Einführung zu Teil 1 – Keine Kinder Kains
Wir begeben uns auf vermintes Terrain. Die Frage, wie es um die kriegerische Vergangenheit der Menschen bestellt ist, besitzt enorme Brisanz. Die Debatten, die sie seit Jahrhunderten entfacht, belasten jede Herangehensweise an die Evolution der Gewalt. Deshalb ist es nötig, das Feld zunächst von den ideologischen Altlasten zu räumen, damit sie nicht den Blick auf die Wirklichkeit verstellen. Das wird eine erstaunlich befreiende Wirkung haben. Deshalb inspizieren wir zunächst, warum ein Krieg um die menschliche Natur tobt, und zeigen dann in aller Kürze, wie eine ebenso zeitgemäße wie produktive Herangehensweise an das große Menschheitsthema überhaupt möglich ist.
Einführung zu Teil 2 – Das evolutionäre Fundament
Wenn wir keine Kinder Kains sind: Was sind wir dann? Tiere, keine Frage. Affen, genauer gesagt. Um Menschen besser zu verstehen, kommt man folglich nicht umhin, zunächst ihre Primatenvergangenheit zu erkunden. Sie hilft zu verstehen, welchen evolutionären Logiken wir unterworfen sind. Nichts davon legt uns fest, und nichts davon besitzt normativen Wert. Das wäre der "naturalistische Fehlschluss", der von einem Sein auf ein Sollen schließt, von einem „Es war einmal“ auf ein „So muss es immer sein“. Hier geht es allein darum zu erkennen, warum manche Verhaltensweisen und Reaktionsmuster unter bestimmten Bedingungen mit größerer Wahrscheinlichkeit auftreten als andere.
Es ist in der Vergangenheit viel über das biologische Erbe der Menschen in Bezug auf Aggression, Gewalt und Krieg spekuliert worden. Dabei handelte es sich in der Hauptsache um Variationen der These, dass Menschen zur Gewalt greifen, weil das im Tierreich das Mittel der Wahl gewesen sei, den Kampf ums Dasein zu bestehen. Deshalb gilt es zu überprüfen, ob Gewalt bei Tieren tatsächlich die Standardstrategie ist, Konfikte zu lösen, und das dann am Beispiel der nächsten lebenden Verwandten des Menschen zu vertiefen: Schimpansen und Bonobos. Immerhin werden die sogenannten Kriege der Schimpansen als Beweis für unsere mörderische Natur in Stellung gebracht. Auf dieser Basis betrachten wir, was die Ethnografie über das Konfliktverhalten von Jägern und Sammlern zu berichten weiß. Die nomadische Nahrungssuche war die Lebensweise unserer Spezies und ihrer Vorfahren seit der Entstehung der Gattung Homo
im frühen Pleistozän, also vor rund 2,5 Millionen Jahren.
Unsere Psychologie hat sich als Anpassung an die Existenzform der mobilenJäger und Sammler geformt, die in gut 99 Prozent der menschlichen Evoludon alltägliche Praxis war. Das änderte sich erst fundamental vor rund 12 000 Jahren mit der Erfindung der Landwirtschaft. lnsofern ist es aufschlussreich, einen Blick auf jene zu werfen, die diese Lebensweise teils noch bis heute praktizieren.
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Einführung zu Teil 3 – Archäologische Spurensuche
Die Erde ist eine Scheibe, Gott schuf den Menschen aus Staub, im Meer tummeln sich Seeungeheuer und in den Bergen die Drachen. Die längste Zeit hatten Menschen keine andere Möglichkeit, als auf Mythen zu vertrauen, um etwas über das Wesen und Werden der Welt zu erfahren. Welche verheerenden Konsequenzen das haben konnte, sahen wir am Beispiel der biblischen Kain-Geschichte.
Wir haben das große Glück, dass seit einigen Jahren eine ganze Reihe von Wissenschaften mit immer raffinierteren Methoden dazu beitragen, ein immer genaueres Bild der Vergangenheit zu zeichnen. Keine Frage, die Lücken sind noch beträchtlich, und vieles werden wir nie in Erfahrung bringen. Aber das große Panorama der menschlichen Vorzeit, das sich aus zahllosen, oft winzigen Puzzlesteinen zusammensetzt, wird immer deutlicher erkennbar. Damit gleicht die Prähistorie keiner weißen Landkarte mehr, die oft mit Fantasiegestalten gefüllt wurde – mit Vorliebe solchen, die zu den eigenen Theorien passten.
Gerade biologisch argumentierende Deutungen verlängerten ihre Thesen tief in die Vorgeschichte. Steven LeBlanc ist ein Beispiel dafür: Da Populationen ständig wachsen, komme irgendwann der Punkt, an dem Ressourcen nicht mehr ausreichen und Krieg unvermeidlich werde. Deshalb sei, so LeBlanc, die frühe Menschheitsgeschichte von ständigen Kämpfen beherrscht gewesen. Steven Pinker baute darauf die These auf, dass die Welt seither immer friedlicher geworden sei.
Wir haben uns ausführlich mit dem beschäftigt, was Evolutionsbiologie, Primatologie und Ethnografie an Wissen liefern, um die Logiken hinter der Evolution der Gewalt zu rekonstruieren. Es sollte deutlich geworden sein, dass die Annahme, Menschen seien von Natur aus kriegerisch, ebenso verkehrt ist wie die Behauptung, sie seien geborene Pazifisten. Wenn aber Menschen die Wahl haben, wählen sie eher den Frieden als das Risiko der Gewalt. Das ist das theoretische, wenn auch durch zahlreiche Studien abgesicherte evolutionäre Fundament.
Wir haben jedoch mehr als einmal betont, was für außergewöhnliche Tiere Menschen nun einmal sind und welche Macht die Kultur über sie hat. Ebenso, dass die Aussagekraft ethnografischer Quellen im Hinblick auf die menschliche Vorgeschichte begrenzt ist. Um also nicht selbst den Kurzschluss zu begehen, uns eine Vorgeschichte auszumalen, die zu unseren bisherigen Ausführungen passt, begeben wir uns nun auf archäologische Spurensuche: Welche konkreten Indizien gibt es pro und contra kriegerische Natur? Verbergen sich im Boden urzeitliche Schlachtfelder? Wie steht es um die realen Opfer?
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Einführung zu Teil 4 – Der Krieg wird total
Wir treten in historische Zeiten ein. Schriftliche Quellen erweitern nun die Überlieferung. Was den Mittelmeerraum und den Vorderen Orient angeht, sind wir nicht mehr allein auf die Archäologie angewiesen. Die Schrift schafft eine eigenständige Sphäre, in der Ideen und Vorstellungen unabhängig von Menschen kursieren und die Zeiten überdauern. Einst Schrift gewordene Narrative prägen noch das Denken unserer Tage. So auch der Aphorismus des griechischen Philosophen Heraklit, nach dem der Krieg der Vater aller Dinge sei.
Nun liegt das Werk des als dunkel geltenden Philosophen nur in Fragmenten vor. Die originale Passage lautet: „Krieg ist aller Dinge Vater, aller Dinge König. Die einen erweist er als Götter, die anderen als Menschen, – die einen lässt er Sklaven werden, die anderen Freie.“ Heraklit irrt und enthüllt doch eine tiefe Wahrheit.
Irreführend daran ist, wie mittlerweile offensichtlich sein sollte, dass der Aphorismus insinuiert, der Krieg sei der Urgrund der menschlichen Welt. Wahr ist er jedoch, bezieht man ihn auf Heraklits Welt – und was auf sie folgt: Die Hochkulturen des Altertums und die antiken Staaten sind kriegsgeboren. Der Krieg ist ihr Lebensprinzip und damit, um den Militärhistoriker John Keegan zu zitieren, „die Kultur selbst“ geworden. Die hier gründende Matrix des Krieges verschleiert unsere Wahrnehmung noch heute. Es ist an der Zeit, ihre Entstehung zu enthüllen und damit die Möglichkeit zu schaffen, sich aus dem Griff der Gewalt zu befreien.