Der Schweiger
© Text und Melodie: Ernst Weeber (Jan. 1999)


Hey, Singer mit der Mundharmonika,
geh her zu uns und bleib a bissl da!
Spui dei Gitarr, zu was hastas dabei,
und sing uns a Liad! Aber lang muaß's sei!
Sing uns oane von deine verdraahtn
Liebeskummer- und Weltschmerz-Balladen!
Verzähl uns was von deim Wolkenkuckucksheim!
Aufs richtige Lebn machst dir doch koan Reim!

Guat, wennds moants, i bleib gern da
und verzähl euch was, so guat i's ko.
I verzähl euch was, und ihr seids drauf gfaßt
daß de Gschicht zum Schluß was offen laßt
– wia's richtige Lebn! – Und jetzt sitz ma beinand,
und d'Sonna geht auf in aam andern Land,
und der Singer geht mit um d'Welt mit der Sonn.
Und der Schweiger is froh wenn er da bleibn konn.

Der is immer dabei, ihr sehgts bloß net,
aan Schweiger, von dem i grad red.
Der bleibt vor der Tür, der kimmt net mit rei,
der bleibt immer draußn, der mischt si net ei.
Du kannstas probiern und kannstn was fragn,
er werd dir zuahörn, aber nix dazua sagn,
und dann zuckt er d'Achseln und geht davo.
Er konn nimma redn, seit Jahren scho.

Und er mags net, der Schweiger, wenn ma'n direkt fragt
was denn passiert is, daß er gar nix mehr sagt.
Wennstn net kennst von früher her scho
bleibt er dir immer a Rätsel, der Mo.
Der lacht net, woant net, spuit koa Spui,
zoagt koan Anteil, zoagt koa Gfui.
Was dem so durchn Schädel geht,
auf was der wart' - des woaß ma net.

Und er geht immer mit mir seit langer langer Zeit,
und i woaß mehr ois jeder andre über eahm bescheid.
Aber net amoi i konn euch wirklich erklärn
wia oiß genau zammhängt, und unter welchem Stern
der Schweiger otretn und was eahm aufgebn is.
Bloß daß er net stumm geborn is woaß i gwiß,
und daß er seine Zeiten ghabt hat, wo er grad
so gscheit wia unseroans dahergred't hat.

Und der hat koan Schmarrn verzählt, der Mo is net blöd!
Der hat studiert an der Universität,
hat gforscht nach dem Geist in dera Welt,
wollt wissen was ablafft, wollt wissen was zählt,
nach welchem Prinzip 's Lebn funktioniert
und welchs Gesetz eahm selber regiert,
und wia weit er si selber als Mensch und Person
ernst nemma derf und gerecht werdn konn.

Zvui hat er selber auf dees oiß net gebn.
Er wollt ja nix andrs als wahrhaftig lebn.
Lebn wollt er, jetzt und da, wo er steht,
ois oana von uns, bevor er wieda geht.
Vom Mensch sei wollt er net immer bloß redn:
Sei Herz is sei Anker in dera Welt gwen.
Und dann hat er sie gsehng, hat Feuer gfanga,
und bei ihr is er dann vor Anker ganga.

So hat er's mir no selber verzählt.
Soweit war sei Sach aufs Beste bestellt
und er hat dem Herrgott a Lobliad gsunga
und recht verwegne Reden gschwunga.
Und der Herrgott – ha! – hat eahm Kinder gschickt
und hatn restlos ins Lebn verstrickt.
Und der Schweiger hat 'dankt, und zu koana Zeit
hab i irgendwas ghört daß'n irgendwas reut.

Aber dann is irgendwas mit eahm gschehng,
ganz innen drin, von außen hast nix gsehng,
koa schwerer Schlag, der auf oamoi reibricht,
sondern was, dees langsam und unauffällig gschiecht.
Ganz langsam is er staad worn. Und dees
war des erste, was uns aufgfoin is:
Wann immer wer gred't hat übers „wirkliche Lebn“
hat er koa Wort mehr von sich gebn.

Bloß oamoi hat er gsagt: „Mißtrauts dene Leut,
dee daherredn ois wüßtens ganz genau bescheid
was richtig is und was si ghört,
weils immer scho so war und niamois anders werd!“ –
Voller Abscheu hat er des gsagt, voll Zorn,
da hat er so richtig d'Beherrschung verlorn.
Da hat er uns alle a bisserl daschreckt.
Und dann hat er sei Gsicht mit de Händ bedeckt.

Dees is jetzt oiß scho ganz schee lang her,
d'Kinder san inzwischen koane Kinder mehr.
Und mia, dee's aufzong habn, werdn langsam oid,
und d'Welt is schneller worn und hat uns überhoid.
Und d'Welt werd immer kloana, boid is nix mehr von ihr da,
und ändert si so schnell, daß nix mehr wachsen ko.
Und oiß werd immer gleicher, und derselbe Jargon
herrscht jetzt überoi – und koana kimmt davo.

Und der Schweiger hats längst wieder aufgmacht, seine Augn,
und werd, scheints, gar nimma fertig mitm Schaun,
und manchmoi schaugt er wirklich blöd,
wenn er mit erhobene Händ am Straßenrand steht
ois möcht' er si ergebn, und bringt koa Wort raus,
und d'Leut gehn vorbei und lachandn aus
und moanan der spinnt oder tuat bloß aso!
Und 's Lebn geht weiter! Und der Schweiger steht da.

Und der Schweiger schaut immer wia in d'Fern,
ois taat er von ganz weit weg was hörn,
ois taat er was sehng, net bloß mit de Augn,
ois taat er bis zum allerfernsten Horizont schaun.
Manchmoi is er, scheints, furchtbar müad
und findt koa Ruah. Dann sing i eahm a Liad.
Denn des letzte Wort, dees i ghört hab von eahm,
war: Singer sing, sonst muaß i sterbn!

Und er geht immer mit mir seit langer langer Zeit,
und i woaß mehr ois jeder andre über eahm bescheid.
Aber net amoi i konn euch wirklich erklärn
wia oiß genau zammhängt, und unter welchem Stern
der Schweiger otretn und was eahm aufgebn is,
woaß net wohi mir genga, i woaß bloß dees:
der Schweiger geht mitm Singer, und i geh mit eahm.
Und zum Schluß wern ma dann mitanander sterbn.