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Aus
Kapitel 11: Möglichkeiten – Ausstieg aus der
Megamaschine
Die Ursprünge der
Herrschaft von Menschen über andere Menschen liegen
mindestens 5000 Jahre zurück. Wir wissen nicht, ob es jemals
gelingen wird, diese so folgenreiche Erfindung wieder vom
Planeten Erde zu verbannen. Wir wissen aber, dass spezifische
Formationen von Herrschaft endlich sind, und zu diesen
Formationen gehört auch das moderne (kapitalistische)
Weltsystem, das sich in den letzten 500 Jahren über die Erde
verbreitet hat. Die wachsende Instabilität und der mögliche
Zerfall dieses Systems eröffnen einen Möglichkeitsraum
für Veränderungen, wie es ihn seit Jahrhunderten nicht
gegeben hat. Je weiter ein komplexes System vom Gleichgewicht
entfernt ist, desto größere Wirkungen können
unter Umständen selbst kleine Bewegungen hervorbringen, wie
der berühmte Schmetterling, der einen Tropensturm
auslöst.
In welche Richtungen diese Veränderungen
gehen werden, ist prinzipiell nicht vorherzusagen. Sicher ist
aber, dass es in dem Chaos, das sich derzeit abzeichnet, auf uns
alle ankommt. […] Auch wenn uns angesichts der Übermacht
eines destruktiven Systems oft ein Gefühl von
Wirkungslosigkeit und Ohnmacht befällt, so ist doch alles,
was jeder Einzelne von uns denkt und tut (oder auch nicht denkt
und nicht tut), für die Weichenstellungen der Zukunft von
Bedeutung. Ob sich am Ende neue autoritäre Systeme, Mafia-
und Warlordnetzwerke oder Strukturen demokratische
Selbstorganisation durchsetzen, wird davon abhängen, wie wir
auf die systemischen Brüche, die bevorstehen, vorbereitet
sind. Und das bedeutet, dass wir bereits jetzt, während die
Große Maschine noch läuft, mit dem Ausstieg beginnen
müssen.
Dieser Ausstieg hat zwei Seiten: zum einen
den entschlossenen Widerstand gegen die zerstörerischen
Kräfte der Megamaschine, die sich noch im Niedergang die
letzten Ressourcen anzueignen versucht; zum anderen den Aufbau
neuer sozialer und ökonomischer Strukturen, die uns
erlauben, Stück für Stück ein bisschen mehr
außerhalb der Logik der Maschine zu leben und zu
wirtschaften.
Die gute Nachricht ist, dass dieser Ausstieg
schon längst begonnen hat, sowohl im Widerstand gegen das
Alte wie im Aufbau des Neuen. Auf dem ganzen Planeten werden
täglich Tausende von Kämpfen gegen Bergbauprojekte,
Ölbohrungen, Fracking, Pipelines, Megastaudämme,
Schnellstraßen, Kernkraftwerke, Chemiefabriken, Landraub,
Privatisierung, Vertreibung, Militarisierung und die Macht der
Banken ausgetragen. Diese Abwehrkämpfe sind ebenso wichtig
wie der Aufbau von Alternativen; denn ohne sie werden auch die
besten Graswurzelprojekte am Ende von der gefräßigen
Megamaschine oder von chaotischer Gewalt überrollt.
Abwehrkämpfe
sind mehr als Abwehr. Sie bringen vereinzelte Menschen zusammen;
sie überwinden die Barrieren von Bildung, Klasse und
Herkunft […]; sie stärken das Gefühl von
Verbundenheit und Wirksamkeit: Aus ohnmächtigen vereinzelten
Zuschauern eines globalen Krisenpanoptikums werden streitlustige
Mitbürger, die sich organisieren und der Macht
entgegenzutreten wagen. Oft erwachsen aus Abwehrkämpfen
Alternativen, wie etwa die Bewegung der Zapatisten, die 1994 im
Widerstand gegen das Nordamerikanische Freihandelsabkommen begann
und in den vergangenen zwanzig Jahren, trotz erheblicher
Repressionen, bemerkenswerte Strukturen der Selbstverwaltung
aufgebaut hat. Eine Landkarte all dieser größeren und
kleineren Widerstandsnester zeigt, dass das scheinbar
unbezwingliche System längst unzählige Löcher und
Risse hat, in denen sich andere Lebens- und Wirtschaftsformen
eingenistet haben.
Zu diesen Nestern gehören
beispielsweise auch neue Genossenschaftsbewegungen, Netzwerke
Solidarischer Ökonomie, die Bewegungen für Freie Soft-
und Hardware, Fabriken in Arbeiterhand, Transition Towns, die
»Degrowth«-Bewegung oder die unzähligen
Initiativen bäuerlicher Selbstorganisation von Indien über
Mali bis Brasilien. Überall auf der Welt suchen Menschen
nach neuen Formen des Zusammenlebens und Wirtschaftens jenseits
der zerstörerischen Logik globalen Wettbewerbs und endlosen
Wachstums.
All diese Bewegungen und Initiativen haben
wichtige Schlüsse aus dem Scheitern der
staatssozialistischen Projekte im 20. Jahrhundert gezogen. Sie
glauben nicht an eine Lösung vom Reißbrett für
alle, sondern an eine organisch wachsende Vielfalt von Wegen; sie
suchen nach Formen demokratischer Selbstorganisation anstelle von
hierarchischen Kaderstrukturen; und sie haben sich von der Idee
verabschiedet, die Natur beherrschen zu können.
Revolution
ohne Masterplan
Es wird oft behauptet, es gäbe
zum bestehenden System keine ausgereiften Alternativen, aber
diese unzähligen Bewegungen und Initiativen beweisen das
Gegenteil. Menschen sind durchaus in der Lage, ihr Leben als
Gemeinschaft selbst in die Hand zu nehmen, wenn sie nicht durch
strukturelle und physische Gewalt von Wirtschaftsakteuren,
Staaten oder kriminellen Netzwerken – und teilweise auch
durch die eigene Konditionierung – daran gehindert werden.
Alternativen (im Plural) gibt es, wie wir in diesem Kapitel sehen
werden, genug, ob im Bereich der Güterproduktion, der
Energieversorgung, des Verkehrs, der Technologie, der
Landwirtschaft und Ernährung, des Geldes oder der
Gesundheitsversorgung.
Was aber tatsächlich nicht
existiert, das ist ein Masterplan für das eine
System, das das bisherige ersetzt. Nicht nur fehlt ein solcher
Plan, es fehlt auch den meisten Menschen der Glaube daran, dass
er wünschenswert wäre. Diese Skepsis ist nicht mit
einem Verschwinden von Utopien zu verwechseln. Für viele
Menschen besteht die Utopie gerade in der Vision einer Welt, die
eher einem großen Garten mit den verschiedensten Biotopen
gleicht als einer geplanten Landschaft vom Typ des Versailler
Schlossparks. Anstelle eines Masterplans zeichnet sich ein
Mosaik, ein Patchwork von sehr unterschiedlichen Ansätzen
ab, die an die jeweiligen lokalen und kulturellen Bedingungen
angepasst sind. Der Ausstieg aus der Großen Maschine
bedeutet eben auch einen Abschied vom universalistischen Denken,
das – von der christlichen Mission bis hin zum Projekt des
Weltkommunismus – den Anspruch auf die eine Wahrheit
und die eine Vernunft erhoben hat (vgl. Kapitel 5). Das
Fehlen eines Masterplans nach diesem Muster ist kein Manko,
sondern ein Lernfortschritt aus den Desastern der vergangenen
Jahrhunderte. [Farbliche Hervorhebung von
E.W.]
Allerdings kann dieser Pluralismus tatsächlich
auch eine fatale Schwäche sein, wenn es nicht gelingt, die
verschiedenen Kämpfe an bestimmten, strategisch
entscheidenden Punkten miteinander zu verbinden, um dort, wo sich
systemische Brüche abzeichnen, politische Räume zu
besetzen. Das Weltsozialforum, gegründet 2001 als
Gegenentwurf zum Weltwirtschaftsforum in Davos, war lange mit der
Hoffnung verbunden, alternative politische Organisationsformen
bieten zu können; allerdings hat es in den letzten Jahren
merklich an Bedeutung verloren. Zugleich ist aber zu beobachten,
dass immer wieder neue Strukturen entstehen, wie etwa im
Arabischen Frühling, der Occupy-Bewegung oder der globalen
Klimabewegung. Die Strukturen des Widerstandes gleichen derzeit
einem sich stetig verändernden Netzwerk mit wandernden
Knotenpunkten.
Trotz dieser fließenden Strukturen
und der Vielfalt der Ansätze lassen sich aber einige
zentrale Leitbilder des Wandels erkennen, von denen ich mich in
diesem Kapitel auf vier konzentrieren will: den Ausstieg aus der
Logik der Kapitalakkumulation, die Schrumpfung des
metallurgisch-fossilen Komplexes, die Suche nach echter
Demokratie und den Abschied von der Naturbeherrschung.
[…]
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