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Silke Helfrich (Hrsg.)
Wem gehört die Welt?

Zur Wiederentdeckung der Gemeingüter






München, Berlin 2009 (oekom verlag, Heinrich-Böll-Stiftung); 286 Seiten; ISBN-13: 978-3-86581-133-2


Komplette Netzausgabe (www.boell.de/downloads...)






Auf den ersten Blick haben Wasser und Wissen, Erbgut und Atmosphäre nichts gemeinsam. Was sie aber eint, ist, dass sie zum Nötigsten für ein menschliches Leben gehören. Doch sie gehen der Gesellschaft immer mehr verloren, weil sie privatisiert und der allgemeinen Verfügung entzogen, missbraucht oder unbezahlbar werden. Die Welt gehört nicht mehr allen, sie wird eingezäunt und kommerzialisiert – zu unserem Schaden. Davon zeugen die weltweiten Konflikte über die Trinkwasserversorgung, den Zugang zu neuen Technologien oder den Umgang mit Regenwäldern. Wir stehen an einem Scheidepunkt, an dem ein neuer Blick auf unsere gemeinsamen Besitztümer erforderlich ist.

Dieses Buch will diesen neuen Blick ermöglichen. Es zeigt die Vielfalt unserer Gemeingüter – und welch ungeheures Potenzial in ihnen steckt. Es macht uns vertraut mit Dingen wie Creative Commons, Slow Food und der Wissensallmende. Und es skizziert durch praktische Beispiele den Weg, wie Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit und Demokratie durch Gemeingüter auf Dauer erhalten oder erreicht werden können.


Silke Helfrich


studierte Philologie (Französisch/Portugiesisch) und Pädagogik an der Karl-Marx-Universität Leipzig. Anfang 1990 begann sie verstärkt zu Lateinamerika und Entwicklungspolitik zu arbeiten. Seit 1999 leitet sie das Regionalbüro der Heinrich-Böll-Stiftung in Mexico City. Schwerpunkte ihrer dortigen Arbeit bilden die Themen Globalisierung, Gender und Menschenrechte. Derzeit ist sie freischaffend tätig. Sie betreibt einen deutschsprachigen Blog zu Gemeinschaftsgütern: www.commonsblog.de


Inhaltsverzeichnis


Barbara Unmüßig: Vorwort
Silke Helfrich: Einleitung






Gemeingüter, Bürgerschaft und Eigentum



David Bollier: Gemeingüter – eine vernachlässigte Quelle des Wohlstands
José Esteban Castro: Gemeingüter und (Staats-)Bürgerschaft
Federico Heinz: Freie Software – Vom Elfenbeinturm auf unseren Schreibtisch
Ulrich Duchrow: Kann ein Mensch seine Mutter besitzen?
Silvia Ribeiro und Pat Mooney: Der manipulierte Geist
Achim Lerch: Die Tragödie der »Tragedy of the Commons«
Yochai Benkler: Die Politische Ökonomie der Gemeingüter
Ariel Vercelli und Hernán Thomas: Die Gemeingüter überdenken






Entgrenzungen und Eingrenzungen



Margit Osterloh und Roger Lüthi: Gemeingüter und Innovationen
Frank Augsten: Die Bodenfrage neu stellen: Aber wie?
Leticia Merino: Forstgemeinschaften in Mexiko
Jean Pierre Leroy: Die Hüter unserer Zukunft – Territorialpolitik in Gurupá
Michael Earle: Fischen in der Allmende
Sunita Narain: Wenn Märkte wirklich für Menschen arbeiten
Gregor Kaiser: Genbanken – Die Archivierung des kulturellen Erbes
Anita Idel: Tierische Perspektiven – Erhalt und Entwicklung genetischer Ressourcen
Andrea Lenkert-Hörrmann und Ursula Hudson: Zur Wiederentdeckung kulinarischer Traditionen
Oliver Moldenhauer und Katrin Hünemörder: Patente gefährden die Versorgung mit Medikamenten
Jamie Metzl: Schöner neuer Weltkrieg
Catharina Maracke und John Hendrik Weitzmann: Creative Commons – ein rechtliches Laienwerkzeug in der digitalen Welt
Andreas Poltermann: Die Wissenschaftsallmende – Vom Urheberrecht zu Open Access
Petra Buhr und Julian Finn: Gegen Zäune und Schranken: Eine Flatrate für die kulturelle Allmende
John Wilbanks: Was sind Science Commons?
Lisa Thalheim: Trusted Computing
Richard Stallman: Das Recht zu lesen
Christian Siefkes: Die Commons der Zukunft






Institutionen des Commons-Managements



Elinor Ostrom: Gemeingütermanagement – Perspektive für bürgerschaftliches Engagement
Jörg Haas und Peter Barnes: Die Atmosphäre als Gemeingut – Zukunft des Europäischen Emissionshandels
Ulrich Brand: Das Zusammenwirken von Bewegungen. Commons als kritisch-emanzipatorische Weltsicht und strategische Perspektive
Ulrich Steinvorth: Zwei Wurzeln der Allmendebewegungen, eine Politik






Silke Helfrich und Jörg Haas: Statt eines Nachworts: Gemeingüter – Eine große Erzählung
Vandana Shiva: Schützt die Gemeingüter!






Commons in Links
Literatur
Autorinnen und Autoren


Leseprobe


Vorwort






Gemeingüter sind verlässlich. Das unterscheidet sie von den (Finanz-) Märkten. So wichtig und richtig Forderungen nach staatlicher Regulierung prinzipiell sind – es geht nicht nur um Staat oder Markt. In der gegenwärtigen Neujustierung der Kräfteverhältnisse zwischen den Akteuren muss ein grundsätzlich neues Gleichgewicht zwischen einer lebendigen Bürgergesellschaft, dem Markt und dem Staat erstritten werden. Diese demokratische Dimension wird allzu häufig in den aktuellen Diskussionen vergessen. Ob in den Kämpfen um Wasser, um freie Kultur oder um den Schutz der Atmosphäre – es besteht die Gefahr, dass die Allgemeinheit die Verfügungsrechte über die gesellschaftlichen Reichtümer preisgibt. Das ist der wichtigste Augenöffner des vorliegenden Sammelbandes.






Gemeingüter sind allgegenwärtig. Sie machen einen Gutteil unseres Reichtums aus – auch wenn wir dazu neigen, sie nicht wahrzunehmen. Wo dies nicht passiert, da wächst ermutigend Neues. Menschen kämpfen in ganz unterschiedlichen (Selbst-) Organisationsformen lokal und global für faire Zugangsrechte zu sauberem Trinkwasser, für den Erhalt der Saatgutvielfalt, für freie Software und freien Austausch von wissenschaftlichem Wissen oder für vitale öffentliche Räume.






Das Konzept der Gemeingüter verbindet all diese Auseinandersetzungen, und es bringt die Prinzipien von Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Transparenz und Demokratie mit Innovationsfreundlichkeit zusammen. Die Gemeingüterdebatte transportiert die Idee der ökosozialen Marktwirtschaft in die globalisierte Informations- und Wissensgesellschaft. Sie fragt somit nach erfolgreichen Prinzipien, Organisationsformen und Institutionen des Wirtschaftens – auch jenseits von Markt und Staat. Das ist alltagsrelevant und aufregend.






Gemeingüter sind großzügig. Denn »nichts zeugt von solcher Großzügigkeit wie Gaben«, sagt ein mittelalterliches Sprichwort, und Gemeingüter resultieren aus den Gaben der Natur und der Kreativität vorangegangener Generationen. Obwohl sich die Leistungen der Gemeingüter eigentlich jeglicher Berechenbarkeit entziehen, gibt es zaghafte Versuche, deren wirtschaftlichen Gegenwert in Beträgen darzustellen. Ende der 1990er Jahre – so fanden nordamerikanische Forscherinnen und Forscher heraus – entsprachen die Leistungen der natürlichen Gemeinressourcen dem Doppelten des globalen Bruttosozialproduktes (die kollektiven kulturellen Leistungen, aus der die unschätzbare Fülle der Wissensallmende hervorgeht, noch nicht mitgerechnet). Das sind die Schätze, über die in diesem Buch nachzulesen ist.






Beide, die »Gemeingüter der Erde« und die »Gemeingüter des Geistes« sind im Prinzip in Fülle vorhanden. Auch wenn natürliche Ressourcen – das erfahren wir schmerzlich – übernutzt werden können. Doch dies ist kein Problem der Verfasstheit der Allmende, kein Problem der Ressourcen, die uns umgeben, sondern ein Problem der menschlichen Gemeinschaft. Es ist also unser Problem und nicht den Gemeingütern inhärent. Das lernen wir auch aus diesem Buch.






Gemeingüter sind modern. Die vorliegende Aufsatzsammlung wirft ein neues Licht auf das scheinbar alte Paradigma der Allmende. Das Thema ist komplex, weshalb wir nur ein Schlaglicht darauf werfen können. Dennoch wird deutlich, wie es um die natürlichen, kulturellen und sozialen Gemeingüter des beginnenden 21. Jahrhunderts bestellt ist. Die Autorinnen und Autoren belegen dabei, dass und in welchem Maße die Allmende Ausdruck ihrer Zeit ist, denn der Zustand der Allmende spiegelt die Verfasstheit der Gesellschaft.






Es ist an uns, die Gemeingüter der Gegenwart zu identifizieren. Es ist an uns, ihren Verlust oder ihre ausschließlich private Aneignung zu stoppen. Es ist an uns, die Fülle der Allmende so zu nutzen, dass die Kurse auf dem Marktplatz des Gemeinwohls, des sozialen Zusammenhalts, der Kreativität, der Freiheit und der Zukunftsfähigkeit wieder steigen. Niemand wird uns diese noble Aufgabe abnehmen. Der vorliegende Band will Orientierung dafür bieten.






Bundespräsident Horst Köhler forderte die Heinrich-Böll-Stiftung anlässlich der Eröffnung unseres neuen Stiftungshauses auf, Eigensinn zu entwickeln und Fährtensucher für neue politische Konzepte zu sein. Dieser Aufgabe stellen wir uns gern: Wir suchen als grüne politische Stiftung nach Antworten und Ideen, die es uns ermöglichen, auf die Herausforderungen des Klimawandels, der Ressourcenausbeutung, der sozialen Exklusion, auf die Ernährungs- und Armutskrise, aber auch auf die Transformation zur Wissensgesellschaft und die damit einhergehenden Auseinandersetzungen um Urheberrechte, Software-Patente oder Zugang zu Wissen angemessen zu reagieren. Und dafür brauchen wir Ideen jenseits von Markt und Staat.






So haben wir zum Beispiel das Konzept der »Greenhouse Development Rights« entwickelt, das globale Gerechtigkeit konsequent mit Klimaschutz und dem Recht auf Entwicklung zu verbinden sucht. Wir haben das Konzept der Geschlechterdemokratie vorangetrieben und damit Anstoß erregt.






Die Idee der Gemeingüter prägt inzwischen mehrere Aktivitäten der Stiftung: Mit überregionalen Projekten unserer Auslandsbüros, insbesondere in Lateinamerika, und der Übersetzung des Buches Kapitalismus 3.0 – Ein Leitfaden zur Wiederaneignung der Gemeinschaftsgüter von Peter Barnes beteiligt sich die Stiftung an der Suche nach der Logik der Gerneingüter.






Seit 2008 organisieren wir zudem den interdisziplinären politischen Salon »Zeit für Allmende«. Er ist ein offener Debattenraum für die gemeinsame Spurensuche. Der interdisziplinäre Salon und dieses Buch versuchen Rechtsverhältnisse, Sozialbeziehungen, Institutionen und politische Lösungsvorschläge daraufhin abzuklopfen, ob sie die Gemeinressourcen und die Beziehungen zwischen den Menschen erhalten und stärken oder nicht. Das ist ein komplexes Unterfangen. Aber einfacher geht es nicht.






Mein Dank gilt allen, die zur Entstehung dieses Buch beigetragen haben. Sei es durch Kommentare oder Kritik, durch theoretische Analysen oder ihr inspirierend praktisches Engagement zur Wiedergewinnung der »Commons«, der Gemeingüter. Dazu gehören in erster Linie die hier versammelten Autorinnen und Autoren, die sich – bisweilen – auf ein Abenteuer eingelassen haben.






Ohne Silke Helfrich hätten auch wir als Stiftung wohl kaum das Abenteuer gewagt. Sie ist die Initiatorin dieses Buches und des Politischen Salons. Sie hat bereits als Büroleiterin unseres Regionalbüros für Mexiko, Zentralamerika und Kuba das Nachdenken über Gemeingüter mit Partnerinnen und Partnern der Stiftung begonnen. Ihr gilt mein größter Dank.






Schließlich ist der vorliegende Band beredter Ausdruck jener Kreativität, die aus der Wissensallmende und dem kollektiven Miteinander schöpft.






Berlin, im Dezember 2008
Barbara Unmüßig
Vorstand der Heinfich-Böll-Stiftung









Einleitung
Von Silke Helfrich






Gemeingüter sind ein Netz, das trägt, geknüpft aus unseren vielschichtigen Beziehungen zu den natürlichen, sozialen und kulturellen Ressourcen. Sie sind also nichts von uns Getrenntes, sondern das Gewebe unserer mannigfaltigen Wirtschafts- und Sozialbeziehungen. Der Begriff der Gemeingüter offenbart die zwei Gesichter dieser Beziehungen. Einerseits beleuchtet er Charakter und Funktion der Ressourcen, von denen die Rede ist. Andererseits frägt er nach der Verfasstheit und den Gelingensbedingungen der Gemeinschaften, die mit den jeweiligen Ressourcen verbunden sind.






Diese Dinge, die Gemeinressourcen – gleich ob stofflich oder nicht –, um die es hier geht, sind die Grundlage aller produktiven, reproduktiven und kreativen Prozesse. Ohne Gene keine Vielfalt. Ohne Land keine Nahrung. Ohne Licht kein Wachstum. Ohne Töne keine Musik. Ohne Sprache keine Kommunikation. Ohne Wissen kein Fortschritt. Ohne Wasser kein Leben. Kurz: Eine Form des Lebens und Wirtschaftens, die nicht aus der Fülle der Gemeinressourcen schöpft, ist undenkbar. Natürliche Ressourcen können ohne uns sein. Aber wir nicht ohne sie. Genauso wesentlich ist uns die über Jahrtausende kollektiv geschaffene Kultur- und Wissensallmende. [1] Sie entstand aus der menschlichen Kreativität und ist für Bildung, Kultur und Medizin so wichtig wie die sprichwörtliche Luft zum Atmen.






Die Verfügungsgewalt über Gemeinressourcen ist historisch umkämpftes Terrain. Dies zwingt zu einem Blick in die Vergangenheit. An verschiedenen Stellen dieses Buches wird er gewagt – insbesondere im Beitrag von Ulrich Duchrow, der die religiösen Wurzeln der Alternativen zur gegenwärtigen Wirtschaftsweise in verschiedenen Kulturen skizziert.






Eines der ersten literarischen Zeugnisse der Auseinandersetzungen um die Allmende [2], die einhergeht mit der steten Neudefinition von »Gesetzlichem« und »Ungesetzlichem«, findet sich vermutlich in den Balladen über Robin Hood. [3] Hood, der einst »Gesetzlose«, avancierte mit den Jahrhunderten zum sozialrevolutionären Helden. Der Historiker Peter Linebaugh fragt nach den historischen Bedingungen des realen wie legendären Robin Hood. Er stellt fest, dass die Ersterwähnung eines so genannten »Rob. Hod. Fug.« (Robin Hod, flüchtig) ausgerechnet zu Beginn des 13. Jahrhundert [4] stattfand und damit de facto mit der Veröffentlichung der Magna Charta von 1215 zusammenfiel. Die Magna Charta ist die wichtigste englische Verfassungsrechtsquelle. Sie wurde auch für andere Staaten, insbesondere die USA, zu einer entscheidenden verfassungsrechtlichen Grundlage. In ihr finden sich weithin unbeachtete Formulierungen gegen die damals vom König [5] verfügte Ausbeutung der Wälder mit dem Ziel, den Wald zur Nutzholzquelle zu degradieren, das Nutzholz in Geld umzumünzen und dieses in Loyalitäten von zu Beschenkenden anzulegen.






Die Magna Charta spricht in den von der offiziellen Geschichtsschreibung wenig wahrgenommenen Kapiteln 47 und 48 von einer Art »common rights of the forest«. In Kapitel 33 benennt sie das »common right of piscary«, also das Recht in Wassern zu fischen, die – formal – anderen gehören. Privateigentum (hier des Königs oder der Lords) schließt das Nutzungsrecht der Allgemeinheit nicht aus!






Bis zur Eroberung durch die Normannen im Jahr 1066 gelang die Bewirtschaftung der sorgsam geplanten Waldweiden in England nach einer einfachen Grundregel: »Der Boden gehörte dem Lord, das Weide(n)recht den commoners.«






Damit war es vorbei, als der König dazu überging, sich den Wald für die Jagd, das Vergnügen und die Begünstigung seiner Gefolgschaft zu reservieren. Wald wurde zum höchsten Statussymbol. Der Königsbann hatte die »commoners« aus ihren Wäldern vertrieben, in die sich Robin Hood, der Legendäre, mit seinen Mannen zurückzog. Wir verstehen, warum die Legende sich mit Leben füllt, wenn wir verstehen, »dass das Holz für die Menschen dieser Zeit so wichtig war, wir für uns heute das Öl«. [6]






Das Rad der Geschichte dreht sich weiter, doch die Essenz der Konflikte bleibt dieselbe. Auch im Zentrum der großen sozialen und politischen Auseinandersetzungen der Gegenwart steht die Ausgestaltung der Zugangs- und Nutzungsrechte an den Gemeinressourcen. Genau dies hat der Streit um den Emissionsrechtehandel mit dem Ringen für die Wahrung kultureller und biologischer Vielfalt oder mit dem Widerstand gegen Software-Patente gemein. Hier treffen sich – wenngleich oft unerkannt -- die Interessen der Umweltbewegung mit jenen der Bewegung für freie Software und freie Kultur. Der vorliegende Band ist so konzipiert, dass die Konvergenzen dieser Bewegungen ihren deutlichen Niederschlag finden.






Der Blick in die Vergangenheit macht einen Mechanismus der Gegenwart, der auch in Zukunft fortwirken kann, deutlich: In dem Maße, in dem eine Gemeinressource als ökonomisch verwertbar entdeckt wird, schreitet ihre Einzäunung im Privatinteresse voran. Gestern waren es die weitgehend sichtbaren natürlichen Ressourcen der Erde. Heute sind es die sichtbaren und unsichtbaren natürlichen und kulturellen Ressourcen der Erde. Werden es morgen die Bodenschätze des Mondes sein? [7] Wenn man sich [ ... ] dafür interessiert, wann der nächste große Transfer von Reichtum vom Öffentlichen an das Private stattfinden wird, muss man sich den Prozess der Einzäunung ansehen«, schreibt treffend John Hepburn. [8]






Die Einzäunung [9] des Landes ging mit der Revolution in der Landwirtschaft einher. Die Industriegesellschaft verhalf dem Patentwesen – auch für sogenanntes »Geistiges Eigentum« – zum Durchbruch. Die Wissensgesellschaft ist geprägt vom sowohl patentrechtlich als auch technologisch [10] durchgesetzten Privatzugriff auf Algorithmen, Informationen und Wissen.






Die biotechnologische Revolution hängt mit Patenten auf Leben zusammen. Jeder technologische Sprung erhöht die Privatisierungsmöglichkeiten, da die Dimensionen der diesem Prozess anheim fallenden Bausteine von Wissen und Leben permanent verkleinert werden. Fragmentierung geht allem Anschein nach mit Privatisierung einher. Heute gibt es patentierte chemische Elemente [11] und Gensequenzen. Morgen können es Bausteine der Nanoskala sein. Diskutiert wird an dieser Stelle nicht die Frage des gesellschaftlichen Nutzens von Patenten oder die – höchst umstrittene – Ausweitung des Patentrechts auf in der Natur Vorkommendes; problematisiert wird lediglich ein Zusammenhang, der mit der Erosion der Allmende einhergeht: Je kleiner die individuell kontrollierbaren und kontrollierten Bausteine der uns umgebenden Ressourcen, umso größer die Kontrollmacht über den gesamten Produktionsprozess. Dass diese Einhegung auch vor unserer Urteilsfähigkeit selbst nicht halt macht, beschreiben am Beispiel neuester technologischer Entwicklungen und entsprechender politischer Förderpraktikem der alternative Nobelpreisträger Pat Mooney und Silvia Ribeiro.






Das Buch zeigt, wie die seit Jahrhunderten durchgesetzte Eingrenzung der Gemeinressourcen, im Interesse der jeweils ökonomisch Mächtigeren, mehr und mehr Breschen in die Commons schlägt. Stück für Stück wird den Gemeinressourcen entnommen. Nicht, um sie zu gebrauchen, sondern um sie zu verbrauchen. Nicht, um gemeinverfügbare Ressourcen im Sinne des Gemeinwohls zu vermehren, sondern um sie privat anzueignen. Gerade in den vergangenen 150 Jahren wurde dieser Aneignungsprozess mit dem Argument der Produktivitätssteigerung gerechtfertigt. Doch Gemeingüter waren und sind stets produktiv. Aus ihnen wird stets geschöpft und entnommen. Holz dem Wald, Fische den Seen, Trinkwasser dem Grundwasser, Motivation den sozialen Commons, Ideen der Wissensallmende, heilende Wirkung der Kenntnis heimischer Pflanzen. Die zentrale Frage dabei ist nicht, welcher Eigentumsform Gemeingüter zu unterwerfen sind, Die zentrale Frage ist: Zu welchem Zweck, zu wessen Vorteil und in wessen Interesse dürfen Gemeinressourcen vom wem genutzt werden und vom wem nicht?






Betrachten wir nun die zweite Seite des Gemeingüterbegriffs: Die zahllosen Gemeinschaften (»communities), welche Verfügungsrechte an Gemeinressourcen im Sinne der Gemeinverfügbarkeit ausgestalten, sind – nach Ansicht der Autorin – konstitutiv für den Begriff selbst. Daher erzählt dieses Buch auch von den Erfolgsbedingungen und Herausforderungen vieler Gemeinschaften. Der Umweltexperte Jean-Pierre Leroy aus Brasilien beschreibt das Ringen um eine gemeingütergerechte Ausgestaltung der Zugangs- und Nutzungsrechte an den natürlichen und kulturellen Ressourcen in der Amazonasgemeinde Gurupá (Bundestaat Pará, Brasilien). Die Anthropologin und Politikwissenschaftlerin Leticia Merino bringt uns die verschiedenen Bewirtschaftungsformen mexikanischer Wälder näher und würdigt die Leistungen der »ejidatarios« in Mexiko zur Bewirtschaftung des Landes. Sunita Narain, indische Umweltexpertin, berichtet, wie indische Dorfgemeinschaften den akuten Wassermangel erfolgreich bewältigen und letztlich dafür sorgen, dass »Märkte wirklich für Menschen arbeiten«. Eine der renommiertesten Commons-Forscherinnen weltweit, Elinor Ostrom, resümiert in ihrem Beitrag: »Wir haben erkannt, dass die Bürger eine wesentliche Rolle bei der Bewirtschaftung von Gemeinressourcen spielen und dass Bestrebungen, die Verantwortlichkeit für die Ressourcen an externe Experten zu übertragen, langfristig kaum dem Schutz derselben dient. Die Komplexität der Ressourcen auf lokaler, nationaler und globaler Ebene erfordert ebenso komplexe Verwaltungssysteme mit unterschiedlichsten Formen der Bürgerbeteiligung.«






Gemeingüter sind unser aller Reichtum. Das rücken die Autorinnen und Autoren, insbesondere der US-amerikanische Commons-Experte David Bollier in seinem Einführungsbeitrag, eindrücklich in den Blick. Doch sie müssen stets so verwaltet werden, dass sie auch in Zukunft ihre Funktion als Commons entfalten können. Auch das ist eine der zentralen Aussagen dieses Buches. In unseren unterschiedlichen sozialen Bezügen sind wir die entscheidenden Akteure der Wiederbelebung und Modernisierung der Allmende. Die Vitalität der Beziehung zwischen den Ressourcen und der/n jeweiligen Gemeinschaft/en ist der Schlüssel dafür, dass wir die vor uns stehenden Herausforderungen meistern. Sich zuspitzende ökologische Krisen, allgegenwärtige Konzentrationsprozesse und die sich immer tiefer grabende Privatisierung von Wissen und Leben, in anderen Worten: die Fragmentierung und Einzäunung unserer Umgebungen haben die gewaltsame Loslösung von immer mehr Menschen aus dem Netz, das uns trägt, mit sich gebracht. Einige haben während dieses Loslösungsprozesses den Zugang zu den Gemeinressourcen durch Zugang zu anderen Mitteln – wie Geld oder Macht – austauschen können. Ganze Regionen ersetzten sukzessive die Sicherheit, die die Nutzung der Gemeingüter für wichtige Lebensbereiche bietet, fast ausnahmslos durch den Kauf von Waren. Auch dies bietet bestimmte Sicherheiten und Bequemlichkeiten, aber sie sind in der Regel an die Verfügbarkeit des Geldes gebunden. Daher blieben andere, nicht wenige, auf der Strecke.






Die Zerlegung unserer gemeinsamen Umgebungen hat vermutlich viel mit den sozialen Spannungen und Spaltungen der Gegenwart zu tun. Im Norden wie im Süden. Auch der drohende Klimawandel macht überdeutlich, welche existentiellen Bedrohungen für einen Großteil der Weltbevölkerung mit der Erosion der Commons verbunden sind, ein Thema, welches sich im Beitrag von Jörg Haas und Peter Barnes reflektiert. Der Punkt ist: Das Krisentelefon schrillt. Häufig und allerorten. Wir riskieren die Grundlagen unseres Lebens und Wirtschaftens.






Dass es dennoch keinen Grund zur Resignation gibt, liegt in einer anderen Entwicklung dieses Gemeingutsektors begründet. Parallel zum Schwinden einiger traditioneller Allmenden (Boden, Wasser, Atmosphäre) ist ein dynamischer Prozess des Entstehens neuer Gemeingüter zu beobachten. Wobei das Eine das Andere selbstredend nicht ersetzt. Die Entstehung zahlreicher moderner Allmenden bzw. Gemeingüter findet ihren Ausgangspunkt nicht selten in hellsichtigen Analysen der mit der privaten Aneignung von Gemeinressourcen einhergehenden sozialen und kulturellen Brüche. Paradebeispiel dafür ist die Geburtsstunde der freien Software vor nunmehr einem Vierteljahrhundert, die dem Koautor dieses Buches und Programmierer Richard Stallman zu verdanken ist.






»Die Bewegung der freien Software«, sagt Richard Stallman im Interview, »setzt gewisse Ideen von Freiheit und Gerechtigkeit voraus – insbesondere, dass die Menschen die Kontrolle über ihr eigenes Leben behalten sollten und dass Kooperation untereinander nicht nur gestattet, sondern auch gefördert werden muss.« [12]






Die Freie-Software- und Open-Source-Bewegung hat davon ausgehend die Produktionsmechanismen und den rechtlichen Rahmen für die Verteilung ihrer Produkte grundlegend verändert. In ähnlicher Weise muss eine tiefgreifende Transformation in Wirtschaft und Gesellschaft bezüglich der Nutzungsrechte an allen Gemeinressourcen entstehen. Yochai Benkler prägte, in diese Richtung weisend, den Begriff der Commons Based Peer Production. Beispiele, wo derlei schon umgesetzt oder angelegt ist, finden sich überall.






Das zweite Kapitel zeigt beides: Krise und Chance. Agrarexperte Frank Augsten greift das Beispiel eines der ursprünglichsten Commons auf: den Boden.






Anita Idel analysiert aus einer »tierischen Perspektive« die Bedingungen des Erhalts und der nachhaltigen Entwicklung genetischer Ressourcen. Ihr Beitrag ist eng mit der Bodenfrage sowie mit dem von Gregor Kaiser bearbeiteten Thema verknüpft: die genetische und kulturelle Vielfalt. Ähnlich verbindend wirken die Reflexionen von Andrea Lenkert-Hörrmann und Ursula Hudson zur Wiederentdeckung kulinarischer Traditionen. Die untrennbare Verquickung von natürlichen, kulturellen und sozialen Gemeinressourcen wird hier offensichtlich.






Vergleichbar mit der Entwicklung der Industriegesellschaft, verschieben sich derzeit erneut die Grundlagen unseres Wirtschaftens. Digitalisierung und die zunehmende Wissensbasierung der gesamten Wirtschaft führen zu einer Situation, in der die Verfügbarkeit über immaterielle, kulturelle und informationelle Gemeinressourcen wichtiger denn je ist. Daher ist es kein Zufall, dass explosionsartig wachsende und wirkmächtige Allmendebewegungen gerade in diesem Sektor entstehen. Die freie Software, die »community« der Wikipedianer oder die Bewegung für freie Kultur liefern dafür beredtes Zeugnis. Der Philosoph Ulrich Steinvorth nimmt Bezug auf die Wurzeln dieser Allmendebewegungen. Auch die Beiträge von Petra Buhr und Julian Finn zur freien Kultur, von Catharina Maracke Lind John Weitzmann zu Philosophie und Erfolgsgeschichte der Creative Commons, von Andreas Poltermann zu den Auseinandersetzungen um die permanente Ausweitung des Urheberrechts und die Folgen für den Zugang zu wissenschaftlichem Wissen oder von Kathrin Hünemörder und Oliver Moldenhauer zur Relevanz der Wissensallmende für die Entwicklung von Medikamenten dokumentieren sie.






Die gegenwärtige Krise ist nicht nur sozialer oder ökologischer Natur. Sie betrifft nicht nur unsere (industrielle) Produktions- und Verwertungsweise und die entsprechenden institutionellen Strukturen. Sie ist vor allem eine Krise des Denkens: Konservatives Denken ist in konservierendem und konserviertem Denken erstarrt. Liberales Denken hat nie Antworten auf die vielschichtigen Desintegrationsprozesse, die mit der Erosion der Commons verbunden sind, formuliert. Es hat diese Antworten freilich nie gesucht, sondern vielmehr tatkräftig dazu beigetragen, die Krise der Gemeingüter, die eine Krise der menschlichen Gesellschaft ist, zuzuspitzen. Und das Denken weiter Teile der Linken hat sich seit Jahrzehnten in den Dichotomien Staat versus Markt, Kooperation versus Konkurrenz, Privateigentum versus staatliches Eigentum eingerichtet. Hier wurde nicht selten aus der Defensive agiert.






Dichotomische Denkweisen erscheinen wenig hilfreich und lösungsorieritiert. Sie vermögen es nicht, hinreichend Orientierung für neue Essenzen und Konstruktionsprinzipien einer so innovativen wie ressourcenschonenden Wirtschaftsweise zu entwerfen.






Der Poltikwissenschaftler Ulrich Brand verweist in diesem Zusammenhang auf die »herrschaftskritisch-emanzipative Absicht« der Gemeingüterdebatte, die aus der Defensive heraus führen kann. »Das Spannende am Commons-Ansatz liegt somit darin, dass der Begriff mit dem neoliberalen Markt- und Effizienzdenken um die je konkrete Ausgestaltung spezifischer Bereiche ringt. Er ist im Kontext des herrschenden liberalen Diskurses legitim und nicht so unseriös wie ›Kapitalismuskritik‹ oder ›Autonomie‹ oder ›gegen die Herrschaft der Konzerne‹«.






In der gegenwärtigen Übergangsphase, in der sowohl die absolute Begrenztheit natürlicher Ressourcen als auch die Überholtheit der Verwertungs- und Produktionsmodelle der Industriegesellschaft zur Förderung für Innovation und Kreativität evident wird, besteht noch keine Klarheit über die prägenden Paradigmen der Zukunft. Klar ist nur, dass wir neue Paradigmen brauchen, um den Horizont auf dem Weg in eine nachhaltige, gerechte, freie, fundamental demokratische und lebenswerte Gesellschaft des 21. Jahrhunderts neu abzustecken.






So belegen Margit Osterloh und Roger Lüthi am Beispiel von Open-Source-Software, dass unter bestimmten Bedingungen Gemeineigentum Innovation fördert und die Verstärkung sogenannter »geistiger Eigentumsrechte« – zum Beispiel über Patente auf Software – die Innovationstätigkeit verringert. »Generell lässt sich konstatieren, dass private Eigentumsrechte an Wissen dann ineffizient sind, wenn die Innovationen erstens sequentiell und komplementär und zweitens die Kosten der Offenlegung im Vergleich zum erwarteten Nutzen gering sind«, so ihr Fazit. Der Empirie folgt die theoretische Reflexion.






Christian Siefkes benennt in seinem Beitrag einige verallgemeinerbare Bausteine für die Gesellschaft, die wir wollen. Es müsste eine »commonsbasierte Gesellschaft« sein, die, das ist den Gemeingütern eingeschrieben, »in einer Vielzahl von Gemeinschaften ihren Ausgangspunkt« findet. Gemeinschaften, »die ihre eigenen Regeln entwerfen und entwickeln, um Gemeingüter zu schaffen, zu bewahren und zu nutzen.«






Um uns der Utopie einer commonsbasierten Gesellschaft zu nähern, brauchen wir eine systematische Anwaltschaft für Commons. Das scheint banal. Die Hürden für die Entstehung derselben sind es nicht. Denn vielfach sind Commons schlicht unsichtbar. Wer fragt sich schon, wem die Stille zusteht, wem das elektromagnetische Spektrum oder die Ressourcen der Tiefsee? Doch schon die Tatsache, dass wir Gemeingüter nicht als solche identifizieren und benennen, verhindert den nächsten Schritt.






In Deutschland hat die interdisziplinäre gesellschaftliche Debatte über Gemeingüter, die unter anderem die Sichtbarmachung und Identifizierung der Gemeingüter zum Ziel hat, gerade erst begonnen. [13] Ihre Träger, jene, die sich um verschiedene Gemeinressourcen kümmern, tun dies in den unterschiedlichsten Kontexten: lokal, regional und global – je nachdem, welchen Schatz sie hüten. Sie bauen Brücken zueinander und verbinden Erfahrungen, die uns gestatten, eine Wirtschaft und Gesellschaft mit wachsendem Gemeingutsektor zu denken und partiell vorwegzunehmen.






Indikatoren für die Vitalität und Robustheit dieses Sektors – jenseits von Bruttoinlandsprodukt und Wachstumskurven – sind bislang nur ansatzweise erarbeitet. Fragen danach, was den Wert der Gemeingüter für eine Gesellschaft anzeigt, wird die aufkommende Gemeingüterdebatte beantworten müssen. Dabei ist davon auszugehen, dass Gemeingüter kaum im marktwirtschaftlichen oder mathematischen Sinne »vermessbar« sind. Ihr Wert und ihre Leistungen sind vielmehr unermesslich.






Das Reden über Commons ist – so tritt aus diesen Debatten und dem vorliegenden Band klar hervor – ein grundsätzliches wie offenes kollektives Nachdenken über unsere Lebensqualität und die Lebensqualität zukünftiger Generationen. Zwar hat die Ausweitung marktvermittelter Wirtschafts- und Gesellschaftsbeziehungen dazu beigetragen, zahlreiche (individuelle) Bedürfnisse zu befriedigen (Zugang zu Zahlungsmitteln vorausgesetzt), doch vermochten Markt und Wachstum kaum, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Auch die »Zufriedenheitsindikatoren« weltweit korrelieren nicht uneingeschränkt mit den Indikatoren des Marktzugangs oder des Wirtschaftswachstums.






Was wir brauchen, ist eine auf die Diversität und funktionelle Entfaltung der Commons bezogene Analyse unseres in vielfältige Sozialbeziehungen eingebetteten Lebens. Was wir brauchen, ist ein Leben, in dem es nach wie vor Konflikte geben wird, aber keine von oben nach unten durchgesetzten »Konfliktlösungen«, in dem der Ausschluss des Zugangs zu Gemeinressourcen zwar denkbar oder gar notwendig ist (sei es um diese Ressourcen zu erhalten, sei es aus Respekt vor den historisch erworbenen Rechten jener, die sich seit jeher um diese Ressourcen kümmern), die Zugangsgerechtigkeit zu überlebenswichtigen Ressourcen aber dennoch garantiert bleibt, in dem Reichtum und Armut nicht über Verfügbarkeit von finanziellen Ressourcen definiert werden, sondern über die Engmaschigkeit des Netzes, das uns trägt.






Kurz: Es geht um eine Welt, in der die Energien und Inspirationen der gemein verfügbaren Ressourcen für alle in Fülle erschließbar sind. Neben Christian Siefkes thematisiert auch der Philosoph Ulrich Steinvorth in seinem Beitrag, wie wir dorthin kommen: »Politische Veränderung muss vom Allmendecharakter moderner Produktion Gebrauch machen. Aber zu dieser Idee muss eine weitere Idee hinzutreten, die den dringenden Interessen der meisten Menschen entspricht und sie der Lust am Produzieren näher bringt. Diese Idee finden sie in zwei Forderungen: erstens der ›globalen Bürgerschaft... alle sollten die vollen Bürgerrechte in dem Land, in dem sie leben und arbeiten, genießen‹; zweitens ›ein garantiertes Einkommen für alle‹«. [14] Beide Forderungen halte ich für richtig, aber nur die zweite für eine, die die AlIlmendebewegungen verbinden kann.






Eine produktive Verbindung zwischen den »Allmenden der Erde« und den »Allmenden des Geistes« [15] findet sich auch in Prinzipien wie Zugangs- und Nutzungsgerechtigkeit [16], Transparenz, Teilhabe am commonserzeugten Reichtum, Reziprozität und Mitverantwortung in der Verwaltung der Gemeingüter. Der Commons-Diskurs formuliert – das ist im Prinzip der Reziprozität enthalten – nicht nur Ansprüche, sondern auch Anforderungen. Er verweist auf die Dringlichkeit einer Praxis des Nehmens und Gebens.






Auf dem Weg dorthin gibt es keine einfachen Lösungen. Auch dies ist – wie die Erkenntnis, dass Privateigentum, staatliches Eigentum und Gemeineigentum allesamt ihre Wirksamkeit und ihr Scheitern zugleich bewiesen haben – eine zentrale Einsicht der Commons-Forschung, die sich in diesem Sammelband niederschlägt.






Die Etablierung und Reflexion von Institutionen und Verwaltungsregimen des Gemeingütermanagements ist komplex, denn sie hängt von zahlreichen Faktoren ab: vom Charakter der betreffenden Ressource, von ihrer Entstehungsgeschichte, den Produktionsmechanismen, denen sie unterliegt, den Regelsystemen, in die die entsprechende Bezugsgemeinschaft eingebunden ist.






Ein besonderes Problem stellt dabei der Umgang mit globalen natürlichen Ressourcen dar (engl. »global commons«). Peter Barnes und Jörg Haas gelingt es dennoch, ein einfaches und nachvollziehbares Modell zur Verwaltung unsrer Nutzungsrechte an der Atmosphäre vorzuschlagen: den Skytrust. Demgegenüber zeichnen sich mit Blick auf die Geschichte der Überfischung der Weltmeere kaum vielversprechende Lösungen ab. Michael Earle bewertet in seinem Beitrag zahlreiche bereits »ausprobierte« oder auf dem Tisch liegende Regulierungsversuche. Das Panorama ist düster. Jamie Metzl schließlich widmet sich den aus ethisch-moralischen Gründen staatlicherseits zu ziehenden Grenzen der Manipulation humangenetischer Ressourcen. Das menschliche Erbgut ist eines jener Gemeingüter, die unsere Bindung an die Gemeinressourcen besonders kraftvoll ins Bild setzen.






Wer Rezepte erwartet, »One size fits all«-Designs oder flammende Plädoyers für staatliche Regulierungen und gegen marktwirtschaftliche Instrumente, wird hier sicher nicht fündig. Denn was uns ein um- und weitsichtiges Fortkommen ermöglicht, unterscheidet sich vom bereits zitierten dichotomischen Denken vor allem in zwei Aspekten; zunächst die Diversität: Wenn es stimmt, dass das einzige funktionierende Prinzip der Natur das der Diversität ist, dann ist die Diversität der Gemeinressourcen, die Diversität der zu ihnen in Beziehung stehenden Gemeinschaften und die Diversität der Verwaltungsformen im Umgang mit Gemeingütern genau das, was uns gestattet, optimistisch in die Zukunft zu blicken. Ein weiteres zentrales Element ist die Stärkung der Rolle der Einzelnen in ihren verschiedenen Gemeinschaften, und somit die Stärkung der Rolle der Gesellschaft gegenüber Markt und Staat. Der argentinische Sozialwissenschaftler Esteban Castro stellt gar die These auf , dass es die Commons-Debatte vermag, das Konzept der (Staats-) Bürgerschaft um eine neue Dimension zu erweitern: »Es gibt keine Gewissheit, dass die [...] Emanzipation des Menschen je erlangt werden wird (jedenfalls nicht in näherer Zukunft) [...]. Doch die Verteidigung und Wiederaneignung der Gemeingüter bilden eine der Frontlinien im anhaltenden Kampf um substanzielle Demokratie und Bürgerschaft. Es steht zu erwarten, dass im Zuge dieser Entwicklung neue soziale Formen aufkommen werden, [...] [in denen] die Zusammenarbeit und Solidarität zwischen den und innerhalb der Generationen über die blinde Dynamik des Wettbewerbs und des ›survival of the fittest‹ gestellt werden.«






Viele Gemeinschaften des 21. Jahrhunderts können sich – dank der Technik – weltumspannend organisieren. Sie bauen virtuelle Netze neuer Dimensionen. Das holt die Gemeingüterdebatte aus der Defensive und katapultiert sie von der Vergangenheit in die Zukunft. Zahlreiche konkrete Ideen, Herstellungs- und Verteilungsverfahren, Vorschläge zur Neudefinition von Gesetzlichem und Ungesetzlichem, Organisationsformen und unterstützende Institutionen sorgen dafür, dass die Ideen einer commonsbasierten Wirtschaft und Gesellschaft in innovativen Umgebungen Raum greifen und produktiv Neues hervorbringen.






Die Auseinandersetzung um die Commons rückt das Gemeinwohl und die Interessen am Erhalt der Gemeinressourcen ins Zentrum. Die Perspektive der Bürgerinnen und Bürger selbst ist hier entscheidend, denn wir sind nicht nur die Nutznießerinnen und Nutznießer eines florierenden Commons-Sektors, sondern zugleich die entscheidenden Akteure für die notwendige Erweiterung der Sphäre der Gemeingüter. Wir sind »commoners« und verfügen als solche über ein Geburtsrecht auf zahlreiche Gemeingüter. Andere, wie die Wikipedia, haben wir mit entwickelt. Wieder andere haben wir über Steuern und andere Beiträge mit finanziert. Wir sind diejenigen, die auf die Struktur der Gemeingüter einen entscheidenden Einfluss haben. Es geht deshalb darum, dass wir die Netze, die uns tragen, neu knüpfen. Oft geht es auch schlicht darum, diese Netze zu flicken oder sie umzuknüpfen – weg von hierarchischen Verbindungen, die von wenigen Knotenpunkten abhängen, hin zu Verknüpfungen auf gleicher Augenhöhe zwischen vielen Akteuren und Ressourcen. Um dies tun zu können und daraus letztlich mehr individuelle Handlungsfähigkeit zu schöpfen, müssen wir uns des Wertes der Gemeingüter für unsere Lebensqualität und die künftiger Generationen bewusst sein. Dafür möchte dieses Buch Material und Denkanstöße liefern.






Die Welt aus der Perspektive gesellschaftlicher Teilhabe an den Gemeingütern zu lesen zwingt, die Fokussierung auf einzelne Themen oder Gemeingütersysteme aufzugeben. Und sei es nur für einen Moment. Wir brauchen für diesen Moment ein Aufblendlicht, statt lediglich auf die eigene Fahrbahn gerichtete Scheinwerfer. Wir müssen die gesamte, teils neue Umgebung ausleuchten, um das Netz neu zu knüpfen. Die Idee von Schutz, Wiederaneignung und Erweiterung der Sphäre der Gemeingüter ist ein Kompass für den Weg in eine sicherere Zukunft.









Mein Dank gebührt all jenen, die zur Entstehung dieses Buches beigetragen haben. Dazu gehören in erster Linie die Autorinnen und Autoren. Gerne erinnere ich mich an die anregenden Diskussionen für die einzelnen Textvorschläge.






Besonderer Dank gilt dem Team des Regionalbüros Mexiko, Zentralamerika und Kuba der Heinrich-Böll-Stiftung. Dort begann im Jahr 2004 meine persönliche Entdeckung der Vielfalt der Commons und der Kraft, die dem Konzept innewohnt.






Bewunderung gebührt auch den Übersetzerinnen und Übersetzern. Der Lektor der Heinrich-Böll-Stiftung hat dem Band Schliff verliehen. Dafür herzlichen Dank. Verpflichtet bin ich zudem den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin, insbesondere Jörg Haas, die dazu beitrugen, das Nachdenken über Gemeingüter mit Partnerinnen und Partnern der Stiftung in Deutschland voranzutreiben.






Silke Helfrich






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ANMERKUNGEN






[1] Engl.»commons of the mind«






[2] In diesem Band wird die Aktualisierung des Allmendebegriffs in der modernen Commons-Debatte teilweise nachgezeichnet. Die Herausgeber haben sich jedoch entschieden, »Commons« weitgehend mit dem Terminus »Gemeingüter« zu übersetzen, da eine Loslösung von der stark historischen und naturverbundenen Konnotation des Allmendebegriffs schwierig erscheint. Dennoch tauchen die Begriffe »Commons« und »Allmende« in diesem Band als Alternativübersetzungen auf, was mitunter auf den Sprachgebrauch der einzelnen Autorinnen und Autoren zurückgeht.






[3] A Gest of Robyn Hode. Antwerpen, ca. 1510.






[4) Erwähnung findet Rob. Hod 1225 in einer Verwaltungsakte, den Pipe Rolls, des Erzbistums York. Es ist allerdings nicht eindeutig geklärt, ob die Robin-Hood-Balladen auf diese historische Figur zurückgehen.






[5] König John, auch Johann Ohneland genannt, Sohn Richards II., folgte Richard Löwenherz im Jahr 1199 auf den Thron von England und regierte bis 1216.






[6] P. Linebaugh: »The Secret History of the Magna Charta« . Boston Review. Sommer 2003.






[7] Derzeit gelten die Ressourcen des Mondes laut Mondvertrag (1984 ratifizierte Ergänzung des UN-Weltraumvertrages) noch als »gemeinsames Erbe der Menschheit«.






[8 John Hepburn: Die Rückeroberung von Allmenden – von alten und von neuen. Zmag, 15.9.2005.






[9] Engl. »enclosure« – der Begriff geht zurück auf die Einzäunung der Gemeindewiesen im England des 18. Jahrhunderts.






[10] Zum Beispiel Kopierschutzmechanismen.






[11] Die Patente für das künstlich erzeugte Element Americium und für das Herstellungsverfahren des Curium sind auf Glenn Seaborg ausgestellt.






[12] Interview mit Richard Stallman: La liberación del ciberespacio también depende de Usted. In: Silke Helfrich: Genes, Bytes y Emistones: Bienes Comunes y Ciudadanía. México, DF., 2008.






[13] Die wissenschaftliche Diskussion, insbesondere die einzelnen Fachdebatten, haben indes eine lange Tradition und sind auch institutionell verankert. So gibt es beispielsweise seit den 1990er Jahren das Max-Planck-Institut für das Recht der Gemeinschaftsgüter.






[14] Steinvorth nimmt hier Bezug auf das Buch von M. Hardt und A. Negri: Empire, Frankfurt a. M. 2002.






[15] Im Englischen werden die Commons mitunter grob eingeteilt in »Commons of the Earth«und »Commons of the Mind«.






[16] Im Falle des Zugangs zu immateriellen Ressourcen impliziert die Herstellung von Zugangsgerechtigkeit in der Regel »open access«, freien Zugang zu Wissen, Informationen und Kultur. »Frei« heißt nicht kostenlos.


Siehe auch:


Silke Helfrich und Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.): Commons – Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat



Elinor Ostrom: Was mehr wird, wenn wir teilen – Vom gesellschaftlichen Wert der Gemeingüter