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Herbert Rauch / Alfred Strigl
Die Wende der Titanic

Wiener Deklaration für eine zukunftsfähige Weltordnung
Visionen und Konzepte jenseits von Links und Rechts



München 2005 (oekom verlag); 320 Seiten; ISBN: 3-86581-005-5






Die Wiener Deklaration ist in einem mehrmonatigen, ehrenamtlichen und freiwilligen Diskursprojekt im Zeitraum zwischen Sommer 2004 und Sommer 2005 entstanden. Die Initiatoren der Organisation „European Sustainable Development – ESD“ hatten bereits einige Zeit zuvor, seitdem Herbst 2002, zu mehreren hochrangigen, regelmäßig stattfindenden „Strategiegesprächen“ geladen. Durch persönliche Ansprache konnten im Laufe der Zeit Entscheidungsträger aus Politik, Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft, Medien, Verwaltung, Religion, Kunst u. a. Bereichen als Vortragende und Mitdenkende gewonnen werden. Die Themen waren stets von einer ganzheitlichen und systemischen Betrachtung der gegenwärtigen Globalsituation geprägt. Besprochen wurden unterschiedliche Zukunftsperspektiven zur Weiterentwicklung unserer Welt im Allgemeinen als auch der Rolle Europas und der Nationalstaaten wie Österreich im Speziellen. Eine zentrale Grundfrage lautete stets: „Wie ist Nachhaltige Entwicklung machbar?“

Die Wiener Deklaration ist seit ihrer Grundfassung im Sommer 2004 – vorgelegt durch die Autoren Rauch und Strigl – im Verlauf der Diskussionen in etlichen unterschiedlichen Arbeitsfassungen erschienen und dabei ständig weiter ausgebaut worden. Die Texte und Kapitel sind in einem halben Dutzend Arbeitskreisen über Monate abgestimmt worden und liegen auch deshalb in einer Form vor, die vielleicht nicht aus einem Guss wirkt. So haben viele die Deklaration mitverfasst, – es waren Jüngere und Ältere, Intellektuelle, Visionäre und Pragmatiker, Theoretiker und Praktiker, die ihre Ideen und Gedanken eingebracht haben. So ist die „Wiener Deklaration“ nicht als ein isoliertes Textdokument entstanden, sondern durch ein lebendiges, informelles Netzwerk ehrenamtlich arbeitender, an grundsätzlichen gesellschaftlichen und politischen Themen interessierter Menschen.


(aus: Entstehungsgeschichte und Dank)


Herbert Rauch


Rechts- und Sozialwissenschaftler, Begründer und Leiter des Instituts für Sozialanalyse, Schwerpunkt Regionalforschung; u.a. Univ.-Lektor in USA, Mitbegründer und stellv. Präsident von ESD (European Sustainable Development).




Alfred Strigl


Biochemiker und Wirtschaftswissenschaftler, Geschäftsführer am Österreichischen Institut für Nachhaltige Entwicklung (ÖIN), Gründungsmitglied des Sustainable Europe Research Institute und Präsident von ESD.


Inhaltsverzeichnis


Entstehungsgeschichte und Dank



Vorwort von Ernst Ulrich von Weizsäcker



Vorwort von Mathis Wackernagel



Gedanken von Tobias Moretti



Vorwort der Autoren Herbert Rauch und Alfred Strigl



Abstract




Wiener Deklaration – Einladung zum Diskurs




Die Situation erfordert radikales, an die Wurzeln gehendes Denken




Das VEGA-PRINZIP der Wiener Deklaration






TEIL I: Ausgangssituation und Zielrichtung






Die Titanic-Situation



Neuzeit



Tabu Kapital



Das historische Dilemma von Kapital und Arbeit



Globalisierung und Regionalisierung



Das historische Dilemma von Freiheit und Gleichheit



Die Sackgasse der zur Doktrin gewordenen Gleichheitsideologie



Liberalismus und Liberalität vs. Neoliberalismus und Monetarismus



Die Rolle der Medien



Die Rolle der Demokratie



Globale und lokale Intelligenzen



Eine Welt-Reform-Bewegung im Entstehen



Partizipation und Repräsentation



Gegen Fundamentalismus – Für den Mittelstand



Neupositionierung des Primats des Politischen



Das System und der Wandel – Einstellungen und Reaktionen



Transition – Vom Übergang in eine neue Ära



Transition – Das Managen des Übergangs



Bildung eines starken politischen Neuerungswillens



Globale Kooperation – Ein globales Struktur-Konzept ist nötig



Stärkung der UNO und Konsens für einen Globalprozess



Europa und neue Politikansätze



Konkrete Schritte






TEIL II: Zehn konkrete Anforderungen
an ein zukunftsfähiges Gesellschaftssystem






Leitbild: Zukunft, die wir schaffen



(1)

Paradigmenwechsel und ein neuer Gesellschaftsvertrag




Nachhaltige Entwicklung als strukturelle Systementwicklung




Die Leitwerte gelebter Nachhaltigkeit




Warum Verfeinerung?




Warum Erdung?




Warum Globalsolidarität?




Warum Aktivverantwortung?




Neue Ökumene und das werdende globale Ethos




Gesamtarchitektur: Öko-soziale Lösungen aus einem Guss




Ein neuer „mehrseitiger" Arbeitsbegriff ist im Kommen




Weltgesellschaftsvertrag



(2)

Weltwirtschaftsverfassung




Umbau des zerstörerisch gewordenen Weltfinanzsystems




Stufenweise Einführung einer absoluten Ressourcenbegrenzung




Konsequenter Umbau des antiquierten Steuerwesens




Nachhaltigkeitsfördernde Rahmensetzung




Vom Ende der Wachstumsdoktrin




Zusammenfassung der Hauptaspekte



(3)

Gesellschafts- und Bürgerpolitik




"Verfeinerte Demokratie" und "offene Gesellschaft" als Basis




Verankerung einer Treuhand- und Vorsorgepflicht bei „Zukunftgütern“




Gemeinschaftsdienst und Grundsicherung




Rückschau auf die Vorschläge zur Gesellschafts- und Bürgerpolitik




Zusammenfassung der Hauptaspekte



(4)

Familien-, Gesundheits- und Bildungspolitik




Förderung von „erweiterten Haushaltsgemeinschaften"




Gesundheitssystem




Perspektiven für eine zukunftsfähige Bildungspolitik




Zusammenfassung der Hauptaspekte



(5)

Nord-Süd-Kooperation zur Zukunftssicherung




Globalisierung, Deglobalisierung – oder ein Weg der Mitte




Statt Wirtschaftswachstum: Weltweite „Wirtschaftsverfeinerung“




Nord-Süd-Kooperation mit Komponenten der Co-Finanzierung




Zusammenfassung der Hauptaspekte



(6)

Globales Natur-Bewahrungsprograrrm




Boden und Land




Wasser und Meere




Klimawandel




Energie




Biologische Vielfalt




Wald




Umweltzerstörung und Auswirkungen auf die Gesundheit




Natur – Basis allen Lebens




Naturbewahrung: Global Fund for Nature




Naturregeneration: Globaler Infrastrukturplan




Nachhaltiger Lebensstil – Menschenrechte und -pflichten




Zusammenfassung der Hauptaspekte



(7)

Zukunftsfähige Konfliktkultur




Krisenmanagement im Sinne Nachhaltiger Entwicklung




Präventive Kultur- und Milieupflege




Die neue Stärke Europas




Zusammenfassung der Hauptaspekte



(8)

Welt-Regierbarkeit (Global Governance)




Stärkung und Ausbau der Vereinten Nationen




Weltweite Einführung des Subsidiaritätsprinzips




Neue Weltkonferenzen




Zusammenfassung der Hauptaspekte



(9)

Sofortmaßnahmen - Notwendige Schritte in der Gegenwart




Strategische Planung für eine Nachhaltige Entwicklung




Modelle der Sofort-Finanzierung




Institutionelle Weiterentwicklung durch nachhaltige Innovationen




Macht – Und das Verweigern der „institutionellen Frage"




Ein breiter Diskurs in Europa zu Grundkonsens und Engagement




Zusammenfassung der Hauptaspekte



(10)

Offener Punkt – Ergänzungen



Zusammenschau




I. „Strukturelle Ansatzpunkte"




II. „Lotsen der Wende"




III. „Module des Systemumbaus“



Ausblick




Kosten und Motivation




Nächste Schritte: Leitbild-Konsens, Strukturkonzepte und Allianzenbildung



Nachwort von Hanswerner Mackwitz



Anhang




Arbeitspapier der Diskursgruppe Wien zur Wiener Deklaration




Sensitivitätsanalyse zur globalen Systemdiagnose (nach FredericVester)




Richard Douthwaite: Why a new international currency is required...




Friedrich Hinterberger: Eine neue Zukunft für ein glückliches Europa?






Sachregister



Namensregister



Ausgewählte Literatur


Leseprobe


Vorwort der Autoren Herbert Rauch und Alfred Strigl (weitere Vorworte siehe www.deutschesfachbuch.de)






Dieser Text ist ein Wagnis. Es will vor allem den globalen Schieflagen nachgehen, Tabus ansprechen und ein paar der wichtigsten Zukunftskapitel zusammenbringen. Und, soweit wir sehen, konnte es niemanden ganz zufrieden stellen: Vielen Freunden ist es zu kompliziert, sie wollen es eindringlicher und einfacher. Manchen Intellektuellen ist es eine „unterkomplexe“ Forderungsliste, sie wollen es tiefer und genauer. Den Diskussionspartnern aus dem Management ist es zu abstrakt und unnötig systemkritisch, sie wollen es umsetzbarer und gegenwartsnäher. Den Spirituellen ist es zu freisinnig, den Liberalen zu gemeinschaftsverpflichtend.






Die Wiener Deklaration ist ein Fleckenteppich aus vielen Ideen und Konzepten. Es gibt keine hierarchische Gliederung. Bestenfalls ist es eine Kette von Mosaiksteinen, für eine lebensfähige Zukunft. – Wir können es heute noch nicht besser. Es ist eben, so glauben wir, ein Diskursbuch. Aber wir sind überzeugt, dass dieser Diskurs raschest begonnen und weitergeführt werden muss.






Wir beginnen ihn, so gut wir können, weil wir das Leben auf diesem Planeten in all seinen vielfältigen Formen, all den Dramen und Erlebnissen, Freuden und Erfahrungen lieben; und noch lange mit unseren Kindern, Enkeln und Urenkeln "gut leben" wollen, - mit einer fairen Chance für alle, das Abenteuer der Lebens bestehen zu lernen.






Das Raumschiff Erde ist in eine gefahrenvolle Titanic-Situation geraten. Die Menschheit – berauscht von der Faszination der Superlative – pflügt sich durch die Wellen der Gegenwart und vernachlässigt – systemverfangen und wie ohnmächtig – die Vorsorge für die Zukunft. – Wir wollen uns aber weder durch die Fassaden von Arroganz noch die Blindheit von Ignoranz, weder durch die Macht der etablierten Strukturen noch einen dem Kommerzinteresse botmäßig gemachten Zeitgeist, dem sich offensichtlich zu viele Politiker, unbedacht oder selbstverstrickt, ergeben haben, in eine globale Krise mit immer tieferen sozialen und ökologischen Katastrophen hineinschlittern lassen.






Schon jetzt spielt sich das „angenehme Leben“ in immer engeren Bereichen ab. Immer mehr Menschen, Frauen und Männer, Alte, Jugendliche und Kinder werden an den Rand von Sorge und Elend gedrückt. Aber gleichzeitig spüren wir, dass ein „gutes Leben für alle“ möglich, machbar und greifbar nahe ist.






In den Entscheidungsetagen, den Beratungsinstituten und auch an den zahllosen Stammtischen spielt sich heute ein noch leiser, aber immer deutlicher werdender „Kulturkampf“ in allen Gesellschaften ab (und nicht so sehr ein „Kampf zwischen den traditionellen Kulturen"): Es geht im Kern darum, was die neuen Perspektiven und Leitideen sein werden, nach denen sich eine „post-kapitalistische“ Ära formieren wird.






Die Linke hat trotz ihrer dialektischen Brillanz eine – wie wir meinen – vorökologische und häufig veraltete Perspektive. Die westliche Rechte zeigt gerade mit zynischer Realpolitik was Monetarismus und Kapitalismus bewirken kann, und treibt so die chancenlosen Peripherien der sogenannten Dritten Welt in die Arme eines fanatischen Fundamentalismus. Wir hingegen sind zutiefst davon überzeugt, dass wir uns alle auf eine konstruktive Entdeckungsreise nach dem „neuen Kontinent der Nachhaltigkeit“ begeben müssen – jenseits und in Überwindung von links und rechts.






Diese kann heute noch in einer relativ „sanften Wende" hin zur echten Dauerlebensfähigkeit und Zukunftsfähigkeit realisiert werden. Dazu brauchen wir das neue Leitbild der Nachhaltigkeit mit den Leitlinien der Verfeinerung, Erdung, Globalsolidarität und Aktivverantwortung. Dazu brauchen wir Lernoffenheit und eine ungetrübte, mutige Sicht auf kommende Strukturen. Die Wiener Deklaration will in ihren Forderungen einen aktiven Beitrag leisten, den Kontinent der Nachhaltigkeit und unserer Zukunft wirklich lebendig werden zu lassen.









Abstract






Wiener Deklaration – Einladung zum Diskurs






Die Wiener Deklaration ist Produkt eines mehrmonatigen Diskussionsprozesses, in dem ESD ein Katalysatorrolle innehatte und nach wie vor hat, und an der Personen aus verschiedensten etablierten und nicht etablierten Institutionen (Ministerien, Wirtschaftsverbände, Nichtregierungsorganisationen österreichischer und europäischer Provenienz, kirchliche Stellen, österreichische und europäische Fach- und Universitätsinstitute etc.) teilnahmen und teilnehmen. Dabei kamen immer wieder – die Problematik der Gegenwart und den Ausblick auf die Zukunft im Auge – etwa ein Dutzend zentrale Punkte unserer globalen Situation zur Sprache. Diese in einem Text einzufangen, wurde hier versucht. Der gesamte Text der Deklaration versteht sich dabei nicht nur als ein Konzept „jenseitsvon links und rechts“, sondern selbstverständlich auch ganz undogmatisch als Entwurf und Beitrag zu einem allgemeinen demokratischen Diskurs, zu dem hiermit alle Interessierten – gleichsam für eine 2. erweiterte Diskussionsrunde – ausdrücklich eingeladen sind.






Die Situation erfordert radikales, an die Wurzeln gehendes Denken






Der Teil 1 der Wiener Deklaration skizziert den Hintergrund, stellt Markierungen zur Situationsdiagnose und Ausblicke auf mögliche Systemumbauten dar. Im Teil 2 werden die unseres Erachtens wichtigsten Bereiche einer Umsetzung skizziert. Wir sind dabei sicher, dass die neue Grundlinie – dem Paradigma der „Verfeinerung“ an Stelle von Expansion folgend – auch „das“ Erfolgsrezept der nächsten Dekaden sein wird: Dazu ist die beste – „feinste“ – Technologie gefragt, fähig für einen neuen tragfähigen Wohlstand in Qualität für alle, und tauglich für die 1. und die 3. Weit.






Die hier sodann im Abstract folgende Punktation listet in der kürzest möglichen Fassung die im Text ausführlicher behandelten Grundkonzepte auf. Dabei sind folgende zehn Bereiche für ZUKUNFTSFÄHIGKEIT vordringlich: 1) Paradigmenwechsel und Weltgesellschaftsvertrag, 2) Wirtschaftsverfassung, 3) Offene Gesellschaft und Bürgerpolitik, 4) Familien-, Gesundheits- und Bildungspolitik, 5) Nord-Süd-Kooperation, 6) Naturbewahrungs-und -regenerationsprogramm,7) Konfliktkultur: Milleupflege und Krisenbereitschaft, 8) Nachhaltige Welt-Regierbarkeit, 9) Sofortmassnahmen und 10) Ergänzungsfreiraum.






Zu den Punkten im Einzelnen:






1. Paradigmenwechsei






Die heute noch dominierenden, aber schon zu lange überdehnten, historisch inadäquat gewordenen Paradigmen, erwachsen aus dem „Nachkriegshunger“, umfassen – zugespitzt ausgedrückt:






Wachstumshybris – zur Systemerhaltung und als Selbstzweck,
Systemkonformismus – permanente vorauseilende Systemanpassung, Fixierung auf nur technischen Fortschritt und nur systemkonforme Innovationen,
Konsummanie – Wohlstandsmaterialismus mit steigendem Verschwendungs- und Prestigekonsum einerseits und schwindender Sicherheit (Arm-Reich-Kluft) andererseits, und
Individualismus-Vergötzung – Freiheit als gemeinschaftssprengender Narzissmus.






Sie führen nun immer deutlicher in eine Sackgasse und machen daher ein neues Zukunfts-Leitbild notwendig: Es beinhaltet vor allem die bereits im Brundtland-Bericht 1987 konsensual festgeschriebene Nachhaltige Entwicklung, verstanden als Weg zur „Dauerlebensfähigkeit“. Sie soll durch folgende, für alle Bereiche und Ressorts gültige, übergeordnete Leitlinien Gestalt gewinnen:






VERFEINERUNG von Produktions- und Konsumtionssphäre – an Stelle bedenkenloser Expansion und quantitativ-krebsartigem Wachstums,
ERDUNG – Achtung und Stimme für unseren Planeten Erde statt blinder Technologie- und Fortschrittsgläubigkeit mit Mensch- und Naturausbeutung,
GLOBALSOLIDARITÄT – in der Ökumene des 21. Jahrhunderts „sollen alle wohl bestehen können“ statt einer Vorherrschaft durch Waffen- und Marktmächte, die lebensfeindliche ökologische und soziale Kollateralschäden (und Terror) hervorrufen, und
AKTIVVERANTWORTUNG – persönliches Eintreten für das Leben und die Gesamtheit der Lebensgrundlagen statt Verdrängung und Apathie..






Die vier Leitlinien lassen sich kurz als V-E-G-A Prinzip ansprechen






Das zentrale Instrument in der Umsetzung von Nachhaltigkeit wird ein – in breiten Diskursen erarbeiteter – Weltgesellschaftsvertrag sein. Der Weltgesellschaftsvertrag umfasst die Haupttelle:






Welt-Wirtschaftsverfassung (Forderung 2),
Nord-Süd-Koorperation (Forderung 5) und
Naturbewahrungsprogramm (Forderung 6)






und soll von einem globalen Grundkonsens getragen sein.






2. Welt-Wirtschaftsverfassung






Eine echte Nachhaltige Entwicklung erfordert unseres Erachtens eine neue global ausgerichtete Wirtschaftsanordnung – etwa in Richtung einer „ökosozialen Ökumene-Zivilisation“. Dazu wird nötig sein:






Reform des Weltfinanzsystems, d.h. des Geld-, Zins- und Währungswesens, u.a. durch ein System komplementärer Währungen (Global-, National- und Regionalwährungen).
Ein allgemeines Menschenrecht auf Naturressourcenanteil; Dies könnte das „neue nachhaltige Gold“ der Zukunft (auch als Deckung der Weltwährung) werden.
Stufenweise Einführung einer absoluten Ressourdenbegrenzung: Dies fördert den konsequenten Umbau zur Dematerialisierung und allgemeinen Verfeinerung der Technologie (Fine Tech) inkl. einer raschen Umstellung auf erneuerbare Energien.
Grundlegende öko-soziale Steuerreform, u.a. mit stufenweiser Steuerentlastung von Arbeit sowie Steuern auf globale Gemeingüternutzung (Atmosphäre, Ozeane etc.).
Besteuerung von Vermögensständen (über dem Bürgerfreibetrag eines durchschnittlichen Lebenseinkommens) sowie Schließung aller Steueroasen u. a. m.
Rahmensetzung für alle Wirtschaftsbereiche, die eine echte Nachhaltige Entwicklung fördern, mit der Doppeltürmigkeit von „öffentlicher Hand“ und „drittem Sektor“ (Gemeinwirtschaftund NG0s) einerseits, und „Auflagen-Unternehmen“ und „freien Privatunternehmertum“ andererseits.
Ende der allgemeinen quantitativen Wachstumsdoktrin – Umwandlung dieser in Wirtschaftsverfeinerung; besondere Förderung von erneuerbaren Energien und umweltschonenden Verkehrs- und Handelsformen.






3. Gesellschafts- und Bürgerpolitik






Offene Gesellschaft als Basis“: mit Menschenrechten und Rechtsstaat, mit Freiräumen für Spiritualität und Lebensweisen, Kunst und Wissenschaft, etc.
Generationenverantwortliche Treuhandschaft an gemeinnützigen Zukunftsgütern, Neubearbeitung der Problematik der juristischen Person (Anonymität, Haftungsbeschränkung, schrankenlose Kapitalverschiebung etc.) im Sinne von Nachhaltiger Entwicklung.
Mehrjähriger „(Weit-)Bürgerdienst“ (Katastrophen- und Ökologiedienst, Zivildienst, Entwicklungszusammenarbeits- und – evtl. nur sozialer – Verteidigungsdienst) – denkbar als Voraussetzung zur Erlangung einer lebenslangen Grundsicherung (Grundeinkommen und Versicherungsdienste).






4. Familien-, Gesundheits- und Bildungspolitik






Förderung von erweiterten Haushaltsgemeinschaften – als Bluts- oder Wahlverwandtschaften.
Gesundheitssystem: Akzente auf großflächiger Gesundheitsförderung und Prävention.
Bildung und Ausbildung: Bildung als Potenzialentwicklung für Natur- und Geistes-/Sozialwissenschaften, für Praktisches und Musisches; Ausbildung als Funktionstüchtigkeit in der modernen/post-modernen Welt.






5. Nord-Süd-Kooperation zur Zukunftssicherung






Globalisierung versus Deglobalisierung – oder ein Weg der Mitte.
Wohlstand für den Süden, aber durch „verfeinerte Entwicklung“.
Cofinanzierungsmodelle – Förderung einer regional-angepassten gesamtgesellschaftlichen Entwicklung unter Bedacht auf endogene (lokale Traditionen) und exogene (FineTech) Komponenten.
— Pionierversuch 1: Förderung einer Alterspension in den ärmsten Ländern als Gegenleistung für eine geordnete Familienplanung;
— Pionierversuch 2: Bildungs- und Gesundheitsförderung als Gegenleistung für eine akkordierte und geordnete Migrationspolltik.






6. Globales Naturbewahrungs- bzw. -regenerierungsprogramm






Naturbewahrung über einen „Global Fund for Nature“ (dotiert aus der Besteuerung der Gobal Commons wie Luftraum, Meere etc.) zur Atmosphären-, Boden-, Flora- (insbes. Wald-), Fauna- (insbes. Biodiversitäts-), Süßwasser- und Ozean-Bewahrung und -Regeneration.
Als weitere zentrale Komponente eines Globalen Infrastrukturplanes wird die Einrichtung eines globalen Katastrophenfonds gesehen.
Nachhaltige Lebensstile:
— Allgemeine Menschenrechte und Menschenpflichten;
— Spielräume eröffnen und erproben: über Handeln lernen und eine Brücke zwischen Wissen und Handeln bauen;
— Neue Leitbilder erkennen: menschengerechtes Wohnen, gesundheitsfördernde Ernährung, generationengerechter Konsum, genussfähige Freizeit, lebensbegleitende Bildung, befriedigende Arbeit, sanfte Mobilität.






7. Zukunftsfähige Konfliktkultur






Höherentwicklung von Krisen- u. Konfliktmanagement (unter UNO-Mandat: Feuerwehr-Automatismus von Blauhelm-Aktionen zur Gewalteindämmung ex nuce, professionelle Verhandlungsteams Neutraler).
Präventive Milieupflege und -verbesserung.
Neue Stärke Europas: Unter bewusstem Verzicht auf die nukleare Option besondere Konflikteinsatzverbände (militärischer und ziviler Art).






8. Welt-Regierbarkeit (Global Governance)






über eine gestärkte UN0 als Welt-Föderation* – bei gleichzeitig gestärkter Subsidiarität insbesondere von historisch gewachsenen Regionen und Gemeinden: Da die Herausforderungen global geworden sind (Klimawandel, Arm-Reich-Kluft), müssen auch die „strategischen politischen Antworten“ auf globaler Ebene erfolgen.
Neue besondere Anstrengungen für WELTKONFERENZEN – à la RIO 1992 - als Mittel der Wahl zur Herausentwicklung eines tragfähigen Weltkonsenses und der Beauftragung zur modulweisen Umsetzung von Nachhaltiger Entwicklung (etwa entlang der hier genannten Punkte).






9. Sofortmaßnahmen – notwendige Sichritte in der Gegenwart






Strategische Planungen (in Unternehmen, in zentralen nationalen und supranationalen Stellen);
Sofortfinanzierung mit Bonusmethoden: Steuergutschriften und Zukunftspreise;
institutionelle Weiterentwicklung (Stabsstellen für Nachhaltige Entwicklung bilden, neue Akteure fördern, Programme wie Agenda 21 institutionell einbinden; nachhaltige/saubere Innovationen);
breite und vertiefende Medienarbeit – Stichwort: 2. Aufklärung;
Entwicklung eines die Kulturvielfalt umfassenden Grundkonsenses in der EU;
Verstärkung der diplomatischen Rolle der EU in der „Konflikt-Moderation“ weltweit.






10. Ergänzungsfreiraum






Kritik, Modifikationen, Ergänzungen, Hinweise etc. sind gerne willkommen an: "esd.rauch@chello.at" und "alfred.strigl@boku.ac.at".






*Anmerkung: Es ist kurzsichtig, sich als Nostalgie-Fanatiker oder „Humanist“ gegen jede Form von Welt-Autorität zu stemmen, von einer quasi-autonomen Kantonisierung gerade des eigenen Fleckens Erde zu träumen, und daher neue notwendige globale Ordnungsstrukturen – gerade von Intellektuellenseite her – zu blockieren; damit wird nur eine rein militär-, wirtschafts- und machtgemäße Hegemonialstruktur gefördert.









Leitbild: Zukunft, die wir schaffen






1. Die Welt, die wir schaffen und in der wir leben wollen, wird geprägt sein von dauerhafter Lebensqualität für alle Menschen. Sie soll Raum bieten für alles Leben auf diesem Planeten.






2. Die zentralen Leitlinien – in lokaler und globaler Balance – sind: Verfeinerung, Erdung, Globalsolidarität, und Aktivverantwortung.






3. Achtsames Miteinander und gegenseitige Wertschätzung in einer „offenen Gesellschaft“, in der alle Menschen und nachkommenden Generationen sowie alles Leben „wohl bestehen können“, sind die Basis unserer Vision.






4. In dieser zukünftigen Weit werden die natürlichen Ressourcen zwischen den Generationen gerecht verteilt sein. Die Natur wird in ihrem Eigenwert anerkannt und an keinem Ort unumkehrbar geschädigt.






5. Die gesellschaftliche Entwicklung orientiert sich an diesen Naturgrenzen. Kurzfristige Interessen stehen mit den langfristigen ökologischen und sozialen Bedürfnissen in Einklang.






6. Eine gesicherte Existenz ermöglicht jedem Menschen eine rücksichtsvolle Entfaltung seiner Neigungen und Talente. Bildung ist ganzheitlich und fördert die Freiheit des Individuums ebenso wie dessen Verantwortung für Gesellschaft und Welt.






7. Die großen Errungenschaften der Menschheit sind unser aller Erbe. In Europa stehen wir dabei auf dem breiten Fundament einer historisch gewachsenen, humanistisch-aufgeklärten Zivilisation.






8. Gerechtigkeit und kulturelle Vielfalt sind zentrale Leitwerte unserer Kultur, die Raum für Entfaltung und neue Perspektiven geben, für erarbeiteten Konsens und auch für zugelassenen Dissens.






9. Ein neues Welt-Ethos wird die gesamte Menschheit in Verbundenheit untereinander, in Liebe zur Erde und zu allem Lebendigen sowie in vorausschauende Einsatzbereitschaft freier Menschen umfassen. Dieser Geist entsteht heute und ist überall und besonders in Initiativen einer sich weltweit formierenden Zivilgesellschaft im Wachsen.






10. Innerhalb dieser historischen Bewegung sind auch wir tätig, engagiert aus politischer, sozialer, spiritueller oder sonstiger Überzeugung. Wir treten für alle Regionen und die Mitgeschöpflichkeit allen Lebens ebenso geschwisterlich ein wie für das „gute Leben“ aller Menschen in dieser einen Welt und Menschenfamilie.









Die Leitwerte gelebter Nachhaltigkeit






Eine grundlegende Richtungsänderung im Sinne des „Achsenpunktes“ Nachhaltiger Entwicklung wird zum alles entscheidenden Wendepunkt gegenüber einem Titanic-Kurs werden.






Aus ganzheitlicher Sicht schlagen wir jedoch zur Umsetzung vor, Nachhaltige Entwicklung durch vier große allgemein-kulturelle „Leitlinien“ zu vertiefen. Diese Leitlinien sind auf einer Ebene über den Fachsektoren angesiedelt, und sie können auf alle Bereiche von Politik und Gesellschaft ausstrahlen. Die hier skizzierten Leitlinien "Verfeinerung, Erdung, Globalsolidarität und Aktivverantwortung" können wir nach ihren Anfangsbuchstaben als VEGA-Prinzip bezeichnen. (VEGA kann bildlich als das „Steuerrad“ der Umsetzung – eben mit dem Achsenpunkt der Nachhaltigen Entwicklung – gesehen werden.)






Die erste Leitlinie erkennt im Prinzip der Verfeinerung die wichtigste Leitschiene für die neue Ära des 21. Jahrhunderts – die Ablöse des Expansionsprinzips der Neuzeit. In den Umsetzungen von Verfeinerungen auf allen Ebenen steckt das entscheidende Potenzial für eine gelingende Zukunft. Im Gegensatz zur kultur- und naturverschlingenden Expansion, zur bloßen Steigerung von Quantität und zum ungebremsten Wachstum bedeutet Verfeinerung einen hochwertigeren und zukunftsgültigeren – und wenn man will auch „gütigeren“ – Umgang mit allern Dingen und Wesen. Es bedeutet damit auch, nach „innen“ zu arbeiten, Einfachheit und Klarheit wieder zu entdecken anstatt sich in vielerlei komplexitätsgeladene und vor allem technologische „Hochrüstung“ zu verlieren. Verfeinerung im umfassenden, ganzheitlichen Sinne hingegen führt zu mehr Mitwelt-Bewusstsein, Genügsamkeit, letztlich ZU mehr Schönheit - und mehr Lebensqualität. Dennoch soll klar gesagt werden, dass die bestmögliche und intelligenteste Technologie sehr wohl und immer mehr gefragt sein wird – eben als verfeinerte.






Die zweite Leitlinie will eine Form der Erdung voranstellen: Anstatt gegenüber unserer Lebensbasis mit gedankenlosem Raubbau und Ausbeutung vorzugehen, bedeutet Erdung, im Einklang mit der natürlichen Umwelt, ja der gesamten Natur zu agieren. Dies führt zu einem neuen Verständnis des größeren Ganzen unserer Lebenswelt und für den Planeten selbst. Erdung kann dazu beitragen, dass wir Menschen zu einer neuen Einheit mit unserer Basis finden, die von vielen auch als „Mutter Erde“ – Gaia – angesprochen wird. Sie soll eine gleichberechtigte Stimme – etwa durch einen „Erd-Anwalt“ oder „Erd-Ombudsmann" – im zivilisatorischen Forum erhalten und so in alle richtungsweisenden Entscheidungen eingebunden werden.






Die dritte Leitlinie – Globalsolidarität – will im Zusammenleben der Menschheit eine historisch neue, weltweite Solidarität festhalten. Es bedeutet die Erweiterung oder Kontrastierung des alten Grundsatzes des Anerbenrechtes: „Es sollen alle – und nicht nur der erstgeborene Hoferbe – wohl bestehen können.“ Dies gilt es neu zu dimensionieren. Statt mit subtiler oder blanker Unterjochung durch Waffengewalt oder Marktmacht andere Regionen, Nationen und Kontinente in einen vermeintlichen Effizienzmechanismus einzuzwängen, soll sich eine „Kultur des globalen Wohlwollens und Wohlergehens“ entwickeln können. Solch eine Kultur der Globalsolidarität liegt eben jenseits eines überzogen individualistischen monetaristisch-neoliberalen Titanic-Kurses von „Jeder für sich und alle gegen alle". Und es bedeutet schließlich auch eine Absage an die unwürdige „Charity-Politik“, die ganze Lebensbereiche, ja manchmal das Überleben von der Gnade und dem Gutdünken der Sponsoren oder staatlicher Almosenvergebung abhängig macht.






Die vierte Leitlinie will Aktivverantwortung von jedem Bürger – Weltbürger geworden – einfordern: Statt sich mit opportunistischen Anpassungen zufrieden zu geben, bedeutet Aktivverantwortung das persönliche und aktive Eintreten für alles Leben. Das Prinzip Verantwortung heißt, sich suchend und versuchend dem Ideal der Gerechtigkeit aktiv zu widmen und näher zu kommen. Aktivverantwortung steht im krassen Gegensatz zu den hunderterlei Verdrängungsmechanismen, die in zynischer Apathie und Kulturpessimismen, Ohnmacht-Spielen und Autismen, oder gar in verschiedensten Drogensüchten (Alkohol, Spaß-Aktionismus, Kaufrausch, bis hin zum sinnentleerten Workoholismus) enden. Nur ein engagiertes und bewusstes Mittun jedes Einzelnen wird das Gesicht unserer Welt wieder in ein lachendes verwandeln können. Zu den Menschenrechten müssen sich eben auch Menschenpflichten gesellen.


Siehe auch


Jerry Mander / John Cavanough (Hrsg.): Eine andere Welt ist möglichAlternativen zur Globalisierung



Geseko von Lüpke: Die AlternativeWege und Weltbild des Alternativen Nobelpreises. Pragmatiker, Pfadfinder, Visionäre



Vandana Shiva: Erd-DemokratieAlternativen zur neoliberalen Globalisierung