretenes Ereignis darstellt.
Unter dem Ende der Natur verstehe ich nicht das Ende der
Welt. Der Regen wird weiterhin fallen, und die Sonne wird
weiterhin scheinen, wenn auch anders als bisher. Wenn ich „Natur“
sage, meine ich damit bestimmte menschliche Vorstellungen von der
Welt und von unserem Platz in ihr. Die Auflösung dieser
Vorstellungen beginnt jedoch mit konkreten Veränderungen der
Wirklichkeit, die uns umgibt – Veränderungen, die von
Wissenschaftlern gemessen und beziffert werden können. Immer
häufiger werden diese Veränderungen unserer Wahrnehmung
widersprechen, bis schließlich unsere Vorstellung von der
Natur als etwas Ewigem und von uns Unabhängigem zerstört
ist und wir nur zu deutlich sehen, was wir angerichtet
haben.
(Aus „Eine neue
Atmosphäre“, S. 15 ff)
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Bill
McKibben
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geboren 1960 in
Palo Alto, Kalifornien, ist ein US-amerikanischer Umweltaktivist
und Autor. Er verfasste eine Vielzahl an Büchern zu den
Themen globale Erwärmung und alternative Energie. Im Sommer
2006 führte er die größte Demonstration in der
amerikanischen Geschichte gegen die globale Erwärmung an.
2009 führte er die Aktivitäten der Organisation 350.org
an, die mit 5.200 gleichzeitigen Demonstrationen in 181 Ländern
stattfand, um auf das Problem der globalen Erwärmung
aufmerksam zu machen. Das Magazin „Foreign Policy“
führt ihn in der Liste der 100 wichtigsten globalen
Vordenker und MSN zählt ihn zu einem der einflussreichsten
Menschen des Jahres 2009. Er ist Mitunterzeichner eines im
Dezember 2018 veröffentlichten offenen Briefes, in dem der
Politik ein Scheitern bei der Thematisierung der Krise
vorgeworfen und dazu aufgerufen wird, sich Bewegungen wie
Extinction Rebellion anzuschließen und einen Konsumverzicht
zu leisten. (Aus Wikipedia, 2019)
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Zitate
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Wir
haben die Atmosphäre und damit auch das Wetter verändert.
Indem wir das Wetter verändern, machen wir jeden Fleck auf
der Erde zu etwas Künstlichem, zu Menschenwerk. Wir haben
die Natur ihrer Eigenständigkeit beraubt, und das hat
verhängnisvolle Folgen für ihr Wesen. Das Wesen der
Natur ist ihre Eigenständigkeit; ohne sie gibt es nur
noch uns. (S. 68)
Es hat sich
herausgestellt, daß wir als Gattung stärker sind, als
wir gedacht haben – viel stärker. In gewisser Hinsicht
erweisen wir uns als Gott ebenbürtig – zumindest als
Gottes Rivalen –, fähig, die Schöpfung zu
zerstören. (S. 87)
„Treibhauseffekt“
– diese Bezeichnung ist weit passender, als es sich ihre
Urheber hätten träumen lassen. Kohlendioxid und
Spurengase wirken wie die Glasscheiben eines Treibhauses –
die Analogie ist zutreffend. Aber sie stimmt in einem weiteren
Sinn: Wir haben ein Treibhaus gebaut, ein
Werk des Menschen, wo einstmals
ein lieblicher, wilder Garten blühte. (S.
100)
Daß die neue
„Natur“ unseren Stempel trägt, heißt
nicht, daß wir sie beherrschen können. Sie muß
nicht unbedingt grimmig ausfallen,aber sie muß
gar nichts, und deshalb werden wir sehr lange brauchen, um unser
Verhältnis zu ihr zu klären, sofern uns das überhaupt
jemals gelingen wird. Das hervorstechende Merkmal dieser neuen
Natur ist ihre Unberechenbarkeit, so wie das der alten Natur ihre
Zuverlässigkeit war. Das klingt vielleicht merkwürdig,
da wir uns daran gewöhnt haben, natürliche Vorgänge
wie Regen oder Sonnenschein als launenhaft und als schwer
prognostizierbar zu betrachten. Auf kurze Sicht und im Hinblick
auf eng begrenzte Regionen sind sie das auch (…). Aber in
größeren Maßstäben war die Natur sehr
beständig, und im Weltmaßstab war sie Musterbeispiel
der Zuverlässigkeit – „so sicher, wie der Sommer
auf den Frühling folgt“, heißt es im Volksmund.
(S. 104)
Letztendlich
ist mir natürlich klar, daß eine Trotzhaltung [weiter
wie gewohnt, business as usual;
E.W.] wirtschaftliches Wohlergehen
und eine Art Sicherheit bedeuten kann – daß mehr
Staudämme den Einwohnern von Phoenix in Arizona helfen
können und daß die Gentechnik den Kranken helfen kann,
und daß es so viele fortschrittliche Erfindungen gibt, die
nach wie vor gegen das menschliche Elend auf der Welt eingesetzt
werden können. Auch ich habe kein dringendes Bedürfnis,
meine Lebensführung einzuschränken. Wäre ich der
Meinung, wir könnten die Entscheidung aufschieben und sie
unseren Enkeln aufhalsen, dann wäre ich damit einverstanden.
So wie die Dinge liegen, habe ich nicht vor, in einer Höhle
zu leben oder auch nur in einer ungeheizten Kammer. Während
es zehntausend Jahre gedauert hat, um uns dahin zu bringen, wo
wir heute stehen, werden einige wenige Generationen genügen,
um uns zurückzubefördern. Doch unsere Zeit könnte
die Epoche sein, in der die Menschen beschließen,
wenigstens den bisher eingeschlagenen Weg nicht weiter zu
verfolgen – die Epoche, in der wir nicht nur die
erforderlichen technischen Anpassungen vornehmen, um die Erde vor
einer zu starken Erwärmung zu schützen, sondern auch
die notwendigen Anpassungen in unserem Denken, um
sicherzustellen, daß wir nie wieder unseren Vorteil höher
veranschlagen werden als den aller anderen Lebewesen. (S.
219)
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