langelieder > Bücherliste > Geseko von Lüpke 2008




Geseko von Lüpke
Altes Wissen für eine neue Zeit

Gespräche mit Heilern und Schamanen des 21. Jahrhunderts


München 2008 (Kösel); 430 Seiten; ISBN: 978-3-466-34526-7






Angesichts der weltweiten Krisen haben sich fast alle traditionellen Weisheitsträger, Heiler und Schamanen entschieden, ihr Wissen auch für den Westen zu öffnen. Sie sind Grenzgänger zwischen Tradition und Moderne, Wanderer zwischen den Welten des Bewusstseins und reisen – im 21. Jh. immer öfter auch mit Laptop und eigener Website – als Botschafter alten Wissens rund um den Globus. Geseko von Lüpke hat mit 17 von ihnen gesprochen. Sein Buch offenbart hierzulande fast vergessene, aber hochaktuelle Weisheiten, die für unser (Über)Leben entscheidend sein werden.




Was Sie soeben in der Hand halten, ist die gedruckte und zeitgemäße Version einer uralten, tagtäglichen Zeremonie unserer Vorfahren. Es bringt genau das zwischen zwei Buchdeckel, was in grauer Vorzeit im Kreis des nächtlichen Feuers geschah: Geschichten von und Gespräche mit den Ältesten, Medizinleuten und Schamanen... (weiterlesen)


Geseko von Lüpke


geb. 1958, studierte Politologie und Ethnologie, ist renommierter Journalist in Rundfunk und Printmedien sowie Autor zahlreicher Buchpublikationen – u.a. für Themen im Bereich Kultur, Naturwissenschaft, nachhaltige Zukunftsgestaltung, ökologische Ethik, Schamanismus, Spiritualität. Durch seine ausgedehnten Reisen in alle Welt wurde er zum „Dolmetscher“ zwischen verschiedenen Kulturen und Weltbildern.


Inhaltsverzeichnis


Vorwort






Schamanismus zwischen Steinzeit und Moderne




Schamanentum – was ist das?
Die Mutter aller Religionen
Zwischen Ablehnung und Faszination
Wanderer zwischen den Welten
Der Weg der Schamanen
Jenseits der Trennung von Mensch und Natur
Tiefenzeit und kollektives Wissen
Jenseits der Vernunft – transrational?
Schamanismus und Heilung
Schamanismus vor der Haustür?
Balanceakt der Wiederentdeckung






Das schamanische Weltbild






Das Eis in den Herzen schmelzen
Gespräch mit dem grönländischen Inuit-Schamanen Angaangaq Lyberth






Uralte Traditionen im Licht des modernen Denkens
Gespräch mit dem peruanischen Inka-Schamanen Don Oscar Miro-Quesada






Im Dialog mit der natürlichen Welt






Handeln als Teil der Natur
Gespräch mit dem mongolischen Tuwa-Schamanen und Schriftsteller Galsan Tschinag






Der Weg des Kreises
Gespräch mit dem nordamerikanischen Heiler und Wampanoag-Ältesten Manitonquat (Medicine Story)






Der Regenmacher der Seele
Gespräch mit dem peruanischen Amazonas-Schamanen und Pflanzen-Heiler Don Pedro Guerra Gonzales






Einheit in lebendiger Vielfalt






Die Kraft der Ahnen
Gespräch mit dem südafrikanischen Schamanen und „Sangoma“ Percy Konqobe






Schamanismus und kulturelle Tradition
Gespräch mit dem indonesischen Batak-Schamanen Morden Sitangang






Die heilige Wunde
Gespräch mit dem westafrikanischen Dagara-Schamanen Malidoma Somé






Die Kraft des Weiblichen
Gespräch mit der guatemaltekischen Maya-Priesterin Doña Eufemia Cholac Chicol






Die Aktualität des Archaischen
Gespräch mit der sibirisch-burjatischen Schamanin Nadja Stepanova






Die verwundete Heilerin
Gespräch mit der koreanischen Tanz-Schamanin Hi-ah Park






Wegbegleiterin zum eigenen Potenzial
Gespräch mit der neuseeländischen Maori-Schamanin Wai Turoa-Morgan






Europäische Wurzeln des Schamanismus






Die heiligen Clowns
Gespräch mit den englischen Baum-Schamanen Dusty Miller XIII. und Dusty Miller XIV.






Grenzgänger seit der Steinzeit
Gespräch mit dem norwegischen Sámi-Schamanen Ailo Gaup






Matriarchale Wurzeln schamanischer Kulturen
Gespräch mit der Kulturwissenschaftlerin Heide Göttner-Abendroth






Die Zukunft des Schamanismus






Die Synthese zwischen Schamanismus und Wissenschaft
Gespräch mit dem mexikanischen Schamanen José Lopéz Guido






Der radikale Weg der Mühelosigkeit und Ekstase
Gespräch mit dem Anasazi- und Hisatsinom-Schamanen Joseph Standing Eagle






Welches alte Wissen für welche neue Zeit?
Ein Epilog









Danksagungen, Literatur, Internet-Kontakte


Leseprobe


Vorwort






Was Sie soeben in der Hand halten, ist die gedruckte und zeitgemäße Version einer uralten, tagtäglichen Zeremonie unserer Vorfahren. Es bringt genau das zwischen zwei Buchdeckel, was in grauer Vorzeit im Kreis des nächtlichen Feuers geschah: Geschichten von und Gespräche mit den Ältesten, Medizinleuten und Schamanen. Das Besondere daran ist, dass an diesem »Feuer« nicht nur ein Stammesältester sitzt, sondern mehr als ein Dutzend. Und dass diese Ältesten, Medizinleute und Schamanen nicht aus einem, vielleicht sogar isolierten Stamm kommen, sondern aus siebzehn verschiedenen Kulturen in fünf Kontinenten.






Dieses Buch ist außerdem die Zwischenbilanz einer Entwicklung, die schon vor gut dreißig Jahren begann. Nachdem Ethnologen noch vor wenigen Jahrzehnten davor warnten, dass schamanische Kulturen in Kürze aussterben würden, sind die alten kulturellen Traditionen des Schamanismus auch in der modernen westlichen Welt nun wieder in den Mittelpunkt des Interesses geraten. Diese erstaunliche »Rettung« uralten Wissens ist der Erfolg von verschiedenen Menschen in aller Welt, die den unschätzbaren Wert indigener Traditionen erkannten und ihr Leben seiner Erhaltung widmeten.






Doch diese Erhaltung wurde nicht nur durch Ethnologen und Anthropologen geleistet, die das archaische Wissen allzu oft aus der eurozentrischen Perspektive analysierten und in Monographien katalogisierten. Die Rettung dieser kulturellen Schätze ist insbesondere auch der Erfolg jener, die das Risiko auf sich nahmen, Vertreter dieses alten Wissens über Jahre hinweg nach Europa einzuladen, ihnen in der Öffentlichkeit ein Podium verschafften und mit einem interkulturellen Dialog begannen. Denn sie waren wach genug, um zu erkennen, dass die moderne Welt zahlreiche Fragen an die Vertreter des uralten Menschheitswissens hatte. Und: Dass es etwas gutzumachen galt nach Jahrhunderten der Ausbeutung, der absichtlichen Zerstörung indigener Traditionen, der Entwürdigung und kulturellen Dominanz. Die im italienischen Poci gegründete Shamanism & Healing Association war die erste Einrichtung der Zivilgesellschaft, die Heiler aus aller Welt nach Deutschland einlud. Bereits 1982 organisierte sie den ersten Kongress mit bis dahin in der westlichen Welt noch völlig unbekannten Heilformen traditioneller Schamanen und Heller. Sie ist damit im deutschsprachigen Bereich durchaus als wegbereitender Pionier auf diesem Gebiet zu sehen, das mittlerweile auf dem Seminar-, Kongress- aber auch Sachbuchmarkt von großer und wachsender Bedeutung ist.






Wenn es mir möglich war, Schamanen aus fünfzehn Ländern zu interviewen, ohne dass ich dafür auch nur einmal physisch die Grenzen des eigenen Kulturkreises überschreiten musste, dann ist es diesen Wegbereitern und ihrem Mut zu verdanken sowie all jenen, die in den letzten Jahren ähnliche Wege beschritten haben. Was sie gemeinsam leisten, ist eine Globalisierung im positiven Sinne. Denn sie machen die Schamanen und Schamaninnen dabei nicht zur Zielscheibe exotischen Interesses oder ethnologischer Untersuchungen, sondern würdigen sie als authentische Lehrer von hierzulande untergegangenen Traditionen eines alten, aber immer noch relevanten Wissens. Sie bieten diesen Traditionsträgern indigener Kulturen damit auch die Gelegenheit, dem modernen Westen und seiner Kultur selbstbewusst und auf Augenhöhe zu begegnen. Auch dieser Ansatz ist im Dialog zwischen den industriellen Wachstumsgesellschaften und den traditionellen Stammeskulturen von ganz neuer – und längst überfälliger – Qualität.






Die forschende Begegnung mit schamanischen Traditionen in aller Welt kann außerdem dazu beitragen, sich der eigenen schamanischen Wurzeln bewusst zu werden. Und damit wird nicht nur die Rückbindung an die eigenen kulturellen Wurzeln erweitert, sondern es lassen sich so auch eigene verdrängte Kulturanteile aufdecken, womit der oft zu beobachtenden Projektion auf sogenannte traditionelle oder gar »primitive« Kulturen der Boden entzogen wird. Vielmehr wird eine offene interkulturelle Begegnung ermöglicht, eine Suche nach Parallelen in beiden Weltbildern, die nicht selten von Überraschungen geprägt ist.






Eine weitere herausragende Bedeutung dieser Initiativen liegt darin, die meist geographisch isoliert in ihren jeweiligen traditionellen Kulturen lebenden Heiler erstmals miteinander in Kontakt zu bringen. Derartige Kontakte zwischen den über den gesamten Globus verstreuten Schamanen, die ja überall nach ähnlichen Prinzipien arbeiten, aber selten darüber voneinander wissen, ist etwas völlig Neues in der Kulturgeschichte des Schamanismus. Diese Kontakte dienen zu vielerlei: Zunächst können sie dazu beitragen, die bedrohte Kulturform des Schamanismus zu stärken, weil Kooperation und Solidarität entstehen. Bei den teilnehmenden Schamanen, die sich bislang meist nur auf ihr lokales traditionelles Wissen berufen haben, entsteht durch diese interkontinentalen Begegnungen mit zahlreichen »Kollegen« auch so etwas wie ein internationales Selbstbewusstsein und eine Reflexion der eigenen Traditionen. Darüber hinaus öffnen sie Möglichkeiten der interkulturellen Zusammenarbeit, mit der die Inhalte schamanischen Arbeitens selbst weiterentwickelt werden können. Erstmals kann durch diese Begegnungen so etwas deutlich werden wie ein gemeinsamer Kern des globalen Phänomens des Schamanismus.






Dafür ist besonders der erwähnten Shamanism & Healing Association zu danken, die heute als Schamanismus & Heilen e.V. Seminare, Langzeitstudienprogramme, Konferenzen und Begegnungen zwischen und mit indigenen Heilern organisiert (Adresse siehe Seite 429). Sie war es auch, die mir die Gelegenheit gab, die meisten der in diesem Buch versammelten Gesprächspartner zu treffen.






War der Schamanismus bislang ganz besonders durch die Globalisierung und ihren Druck zur kulturellen Anpassung bedroht, so ist der Spieß mittlerweile umgekehrt worden: Der Schamanismus nutzt die Gobalisierung, um sich selbst zu stärken, weiterzuentwickeln und auch in der modernen Welt auszubreiten.






die klassische Ethnologie hat den Schamanismus bisher meist aus einer fast musealen Perspektive als untergehende Kulturform beschrieben. Dieses Buch weicht von dieser Haltung ab. Es geht davon aus, dass sich der Schamanismus in seiner langen Geschichte immer wieder veränderten Bedingungen angepasst hat und damit auch Gegenstand kultureller Evolution war und ist. Der klassische Schamanismus, wie er in isolierten indigenen Kulturen existiert hat, mag heute von der Erde fast verschwunden sein – einfach deshalb, weil es kaum mehr indigene Kulturen gibt, die ohne Kontakt zur »modernen Welt« existieren. Gleichzeitig aber hat das schamanische Weltbild gerade in den letzten Jahren eine enorme Beständigkeit bewiesen. Im heutigen Russland, den ehemaligen sowjetischen Randrepubliken und der Mongolei erfährt er – nach siebzig Jahren brutaler Unterdrückung – eine erstaunliche Wiedergeburt. In zahlreichen Ländern der über Jahrhunderte kolonisierten sogenannten »Dritten Welt« werden schamanische Traditionen Jahrzehnte nach der politischen Unabhängigkeit nun als Teil der kulturellen Identität wiederentdeckt. Überall zeigt sich, dass die alten Traditionen – oft unter hohem Risiko und im Verborgenen – über große Zeiträume weiter gepflegt und überliefert worden sind. Sicherlich haben sich die Überlieferungen in dieser Zeit der Unterdrückung verändert. Fraglos aber haben auch seine Vertreter vieles hinzugelernt.






Dieses Buch betont in seinem Untertitel die Gespräche mit Heilern und Schamanen des 21. Jahrhunderts. Und tatsächlich zeigt sich der Schamanismus heute in einem neuen Gewand, einem neuen Bewusstsein und einer neuen Sprache. War noch vor zwanzig Jahren der Dialog mit SchamanInnen von der Mühsal geprägt, über tiefe kulturelle Differenzen hinweg ganz andere Denkweisen, Wahrnehmungen und sprachliche Metaphern verstehen zu müssen, so ist dies heute anders geworden. Heiler und Schamanen des 21. Jahrhunderts sind nicht nur – wie ihre Vorfahren – Wanderer zwischen Bewusstseinswelten. Sie sind auch Wanderer zwischen Kulturen, Zeitaltern, Wissenstraditionen und Kontinenten. Sie haben sich – ohne dabei ihre Wurzeln zu verleugnen – fremden Kulturen oft viel weiter geöffnet, als die westliche Welt das bisher gewagt hat. Und damit sind sie auch Mittler, Dolmetscher, Mediatoren zwischen Alt und Neu geworden: Pioniere eines interkulturellen Dialogs im »globalen Dorf«. Dies gilt es in einem Buch über »Schamanismus heute« zu würdigen.






Die Gesprächspartner, die hier versammelt sind, stehen alle mit einem Fuß in der modernen Welt und sind mit dem anderen Fuß in ihrer indigenen Tradition verwurzelt. Die Mehrzahl unter ihnen ist sowohl in der westlichen Welt als auch in ihrer Ursprungskultur als Heiler, Weise oder Älteste tätig. Einige wiederum wurden von ihrer Gemeinschaft gezielt ausgewählt, um das alte Wissen in alle Welt zu tragen. Einzelne schließlich können als letzte Vertreter schon fast verschwundenen Wissens untergegangener Kulturen gesehen werden.






Die Biographien solcher »Kulturnomaden« haben zahlreiche, oftmals faszinierende Brüche. Oft erzählen sie von Lebensläufen, in denen sie sich kulturell verloren fühlten und schließlich doch wiedergefunden haben. Manche berichten von erzwungenen Deportationen in die moderne Welt, durch die sie nicht anders konnten, als Neues zu lernen. Andere sind durch eine Sozialisation gegangen, in der sie – neben einem Jahre dauernden schamanischen Initiationsweg – parallel an westlichen Universitäten studierten, in der modernen Verwaltung oder im BildBildungssystern arbeiteten. Sie alle waren dadurch gezwungen, durch einen nicht selten schmerzvollen inneren kulturellen Dialog zu gehen und gehen erst einmal ihre eigene Biographie in Balance bringen, bevor sie zu interkulturellen Weisheitslehrern wurden. Zudem sind sie als Kinder zweier Welten darin geübt, die indigenen Traditionen nicht nur zu praktizieren, sondern auch analytisch zu erfassen.






Dies wiederum eröffnet eigentlich zum ersten Mal die Möglichkeit eines wirklichen »Dialogs«. Während nämlich noch vor wenigen Jahren der westliche Fragesteller und die schamanischen Weisen in solch verschiedenen Welten lebten, dass der eine den Sinn der Frage und der andere den Inhalt der Antwort kaum verstand, hat man nun eine gemeinsame Sprache, ähnliche Metaphern, vergleichbare analytische Denkmethoden. Statt aneinander vorbeizureden, kann man jetzt miteinander reden. Statt Unverstandenes zu interpretieren oder Eigenes hineinzuprojizieren, kann man so lange nachfragen, bis Klarlicit entsteht.






In einem Buch zu versuchen, die unendliche Vielfalt schamanischer Traditionen abzubilden, ist trotzdem ein fast unmögliches Unterfangen. Denn der Schamanismus ist eine Überlieferung, die fast so alt ist wie der Mensch selbst, und hat sich über die Jahrzehntausende, wenn nicht sogar über Jahrhunderttausende in einer enormen Vielzahl von Facetten entwickelt. Jedes einzelne der siebzehn in diesem Buch versammelten Gespräche mit den Trägern alten Wissens kann insofern nur jeweils eine Fläche eines Diamanten abbilden, der wiederum eine endlose Zahl von Facetten hat. Und doch gibt jede einzelne davon Hinweise auf die Struktur und Tiefe der gesamten schamanischen Überlieferung. Dabei sind Widersprüche zwischen einzelnen Aussagen ebenso wenig auszuschließen wie Wiederholungen. Die Komplexität schamanischen Wissens lässt sich nicht auf eine Weise in Schubladen sortieren, wie wir das von den modernen Natur- und Geisteswissenschaften gewohnt sind. Und auch die Wiederholungen sind keine simplen Redundanzen, sondern geben Gelegenheit, kulturübergreifende Grundmerkmale schamanischer Überlieferung aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet zu bekommen. Dennoch macht dieses Buch aus Gründen der Übersichtlichkeit den Versuch, das eigentlich unauftrennbar Ganzheitliche schamanischer Traditionen in verschiedene Teile zu gliedern,






Nach einer einführenden Zusammenfassung des gesamten Phänomens unter dem Titel Schamanismus zwischen Steinzeit und Moderne sind die siebzehn Gespräche in sechs Bereiche unterteilt. Sie fokussieren jeweils einen Schwerpunkt schamanischen Wissens, während zugleich alle Schwerpunkte sich in unterschiedlicher Gewichtung in allen Gesprächen finden lassen.






Unter der Überschrift Das schamanische Weltbild äußern sich der grönländische Eskimo-Schamane Angaangaq Lyberth und der peruanische Schamane in der Tradition der Inka, Don Oscar Miro-Quesada. Sie eröffnen den Blick auf das zugleich einfache, aber in seiner Tiefe ungeheuer komplexe Bild schamanischer Wirklichkeit und geben dabei auch schon konkrete Hinweise darauf, wie sich dieses Wissen heute nutzen lässt.






Unter der Überschrift Im Dialog mit der natürlichen Welt stehen die Gespräche mit dem mongolischen Schamanen und Schriftsteller Galsan Tschinag, dem nordamerikanischen Heiler und Wampanoag-Ältesten Manitonquat und dem peruanischen Amazonas-Schamanen und Pflanzenheiler Don Pedro Guerra Gonzales. Sie betonen insbesondere die enge und manchmal auch phantastisch erscheinende Verbindung schamanischer Tradition mit den Gesetzen der lebendigen Natur sowie die Lernwege, Heiltraditionen und kulturellen Regeln, die daraus abgeleitet wurden.






In dem weitaus umfassendsten Teil Einheit in lebendiger Vielfalt kommen der südafrikanische Schamane und »Sangoma« Percy Konqobe, der indonesische Batak-Schamane Morden Sitanggang, der westafrikanische Dagara-Schamane Malidoma Somé, die guatemaltekische Maya-Priesterin und Schamanin Doña Eufemia Cholac Chicol, die sibirisch-burjatische Schamanin Nadja Stepanova, die koreanische Tanz-Schamanin Hi-ah Park sowie die neuseeländische Maori-Schamanin Wai Turoa-Morgan zu Wort. Hier werden einzelne Aspekte thematisiert, die von der ganzheitlich-systemischen Arbeit, der tiefenzeitlichen Verbindung mit mythischen Urahnen und den schamanischen Initiationswegen, den Kontakten mit der »Anderswelt«, über die zentrale Rolle von Tod und Wiedergeburt, bis hin zu den Aufgaben moderner Schamanen in der westlichen Welt reichen.






Der anschließende Teil Europäische Wurzeln des Schamanismus gibt die Gespräche mit den englischen Baum-Schamanen Dusty Miller, dem XIII. und dem XIV, dem norwegischen Sámi-Schamanen Ailo Gaup sowie mit der deutschen Kulturwissenschaftlerin, Matriarchatsforscherin und Leiterin matriarchaler Mysterienfeste Heide Göttner-Abendroth wieder. Hier wird nicht nur deutlich, dass es am Rande der europäischen Moderne nach wie vor uralte schamanische Traditionen gibt. Es wird auch die für manche vielleicht provokative These aufgestellt, dass sich unser heutiges Wissen über vorchristliche matriarchale Kulturen in Europa als eine Fundgrube für die Erforschung der schamanischen Wurzeln unserer eigenen Kultur nutzen lässt.






Den Abschluss der Gespräche mit den Heilern und Schamanen des 21. Jahrhunderts bildet der Teil Die Zukunft des Schamanisinus. Hier finden sich die Dialoge mit dem mexikanischen Schamanen und Therapeuten José Lopéz Guido sowie mit dem Anasazi- und Hisatsinom-Schamanen Joseph Standing Eagle, der sich auf die Überlieferungen der untergegangenen Anasazi-Hochkultur bezieht. Sie spiegeln den Versuch, einen Ausblick auf die mögliche Synthese moderner westlicher und archaisch-schamanischer Weltbilder zu wagen. Zum anderen öffnet sich hier ein visionärer Blick auf die Relevanz nicht-dualer schamanischer Spiritualität sowie die Möglichkeiten, sie jenseits von kulturellen Zwangsjacken zu nutzen.






Ein abschließendes Fazit arbeitet schließlich der Teil Welches alte Wissen für welche neue Zeit? heraus. Da auch der Titel dieses Buches besagt, dass die schamanischen Überlieferungen eine hohe Relevanz für eine neue Zeit haben, werden die entsprechenden Aussagen aller Gesprächspartner dazu noch einmal aufbereitet und zusammengefasst. Hier werden nicht nur medizinische und therapeutische Ansätze und Methoden herausgearbeitet, sondern auch philosophische, gesellschaftliche, konfliktregulierende, soziale, ethische und spirituelle Lehren, die der heutigen Welt Antworten auf scheinbar unlösbare Probleme zu bieten haben.






Der Anhang schließlich verweist einerseits auf eine Auswahl der vorhandenen Literatur, wobei der Schwerpunkt auf jenen Veröffentlichungen liegt, die von den Gesprächspartnern selbst geschrieben wurden. Außerdem finden Sie dort eine Liste mit Internet-Kontakten. Noch vor wenigen Jahren wäre es undenkbar gewesen, einen Schamanen mit einer elektronischen Postadresse oder mit eigener Website zu finden. Auch hier zeigt sich, dass der Schamanismus des 21. Jahrhunderts neue Wege geht. Manch einer der indigenen Heiler merkt dazu lächelnd an, dass jener Austausch, der früher nur auf der spirituellen Ebene möglich war, nun ganz unzeremoniell per Maus und Bildschirm stattfinden kann. Auf Seite 429 finden Sie außerdem Hinweise auf die Internet-Seiten der Anbieter von schamanischen Fort- und Ausbildungen, Tagungs- und Konferenz-Organisatoren. Auch hier können die Angaben nur eine kleine Auswahl zeigen. Sie aber soll die Möglichkeit geben, zu jenen Schamanen Kontakt aufzunehmen, die bereits bei der vorliegenden Lektüre eine spürbare Resonanz auslösten.






Damit wird eine weitere Besonderheit dieses Buches berührt: Alle in ihm versammelten Schamanen und Schamaninnen bieten im deutschsprachigen Raum regelmäßig Seminare, Fortbildungen und zum Teil auch Ausbildungen oder längere Sommer-Camps an. Sie können das Buch somit als eine Art Wegweiser betrachten, der durch das Dickicht von teilweise auch unseriösen Angeboten indigenen Wissens auf dem zeitgenössischen Seminarmarkt führt. Es gibt die Möglichkeit, sich einen Eindruck von der jeweiligen Persönlichkeit zu machen und einen Einblick in den kulturellen Hintergrund und das Wissensgebäude der Lehrenden zu erhalten. Denn die persönlich gehaltenen Dialoge vermitteln mehr als nur ethnographische Besonderheiten der unterschiedlichen schamanischen Kulturen. Sie spiegeln auch den Humor der Gesprächspartner, die persönlichen Brüche in der Biographie sowie die Lebens- und Leidenswege, die aus den lebenslang Suchenden letztlich Persönlichkeiten mit hoher persönlicher Integrität haben werden lassen.






Die Annährung im offenen Dialog erschien dabei als die geeignetste Form, Brücken des Verständnisses über die kulturellen Brüche hinweg zu bauen. Antworten, und seien sie für das westliche Verständnis manchmal auch skurril oder schwer nachvollziehbar, wurden nicht bewertet, sondern als gleichermaßen mögliche Wirklichkeit gewürdigt. Die Befragten sollten die Möglichkeit haben – wie auch in der Struktur des »Councils« – offen aus dem Herzen zu sprechen.






Ich wünsche Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, Muße und ein offenes Herz, wenn Sie sich nun mit an das Feuer setzen, um den hochaktuellen Worten aus anderen Zeiten und Welten in Ihrem Inneren zu lauschen.






Geseko von Lüpke
Olching, April 2008


Siehe auch


Geseko von Lüpke: Die Alternative. Wege und Weltbild des Alternativen Nobelpreises. Pragmatiker, Pfadfinder, Visionäre



Geseko von Lüpke, Peter Erlenwein: Projekte der Hoffnung Der Alternative Nobelpreis: Ausblicke auf eine andere Globalisierung



Geseko von Lüpke: Politik des Herzens. Nachhaltige Konzepte für das 21. Jahrhundert. Gespräche mit den Weisen unserer Zeit.



Geseko von Lüpke: Zukunft entsteht aus KriseAntworten von Joseph Stiglitz, Vandana Shiva, Wolfgang Sachs, Joanna Macy, Bernard Lietaer u.a.



Geseko von Lüpke im Gespräch mit Gabi Toepsch (BRalpha/PDF)