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> Margulis/Sagan 1999
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Lynn
Margulis, Dorion Sagan Leben Vom
Ursprung zur Vielfalt
Heidelberg
Berlin 1999 (Spektrum Akademischer verlag); 208 Seiten; ISBN
3-8274-0524-6
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… In
Leben erklären uns Lynn Margulis und Dorion
Sagan, welche Bakterien zu den ersten kernhaltigen Zellen
verschmolzen – zu unseren Zellen. Aber das ist bei
weitem nicht alles, denn der stets rastlose Geist von Margulis
blieb weiterhin Rätsel auf der Spur. Leben
führt überzeugende Argumente dafür an, dass früher
in der Evolution schon einmal eine Verschmelzung verschiedener
Bakterienarten stattgefunden hat. Margulis ist mittlerweile
überzeugt, dass die symbiotische Entstehung neuer
Lebensformen („Symbiogenese“) viel häufiger
vorkam, als es sich die in der darwinistischen Tradition
verhafteten Evolutionsbiologen träumen lassen. Deren
Denkweise legt auf die Konkurrenz im Evolutionsprozess weit mehr
Gewicht als auf die Kooperation. Die symbiotische Genese ist
Margulis‘ entscheidender Beitrag zur
evolutionstheoretischen Diskussion. Durch ihre Bemühungen
erkennen wir, welche beachtlichen Folgen sich aus der
Vergangenheit der Mikroorganismen ableiten.
Aber selbst
diese zutiefst neuartigen Überlegungen, die jenseits aller
bisherigen Vorstellungen liegen, sind nicht der einzige Beitrag
von Margulis und Sagan. Beide sind unermüdliche Fürsprecher
der Mikrobenwelt und haben sich erfolgreich darum bemüht,
die unglaubliche Vielfalt der Kleinstlebewesen bekannt zu machen.
Mikroorganismen werden nämlich nicht nur die Erde erben
(wenn wir komplizierten Vielzeller dem nächsten
Massenaussterben zum Opfer fallen sollten), sondern waren auch
schon lange vor uns da. In einem sehr realen Sinne „besitzen“
sie weltweit die Ökosysteme. Nur sie halten die globalen
Stoffzyklen in Gang, sorgen für die Fixierung und
Wiederverwertung von Stickstoff, Kohlenstoff und anderen
lebenswichtigen Elementen, die unserem Organismus sonst nicht zur
Verfügung stünden. Sie produzieren auch Sauerstoff,
Biogas (Methan) und vieles mehr. Ohne die Welt der Mikroben
könnte es Leben, wie wir selbst es erfahren, schlicht und
einfach nicht geben.
Damit erweitert sich Margulis‘
Thema vom mikroskopischen zum globalen: Die Erde ist tatsächlich
ein lebendes System, ein weltweit pulsierendes Gefüge aus
Lebewesen und ihrer physischen, „unbelebten“ Umwelt.
Ob man dieses System nun als „Gaia“ bezeichnet und es
für so lebendig hält wie ein Lebewesen, spielt in einem
tieferen Sinn eigentlich keine Rolle: Beim Lesen von Leben
erkennt man hinreichend klar, dass es tatsächlich ein
globales System gibt, das Leben und Physisches verbindet, und
dass wir Menschen entgegen dem ersten Anschein und trotz aller
Beteuerungen des Gegenteils immer noch ein Teil davon sind. …
(Aus dem Vorwort)
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Lynn
Margulis
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geboren 1938 in
Chicago, Illinois; gestorben 2011 in Amherst, Massachusetts, war
eine US-amerikanische Biologin und Hochschullehrerin an der
University of Massachusetts Amherst. Margulis' bekannteste
wissenschaftliche Leistung ist die Wiederentdeckung und
Weiterentwicklung der bereits 1883 von Andreas Franz Wilhelm
Schimper postulierten und 1905 von Konstantin Sergejewitsch
Mereschkowski erneut vorgeschlagenen Endosymbiontentheorie über
den Ursprung von Plastiden und Mitochondrien als ursprünglich
eigenständige prokaryotische Organismen. Lynn Margulis wurde
darüber hinaus als starke Vertreterin der Gaia-Hypothese
bekannt, welche ursprünglich von James Lovelock entwickelt
worden ist. 1999 wurde Margulis mit der National Medal of Science
ausgezeichnet.
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Dorion
Sagan
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geboren 1959 als
Sohn von Lynn Margulis und dem Astrophysiker Carl Sagan ist
wissenschaftlicher Publizist, Essayist und Theoretiker. Er ist
Autor bzw. Ko-Autor einer Reihe von Büchern über Kultur
und Evolution sowie über die Geschichte und Philosophie der
Wissenschaft.
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Inhaltsverzeichnis
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Vorwort
von Niles Eldredge: Gedanken jenseits allerTräume
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1
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Leben:
Das ewige Geheimnis Im Geiste Schrödingers •
Leben ist Körper • Animismus kontra Mechanismus •
Janus unter den Kentauren • Ein blauer Edelstein • Gibt
es Leben auf dem Mars? • Leben als
Verb • Selbsterhaltung • Der autopoietische Planet •
Der Stoff, aus dem das Leben ist • Geist und Natur •
Was also ist Leben?
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2
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Verlorene
Seelen Der Tod: Das große
Rätsel • Der Atem des Lebens • Die kartesianische
Ermächtigung • Eintritt ins verbotene Reich •
Kosmische Zuckungen • Die Bedeutung der Evolution •
Vernadskys Biosphäre • Lovelocks Gaia • Was
also ist Leben?
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3
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Einstmals
auf diesem Planeten Der
Anfang • Die Hölle auf Erden • Urzeugung •
Ursprung des Lebens • „Vorwärts stolpern“ •
Stoffiwechselfenster • Die RNA-Supermoleküle •
Zuerst die Zellen • Was also ist Leben?
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4
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Herrscher
der Biosphäre Die Furcht
vor einem Planeten der Bakterien • Bakterien sind das Leben
• Die metabolisch Begabten • Die Genhändler •
Unsere großartigen Verwandten • Vom Überfluß
zur Krise • Die Frühstücks-Gärung •
Grüne, rote und purpurne Lebewesen • Die Aufregung um
den Sauerstoff • Unübertroffene Umweltverschmutzer,
unübertroffene Recycler • Lebende Teppiche und
wachsende Steine • Was also ist Leben?
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5
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Dauerhafte
Verschmelzungen Die große
Zellaufteilung • Fünf Lebensformen •
'Verflechtungen im Stammbaum • Schwimmende Korkenzieher •
Seltsame neue Frucht • Wallins Symbionten •
Vielzelligkeit und programmierter Tod • Sexuelle Entwicklung
der Mikrowelt, oder: Als Paaren noch Fressen wa • Die Macht
des Schleimes • Was also ist Leben?
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6
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Faszinierende
Tiere Laubenvögel und Honigbienen • Was
ist ein Tier? • Urahn Trichoplax • Sex und Tod •
Kambrischer Chauvinismus • Evolutionärer Überschuß
• Boten • Was also ist Leben?
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7
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Fleisch
der Erde Die Unterwelt • Küssende
Schimmel und kaiserliche Genüsse • Allianz der Reiche •
Plazenta der Biosphäre • Pilze per Anhalter,
Etikettenschwindel und Aphrodisiaka • Halluzinogene und
dionysische Freuden • Materiewanderer • Was also ist
Leben?
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8
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Die
Umwandlung des Sonnenlichtes Grünes Feuer •
Die verfluchte Teilhabe • Frühe Verwurzelung • Die
ersten Bäume • Durch die Blume • Solarökonomie
• Was also ist Leben?
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9
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Die
Symphonie des Bewußtseins Ein Doppelleben •
wahlfreiheit • Winzige Absichten • Butlers Blasphemie •
Gewohnheiten und Gedächtnis • Feier des Daseins •
Übermenschheit • Expandierendes Leben • Rhythmen
und Zyklen
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Epilog Anmerkungen Danksagung Bildnachweise,
Index
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Leseprobe
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Aus
Kapitel 1 – Leben: Das ewige Geheimnis
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Unsere
Vorfahren sahen überall Geister und Götter die gesamte
Natur beseelen. Für sie waren nicht nur die Bäume
lebendig, sondern auch der Wind, der über die Savanne
heulte. Platon sagt in seinem Dialog Die Gesetze, jene
vollkommenen Geschöpfe, die Planeten, liefen freiwillig in
Kreisen um die Erde. lm Europa des Mittelalters glaubte man, der
Mikrokosmos, die kleine Welt des Einzelnen, spiegele den
Makrokosmos, das Universum, wider; beide seien zum Teil Materie
und zum Teil Geist. Diese alte Vorstellung lebt in den
Tierkreiszeichen ebenso fort wie in der Astrologie, die irdische
Körper von den Himmelskörpern beeinflußt
sieht.
Im 17. Jahrhundert berechnete der deutsche
Astrologe und Astronom Johannes Kepler (1571-1630), daß
sich die Planeten auf ellipsenförmigen Bahnen um die Sonne
bewegen. Dennoch glaubte Kepler (der die erste
Science-fiction-Geschichte schrieb und dessen Mutter man als Hexe
einsperrte), die Sterne lägen in einer drei Kilometer dicken
Hülle weit außerhalb des Sonnensystems. In der Erde
sah er ein atmendes, zum Erinnern fähiges Monstrum mit
eigenen Lebensgewohnheiten. Heute erscheint Keplers Ansicht über
die lebendige Erde verschroben, aber sie erinnert daran, daß
Wissenschaft immer asymptotisch ist: Nie erreicht sie ganz das
ersehnte Ziel endgültigen Wissens, sondern nähert sich
ihm bestenfalls an. Die Astrologie räumte der Astronomie den
Platz, und aus der Alchemie ging die Chemie hervor. Die
Wissenschaft eines Zeitalters wird zur Mythologie des nächsten.
Wie werden die Denker zukünftiger Zeiten unsere heutigen
Ideen beurteilen? Der Wandel des Denkens – von Lebewesen,
die Fragen über sich selbst und ihre Umgebung stellen –
berührt den Kern des alten Problems, was es bedeutet,
lebendig zu sein.
Leben – vom Bakterium bis zur
Biosphäre – erhält sich, indem es mehr von
seinesgleichen herstellt. Die Selbsterhaltung steht im
Mittelpunkt des ersten Kapitels. Danach zeichnen wir Ansichten
über das Leben nach, von den Antängen über den
europäischen Leib-Seele-Dualismus bis zum modernen
naturwissenschaftlichen Materialismus. Im Kapitel 3 untersuchen
wir die Entstehung des Lebens und sein gedächtnishaftes
Bewahren der Vergangenheit. Unsere Vorfahren – die
Bakterien, die der Erdoberfläche Leben einhauchten –
sind das zentrale Thema von Kapitel 4.
Die Bakterien
entwickelten sich durch symbiontische Verschmelzung zu den
Protisten von Kapitel 5. Protisten sind Einzeller – Algen,
Amöben, Wimpertiere und andere Zellen der nachbakteriellen
Zeit, deren erotische Gewohnheiten unsere eigenen vorwegnehmen.
Aus ihnen entwickelten sich die Vielzeller, die Sexualität
und Tod erleben. Wir bezeichnen die einzelligen Protisten und
ihre nahen vielzelligen Verwandten (von denen manche
sehr groß sind) zusammenfassend als Protoctisten. Den
Bakterien, aus denen die Protoctisten
hervorgingen, war eine aufsehenerregende Zukunft beschieden. Sie
wurden zu Tieren (Kapitel 6), Pilzen (Kapitel 7) und Pflanzen
(Kapitel 8). Im letzten Kapitel gehen wir der unorthodoxen, aber
dem gesunden Menschenverstand entsprechenden Vorstellung nach,
daß Leben – und zwar nicht nur menschliches, sondern
alles Leben – in seinem Handeln frei ist und für seine
eigene Evolution eine unerwartet große Rolle gespielt hat.
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Siehe
auch:
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Lynn
Margulis: Die andere Evolution
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