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Alexander Schiebel
Gift und Wahrheit
Wie Konzerne und Politik ihre Macht missbrauchen, um Umweltaktivist:innen mundtot zu machen

München 2023 (oekom); 208 Seiten; ISBN 978-3-96238-286-5
Verlagsseite zum Buch

1.372 Obstbauern, zwei Obstkonzerne, der Bauernbund und die Landesregierung in Südtirol erstatten Strafanzeige gegen den Autor und Filmemacher Alexander Schiebel, weil er den Pestizideinsatz in der Region kritisierte. Der sich anschließende Prozess gilt als Deutschlands bekanntestes SLAPP-Verfahren – SLAPP, das steht für Strategic Lawsuit Against Public Participation: Gerichtsprozesse, mit denen die Mächtigen aus Politik und Wirtschaft weltweit versuchen, Aktivist:innen mundtot zu machen.

Spannend wie in einem Krimi erzählt Schiebel von den perfiden Methoden, mit denen eine mächtige Agrarlobby versucht, ihr verheerendes Modell einer »Landwirtschaft gegen die Natur« beizubehalten. Der ungleiche Kampf, der als »Südtiroler Pestizidprozess« bekannt wurde, ist eine Blaupause, die zeigt, wie es dem kleinen David gelingen kann, den großen Goliath zu besiegen. Ein Buch, das Mut macht – und ein aufrüttelnder Appell, im Kampf gegen Umweltzerstörung nicht klein beizugeben. Denn es steht nichts anderes auf dem Spiel als die Zukunft unseres Planeten.

Alexander Schiebel, geboren 1966, hat seine Leidenschaft fürs Geschichtenerzählen gleich nach dem Abitur zum Beruf gemacht und in Wien das Filmhandwerk erlernt. Nach einem Zwischenspiel als Webentwickler und im Online-Marketing steht seit 2013 das Wunder von Mals im Mittelpunkt seines Denkens und Schaffens. Seit einem Jahr lebt der gebürtige Salzburger nun mit seiner Familie in Mals, um das kleine Dorf im Vinschgau in seinem mutigen Kampf zu unterstützen.

INHALTSVERZEICHNIS
1. Der Auftakt zum Pestizidprozess
1.372 Strafanzeigen

2. Pestizide und intensive Landwirtschaft
Eine kurze Geschichte der Monokulturen
Wie das Gift zu dir gelangt und dich krank macht
Konzerne, Gewinne und Zulassungsverfahren

3. Worin mein Verbrechen bestand
Das »gallische Dorf« ins Kino bringen
Mit Konzernen in den Ring steigen
Widerstand in Bewegung setzen
Wirksame Bilder erzeugen
Der Angriff der Agrarlobby
Der Umweg über Deutschland
Die Kinotour

4. Eine Welt am Abgrund
Der größte Umweltzerstörer von allen
Ein Leben ohne Ackergifte
Die soziale Konstruktion der Wirklichkeit
Die Springquelle aller Probleme
Über die Unfähigkeit zur angemessenen Reaktion

5. Der Pestizidprozess in Bozen
Plötzlich vor Gericht
Die Arbeit an der Solidarität
Debatte oder Strafexpedition?
Ein Feuerwerk zünden
Der Rückzug vom Rückzug vom Rückzug
Im Namen des italienischen Volkes
Auf alle erdenklichen Arten gewinnen und verlieren

6. Gewalt gegen Kritiker:innen und Aktivist:innen
Die Waffe der Willkürprozesse
Weltweite Gewalt gegen Aktivist:innen

7. Was nun?
Die langen Beine der größeren Lügen
Schützt eure Hoffnung!
Wir müssen kämpfen
»Die Geschichte geht gut aus.«

Quellen

LESEPROBE
siehe Verlagsseite

ZITATE
Die Auswahl der Zitate beschränkt sich auf eher allgemeine Aussagen. Im Buch werden diese Aussagen durch zahlreiche konkrete Beispiele ergänzt.

Aus: Die Waffe der Willkürprozesse

Als ich Anfang 2020 vor Gericht gezerrt und gezwungen wurde, mein Recht auf freie Meinungsäußerung in einem Strafprozess zu verteidigen, nahm ich auch die Arbeit an diesem Buch auf. Natürlich wusste ich bereits damals, dass das, was wir in Südtirol erlebten, in Wahrheit sehr häufig geschieht. Mächtige Einzelpersonen, Unternehmen oder politische Organisationen zerren Aktivist:innen und Journalist:innen, NGOs und Medien vor Gericht, weil ihnen nicht passt, was diese zu sagen haben. Das Ziel solcher Klagen besteht darin, Kritiker:innen einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen – und sehr oft gelingt das auch.

Bei meinen Recherchen erfuhr ich, dass solche Klagen und Prozesse auch einen eigenen Namen haben. Man nennt sie kurz SLAPP, Strategic lawsuits against public participation (Strategische Klage gegen öffentliche Beteiligung). Der Begriff SLAPP klingt im Englischen wie das Substantiv
slap (Schlag, Ohrfeige).

Das primäre Ziel von SLAPP-Klagen ist nicht der Sieg vor Gericht. Es geht nicht darum, die eigenen Rechte durchzusetzen, sondern darum, kritische Stimmen zu behindern. Die Einschüchterung von Kritiker:innen erfolgt einerseits durch Forderung von oft unverhältnismäßig hohen Schadensersatzsummen und andererseits durch den hohen Geld- und Zeiteinsatz, der mit solchen Prozessen verbunden ist. SLAPP zielen immer auch darauf ab, die Ressourcen der Beklagten zu erschöpfen.

(…) SLAPP-Prozesse werden nicht nur zu einer wachsenden Bedrohung für die Meinungsfreiheit, sondern auch für die Demokratie, da sie dazu führen, dass wichtige öffentliche Debatten unterdrückt werde.

(…) Das aggressive Ausnutzen des Macht- und Ressourcengefälles zwischen den Prozessparteien ist ein Hauptmerkmal vieler SLAPP-Verfahren. Da diese Form des Justizmissbrauchs Hochkonjunktur hat, haben sich einzelne Anwaltskanzleien auf SLAPP-Fälle spezialisiert. (…) Bevor sie Prozesse anstrengen, versenden solche Kanzleien Drohbriefe zur Einschüchterung von Journalist:innen oder Aktivist:innen, die sie ins Visier genommen haben. Das klingt dann etwa so: „Unser Mandant hat Anspruch auf eine Entschuldigung, eine Entschädigung und einen Kostenersatz […] Die Haltung unseres Mandanten zu diesen Rechtsmitteln wird von Ihrer Antwort auf dieses Schreiben abhängen.“

Aus: Weltweite Gewalt gegen Aktivist:innen

Überall auf der Welt, wo Menschen sich für die Umwelt einsetzen und damit wirtschaftlichen Interessen in die Quere kommen, versucht man, sie aus dem Weg zu räumen. In Europa haben wir vieles unternommen, damit solche Konflikte nicht in physische Gewalt münden – nicht immer und überall waren wir damit erfolgreich. Doch in anderen Teilen der Welt, vor allem im globalen Süden, ist die Lage eine ganz andere. Das liegt nicht daran, dass die Menschen dort so gewalttätig wären, sondern vielmehr daran, dass global tätige Konzerne ihre Macht dort auf andere Art ausüben können, in enger Zusammenarbeit mit korrupten Regimen.

Als die Organisation Global Witness im Jahr 1993 gegründet wurde, zählte sie zu den ersten NGOs, die diesen Zusammenhang zwischen Korruption und Konflikten um natürliche Ressourcen untersuchten. Global Witness beschäftigte sich anfänglich vor allem mit der Umweltzerstörung durch die Öl-, Gas-, Bergbau- und Holzindustrie. Die Mission: Man wollte Unternehmen und Regierungen für die von ihnen verursachten Zerstörungen zur Rechenschaft ziehen.

(…) Überall auf der Welt riskieren indigene Völker und Umweltschützer:innen ihr Leben im Kampf gegen den Klimawandel und gegen den Verlust der biologischen Vielfalt. Aktivist:innen und indigene Gemeinschaften spielen eine entscheidende Rolle als letzte Verteidigungslinie gegen den ökologischen Kollaps. (…) Ein Blick in die jüngsten Berichte offenbart ein grausiges Bild: das Bild eines Jahrzehnts des ungestraften, weltweiten Mordens. 1733 Umweltschützer:innen wurden seit 2012 bei dem Versuch, ihr Land und seine Natur zu schützen, getötet. Alle zwei Tage verliert ein Mensch sein Leben im Kampf für die Umwelt. – Dabei stellen die Daten, die Global Witness sammelt, nur die Spitze des Eisbergs dar. (…) Viele der überlebenden Aktivist:innen werden zu Kriminellen erklärt oder durch Todesdrohungen zum Schweigen gebracht.

Die meisten Morde finden in den Ländern des globalen Südens statt. In den meisten Fällen stehen die Ermordeten den Interessen globaler Konzerne aus den reichen Ländern des Nordens im Weg, die ungestört und rücksichtslos die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen in den armen Ländern vorantreiben wollen. (…)

Aus: Wir müssen kämpfen

(…) In der Geschichte der Menschheit gibt es zwei Arten von Aufständen: bewaffnete und gewaltlose. In unseren Breiten sind wir glücklicherweise übereingekommen, dass bewaffnete Konflikte vermieden werden sollten. (…) Zum Glück deuten empirische Befunde darauf hin, dass gewaltlose Aufstände sogar doppelt so erfolgreich sind wie bewaffnete. Und darüber hinaus doppelt so nachhaltig. (…) Gewaltlosigkeit war nicht nur eine bessere, effektivere und erfolgversprechendere Strategie. Ich wollte auch für eine Welt kämpfen, in der wir mehr Rücksicht aufeinander und auf die Natur nahmen. Ein gewalttätiges Vorgehen für eine solche Welt wäre ein Widerspruch in sich. (…)

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