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Rudolf Steinmetz (Hrsg.)
Das Erbe des Sokrates

Wissenschaftler im Dialog über die Befriedung der Welt


München Wien 1986 (dtv); 284 Seiten; ISBN 3-423-10577-1






Die Eskalation des Wettrüstens und die apokalyptischen Dimensionen eines dritten Weltkriegs werfen Fragen an die Wissenschaften auf: Wie hat es zu dieser drohenden Selbstvernichtung der Menschheit kommen können, wie ist ihr gegenzusteuern? Als vor 2500 Jahren der Athener Sokrates nach dem Guten und Wahren fragte, legte er den Ursprung zur Idee, was Wissenschaft sein könnte. Sokrates ging es nicht um technisch verwertbares Wissen, sondern um eine radikale Ethik des menschlichen Verhaltens als Voraussetzung für ein gewaltfreies, gerechtes und gutes Leben.

Dieses Erbe des Sokrates – Weisheit und Mäßigung als Basis eines friedlichen Lebens – ist der Schlüsselbegriff, unter dem 14 namhafte Wissenschaftler in diesem Buch einen interdisziplinären Dialog führen auf der Suche nach einem Weg, damit Wissenschaft und Friedenssicherung wieder synonyme Begriffe werden können. Grundlage ist die von dem Physiker Hans-Peter Dürr initiierte mehrjährige Veranstaltungsreihe zu diesem Thema an der Universität München. Vertreten sind Naturwissenschaftler, Sozial-, Wirtschafts- und Politikwissenschaftler sowie Professoren aus Literaturwissenschaft, Psychologie und Theologie.


Herausgeber


Rudolf Steinmetz, geb. 1947, studierte nach einer Handwerkslehre Wirtschafts- und Ingenieurwissenschaften. Er war als Wirtschaftsingenieur in der Industrie tätig, arbeitete dann als pädagogischer Leiter und Bildungsberater und lebt seit 1979 als Journalist und Schriftsteller in München.




Autoren


Thea Bauriedl, geb. 1938, Priv. Doz., Dr. phil., Diplom-Psychologin; psychoanalytische Beiträge zur Friedens- und Konfliktforschung; Herbert Begemann, geb. 1917, Prof., Dr. med; Mitbegründer der deutschen Sektion der „Internationalen Ärzte für die Verhinderung des Atomkriegs (IPPNW)“ und der Münchner Ärtzteinitiative „Medizin und öffentliche Verantwortung“; Willi Butollo, geb. 1944, Prof., Dr.; Psychologe, Vorstand des Instituts für Psychosomatik und Somatopsychologie in München; Hans-Peter Dürr, geb. 1929, Prof., Dr.; Physiker, Direktor am Werner-Heisenberg-Institut für Physik des Max-Planck-Instituts für Physik und Astrophysik in München; Heiner Dürr, geb. 1940, Prof. am Geographischen Institut der Technischen Universität München; Helga Einsele, geb. 1910, Leiterin der Frauenstrafanstalt in Frankfurt/Main, Honorarprofessur, Auszeichnung für Bemühungen um die Humanisierung des Strafvollzugs; Rainer Fuchs, geb. 1915, Prof., Dr.; Fachrichtungen: Psychologie, Pädagogik, pädagogische Soziologie; Wilhelm Hankel, geb. 1929, Prof., Dr.; Fachrichtung: Entwicklungs- und Währungspolitik, Präsident der Hessischen Landesbank; Peter Kafka, geb. 1933, Diplom-Physiker am Münchener Max-Planck-Institut für Physik und Astrophysik; Dietrich Krusche, geb. 1935, Prof., Dr.; Fachrichtungen: Germanistik, klassische Philologie; Horst-Eberhard Richter, geb. 1923, Prof., Dr.; Fachrichtung: Psychosomatische Medizin; Dieter Senghaas, geb. 1940, Prof., Dr.; Fachrichtungen: Politikwissenschaft, Soziologie, Geschichte, Philosophie; Dorothee Sölle, geb. 1929, Prof., Dr.; Fachrichtungen: Klassische Philologie, Philosophie, Theologie, Germanistik; Jürgen Wertheimer, geb. 1949, Dr. phil. habil.; Fachrichtung: Neuere deutsche Philologie und Vergleichende Literaturwissenschaft;


Inhaltsverzeichnis


Auf das Erbe besinnen. Vorwort des Herausgebers

Hans-Peter Dürr
SDI – technische Machbarkeit und sicherheitspolitische Folgen einer Absurdität

Rainer Fuchs
Einstein, Heisenberg, Oppenheimer – über die geschichtliche Verantwortung der Wissenschaft

Herbert Begemann
Ärztliche Ethik im Widerspruch zur staatlichen Machtpolitik

Heiner Dürr
Geographie und Friedensforschung und das Beispiel Dritte Welt

Wilhelm Hankel
Weltfrieden und Weltwährungssystem

Dieter Senghaas
Hegemonialanspruch und Friedensfähigkeit der Supermächte

Jürgen Wertheimer
Ästhetik der Gewalt – Literatur im Dienst der Friedenssicherung?

Dietrich Krusche
Den Frieden als das Fremdeste suchen

Willi Butollo
Angstlösungen – Modelle für inneren und äußeren Frieden

Horst-Eberhard Richter
Persönlichkeit und politisches Bewußtsein

Thea Bauriedl
Kann der einzelne die Gesellschaft verändern?

Helga Einsele
Frauen und Friedenssicherung

Dorothee Sölle
Gottes Unilateralismus – eine Theologie des Friedens

Peter Kafka
Läßt sich Frieden organisieren?

Quellen und Anmerkungen
Die Autoren


Leseprobe


Auf das Erbe besinnen. Vorwort des Herausgebers






Von welchem Bezugspunkt aus ließe sich das wachsende Engament vieler Wissenschaftler deuten, das sich gegen den Wettrüstungswahnsinn, den Schwachsinn einer exzessiven NaturVernutzung richtet und für eine friedliche, angstfreie, vom Konsum- und Technologie-Mythos befreite Welt streitet? Diese Frage stellte sich dem Herausgeber, als er nach einer inhaltlichen Klammer für die ausgewählten Beiträge aus der interdisziplinären Vorlesungsreihe »Wissenschaft und Friedenssicherung« suchte. Zwar bekümmern sich die unter Federführung von Hans-Peter Dürr an der Münchener Universität öffentlich Vortragenden in erster Linie um die Bedingungen des Friedens und bringen die Erkenntnisse ihrer Fachdisziplin in die Debatte ein. Sichtbar wurde aber dabei, daß eine befriedete menschliche Weltgesellschaft einen tiefgreifenden Bewußtseinswandel, eine radikale Umkehr und auch Rückbesinnung des Denkens voraussetzt, weil sonst der vorherrschende »Wille zum Willen« in einem atomaren Lichtblitz oder einem ökologischen Desaster zu enden droht.

Damit also das Erbe der Menschheit nicht verspielt wird, ist radikales, das heißt an die Wurzeln gehendes Denken gefragt, dessen abendländische Tradition rund zweieinhalb Jahrtausende zurückreicht und mit Sokrates ihren Anfang nahm, als dieser den bis dahin gültigen Bewußtseinsrahmen sprengte.

Sokrates ging es nicht um technisch verwertbares, instrumentelles Wissen, sondern um eine kompromißlose Ethik des menschlichen Verhaltens als Voraussetzung eines gewaltfreien, guten, gerechten und schönen Lebens. Dieses Erbe des Sokrates, nämlich Mäßigung als Basis friedlichen Lebens, kann hier als Schlüsselbegriff gelten, um die Intentionen der abgedruckten Beiträge aus dem interdisziplinären Dialog zu charakterisieren.

So schwierig die Abgrenzung zwischen dem authentischen Sokrates und den Interpretationen und Aussagen Platons, der wichtigsten Sokrates-Quelle, auch ist, die Wirkung dieses Geistesheroen bleibt davon unberührt. Seine Gestalt gewinnt angesichts globaler Katastrophen eine neue und dramatische Dimension.

Sokrates, der in den Zeugnissen seiner Zeitgenossen und Schüler, vor allem aber in den von Platon verfaßten Dialogen, fortlebt, stellte ungewöhnliche, bis zu diesem Zeitpunkt in dieser Form noch nie gehörte Fragen. Er rief den Menschen ins Bewußtsein, was sie wußten, und vor allem, was sie nicht wußten. Mit seinem radikalen Fragen »Was ist dies?«, seinem Suchen nach einer schlüssig begründeten Antwort, ist er Ursprung einer Idee der Wissenschaft als Wissenschaft, wie sie dann von Platon und Aristoteles ausformuliert und weiterentwickelt worden ist.

Getrieben von der Kraft des Logos, suchte Sokrates nach dem erkennbaren Sinn des Guten, den es zu erfassen und zu befolgen gilt. Dabei scherte er sich weder um vorherrschende Meinungen noch um Bedenken seiner engsten Freunde und zog in seiner unbequemen Art den tödlichen Haß entlarvter Bürger und Obrigkeiten auf sich. Es war nahezu zwangsläufig, daß der Machtapparat sich zur Wehr setzte und auch vor einem Justizmord nicht zurückschreckte. Sokrates wird im Alter von 70 Jahren als »Volksverführer« angeklagt (kriminalisiert) und schließlich zum Tode verurteilt. Eine Konsequenz, die er in keinem Augenblick fürchtet. Er findet sogar noch positive Argumente für das Sterben an sich und erkennt, daß der Tod so fürchterlich nicht sein kann, wie dies – auch heute noch – viele Menschen behaupten.

Angesichts des Todes verrät der Verurteilte seine Überzeugung nicht. Es gibt für ihn kein Opportunitätsdenken, keine Liaison mit der Macht. Er unterwirft sich keinem Befehl und läßt sich nur von seinem Logos leiten. Wenn der Tod als Drohung die Münze der Macht ist (Elias Canetti in seinem Werk ›Masse und Macht‹), dann sammelt Sokrates in diesem Gesellschaftsspiel kein Kapital, sondern nimmt der Macht ihren giftigen Stachel.

Heute, 2500 Jahre später, hat das Fortschreiten der Menschen in der Wissenschaft zu einer zerstörerischen Verstrickung zwischen Macht und Wissen geführt. Rainer Fuchs zeigt in seinem Beitrag, wie schwierig es für nach Frieden suchende Forscher selbst in einer historisch günstigen Situation gewesen ist, der herrschenden Macht das erworbene Wissen vorzuenthalten oder nur bedingt verfügbar zu machen. Inzwischen ist bekannt, wie vergeblich alle derartige Versuche bisher geblieben sind. Die Bomben und Raketen sind da, und ihr vernichtendes Potential wird täglich erhöht.

Den Ernst der Lage verdeutlicht der Physiker Hans-Peter Dürr. Obgleich der gefährliche Unsinn des von US-Präsident Reagan gewollten SDI-Konzeptes (Strategic Defence Initiative) leicht erkennbar ist, sind dafür bereits riesige Geldsummen mobilisiert worden, damit sich viele hochqualifizierte Wissenschaftler an diesem Rüstungsprojekt verschwenden. Die verheerenden Folgen dieses Handelns werden verdrängt. »Was ist das Gute, was ist das Wahre?« Diese zwei einfachen und wesentlichen Fragen, von Sokrates erstmals gestellt, müßten genügen, um derartige Hybris aufzudecken und zu stoppen – wenn die Rüstungsforscher dies wollten,und bereit wären, ihren bequemen Weg zu verlassen.

Von der korrumpierenden Wirkung der Macht bleibt offenbar kaum jemand verschont. In ihr Intrigenspiel sind auch die Ärzte eingesponnen, wie Herbert Begemann aufzeigt. Sie müssen um Rückbesinnung auf eine Ethik kämpfen, die ihnen das Mitmachen bei der Militarisierung der Medizin verwehrt. Wie konnte es zu dieser unfriedlichen Entwicklung kommen?

Bei Sokrates ist der Frieden, wie wir ihn innerhalb und außerhalb von uns selber so dringend herbeisehnen, in jeder Wortsilbe präsent. Ausdrücklich bekennt er sich zum Prinzip der Gewaltlosigkeit und zur Feindesliebe (›Kriton‹). Seine Zeitgenossen rühmen die Anspruchslosigkeit, den Konsumverzicht und die kontemplative Haltung (›Gastmahl‹, ›Memorabilien‹) des Denkers, der seine Kräfte durch Enthaltsamkeit regeneriert.

Macht- und Konsumverzicht sind auch unabdingbare Voraussetzungen zur Befriedung der Dritten Welt, worauf Heiner Dürr deutlich aufmerksam macht. Ohne ethische Besinnung und die radikalen Fragen »Was ist das Gute, was ist das Wahre?« wird es früher oder später auf der ganzen Welt kaum noch befriedete Räume geben. Auch eine Weltfriedenssicherung mit Hilfe einer Reform des Weltwährungssystems, wie sie Wilhelm Hankel in seinem Vortrag entwickelt, wird ohne ein Um-Denken (auch Um-Verteilen) nicht zu verwirklichen sein. Wie sehr die Machtfrage die Politik des 20. Jahrhunderts bestimmt – und damit die Chancen des Friedens –, ist der Analyse von Dieter Senghaas unschwer zu entnehmen.

Woher also kann Rettung kommen? Von den Machteliten wohl kaum. Den Politikern als exponierten Machthabern oder -kontrolleuren traute schon Sokrates nicht über den Weg. Er entlarvte sie als gefährliche Ignoranten, die zwar vielen Menschen – und am meisten sich selber – Weisheit zuschreiben, die sie jedoch keineswegs besitzen. Die rhetorischen Klimmzüge der Staatsmänner enttarnt er als Show, die dem Volk gefallen soll.

Selbst auf die Literatur ist kaum zu zählen, wenn es um den inneren und äußeren Frieden geht, worauf Jürgen Wertheimer warnend hinweist. Die Ästhetik der Gewalt läßt sich zunehmend besser vermarkten, während die Ästhetik des Widerstandes und des aufrechten Ganges in den Bücherregalen und Erinnerungen verblaßt. Dietrich Krusche schlägt vor, den Frieden als das Fremdeste zu suchen – ein gewagter Versuch, angesichts der Angst allzu vieler Menschen vor allem Fremden und Neuem, also vor Veränderung.

Die Angstlösung, wie sie Willi Butollo als Modell für den inneren und äußeren Frieden vorschlägt, berührt daher ein Kernproblem. Wie setzen wir uns in den Stand, daß wir tatsächlich friedensfähig werden – wie entschärft jeder einzelne seinen eigenen ›Spreng-Kopf‹? Folgerichtig greift Horst-Eberhard Richter den Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und politischem Bewußtsein auf. Denn ohne inneren Frieden wird es keinen äußeren geben! Deshalb ist auch die Frage, die Thea Bauriedl aufwirft, ob der einzelne die Gesellschaft verändern kann, in jeder Hinsicht von zentraler Bedeutung. Die Antwort ist eindeutig: Der einzelne kann verändern, wenn er sich ändert, und Änderungshilfen bietet die Psychotherapie, insbesondere deren prozeßhafte Betrachtungsweise.

Es gibt Beispiele, wie einzelne die Gesellschaft verändert haben. Helga Einsele hebt die Beiträge von Frauen zur Friedenssicherung hervor. Dorothee Sölle bringt den Friedensbeitrag von Jesus Christus in die Debatte ein, der durch den römischen ›Gewaltfrieden‹ bis heute pervertiert worden ist.

Ein Vergleich drängt sich auf zwischen Sokrates und Christus. Beide starben für ihre Wahrheit, beide stifteten Unruhe in der Gesellschaft, und beide sind auch heute noch in der Menschheitsgeschichte präsent. Ohne Scheu begreift sich Sokrates als Werkzeug Gottes. Sowohl an dem Athener als auch am Nazarener entzündeten sich die Menschen, und beide verlangten radikale Einsichten. Griechische Kirchenväter und italienische Humanisten sehen beide Heils-Botschafter gar in einer Person. Woher kommt heute das Heil?

Der Athener Sokrates richtet eine ›christologische‹ Aufforderung an alle Menschen, die hören können und guten Willens sind: Die Wahrheit wird euch frei machen! Die Heils-Gewißheit kommt also aus dem Menschen selber. Die heute von vielen besorgten Wissenschaftlern geforderte Änderung des Bewußtseins – sie ist bereits vor 2500 Jahren beispielhaft geworden; Weisheit und Mäßigung kommen aus dem Logos: »Was ist das Gute, was ist das Wahre?«

Die Freiheit des Menschen besteht in seiner Wahlmöglichkeit zwischen der Freiheit der Verantwortung und der Unmündigkeit des verantwortungslosen Bösen (Erich Fromm). Der bequemen Flucht aus der Verantwortung zu entgehen (auch der Verantwortung für die Folgen), den Mut zu haben, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen (»Sapere aude«), eine Revolution der schöpferischen Vernunft zu wagen, dies beschreibt einen grundlegenden Bewußtseinswandel, wie ihn bereits zu seiner Zeit Sokrates vorweggenommen hat und der dann, im Zuge der schier unbegrenzten Manipulierbarkeit der Natur, untergegangen ist – so wie die Pax Christi in der Pax Romana unterging.

Sokrates, der Monotheist, wendete seinen Logos gegen den Götterglauben und brachte damit den griechischen Olymp zum Einsturz. Aber er glaubte an Gott und an den Menschen als Individuum. Für die derzeit grassierende apokalyptische Verzerrung des Endzeitdenkens hätte er kein Verständnis gehabt. Die Suche nach dem verlorenen Paradies ist auch für den Athener die Suche nach dem göttlichen Selbst im Menschen, für das es keines atomaren Infernos, keiner Öko-Katastrophe und keiner Gurus oder Heilsführer bedarf, sondern der Wahrheit durch Erkenntnis, zu der jeder Mensch fähig ist.

Zur Beantwortung der Frage, ob sich Frieden organisieren läßt, schlägt Peter Kafka vor, die soziale Organisation in kleine, überschaubare Einheiten zu überführen. In diesem Vorschlag stecken sokratische Elemente, weil dieses Konzept notwendigerweise auf mündige Menschen baut. Auch hier erweist sich das Erbe des Sokrates einmal mehr als nichteingelöste Verpflichtung. Warum blieben wir von der Hellskraft des Logos so unberührt, so wenig entflammt?

»Unergründlich bin ich und bringe es dahin, daß die Menschen nicht mehr weiter wissen«, sagt Sokrates von sich selber. Er bringt die Menschen dahin, daß sie sich selber ent-täuschen und sehen können, so daß sie sich aus der tödlichen Falle befreien, in der sie sich gegenseitig – durch alte und moderne Täuschungen und Selbsttäuschungen – gefangenhalten.

Der über-lebensnotwendige Bewußtseinswandel, der große Friede: Dies bedeutet auch ein Zusammenspiel der Menschen, ein Zusammenführen abgetrennter Einzelwissenschaften in Versöhnung und Toleranz und dem Wissen darum, daß jedes neue Wissen mit Fehlern behaftet und somit nur vorläufig ist und revidierbar sein muß. Wie könnte dem Erbe des Sokrates besser entsprochen werden, als in einem interdisziplinären Dialog, wie er seit dem Wintersemester 1983/84 an der Münchener Ludwig,-Maximilians-Universität versucht wird. Die in diesem Band abgedruckten Gedanken aus dieser öffentlichen Vorlesungsreihe »Wissenschaft und Friedenssicherung« sind aus Platzgründen nur eine sehr begrenzte Auswahl, die versucht, den Charakter dieses Dialogs widerzuspiegeln. Es soll alle Beteiligte und Betroffene ermutigen, die Frage nach dem Wahren und Guten erneut aufzugreifen und genauer, konsequenter zu beantworten, als dies bisher geleistet worden ist. Dem interdisziplinären Dialog ist einschneidende Wirkung zu wünschen, damit das Erbe – unser aller Erbe – nicht verschleudert wird.

Frühjahr 1986, Rudolf Steinmetz