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Peter Kafka / Jürgen König / Wolfgang Limmer
Tschernobyl – die Informationslüge

Anleitung zum Volkszorn


München 1986 (Schneekluth); 176 Seiten; ISBN 3-7951-1018-1






Werden wir richtig informiert? Tschernobyl zeigt: wir sind die Opfer einer chaotischen Informationspolitik. Tschernobyl kann als ein exemplarisches Fallbeispiel für die unselige Verflechtung von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft gelten. Fehlende und falsche Information, widersprüchliche Bewertungen und gezielte Informationsmanipulation haben sich summiert zu einer Informationslüge, die den Volkszorn fordert. Für jeden Bürger ist dieses Buch über den Fall Tschernobyl hinaus ein Merkbuch.


Peter Kafka


geboren am 29. Juni 1933 in Berlin; Studium der Physik in Erlangen, Berlin und München; von 1963 bis 1965 Assistententätigkeit an der Universität München; von 1965 bis 1998 Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Max-Planck-Institut für Physik und Astrophysik in München, später Garching; neben der wissenschaftlichen Arbeit in Kosmologie und relativistischer Astrophysik arbeitete Kafka seit den siebziger Jahren publizistisch über das Wesen des Fortschritts. Seit 1998 im „Unruhestand“, hielt Peter Kafka weiterhin Vorträge und veröffentlichte Artikel. Im Oktober 2000 lud er zu seinem Abschiedsvortrag ein, wo er bekannt gab, dass er einen Gehirntumor habe, der ihm mehr und mehr zu schaffen mache. Er starb am 23.12.2000. Drei Tage vor seinem Tod verlieh ihm die Stadt München die Medaille "München leuchtet". An seinem Grab erinnerten der Physiker Hans-Peter Dürr und Carl Amery daran, dass Peter Kafka sich früh gegen die Kernenergie und gegen zu schnellen "Fortschritt" gewandt hatte. Er tat dies nicht als berührungsängstlicher Technikfeind, sondern als einblickender Wissenschaftler. Seine Überzeugung, dass die „globale Beschleunigungskrise“ unausweichlich ist – was nicht Untergang bedeuten muss! – führte dazu, „dass er die Untersuchung der Schwarzen Löcher mehr und mehr anderen überließ, um sich den schwarzen Löchern unserer Zivilisation zuzuwenden“ (Hans-Peter Dürr).




Jürgen König


Jahrgang 1943, freier Journalist und Buchautor. Arbeitete u.a. für GEO und NATUR




Wolfgang Limmer


Jahrgang 1946, war bis 1979 Redakteur beim SPIEGEL. Anschließend Produzent bei BAVARIA und dem FILMVERLAG DER AUTOREN, zuletzt freier Journalist und Drehbuchautor


Inhaltsverzeichnis


Zur Sache



Chronik der Lüge



Sprechblasen



Als Vater von zwei Töchtern (Wolfgang Limmer)



Ein Bio-Bauer im Zahlensalat (Jürgen König)



Gereimtes, Geschöntes und die Wirrnis der Medizin



Demokratie ist Diskussion (Brief des Bayerischen Ministerpräsidenten F.J.Strauß – Brief des Generalvikars des Bischofs von Regensburg)



Gewalt am Bauzaun



Anleitung zum Volkszorn (Peter Kafka)


Leseprobe


Zur Sache






Lüge ist ein hartes Wort. Wer einen anderen der Lüge bezichtigt, muß mit Beleidigungsklage rechnen. Den Lügenvorwurf so zu erhärten, daß er auch Richtern berechtigt erscheint, ist ein fast unmögliches Unterfangen. Zur Lüge gehört ja, daß die Unwahrheit bewußt, also wider besseres Wissen, und im vollen Besitz der geistigen Kräfte gesagt oder geschrieben wurde. Und wie läßt sich schon nachweisen, daß jemand überhaupt geistige Kräfte besitzt – und gar die vollen? Wer gute Anwälte und angesehene Ärzte hinter sich weiß, darf es bekanntlich sogar riskieren, Meineide zu schwören. Da soll doch mal jemand zu beweisen versuchen, daß es sich nicht um einen durch geistige Erschöpfung bedingten „Black-out“ handelte! Zumal wenn höchste Politiker und Beamte durch eine Krise über die Grenzen ihrer geistigen Kräfte hinaus gefordert werden, wenn sie obendrein selbst unzureichend und einseitig informiert wurden – wer wollte da von Lüge sprechen? Muß da nicht vielmehr, auch beim besten Willen, eine Informationslücke entstehen?






Der Volkszorn machte daraus eine Lüge. Das erste ungläubige Staunen über die amtliche Informationspolitik zu den Folgen der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl wich rasch einem Gefühl, für dumm verkauft zu werden, und dann einer tiefen Erbitterung über „die da oben“. War denn so etwas möglich: Eine Gefahr, die nie bestanden haben sollte, und die dennoch von Tag zu Tag kleiner wurde? – Strahlungswerte, die immer weiter sanken, obwohl sie doch angeblich längst im Rahmen des normalen Pegels gelegen hatten? Die Versicherung, es gebe keine Risiken für die Gesundheit, bei gleichzeitiger Warnung vor solchen? – Das Leugnen jedes denkbaren Schadens bei gleichzeitiger Forderung nach Schadensersatz von der Sowjetunion? – Dies alles war selbst dem bravsten Bürger zu viel. Unruhe, ja Wut breitete sich aus.






Aber der Mensch vergißt so schnell! Wer hebt sich schon die Zeitung von vorgestern auf? Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht ...? Welch altväterliches Sprichwort! In der Politik hat das schon früher nicht gestimmt, denn der Mensch kann nicht lange leben, ohne etwas zu glauben. Wenn man Könige oder Tyrannen nicht loswerden konnte, so mußte man schließlich eben doch an sie glauben. Heute endlich, im Zeitalter zentral gesteuerter Medien und der sprichwörthchen Innovationsgeschwindigkeit, kommt es auf das „Geschwätz von gestern“ überhaupt nicht mehr an. Wer dauernd lügt, dem glaubt man immer wieder...






Warum dann dieses Buch? Die Lage ist eben doch noch nicht so hoffnungslos! Wir leben ja trotz allem in einer der freiesten Gesellschaften der Welt. Wir dürfen nicht nur Bücher schreiben, es gibt auch Verleger, die sie drucken und verkaufen – und Leute, die sie lesen wollen und lesen dürfen! Ja, können wir nicht endlich sogar unsere Könige oder Tyrannen – oder welche Mächte auch immer – loswerden?






Das wäre eine gewaltige Aufgabe! Der Bau einer Gesellschaft, in der die Macht der Lüge geringer wäre! Dazu können wir hier höchstens einen winzigen Baustein beitragen. Wer sind wir denn? Wir sind drei mehr oder weniger brave Bürger, die in München und Oberbayern leben (in jenem Teil der Bundesrepublik also, der am meisten „Fall-out“ von Tschernobyl abbekam und der auch im übrigen, nicht nur wegen der Fernsehzensur, gelegentlich an Rußland denken läßt), und wir wollen hier festhalten, wie wir es alles erlebten jeder auf seine Weise: Wie unvorbereitet uns das unsichtbare Gift traf, wie erst lange nach dem unheilschwangeren, prasselnden Regen allmählich die Informationen und Lügen auf uns herniedertröpfelten, und wie uns dies alles betroffen machte.






Vor diesen teilweise sehr persönlich gefärbten Berichten haben wir im ersten Teil des Buches einen Salat aus den uns zugänglichen Meldungen, Verlautbarungen und Kommentaren angerichtet. Aber nein, angerichtet haben wir den Salat nicht! Wir haben ihn wiederaufbereitet. Er ist also, mag er noch so lecker wirken, keineswegs zum Genuß bestimmt, vielmehr zur Endlagerung. Noch einmal dürfen wir uns so etwas nicht vorsetzen lassen! Darum will der Untertitel dieses Buches ernst genommen werden: eine Anleitung zum Volkszorn.






Die Autoren


Siehe auch


Das Grundgesetz vom AufstiegVielfalt, Gemächlichkeit, Selbstorganisation: Wege zum wirklichen Fortschritt



Gegen den UntergangSchöpfungsprinzip und globale Beschleunigungskrise



Kernenergie – Ja oder Nein?Eine Auseinandersetzung zwischen zwei Physikern