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Hans Joachim Schellnhuber
Selbstverbrennung

Die fatale Dreiecksbeziehung zwischen Klima, Mensch und Kohlenstoff


München 2015 (Bertelsmann); 778 Seiten; ISBN 978-3-570-10262-6






»Dieses Buch versucht die ganze Geschichte vom Klimawandel in seiner Dreiecksbeziehung zu Zivilisation und Kohlenstoff zu erzählen. Das ist ein unerhörter Anspruch, zumal das Buch trotzdem lesbar, ja spannend und unterhaltsam sein soll. Um diesem Anspruch wenigstens annähernd gerecht zu werden, habe ich einen ungewöhnlichen Ansatz gewählt: Wissenschaftliche Einsichten, persönliche Erinnerungen und politisch-moralische Wertungen sind zu einer Dreifachwurzel geflochten, die mit jedem Kapitel tiefer in den Gegenstand eindringt. Bis schließlich die Fundamente unseres kulturellen und spirituellen Selbstverständnisses erreicht werden, wo nach dem Wesen der Menschlichkeit (conditio humana) angesichts ihrer größten Bedrohung zu fragen ist. Entsprechend dringt mein Narrativ von der ›Haut‹ zum ›Fleisch‹ bis ins ›Mark‹ vor – aber nicht linear oder disziplinär geordnet, sondern nach einer inneren Logik, die mir der Gegenstand selbst aufgezwungen hat. So gesehen bin ich nur ein Stenotypist im Dienste des eigentlichen Autors.« (Vorwort, S. 5)


Hans Joachim Schellnhuber


Jahrgang 1950, ist Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) seit er das Institut im Jahr 1992 gegründet hat. Er ist Professor für Theoretische Physik an der Universität Potsdam, Senior Research Fellow am Stockholm Resilience Centre und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen (WBGU).


Inhaltsverzeichnis


Vorwort






Prolog







1.

Abschied und Wiederkehr







Erster Grad: Die Haut







2.

Wachstumsstörungen



3.

Der beschränkte Planet



4.

Entdeckungsreise zum Klimawandel



5.

Klimapalaver



6.

Der Faktor Mensch



7.

Stühlerücken auf der „Titanic“



8.

Warum eigentlich Klimaschutz?



9.

Mohamed ohne Land



10.

Einstein, Gödel, Drake







Zweiter Grad: Das Fleisch







11.

Gottes Element



12.

Zwei Große Transformationen



13.

Klima als Geschichtsmacht



14.

Ultrakurzgeschichte der Um-Welt



15.

Vom Wetter zum Klima



16.

Ins Feuer?



17.

Merkel auf dem Philosophenweg



18.

Klimafolgen: Leib und Leben



19.

Klimafolgen: Brot und Spiele



20.

Zwei Grad Celsius



21.

Kippelemente im Erdgetriebe




Elemente der Strömungswelt
Atlantische Thermohaline Zirkulation
El Niño-Southern Oscillation (ENSO)
Jet Stream
Monsun & Co.

Elemente der Eiswelt
Arktisches Meereis
Grönland und die Antarktis
Methanhydrate im Ozean und terrestrischer Permafrost

Elemente der Lebenswelt
Amazonas-Regenwald
Nordische Nadelwälder
Tropische Korallenriffe

Zusammenschau und Fazit







Dritter Grad: Das Mark







22.

Blendet die Seher!



23.

Betäubt die Hörer!



24.

Die Diktatur des Jetzt



25.

Falsche Ausfahrt: Anpassung



26.

Falscher Film: Klimamanipulation



27.

Die Neuerfindung der Moderne




1. Integration erneuerbarer Energiequellen
2. Häuser zu Kraftwerken
3. Neue Mobilität
4. Mehrfachnutzung und Wiederverwendung
5. Nachhaltiges Siedlungswesen
6. Aktives Kohlenstoffmanagement
7. Regenerative Wasserwirtschaft



28.

Klimaschutz als Weltbürgerbewegung



29.

Flucht und Gewalt



30.

Arm und Reich







Epiloge







31.

Wissenschaft, Gewissenschaft



32.

Geschenk an Michelangelo







Bibliografie, Register, Bildnachweis


Leseprobe


https://www.amazon.de/Selbstverbrennung-fatale-Dreiecksbeziehung-zwischen-Kohlenstoff/dp/…


Zitat


aus Kapitel 28: Klimaschutz als Weltbürgerbewegung (Seite 655 ff):






Warum erzähle ich hier so ausführlich von Abolitionismus und Anti-Apartheid-Bewegung? Nun, weil in beiden geschichtlichen Fällen tiefes Unrecht mithilfe des individuellen Bekenntnisses zu moralischen Grundsätzen überwunden werden konnte: Die staatlichen Institutionen handelten am Ende im Sinne der Menschlichkeit, aber nur unter dem Eindruck der öffentlichen Meinung, die den Parlamenten und Regierungen ein mächtiges Mandat zum Handeln gab, das jenseits des Konkurrenzkampfs der Parteien angesiedelt war. Somit besitzen wir heute kostbare historische Blaupausen für den Kampf gegen den Klimawandel, der ja einen ethischen Skandal größten Ausmaßes darstellt. Die nationalen Delegationen bei den „Klimagipfeln“ sind Gefangene einer prozeduralen Logik, die den Partikularnutzen eines Staates über das Gemeinwohl der Menschheit zu stellen neigt. Der einzelne Bürger muss dies aber nicht tun – er handelt keiner Absprache oder Konvention zuwider, wenn er sich frei dafür entscheidet, beim Klimaproblem das Wir über das Ich zu erheben!

Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) legte 2014 ein Sondergutachten vor, das dieser fundamentalen Einsicht Rechnung trägt. Sein Titel: Klimaschutz als Weltbürgerbewegung (…). In diesem Gutachten werden insbesondere die wichtigsten Aktionsformen und Initiativen diskutiert, mit denen die heutige Zivilgesellschaft jenseits aller nationaIen Zugehörigkeit zur Bewahrung der globalen Umwelt beizutragen vermag. Angesicht der Dramatik des Klimawandels ist das Gebot der Stunde nicht mehr die Verbreitung von Informationen zum Zwecke der moralischen Empörung, sondern die Betonung der Notwendigkeit zum ethischen Handeln Damit wandelt sich auch der Charakter der Beteiligung von gesellschaftlichen Gruppen an der politischen Willensbildung, die in den letzten Jahren immer mehr in einem ritualisierten, konsultativen Prozess erstarrte, der wiederum von wohletablierten Nichtregierungsorganisationen (NROs) dominiert war. Dieses Schema hat allmählich ausgedient.

Wenn ich öffentliche Vorträge zum Klimathema halte, werde ich bei der anschließenden Diskussion mit dem Publikum unweigerlich mit der Frage konfrontiert: „Professor Schellnhuber, was Sie da erzählen, ist wirklich bestüruend.Aber was kann ich persönlich dagegen tun?“ Früher tendierte ich dazu, diese Frage als im Kern unpolitisch und deshalb wenig zielführend zu empfinden. Ja, das Rückverweisen auf das Individuum – „Jeder Einzelne ist gefragt!“ – schien mir sogar von der Verantwortung der Regierungen, die notwendigen Rahmenbedingungen für den Klimaschutz herzustellen, und von der Pflicht der Unternehmen, für ihre Umweltschädigungen geradezustehen, abzulenken. Aber inzwischen habe ich eingesehen, dass die Frage nach dem persönlichen Beitrag schlechthin die politischste aller Fragen ist. Denn kein Problem der Moderne ist so unmittelbar mit den Gewohnheiten, Wünschen, Abneigungen und Entscheidungen des Einzelnen verknüpft wie die Klimaherausforderung.

Gewiss, das System des unbeschränkten Marktkapitalismus, der seit dem Fall der Berliner Mauer das Wirtschaften der ganzen Erde prägt, die Profitinteressen der weltumspannenden fossilen Industrie, die Machtansprüche autoritärer Parteien, archaischer Dynastien und reaktionärer Militärcliquen – sie tragen allesamt dazu bei, dass wir uns immer schneller auf das Klimachaos zubewegen. Aber diese Mächte und Kräfte können nur deshalb so zerstörerisch wirken, weil fast alle Menschen Komplizen der Untat sind. Gelegentlich aktiv, zumeist passiv. Wenn wir diese Komplizenschaft aufkündigen würden, fingen Regierungen rasch zu schwanken an und stolze Konzerne würden demütig. Der Einfluss des Wählers, des Kunden, des Anlegers ist so groß wie nie zuvor in der Geschichte und kann jedes Blatt wenden. Für die deutsche Energiewende nach dem Reaktorunfall von Fukushima im März 2011 gab es kein explizites Mandat per Stimmzettel. Doch der Bundesregierung war sofort klar, dass sie gegen eine überwältigende Anti-Atom-Stimmung in der Bevölkerung nicht ihre „Brückenstrategie“ mit AKW-Laufzeitverlängerung durchziehen konnte. Letztere war einfach nicht mehr gesellschaftsfähig, im wahrsten Sinn des Wortes.

Nunmehr geht es darum, auch das klimazerstörerische fossile Betriebssysrem für nicht mehr gesellschaftsfahig zu erklären. Dies ist dann höchst politisch, und zwar im eigentlichsten Sinn des Wortes, weil viele persönliche Bewertungen in eine – zunächst ungeschriebene – soziale Norm umschlagen. Dies geht auch weit über den Klimanutzen hinaus, den die private Entscheidung eines Haushaltes bewirkt, der sich beispielsweise entschließt, zu „grünem“ Strom zu wechseln oder ein Elektromobil für den Stadtverkehr anzuschaffen. Solche Schritte sind wichtig und lobenswert, summieren sich aber eben nur auf und können in der Regel keine großen Wogen des Wandels erzeugen. Dagegen kann über Kommunikation und Nachahmung die moralische Ächtung eines profitablen, aber unverantwortlichen Geschäftsmodells dessen Reputation in kurzer Zeit infrage stellen und es für Kapitalanleger schlagartig unattraktiv machen. So wie dies aktuell multinationale Textilkonzerne erleben, deren Gewinne durch die rücksichtlose Ausbeutung von Frauen und Kindern in Entwicklungsländern nicht mehr lange mit unserem sozialen Gewissen vereinbar sein werden.


Siehe auch


S. Rahmstorf / J. H. Schellnhuber: Der KlimawandelDiagnose, Prognose, Therapie