langelieder > Bücherliste > Raworth 2018




Kate Raworth
Die Donut-Ökonomie
Endlich ein Wirtschaftsmodell, das den Planeten nicht zerstört


München 2018 (Hanser); 416 Seiten; ISBN 978-3-446-25845-7
Siehe auch: Verlagsseite zum Buch








Unser Zeitalter ist die Epoche des planetaren Haushalts – und die Kunst der Haushaltsführung ist für unser gemeinsames Heim heute wichtiger denn je. (Seite 75)




Es ist dringend an der Zeit, ein neues Kapitel der Ökonomie aufzuschlagen, denn der Planet steht kurz vor dem Kollaps. Die britische Ökonomin Kate Raworth fordert, dass wir uns endlich weg von der menschlichen Leerstelle in den Konzepten unserer Ökonomie hin zu einer Wirtschaft bewegen, die in Gesellschaft und Natur eingebettet ist. Mit dem Donut-Modell kann das gelingen. Der Donut-Ring ist die „sichere Zone“, in die wir zurückkehren müssen. Dazu müssen wir den Klimawandel, den Verlust der Artenvielfalt, Rückgang der Ozonschicht und die Versauerung der Meere aufhalten. Das erreicht man nur, wenn man auch soziale Faktoren einbezieht wie etwa Gleichstellung, Bildung, politische Teilhabe, Nahrung und Gesundheit. Sie bilden das Fundament und die innere Begrenzung des Donut-Rings. Kate Raworth leitet uns an, wie wir unsere Haltung verändern und die Zukunft sichern können. Die Donut-Ökonomie wird gerade zur Bewegung, sie rüttelt auf und macht Lust auf die Zukunft. (Klappentext)

Wir Menschen – und vor allem wir Angehörigen der reichen Industrienationen, wir, die Gewinner, die Erfolgreichen und Einflussreichen – müssen uns bewusst ändern! Wir müssen unsere Lebensgewohnheiten, unseren Umgang mit Gaia verändern, müssen unseren „ökologischen Fußabdruck“ verringern und unsere Wirtschaftsweise auf ein nachhaltigeres Prinzip gründen als das der Ausbeutung der Natur und des Mitmenschen. Wir müssen uns selbst erziehen. Die zwei großen Lernziele sind: (1) soziale Kompetenz – die gelingende Kommunikation und Kooperation untereinander. Dazu zählt, dass wir auch die Menschen am jeweils anderen Ende der Welt „zu uns“ zählen, obwohl wir mit den wenigsten direkt kommunizieren; wir müssen uns als ein globales WIR verstehen lernen; (2) ökologische Kompetenz – die gelingende Kommunikation mit der „lebendigen Mutter Erde“, die „Kooperation mit der Evolution“, die „Ehrfurcht vor der Schöpfung“; es gilt, unser WIR auch auf alle nichtmenschliche Kreatur auszuweiten. – Kate Raworth versucht, die Ökonomie des 21. Jahrhunderts auf diese Ziele einzuschwören. Als einprägsames Symbol und als Reminder gibt sie uns das Bild der beiden konzentrischen Kreise, die die ringförmige Zone des „sicheren und gerechten Raums für die Menschheit“ nach innen („Mangel“) und außen („Überschießen“) begrenzen. (Ernst Weeber)


Kate Raworth


1970 geboren, schlug zunächst den klassisch akademischen Weg über ein Wirtschaftsstudium in Oxford ein, war aber schon bald enttäuscht: Die Modelle schienen ihr veraltet und den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht gewachsen. So wurde sie zum „Bad Girl“ der anglo-amerikanischen Ökonomie mit einem globalen Netzwerk. Kate Raworth stellt den Donut heute auf der ganzen Welt vor und lehrt Ökonomie in Oxford und Cambridge.


Inhaltsverzeichnis


 Wer möchte ein Ökonom werden?







Die Herausforderung des 21. Jahrhunderts
Die Autorität der Wirtschaftswissenschaft
Weg von der Ökonomie – und wieder zurück zu ihr
Die Macht der Bilder
Bilder in der Wirtschaftswissenschaft: eine verborgene Geschichte
Ein langer Kampf um Befreiung
Sieben Ansätze, wie ein Ökonom des 21. Jahrhunderts zu denken







 1

Das Ziel verändern
Vom BIP zum Donut








Wie die Wirtschaftswissenschaft ihr Ziel aus den Augen verlor
Der Kuckuck im Nest
Die Vertreibung des Kuckucks
Ein Kompass fürs 21. Jahrhundert
Vom endlosen Wachstum zum Wohlergehen im Gleichgewicht
Können wir innerhalb des Donuts leben?







 2

Das Gesamtbild erfassen
Vom eigenständigen Markt zur Eingebetteten Ökonomie








Die Bühne
Das Stück entsteht
Ein neues Stück für ein neues Jahrhundert
Vorhang auf für eine Geschichte des 21. Jahrhunderts







 3

Die menschliche Natur pflegen und fördern
Vom rationalen ökonomischen Menschen zum sozial anpassungsfähigen Menschen








Die Geschichte unseres Selbstportraits
Das Leben imitiert die Kunst
Das Portrait des 21. Jahrhunderts
Vom Eigennutz zum sozialen Austausch
Von festgefügten Präferenzen zu veränderlichen Wertvorstellungen
Von der Vereinzelung zur gegenseitigen Abhängigkeit
Von der Berechnung zur Annäherung
Von der Dominanz zur Abhängigkeit
Märkte und Zündhölzer: Mit beidem sollte man lieber vorsichtig umgehen
Mit Anstößen, Netzwerken und Normen arbeiten
Wir stoßen immer wieder auf uns selbst







 4

Systemisches Denken lernen
Vom mechanischen Gleichgewicht zur dynamischen Komplexität








Unser Erbe überwinden
Der Tanz der Komplexität
Komplexität in der Wirtschaftswissenschaft
Blase, Boom und Zusammenbruch: die Dynamik des Finanzwesens
Erfolg den Erfolgreichen: die Dynamik der Ungleichheit
Wasser in der Wanne: die Dynamik des Klimawandels
Den Zusammenbruch abwenden
Weg mit dem Schraubenschlüssel, her mit der Gartenschere
Ethisch handeln







 5

Auf Verteilungsgerechtigkeit zielen
Vom Wachstum, das »für Ausgleich sorgen wird«, zu einer von vornherein distributiven Ausrichtung








Die ökonomische Achterbahnfahrt
Warum Ungleichheit zählt
Auf das Netzwerk setzen
Einkommen umverteilen – und Reichtum umverteilen
Wem gehört das Land?
Wer erschafft Ihr Geld?
Wem gehört die Arbeit?
Wem werden die Roboter gehören?
Wem gehören die Ideen?
Global denken und handeln







 6

Auf Regeneration zielen
Vom Wachstum, das »die Umweltverschmutzung beseitigen wird«, zu einer von vornherein regenerativen Ausrichtung








Was steigt, muss nicht unbedingt auch wieder fallen
Im Angesicht der degenerativen linearen Ökonomie
Können wir im Donut Geschäfte machen?
Die Kreislaufwirtschaft hebt ab
Willkommen in der großzügigen Stadt
Auf der Suche nach dem großzügigen Ökonomen
Der Weg zur Kreislaufwirtschaft ist frei
Den Zweck eines Unternehmens neu definieren
Das Finanzwesen im Dienst des Lebens
Den Staat als Partner hinzuziehen
Die Ära der lebenden Indikatoren







 7

Eine agnostische Haltung zum Wachstum einnehmen
Von Wachstumsabhängigkeit zu einer agnostischen Einstellung zum Wachstum








Zu gefährlich, um es zu zeichnen
Der schlecht besetzte Star auf der Bühne
Können wir weiterfliegen?
Sind wir schon da?
Lernen, wie man den Flieger landet
Finanziell abhängig: Was ist möglich?
Politische Abhängigkeit: Hoffnung, Angst und Macht
Willkommen in der Ankunftshalle







 Wir sind heute alle Ökonomen








Die Erstürmung der Zitadelle
Die ökonomische Revolution: Jedes Experiment zählt







Dank



Anhang: Der Donut und die Daten




Tabelle 1: Das soziale Fundament und die Indikatoren zur Bewertung der Defizite
Tabelle 2: Die ökologische Decke und die Indikatoren zur Bewertung des Überschießens







Anmerkungen, Abbildungsverzeichnis, Bibliografie, Register


Inhaltsübersicht


aus dem einleitenden Kapitel „Wer möchte ein Ökonom werden?“



Sieben Ansätze, wie ein Ökonom des 21. Jahrhunderts zu denken (Seite 36 ff)






Unabhängig davon, ob Sie sich für einen alten Hasen oder einen Anfänger auf dem Gebiet der Ökonomie halten, jetzt ist es an der Zeit, jene ökonomischen Graffiti freizulegen, die in Ihrem Geist schlummern, und sie, wenn sie Ihnen nicht gefallen, abzuschrubben oder, noch besser, sie mit neuen Bildern zu übermalen, die unseren Bedürfnissen und unserer Zeit besser entsprechen. In den folgenden Kapiteln werden sieben Ansätze oder Wege vorgestellt, die es ermöglichen, wie ein Ökonom des 21. Jahrhunderts zu denken, und für jeden dieser Wege wird jenes falsche Bild aufgedeckt, das sich in unserem Kopf festgesetzt hat, und gezeigt, wie es so mächtig werden konnte und welch schädlichen Einfluss es ausübte. Doch die Zeit der reinen Kritik ist vorbei, und deshalb konzentrieren wir uns hier darauf, neue Bilder zu erschaffen, die jene grundlegenden Prinzipien zum Ausdruck bringen, die uns heute leiten. Die Diagramme in diesem Buch sollen den Sprung vom alten zum neuen ökonomischen Denken zusammenfassen und veranschaulichen. Zusammengenommen repräsentieren sie – im wörtlichen Sinne – eine neue große Perspektive für den Ökonomen des 21. Jahrhunderts. Es folgt ein Schnelldurchgang durch die Ideen und Bilder, die den Kern der Donut-Ökonomie ausmachen.

Erstens: Das Ziel verändern. Mehr als 70 Jahre lang war die wirtschaftliche Entwicklung auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP) fixiert, das als wichtigster Maßstab für Fortschritt galt. Diese Fixierung wurde dazu benutzt, krasse Einkommens- und Wohlstandsunterschiede zu rechtfertigen, die mit einem bislang ungekannten Ausmaß an Zerstörung der Welt verbunden waren. Für das 21. Jahrhundert brauchen wir ein wesentlich weiter reichendes Ziel: Wir müssen die Bedürfnisse eines jeden Menschen mit den Mitteln unseres lebensspendenden Planeten zu befriedigen suchen. Und dieses Ziel ist im Konzept des Donuts enthalten. Die Herausforderung besteht heute darin, Wirtschaftsordnungen aufzubauen – auf lokaler wie auf globaler Ebene –, die dazu beitragen, der gesamten Menschheit Zugang in den sicheren und gerechten Raum des Donuts zu ermöglichen. Anstatt stetiges Wachstum des Bruttoinlandsprodukts anzustreben, geht es heute darum, ein florierendes Gleichgewicht herzustellen.

Zweitens: Das Gesamtbild erfassen. Die herkömmliche Wirtschaftslehre beschreibt die Ökonomie mit einem einzigen, stark verengten Bild, dem Kreislaufdiagramm. Dessen Beschränkungen wurden darüber hinaus dazu verwendet, ein neoliberales Narrativ über die Effizienz des Marktes, die Inkompetenz des Staates, die Beschränkung des Haushalts auf das häusliche Leben und die Tragödie der Gemeingüter zu verstärken. Es ist an der Zeit, die Wirtschaft neu zu zeichnen und sie einzubetten in die Gesellschaft und die Natur, die beide von der Sonne mit Energie versorgt werden. Diese neue bildhafte Darstellung ermöglicht auch neue Narrative – über die Macht des Marktes, die Partnerschaft des Staates, die zentrale Rolle des Haushalts und die schöpferische Kraft der Gemeingüter.

Drittens: Die menschliche Natur pflegen und fördern. Im Zentrum der Wirtschaftslehre des 20. Jahrhunderts steht das Bild des rationalen homo oeconomicus: Er hat uns erklärt, dass wir alle unser Eigeninteresse verfolgen, vereinzelt und berechnend sind, festgelegt in unserem Geschmack, und dass wir die Natur beherrschen – und dieses Bild hat uns zu dem gemacht, was wir heute sind. Doch die menschliche Natur ist wesentlich reicher und vielfältiger, wie bereits erste Skizzen unseres neuen Selbstbilds zeigen: Wir sind sozial veranlagt, bemühen uns um Annäherung, verändern unsere Werte und sind abhängig von der lebendigen Welt. Darüber hinaus ist es durchaus möglich, die menschliche Natur in einer Weise zu fördern und zu entwickeln, die uns wesentlich größere Chancen eröffnet, in den sicheren und gerechten Raum des Donuts zu gelangen.

Viertens: Systemisches Denken lernen. Die berühmten Angebots- und Nachfragekurven des Marktes sind das allererste Diagramm, mit dem ein Ökonomiestudent Bekanntschaft macht, doch sie beruhen auf überholten Vorstellungen über ein mechanisches Gleichgewicht, die noch aus dem 19. Jahrhundert stammen. Wesentlich hilfreicher, um sich ein Verständnis für die Dynamik der Wirtschaft zu erarbeiten, ist ein systemisches Denken, das sich in einem schlichten Paar von Rückkopplungsschleifen zusammenfassen lässt. Rückt man diese Dynamik in den Mittelpunkt der Wirtschaftslehre, eröffnen sich viele neue Einblicke, von den Konjunktur- und Krisenzyklen der Finanzmärkte bis zur sich selbst verstärkenden Natur der wirtschaftlichen Ungleichheit und den Kipppunkten des Klimawandels. Es ist an der Zeit, dass wir aufhören, nach den trügerischen Steuerungshebeln der Wirtschaft zu suchen, und endlich damit beginnen, die Wirtschaft als ein in stetiger Weiterentwicklung begriffenes komplexes System aufzufassen.

Fünftens: Auf Verteilungsgerechtigkeit zielen. Im 20. Jahrhundert hat eine bestimmte grafische Darstellung – die Kuznets-Kurve – eine eindrucksvolle Botschaft über ökonomische Ungleichheit vermittelt: Die Ungleichheit muss zuerst größer werden, bevor sie kleiner werden kann, und das Wirtschaftswachstum wird schließlich für eine Angleichung sorgen. Doch wirtschaftliche Ungleichheit, so zeigt sich, ist keine ökonomische Notwendigkeit: Sie ist ein Gestaltungsfehler. Ökonomen des 21. Jahrhunderts werden anerkennen, dass es viele Möglichkeiten gibt, Volkswirtschaften so zu konzipieren, dass bei der Distribution des von ihnen erzeugten Werts mehr Verteilungsgerechtigkeit hergestellt wird – ein Gedanke, der sich am besten durch ein Netz von Fließgrößen veranschaulichen lässt. Das bedeutet, dass man über die Verteilung von Einkommen hinausgeht und Möglichkeiten einer Umverteilung von Vermögen erforscht, insbesondere von Vermögen, das auf der Beherrschung von Land, von Unternehmen, von Technologie und Wissen und auf der Macht der Geldschöpfung beruht.

Sechstens: Auf Regeneration zielen. Die Wirtschaftstheorie hat lange Zeit eine »saubere« Umwelt als ein Luxusgut dargestellt, das sich nur Wohlhabende leisten können. Diese Sichtweise wurde durch die Umwelt-Kuznets-Kurve bestärkt, die ebenfalls die Botschaft vermittelte, dass die Umweltverschmutzung zuerst zunehmen muss, bevor sich die Situation verbessern kann, und dass wirtschaftliches Wachstum diesen Umschwung herbeiführen wird. Doch eine solche Gesetzmäßigkeit gibt es nicht: Umweltschädigung ist die Folge einer degenerativen Ausrichtung der Industrie. Im neuen Jahrhundert brauchen wir ein ökonomisches Denken, das eine regenerative Ausrichtung fördert, um eine zirkuläre – keine lineare – Wirtschaft zu ermöglichen und den Menschen als gleichberechtigten Teilnehmer in die zyklischen Lebensprozesse der Erde einzubinden.

Siebtens: Eine agnostische Haltung zum Wachstum einnehmen. Ein Diagramm in der Wirtschaftstheorie ist so gefährlich, dass es praktisch niemals gezeichnet wird: der langsfristige Verlauf des BIP-Wachstums. Konventionelle Ökonomen betrachten dauerhaftes Wirtschaftswachstum als unverzichtbar, doch nichts in der Natur wächst ewig, und der Versuch, dieser Tendenz entgegenzuwirken, wirft in Ländern unbequeme Fragen auf, die durch hohes Einkommen, aber geringes Wachstum gekennzeichnet sind. Es sollte nicht schwerfallen, das BIP-Wachstum als Wirtschaftsziel aufzugeben, aber es ist wesentlich schwieriger, unsere Abhängikeit davon zu überwinden. Unsere heutigen Volkswirtschaften benötigen Wachstum, unabhängig davon, ob es den Menschen nutzt: Wir brauchen aber eine Wirtschaft, die den Menschen nutzt, unabhängig davon, ob sie wächst oder nicht. Diese radikale Veränderung der Perspektive ermutigt uns, eine agnostische Haltung zum Wachstum einzunehmen und zu erforschen, wie Volkswirtschaften, die gegenwärtig finanziell, politisch und sozial von Wachstum abhängig sind, lernen können, mit oder auch ohne Wachstum zu leben.

Aus diesen sieben Ansätzen, die es ermöglichen, wie ein Ökonom des 21. Jahrhunderts zu denken, lassen sich keine unmittelbaren politischen Handlungsanweisungen oder institutionellen Veränderungen ableiten. Sie bieten keine direkten Antworten auf die Frage, was nun konkret zu tun sei, und sie sind auch nicht die vollständige Antwort. Doch ich bin überzeugt, dass sie von grundlegender Bedeutung sind für die Entwicklung eines radikal anderen Denkens über die Wirtschaftsform, die wir in diesem Jahrhundert brauchen. Ihre Prinzipien und Muster werden neuen ökonomischen Denkern – und dem inneren Ökonomen in jedem von uns – das Rüstzeug verschaffen, um damit zu beginnen, eine Wirtschaft aufzubauen, die jedem Bewohner des Hauses ein gutes Leben ermöglicht. In Anbetracht der Geschwindigkeit, des Ausmaßes und der Unsicherheit des Wandels, der uns in den kommenden Jahren bevorsteht, wäre es töricht, heute bereits Festlegungen über jene politischen Handlungen und Institutionen treffen zu wollen, die wir in der Zukunft benötigen: Die künftige Generation von Denkern und Machern wird sich wesentlich leichter tun, zu experimentieren und herauszufinden, was in einem sich ständig wandelnden Kontext am besten funktioniert. Wir können nur – und das müssen wir überzeugend tun – die besten neu aufkommenden Ideen zusammenführen, um dadurch ein neues ökonomischen Denken zu begründen, das niemals abgeschlossen ist, sondern sich in stetiger Entwicklung befindet.

Die Aufgabe, die sich ökonomischen Denkern in den kommenden Jahrzehnten stellen wird, besteht darin, diese sieben Denkansätze in der Praxis zusammenzuführen und zu verbinden und viele weitere hinzuzufügen. Wir haben uns gerade erst auf das aufregende Abenteuer, die Wirtschaft neu zu denken, eingelassen. Machen Sie mit.


Zitate


Als Teenager versuchte ich mir in den 1980er-Jahren durch die Abendnachrichten ein Bild von der Welt zu erschaffen. Die Fernsehbilder, die täglich in unser Wohnzimmer flimmerten, trugen mich weit weg von meinem Leben als Schülerin in London, und diese Bilder blieben haften: das unvergessliche stumme Starren auf die Babys mit den aufgequollenen Bäuchen, die während der Hungersnot in Äthiopien auf die Welt kamen; die nebeneinander aufgereihten Toten, die bei der Gasexplosion in Bhopal wie Streichhölzer niedergestreckt worden waren; ein purpurfarbenes Loch, das in der Ozonschicht klaffte; der riesige Ölteppich, der aus der Exxon Valdez in das klare Wasser vor Alaskas Küste floss. Am Ende dieses Jahrzehnts wusste ich, dass ich für eine Organisation wie Oxfam oder Greenpeace arbeiten wollte – um dafür zu kämpfen, den Hunger und die Umweltzerstörung zu beenden –, und ich dachte, der beste Weg, um sich darauf vorzubereiten, wäre, Ökonomie zu studieren und die Instrumente, die ich mir dabei aneignen würde, für diese Anliegen einzusetzen. – Also ging ich nach Oxford, um dort zu lernen. Nur die ökonomische Theorie, die mir dort angeboten wurde, frustrierte mich, weil sie eigenartige Annahmen darüber traf, wie die Welt funktionierte, während sie die meisten Dinge beschönigte, über die ich mir Sorgen machte. (Seite 18)

Wie wäre es, wenn wir nicht die etablierten, althergebrachten Theorien an den Anfang der Ökonomie stellen, sondern stattdessen die langfristigen Ziele der Menschheit, und versuchten, ein ökonomisches Denken zu entwickeln, das uns in die Lage versetzt, diese Ziele zu erreichen? Ich machte mich daran, ein Bild dieser Ziele zu zeichnen, das schließlich, so verrückt es klingen mag, wie ein Donut aussah (…). Im Wesentlichen bestand das Modell aus einem Paar konzentrischer Ringe. Innerhalb des inneren Rings – dem gesellschaftlichen Fundament – liegen die tief greifenden Depravierungsprozesse, die großen Geißeln und Nöte der Menschheit wie Hunger und Analphabetentum. Außerhalb des äußeren Ringes – der ökologischen Decke – liegen die gravierenden planetaren Degradierungsprozesse wie der Klimawandel und der Verlust der Biodiversität. Zwischen diesen beiden Ringen ist der Donut im engeren Sinne angesiedelt, jener Raum, in dem wir die Bedürfnisse aller mit den Mitteln des Planeten befriedigen können. (…) Mit dem Donut in der Hand fegte ich meine alten Lehrbücher vom Tisch und suchte nach den überzeugendsten frischen Ideen, erforschte das neue ökonomische Denken aufgeschlossener Studenten, fortschrittlicher Wirtschaftsführer, innovativer Wissenschaftler und moderner Praktiker. Dieses Buch versammelt die wichtigsten Erkenntnisse und Einsichten, die ich auf diesem Weg gewonnen habe (…) und die nach meiner Meinung heute zum Rüstzeug eines jeden Ökonomen gehören sollten. Es werden unterschiedliche Denkschulen behandelt, wie etwa die Komplexitätsökonomik, die Ökologische und Feministische Ökonomie, die Institutionenökonomik und die Verhaltensökonomie. Sie alle sind reich an Erkenntnissen, doch es besteht die Gefahr, dass sie in ihren jeweiligen Nischen isoliert bleiben, denn jede Denkschule bringt ihre eigenen Fachzeitschriften, Konferenzen, Blogs, Lehrbücher und Lehreinrichtungen hervor und kultiviert ihre ganz eigene Kritik am Denken des vergangenen Jahrhunderts. Ein wirklicher Durchbruch kann jedoch erst gelingen, wenn diese Denkschulen ihre Ansätze miteinander verbinden und herausfinden, was geschieht, wenn sie auf demselben Ball tanzen – ein Vorhaben, das dieses Buch in Angriff nehmen will. (Seite 19 ff)

Allgemein heißt es: Wir brauchen eine neue ökonomische Erzählung, ein Narrativ unserer gemeinsamen wirtschaftlichen Zukunft, das dem 21. Jahrhundert gerecht wird. Einverstanden. Aber vergessen wir dabei eines nicht: Die wirkungsmächtigsten Erzählungen in der Geschichte waren stets jene, die über Bilder erzählt wurden. Wenn wir die Wirtschaftswissenschaft neu schreiben wollen, müssen wir auch ihre Bilder neu zeichnen, denn wir können keine neue Geschichte erzählen, wenn wir an den alten Bildern hängen bleiben. (…) Lynell Burmark, eine Expertin für visuelle Lese- und Schreibkompetenz, erklärt: „Wenn unsere Worte, Konzepte und Ideen nicht an ein Bild gekoppelt sind, gehen sie durch das eine Ohr hinein und das andere wieder hinaus. Worte werden durch unser Kurzzeitgedächtnis verarbeitet, in dem wir nur ungefähr sieben unterschiedliche Informationen behalten können. … Bilder dagegen gehen unmittelbar in das Langzeitgedächtnis ein, wo sie unauslöschlich abgespeichert werden.“ (…) Bilder setzen sich im geistigen Auge fest und formen unsere Sicht der Welt neu. (Seite 22 ff)

Es ist verführerisch, alte Denkmodelle abzustreifen, doch bei der Suche nach neuen gilt es einiges zu beachten. Zum einen sollte man nie vergessen, dass „die Landkarte nicht das Territorium ist“, wie es der Philosoph Alfred Korzybski formulierte: Jedes Modell kann immer nur ein Modell sein, eine notwendige Vereinfachung der Welt, die man nicht mit der tatsächlichen Welt verwechseln darf. Zum zweiten gibt es keine richtige präanalytische Vision, kein wahres Paradigma und keinen perfekten Rahmen, der irgendwo da draußen zu entdecken wäre. (…) Es gibt keinen vollkommenen Interpretationsrahmen, den wir nur finden müssen, erklärt auch der Linguist George Lakoff, es ist vielmehr von entscheidender Bedeutung, dass wir eine überzeugende Alternative an der Hand haben, wenn der alte Interpretationsrahmen endgültig verworfen wird. Einfach nur das vorherrschende Deutungsmuster abzulehnen wird ironischerweise zu dessen Stärkung führen. (…) Ähnlich wie Lakoffs Arbeiten die Bedeutung des verbalen Framings für die politische und wirtschaftliche Debatte verdeutlicht haben, möchte dieses Buch die Kraft des visuellen Framings herausarbeiten und es dazu einsetzen, das wirtschaftliche Denken des 21. Jahrhunderts zu verändern. (Seite 33 f)

Den Kern des herkömmlichen wirtschaftlichen Denkens bildet eine Handvoll Diagramme, die ohne Worte, jedoch sehr eindrücklich die Art und Weise bestimmt haben, wie wir über die ökonomische Welt denken – und alle diese Diagramme sind überholt, betriebsblind oder schlicht falsch. Sie mögen verborgen und nicht allgemein sichtbar sein, doch sie prägen maßgeblich die Art, wie in den Schulen und Universitäten, beim Staat und in der Verwaltung, in den Firmenvorständen, in den Medien und auf der Straße über Ökonomie gedacht wird. Wenn wir eine neue ökonomische Erzählung schreiben wollen, müssen wir neue Bilder zeichnen, welche die alten in die Lehrbücher des vergangenen Jahrhunderts verbannen. (Seite 35 f)









Ökonomie – die neoliberale Geschichte des 20. Jahrhunderts
(in dem wir an den Rand des Zusammenbruchs geraten)

• Bühnenbild: Paul Samuelson
• Autor: Mont Pèlerin Society

• Rollenverzeichnis:
DER MARKT, effizient, daher sollte er freie Hand haben
DIE UNTERNEHMEN, innovativ, daher sollten sie die Führung übernehmen
DIE FINANZWIRTSCHAFT, unfehlbar, daher kann man ihr vertrauen
DER HANDEL, win-win, daher sollte man alle Grenzen öffnen
DER STAAT, inkompetent, daher sollte er sich nicht einmischen dürfen


• Weitere Figuren, die aber nicht auf der Bühne gebraucht werden:
DER PRIVATE HAUSHALT, ist Aufgabe der Frauen
DIE ALLMENDE, eine Tragödie, daher sollte man sie verkaufen
DIE GESELLSCHAFT, existiert nicht, daher kann man sie ignorieren
DIE ERDE, unerschöpflich, daher kann man sich nach Herzenslust bedienen
MACHT, irrelevant, also sprechen wir gar nicht erst davon



Wirtschaft – das 21. Jahrhundert
(in dem wir ein blühendes Gleichgewicht erschaffen)

• Bühnenbild und Script:
Laufende Arbeit von ökonomischen Umdenkern allerorten

• Rollenverzeichnis:
DIE ERDE, lebensspendend, daher sollte man ihre Grenzen respektieren
DIE GESELLSCHAFT, grundlegend, daher sollte man ihre Verbindungen pflegen
DIE WIRTSCHAFT, vielfältig, daher sollte man all ihre Systeme unterstützen
DER PRIVATE HAUSHALT, das Herzstück, daher sollte man seine Beiträge schätzen
DER MARKT, machtvoll, daher sollte man ihn klug einbinden
DIE ALLMENDE, kreativ, daher sollte man ihr Potenzial entfesseln
DER STAAT, entscheidend, daher sollte man ihn zur Verantwortung ziehen
DIE FINANZWIRTSCHAFT, dienstbar, daher sollte man dafür sorgen, dass sie der Gesellschaft wirklich dient
DIE UNTERNEHMEN, innovativ, daher sollte man ihnen eine Aufgabe geben
DER HANDEL, zweischneidig, daher sollte man dafür sorgen, dass er fair bleibt
MACHT, einflussreich und allgegenwärtig, daher sollte man ihren Missbrauch stoppen








Verlags-Leseprobe


http://www.hanser-literaturverlage.de/files/978-3-446-25845-7-xxl_leseprobe.pdf


Siehe auch


Christian Felber: Gemeinwohl-ÖkonomieEine demokratische Alternative wächst (Erweiterte Neuausgabe)