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Pierre L. Ibisch, Jörg Sommer
Das Ökohumanistische Manifest
Unsere Zukunft in der Natur


Stuttgart 2021 (Hirzel); 174 Seiten; ISBN 978-3-7776-2865-3




Siehe auch: https://oekohumanismus.de




Die (Un-)Ordnung unserer globalisierten, auf Egoismen beruhenden Welt führt zu immer mehr Ressourcenverbrauch und treibt ungebremst den Klimawandel voran, kann aber für viele Menschen weder Nahrung noch Wasser, Bildung, Gesundheit oder Frieden garantieren. Pierre Ibisch und Jörg Sommer analysieren die globalen Probleme ebenso wie die oft naiven Vorschläge zu ihrer Überwindung. Sie setzen dem alten Denken, das die Krise verursacht, ihre im positiven Sinne radikale Philosophie des Ökohumanismus entgegen. Sie plädieren dafür, unser Denken zu erden: Von der Natur ausgehend zum Menschen hin. Ihr leidenschaftliches und Mut machendes Manifest verknüpft die Akzeptanz der planetaren Grenzen mit dem Ziel einer gerechten Welt – und rückt den Menschen und seine Stärken in den Mittelpunkt der Debatte um die Ökologie und unsere Zukunft.


Pierre L. Ibisch


ist Biologe und Professor für Naturschutz an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Er beschäftigt sich mit einer systemischen Konzeption der Nachhaltigkeit und dem Lernen von komplexen ökologischen Systemen („Ökonik“).




Jörg Sommer


ist Politikwissenschaftler und Soziologe, Journalist, Buchautor und Vorstandsvorsitzender der 1982 gegründeten Deutschen Umweltstiftung, der ältesten und mit über 3.500 Stiftern größten Bürgerstiftung Europas.


Inhaltsverzeichnis


Unser Denken vom Kopf auf die Füße stellen
Eine Bedienungsanleitung






Wer wir sind – und wie wir sind






Wir, die Menschen
Warum es uns gibt, wer wir sind und was wir können

Mit der Natur
Welchen Platz wir in der Welt haben und was wir nicht können

Für die Menschen
Menschlichkeit und Menschenwürde sind unverhandelbar

In der Natur
Natur ist eine unverzichtbare Quelle von Menschlichkeit, doch diese ist nicht naturgegeben






Die Große Vergessenheit






Die Globalität der Krisen
Die Menschheit hat sich verwirtschaftet

Das Scheitern der Utopie
Das Menschen- und Weltbild im Anthropozän

Die Tragödie des Wissens
Grenzgänger, die keine Grenzen kennen (wollen), leben gefährlich






Grundlagen des Ökohumanismus in zehn Thesen






1. Zwischen Mensch und Natur herrscht kein Widerspruch
Ein Freund der Erde ist ein Freund der Menschheit

2. Die Weisheit ist in uns allen
Von und mit der Natur für den Menschen lernen

3. Die Natur hat immer Recht
Naturgesetze sind nicht verhandelbar

4. Es gibt kein Eigentum
Die Illusion von Besitz braucht neue Antworten

5. Wirtschaft ist ein Werkzeug
Die Natur lehrt uns zukunftsfähiges Wirtschaften

6. Technik ist keine Befreiung
Menschlichkeit ist nicht programmierbar

7. Glauben ist keine Handlungsanweisung
Ökohumanismus und Spiritualität sind kompatibel

8. Menschlichkeit ist eine Kompetenz
Entfaltungshilfe ist es, nicht Bildung, was wir brauchen

9. Macht ist eine Täuschung
Gesellschaftliche Gestaltung ist nicht delegierbar

10. Alles ist eine Frage der Prinzipien
Wir brauchen Haltung statt Regeln






Vom Denken zum Handeln – ein Ausblick






Die Menschheit ist Natur Ein Nachwort von Alberto Acosta






Unsere Quellen


Leseprobe


Unser Denken vom Kopf auf die Füße stellen

So wie bisher kann es nicht weitergehen.

Eine Verlängerung der Gegenwart hat keine Zukunft mehr. Unsere globalisierte, rücksichtslose, auf Organisation von Ungleichheit basierte Welt funktioniert nicht mehr. Sie verbraucht immer mehr unersetzliche Ressourcen. Sie treibt ungebremst die Klimakrise voran. Sie kann für die meisten Menschen der Welt weder Nahrung noch Wasser, Bildung, Gesundheit oder Frieden gewährleisten.

Wir suchen nach Lösungen.

Lösungen, die ein Gutes Leben ohne Mangel und Überfluss möglich machen. Doch diese Lösungen werden wir nicht finden, wenn wir in alten Ideologien verharren. Das Denken, das für die Probleme verantwortlich ist, kann keine Lösungen finden.

Wir brauchen einen neuen Ansatz, der die planetaren Grenzen akzeptiert und zugleich das Wohl der Menschen in den Mittelpunkt stellt.

Beides gehört zusammen.

Keines dieser beiden Prinzipien ist aktuell Maßstab des Handelns in Wirtschaft und Gesellschaft. Doch ohne ihre konsequente Anwendung ist Zukunft nicht denkbar. Es geht dabei nicht um etwas mehr Ökologie oder Gerechtigkeit. Es geht auch nicht um das neuerdings viel beschworene Gleichgewicht zwischen Ökonomie und Ökologie. Das wird nicht reichen. Wir werden mit diesen alten Vorstellungen vollständig brechen müssen.

Unser Denken muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden, ja, es muss im wahrsten Sinne des Wortes geerdet werden. Geerdetes Denken wurzelt im Ökosystem. Es beginnt in der Natur und richtet sich auf den Menschen aus. Hieraus ergibt sich die neue Denkrichtung: die Natur als Ausgangspunkt, die Menschen als Ziel. Sie stellt den Glauben an den Menschen und seine Befähigung zu gutem Handeln in den Mittelpunkt. Sie vereinbart die Idee der Großartigkeit des Menschseins mit dem gebührenden Respekt vor den menschlichen Schwächen und der tatsächlichen Rolle von uns Menschen in der Natur.

Dieses Geerdete Denken greift alte humanistische Bildungsideale auf, aber fügt sie in ein aktuelles, wissensbasiertes Weltbild ein. Es verknüpft Ökologie und Humanismus auf einzigartig klare Weise und ist damit Grundlage einer Philosophie des Anthropozän.

Ihr Name: Ökohumanismus.


Eine Bedienungsanleitung

Wer ein Buch schreibt, muss es nicht erklären. Wer möchte, dass es gelesen wird, schon. Beginnen wir damit, was dieses Buch nicht ist. Es ist keine weitere Beschwörung der Apokalypse, keine Schuldzuweisung an politisch Verantwortliche, kein Ratgeber in nachhaltiger Lebensführung, kein Buch über Umwelt-, Natur- oder Klimaschutz, keine Forderung nach einem neuen Gesellschaftsvertrag.

Es ist nichts davon – und zugleich viel mehr.

Wir wollen zum Denken verführen. Zu einem Denken, das die Herausforderungen eines Epochenwandels bewältigt, indem es alte Muster überwindet, die uns in die aktuellen ökologischen und gesellschaftlichen Krisen geführt haben. Denn so war es immer in historisch entscheidenden Umbrüchen der Menschheitsgeschichte: Ohne Neues Denken war kein Überwinden Alten Handelns möglich.

Dieses Neue Denken ist noch lange nicht mehrheitsfähig, aber unabänderlich nötig, wenn wir als Menschheit auf diesem von uns bereits gründlich abgewirtschafteten Planeten eine Zukunft haben wollen.

Deshalb bieten wir unsere Verführung in drei Teilen an.

Im ersten Teil skizzieren wir die Entwicklung von uns Menschen als Produkt des Ökosystems Erde. Wir gehen den Fragen auf den Grund, warum es uns gibt, wer wir sind und wie wir sind. Wir diskutieren unsere Möglichkeiten und Grenzen. Wir legen dar, warum wir ein neues, Geerdetes Denken brauchen, welche Grundlagen es hat – und warum wir dafür den Begriff des Ökohumanismus für geeignet halten.

Im zweiten Teil beschreiben wir die Große Vergessenheit. Sie hat die Menschheit in die aktuelle Lage gebracht, in der sie die Grenzen des Ökosystems – trotz aller Technologie – weiterhin nicht überwinden kann, wohl aber weite Teile dieses Systems zerstören kann. Wir sprechen über die neue, globale Dimension der Krisen, das Scheitern technologischer Allmachtsutopien und letztlich über die größte Herausforderungen allen: die Überwindung der Tragödie des Wissens.

Abgeschlossen wird das Buch von zehn Thesen, die Grundlagen des Ökohumanismus darstellen. Sie hinterfragen sämtliche Grundlagen, auf denen unsere moderne, globalisierte, rücksichtslose Art des Lebens und Wirtschaftens basiert. wir haben an diesem Punkt bewusst Schluss gemacht. Denn die daraus resultierenden dringenden Veränderungsbedarfe führen zu völlig neuen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Konzepten. Diese aber können und sollen nicht von Einzelnen am grünen Tisch erdacht werden, sondern können nur Ergebnis umfassender gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse sein. wir laden alle unsere Leser und Leserinnen dazu ein, sich an diesem Prozess zu beteiligen – unabhängig davon, wie viele unserer Einschätzungen sie teilen mögen.

Denn wir teilen alle miteinander denselben Segen und Fluch: Wir leben in einer Zeit des Umbruchs, die alles in den Schatten stellt, was die Menschheit zuvor bewältigt hat.

(…)