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Die Erdkugel ist
kein gigantischer toter Felsbrocken, der von lebenden 0rganismen
bevölkert wird. Der ganze Planet selbst ist vielmehr ein
riesiger lebender 0rganismus. – Als der britische Biologe
James Lovelock vor gut einem Jahrzehnt diese sogenannte
Gaia-Theorie (nach der griechischen Erdgöttin Gaia)
aufstellte, wurde er von den meisten seiner Kollegen belächelt.
Heute werden seine Ideen weltweit von Wissenschaftlern
wie Laien diskutiert und finden breite Anerkennung. In diesem
reich illustrierten, didaktisch geschickt aufgebauten Buch geht
Lovelock nun über eine bloße Darstellung der
Gaia-Theorie hinaus: Er zeigt ihre Anwendung auf ein uns alle
unmittelbar betreffendes Gebiet.
Wenn die Erde ein
lebender Organismus ist, so fragt er, wie steht es dann um dessen
Gesundheit? Von der Warte eines Arztes unterzieht er die Erde
einer gründlichen Überprüfung „auf Herz und
Nieren“. Was er herausfindet ist sowohl erschreckend wie
faszinierend. Wie jedes Lebewesen in mittleren Jahren hat auch
Gaia schon etliche Schläge hinnehmen müssen:
Meteoriteneinschläge, Polsprünge, planetare
Katastrophen, die zu riesigen Artensterben führten. In der
Veryangenheit konnte Gaia sich immer wieder erholen. Heute jedoch
ist sie schwer krank – und die Menschheit ist die
schwerwiegendste Ursache dieser Krankheit.
Wie also lautet
die ärztliche Prognose? Wird Gaia überleben? Und wenn
ja, werden wir Menschen dann immer noch Teil ihres lebenden
Systems sein? – Solchen herausfordernden Fragen geht
Lovelock mit der originellen Sichtweise und der
wissenschaftlichen Strenge nach, die ihn berühmt gemacht
haben. Eigens für diesen Band entwickelte Farbtafeln
ermögichen es ihm, seine Ideen mit dramatischer Klarheit zu
veranschaulichen und zu erklären.
Dieses didaktisch
geschickt aufgebaute Buch ist ein Muß für alle, die
sich um unseren Planeten und sein Leben, ein- schließlich
unseres eigenen, sorgen. (Klappentext)
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Dieses
Buch erkundet die Erde mit den Augen eines imaginären Arztes
für den Planeten – eines Erd-Arztes. Ich stelle mir
vor, daß es ein Arzt ist, der Hausbesuche macht, jemand aus
der Zeit vor den Antibiotika und der Molekularbiologie, der sich
auf Diagnose versteht, der Zuversicht vermitteln kann, der
mitunter nur dadurch heilt, daß er den Lauf, den die Natur
ohnehin nimmt, ein wenig steuert.
Die Vorstellung einer
planetaren Medizin, einer Medizin der ganzen Erde, setzt einen
Erdkörper, der in gewisser Weise lebendig ist und gesund
oder krank sein kann. Der Idee einer lebendigen Erde und der
Gaia-Theorie, der diese Idee entspringt, wird von vielen Biologen
heftig widersprochen; Leben, sagen sie, ist die exklusive
Eigenschaft lebendiger Organismen und der Gene, deren Ausdruck
sie sind. Sowohl Gaia als Theorie als auch Lynn Margulis und ich
als ihre Vertreter werden von einer kleinen, aber lautstarken
Schar von Biologen und Wissenschaftsautoren öffentlich in
Mißkredit gebracht. Sie greifen von der hohen Warte der
etablierten Naturwissenschaft aus an und denunzieren (wie erst im
April 1991 im Wissenschaftsmagazin Science) die
Gaia-Theorie als „unwissenschaftlich“, „gefährlich“
und „pure Phantasie“. Vor allem mögen sie es gar
nicht hören, wenn man die Erde lebendig nennt.
In
diesem Vorwort muß ich mich zu unserer Verteidigung und zur
Verteidigung von Gaia als Theorie äußern. Der Leser
könnte sonst dem Vorwurf glauben, wir wären gefährliche
Exzentriker und Gaia ein bloßes Hirngespinst. Ich finde,
daß diese Kritiker pedantisch und zudem im Irrtum sind und
daß durchaus gute Gründe für die Existenz von
Gaia sprechen. Behalten Sie aber beim Lesen dieses Buches im
Auge, daß Gaia noch nicht im strengen Sinne bewiesen ist;
nehmen Sie Gaia und die Idee einer Planetenmedizin als eine
Möglichkeit, die Probleme der Erde einmal anders zu
betrachten.
Es braucht sicher einiges an Mißverständnis,
um einen besonnenen Wissenschaftler zu verärgern, und so
sind wir wohl tatsächlich provozierend gewesen in unseren
Aussagen und müssen erklären, was wir mit „Leben“
meinen. Ich beschreibe das Ökosystem der Erde, Gaia, als
lebendig, weil es sich insofern wie ein lebendiger Organismus
verhält, als es seine Temperatur und chemische
Zusammensetzung unter wechselnden Bedingungen aktiv konstant
hält. Ich bin mir dabei bewußt, daß ich den
Ausdruck metaphorisch verwende und die Erde nicht auf die gleiche
Art lebendig ist wie Sie oder ich oder auch nur eine Bakterie.
Dennoch bleibe ich dabei, daß die Gaia-Theorie selbst im
eigentlichen Sinne wissenschaftlich und keine bloße
Metapher ist.
Sollte
ich – sollten Sie – beunruhigt sein von solchen
kritischen Bemerkungen anderer Wissenschaftler, bei denen es sich
zum Teil um renommierte Professoren berühmter Universitäten
handelt? Ich glaube nicht. Man muß schon ein Fanatiker oder
ziemlich humorlos sein, wenn man in einer Theorie wie der von
Gaia etwas Gefährliches sieht. Gaia ist nur eine von vielen
Betrachtungsmöglichkeiten für die Geheimnisse der
Erde.
Wie kommt ein verständiger Wissenschaftler
überhaupt dazu, bei Gaia den sonst so unerschütterlichen
Gleichmut aufzugeben? Ich glaube, das ist eine Folge des schon
sehr lange währenden zermürbenden Krieges zwischen
Biologen und Anhängern des Schöpfungsglaubens. Im Eifer
des Gefechts wurden Naturwissenschaftler, was eigentlich nicht
typisch ist, dogmatisch und arrogant. Selbst wo in neuerer Zdit
dieser Streit noch fortgesetzt wird, etwa in Amerika, hört
man unter Wissenschaftlern Stimmen, die ebenso anmaßend und
humorlos sind wie die der Kreationisten. Genau dieselben
intoleranten Stimmen formieren sich jetzt gegen Gaia.
Ich
bin ein altmodischer Wissenschaftler und glaube (wie Freeman
Dyson es in seinem Buch „Zeit ohne Ende“ ausdrückt),
daß die Ethik der Naturwissenschaft eine prinzipielle
Offenheit zur Grundlage hat, die Bereitschaft, jeder Theorie
analytisch und durch experimentelle Überprüfung auf den
Grund zu gehen. Die Royal Society of London nahm sich 1660 stolz
das Wort Nullius in verba zum Motto, das heißt
soviel wie „Keines Menschen Wort wird das letzte sein“.
Unfehlbarkeit kann es in der Naturwissenschaft nicht geben. Ich
bin außerdem zu der Überzeugung erzogen worden, daß
die Naturwissenschaft ernst zu nehmen, aber nicht sakrosankt ist,
daß zu schöpferischer Wissenschaft die Fähigkeit
zu staunen und Sinn für Humor gehört.
So mag die
Gaia-Theorie denn ganz oder in Teilen unhaltbar sein. Für
den echten Wissenschaftler ist das weniger wichtig als die Frage,
ob sie folgenden Kriterien genügt: Ist sie brauchbar und
nützlich? Regt sie zu interessanten Experimenten an? Erklärt
sie die verwirrenden Daten, die wir gesammelt haben? Macht sie
überprüfbare Voraussagen? Hat sie eine mathematische
Basis? Gaia beantwortet alle diese Fragen positiv und hat es
daher gewiß verdient, von den Naturwissenschaftlern erwogen
und nicht verhöhnt und beschimpft zu werden.
Schöpferische
Naturwissenschaft ist die Domäne praktizierender
Wissenschaftler, und von denen finden sich nur wenige unter
unseren Kritikern. Als unwissenschaftlich verworfen wird Gaia
meist von Wissenschaftsautoren oder professionellen
Wissenschaftskritikern. Schöpferische Wissenschaftler lassen
sich eher.inspirieren von Ideen, die oft schwer zu formulieren
sind, aber immerhin zu Experimenten anregen. Die formale
Ausarbeitung kommt in aller Regel erst nach der Inspiration und
den Experimenten. Das wollen Wissenschaftsautoren und Kritiker
nicht so gern wahrhaben; es würde ihre Darstellungen nur
„unnötig“ komplizieren.
Es wäre
falsch, aus diesem Vorwort zu schließen, daß nun ein
kämpferisches oder gar polemisches Buch folgen wird. Wir
haben etwas anderes im Sinn als die Frage, ob die Gaia-Theorie
richtig oder falsch ist, nämlich die Möglichkeit, die
Erde durch Gaia neu zu sehen. Ich lade Sie ein, sich mir
anzuschließen zur Erkundung unseres Planeten, geführt
von einem Erd-Arzt, der wie jeder andere Arzt die Physiologie zu
seinem empirischen Ausgangspunkt macht. Seine Physiologie ist
natürlich die Geophysiologie, die Systemwissenschaft der
Erde.
James E. Lovelock
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