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Noch
nie in der Geschichte hat menschliches Handeln die Existenz der
gesamten Menschheit bedroht. Doch heute sehen wir uns einer
dreifachen Krise gegenüber, von denen jede einzelne unser
Überleben gefährdet: die Klimakrise, die Energiekrise
und die Hungerkrise. Die Kumulation dieser drei Krisen –
das ist die Botschaft dieses neuen Buches von Vandana Shiva –
birgt auch drei miteinander zusammenhängende Chancen,
nämlich die Schaffung einer lebendigen Wirtschaftsweise,
einer lebendigen Demokratie und einer lebendigen Kultur.
Zuerst
ist ein wirtschaftlicher Umstieg von einer erdölabhängigen,
globalisierten Wirtschaft hin zu einem Netzwerk von lokalen
Wirtschaften notwendig, die mit erneuerbarer Energie betrieben
werden. Ein solches Wirtschaften ermöglicht es, zu einer
dezentralisierten Demokratie überzugehen, in der die lokalen
Gemeinden mitbestimmen können, was mit ihrem Land und ihrem
Leben geschehen soll. Schließlich braucht es einen
kulturellen Wandel hin zu einer Kultur der Gewaltlosigkeit und
der Dauerhaftigkeit, eine Kultur der würdevollen Arbeit und
eine aktive Kultur, welche das Leben schützt und
erneuert.
»Es ist kein anklagendes Buch. Vandana
Shiva beschreibt eindringlich, was Sache ist. Es macht einen
besonderen Reiz aus, dass dieses Buch nicht aus einem
europäischen Blickwinkel geschrieben ist.« (Heike
Langenberg, ver.di News)
»Der
Umstieg ins Post-Erdöl-Zeitalter muss sich auf die
lebendigen Energien konzentrieren – vorab auf unsere
Energie und Kraft, lebendige Demokratien und lebendige
Wirtschaftsweisen zu schaffen. (...) Eine Wirtschaft mit
erneuerbarer Energie kann nur durch die erneuerbare Energie von
freien und selbst organisierten Bürgern und Gemeinschaften
geschaffen werden. Der Übergang in die Zeit nach der
Erdölabhängigkeit ist nicht bloß ein
technologischer Umstieg – es ist vor allem auch ein
politisches Umdenken; wir können nicht mehr passiv sein,
sondern müssen die Transformation aktiv vorantreiben. Wir
haben die Fähigkeit, die Energie und die Kreativität,
die für diese Veränderung nötig sind. – Das
Leben basiert auf den selbstorganisierten Energien des
Universums, von den einzelnen Zellen bis hin zu Gaia, von den
Gemeinden bis zu den Ländern. Als lebendige Systeme sind wir
Teile eines Netzes von chemischen und energetischen Bewegungen
und der Möglichkeit zur Transformation. Leben ist Energie –
nicht fossile, versteinerte Energie, sondern lebendige Energie.
(...) Das Leben hat die Fähigkeit, dem qualitativen Zerfall,
dem die leblose Materie unterworfen ist, zu widerstehen. Man kann
Leben geradezu als die Fähigkeit definieren, Ordnung zu
schaffen, freie Energie zu schaffen, Vielfalt zu schaffen und
sich dem Gesetz der Entropie zu entziehen. (...) Menschen haben
als lebendige Geschöpfe die Wahl zwischen zwei Alternativen
– Entropie oder Emergenz. Die Entropie sperrt uns in die
mechanistische Weltsicht ein, die auf einer mechanistischen
Wissenschaft, einer mechanistischen Produktion und einer
mechanistischen Wirtschaftsweise basiert; ihr Mythos vom
unbegrenzten Wachstum bringt Tod, Zerfall und Zersetzung.
Emergenz verlässt sich auf die ökologische
Wissenschaft, die ökologische Produktion und die
ökologischen lebendigen Wirtschaftsformen, welche uns durch
biologische und kulturelle Vielfalt menschliche Bereicherung
schenken. Die Wahl, die wir treffen, wird darüber
entscheiden, ob wir als Gattung überleben oder nicht. Unsere
Möglichkeiten sind durch das gegenwärtige Wahlangebot
nicht für immer beschränkt; auch in der Gesellschaft
gibt es neu auftretende Qualitäten, unvorhersehbare Formen,
die aufgrund neuer Verbindungen, neuer Netzwerke und neuer
Solidaritäten entstehen.« (Vandana Shiva,
„Shakti entfesseln“)
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Zweihundert
Jahre lang haben wir nun fossile Energie genutzt und verbrannt.
In dieser Zeit haben die C02-Emissionen einen Treibhauseffekt
verursacht, der zur Erwärmung der Erdatmosphäre und zu
einer Klimakrise führte. Es ist nur allzu wahrscheinlich,
dass sich die Temperaturen weltweit um drei bis fünf Grad
Celsius erhöhen werden. Als Folge davon werden die Polkappen
und Gletscher schmelzen, und die Überflutungen,
Trockenzeiten und Wirbelstürme werden sich vermehren. Einige
dieser Auswirkungen sind bereits spürbar. Wenn wir den
Temperaturanstieg nicht aufhalten, wird die Klimakrise unser
Leben dramatisch verändern. Unser Handeln in dieser Sache
wird darüber entscheiden, ob wir überhaupt am Leben
bleiben oder aber zugrunde gehen.
Abgesehen vom
problematischen »Geschenk« des Klimachaos sieht sich
das Erdölzeitalter noch mit einer anderen Grenze
konfrontiert – Peak Oll, die Erreichung des
Ölfördermaximums. Der Begriff »Peak Oil«
wurde 1956 vom US-Geologen Marion King Hubbert geprägt und
beschreibt den Punkt, an dem die Welt das höchstmögliche
Niveau bei der Ölproduktion erreicht. Danach nimmt die
Ölförderung unweigerlich ab., Abnehmende Produktion
bedeutet steigende Preise. Der beispiellose Anstieg der Ölpreise
im Jahr 2008 kündet eine beginnende Ölkrise an.
Ölexperten wie Jeremy Leggett und Colin Campbell von der
Arbeitsgruppe ASP (Association for the Study of Peak Oil) sind
der Meinung, dass wir das Ölfördermaximum vielleicht
bereits erreicht haben. Doch selbst wenn es bis dahin noch ein
paar Jahre dauern sollte, Peak Oil wird einmal kommen.Oder mit
den Worten des amerikanischen Umweltlournalisten Richard
Heinberg: »Schluss mit lustig! Die Fete ist vorbei.«
Die
drohende Ölverknappung und das Ende des billigen Erdöls
machen eine Änderung unserer Lebensweise unumgänglich.
Wir müssen das Erdölzeitalter hinter uns lassen. Wir
müssen die Gesellschaft, die Technologie und die Ökonomie
neu erfinden. Wir müssen es rasch und wir müssen es auf
kreative Art und Weise tun. Zusammen können wir es
schaffen.
Das Klimachaos und die Ölknappheit treffen
mit einer dritten Krise zusammen – der Hungerkrise. Die
Hungerkrise ist eine Folge der Industrialisierung und
Globalisierung der Landwirtschaft. Dieselben Kräfte und
Vorgänge, welche uns billige Nahrung versprochen haben,
bewirken nun, dass Nahrung für viele Menschen
unerschwinglich wird. Die Nahrungsmittelpreise steigen weltweit
an. In Dutzenden von Ländern gab es bereits
Hungeraufstände.
Anfang Juni 2008 wurde von der UNO
ein dringliches Treffen zum Thema Klimaveränderung und
Hungerkrise einberufen. Wie zu erwarten war, haben dort die
gleichen Wirtschaftskreise, welche die beiden Krisen geschaffen
haben, versucht, die Krankheit als Kur anzubieten. Sie plädierten
für noch mehr Kunstdünger, der mit Erdöl
produziert wird; für noch mehr genetisch modifiziertes
hybrides Saatgut, das im zweiten Jahr nicht wiederausgesät
werden kann und außerdem auf intensive chemische
Bearbeitungsmethoden angewiesen ist; und sie wollten noch mehr
unternehmerische Kontrolle über Nahrungsmittel und noch mehr
globalisierten Handel.
Die Hungerkrise weist auf eine noch
tiefere Krise hin – auf die Schaffung von »überzähligen«
oder entbehrlichen Menschen, und damit von einem Potenzial für
Gewalt und für soziale und politische Instabilität.
Die
Wegwerfmentalität gegenüber Menschen zeigt sich, wenn
Millionen von Menschen Nahrung vorenthalten wird oder wenn
bäuerliche Existenzen dadurch zerstört werden, dass man
menschliche Arbeitskraft mit erdölbetriebenen Maschinen
ersetzt. Produktivität wird im industriellen Paradigma sehr
einseitig als Leistungsproduktivität definiert: Ein Prozess
ist um so »produktiver«, je weniger Menschen in der
Produktion involviert sind. Das gilt sogar dann noch, wenn in
diesem maschinellen Prozess bei vergleichbarem Energie- und
Ressourcen-Input mehr Energie und mehr Ressourcen verbraucht
werden und gleichzeitig weniger produziert wird als mit
Menschenarbeit.
Ausgedehnte Kriege, Kolonialismus und
Sklaverei haben schon in der Vergangenheit viel menschliches Leid
und Zerstörung verursacht. Doch erstmals in unserer
Geschichte bedroht das menschliche Handeln die Existenz der
gesamten Menschheit. Wir sehen uns heute einer dreifachen Krise
gegenüber, von denen jede einzelne unser Überleben
gefährdet:
Klima: Die Erderwärmung
gefährdet unser Überleben als Gattung.
Energie:
Peak 011 bedeutet das Ende des billigen Brennstoffs, welcher die
Industrialisierung der Produktion und die Globalisierung des
Konsumismus antrieb.
Nahrung: Die Hungerkrise
entsteht als Folge des Zusammentreffens von Klimaveränderung,
Peak Oil und Globalisierung, welches die Rechte der Armen auf
Nahrung und eine menschenwürdige Existenzgrundlage
bedroht.
Von diesen drei Krisen stellt die Hungerkrise die
unmittelbarste Gefahr für das Überleben der Armen dar.
Die Hungerkrise hat ihren Ursprung in zwei historischen
Prozessen. Der geschichtlich länger andauernde Trend ist die
Industriainlisierung der Landwirtschaft und die Vertreibung der
Kleinbauern und ihrer Familien vom Land. Neueren Datums sind die
negativen Auswirkungen der Globalisierung und der
Handelsliberalisierung der Agrarwirtschaft auf die
Nahrungssicherheit und die Nahrungssouveränität. Die
Gefahren der Klimaveränderung für die
landwirtschaftliche Produktion werden durch offensichtlich
falsche Lösungen für das Problem des Klimawandels noch
verschärft: Wenn als Erdölalternative industrielle
Biobrennstoffe angeboten werden, welche den Armen Nahrung und
Land wegnehmen und diese Ressourcen den nicht nachhaltigen
Energiebedürfnissen der Reichen zuführen, verschlimmert
das die Hungerkrise noch.
Wir können und müssen
kreativ auf die dreifache Krise antworten und die
Entmenschlichung, die ökonomische Ungleichheit und die
ökologische Katastrophe gleichzeitig überwinden.
Die
Energie- und Klimaveränderungskrise bedeutet eine
einzigartige soziale und ökologische Herausforderung.
Erstens ist nichts weniger als das Überleben der
menschlichen Gattung als Gattung bedroht. Zweitens ist keine
andere Bedrohung so global. Es gibt kein Entrinnen. Drittens wird
der Klimawandel durch die unterschiedlichsten menschlichen
Tätigkeiten beeinflusst. Es kommt darauf an, wie wir
einkaufen, wie wir uns fortbewegen, wie wir leben, was wir essen.
Lösungen können sich daher nicht auf einen oder zwei
Lebensbereiche beschränken. Sie müssen alle Aspekte
unseres Daseins berühren. Verbesserungen und Anpassungen
müssen überall in unserem Alltag passieren. Viertens
ist der Klimawandel eine Folge unseres Umgangs mit dem Boden, und
der Klimawandel verändert seinerseits wieder den Boden.
Luft, Wasser, Boden, Artenvielfalt und Energie sind eng
verflochtene Elemente des Klimawandels – sie sind alle Teil
der Ursache und Teil der Lösung. Fünftens leiden
diejenigen, die am wenigsten zur Klimaveränderung
beigetragen haben, am meisten unter deren Folgen. Bauern und
Bäuerinnen, indigene Völker und Handwerker, die
außerhalb der industrialisierten und globalisierten
Ökonomie leben und die der Erde sowie andern Völkern
kaum je Schaden zugefügt haben, werden vom Klimachaos am
härtesten heimgesucht. In den letzten Jahren ereigneten sich
über 96 Prozent aller Katastrophentodesfälle in
Entwicklungsländern. Im Jahr 2001 wurden weltweit 170
Millionen Menschen von Katastrophen getroffen, 97 Prozent der
Ereignisse waren klimaabhängig. Sechstens kommt der
Widerstand gegen die grenzenlose Zerstörungskraft der
industrialisierten und globalisierten Wirtschaft ausgerechnet von
denjenigen Menschen, die für den Klimawandel am wenigsten
verantwortlich sind, nämlich von den Frauen und den
Straßenhändlern, welche sich der Dampfwalze der
erdölbetriebenen, energie- und ressourcen-intensiven
»Entwicklung« entgegenstellen. Diese Menschen weigern
sich, vertrieben und abgeschrieben zu werden, und sie bieten uns
ein anderes Paradigma und eine andere Weltanschauung für
Macht und Reichtum, Natur und Kultur an.
Der Klimawandel
gebietet, dass wir den Verbrauch von fossilen Brennstoffen und
den C02-Ausstoß drosseln. Er gebietet auch, dass wir
mittels dezentralisierter und sparsamerer Nutzung energiemäßig
herunterfahren. Die Verknappung und Verteuerung des Erdöls
erfordert einen Paradigmenwechsel in unserer Definition des
menschlichen Fortschritts – wir müssen uns ausdenken,
wie wir ohne Erdöl besser leben können. Heute schon
gibt es eine Milliarde Menschen, denen ihr Recht auf Nahrung
verweigert wird und die zu Hunger und Fehlernährung
verurteilt sind. Die sich gegenwärtig entwickelnde
Hungerkrise wird eine weitere Milliarde hungriger Menschen
hinzufügen. Die herrschende Wegwerfmentalität und die
Unmenschlichkeit gegenüber den Armen und Randständigen
zwingen uns dazu, unsere Aufmerksamkeit auf die Würde der
Arbeit und die Wichtigkeit der ökologischen Arbeit zu
richten. Das vorherrschende Modell für Entwicklung und
Globallsierung ist strukturell gewalttätig, denn es
verweigert den Armen ihr fundamentales Recht auf Nahrung, Land
und eine Existenzgrundlage. Wenn wir menschenwürdige Arbeit
wieder einführen – Arbeit, welche sich auf
menschlicher Energie und lebendigen Ressourcen abstützt –,
dann können wir den Klimawandel abschwächen und den
Übergang zu einer erdölunabhängigen Gesellschaft
schaffen. Und gleichzeitig auch noch Nahrungmittelsicherheit und
gute Nahrung für alle gewährleisten.
Um die
notwendige Wende herbeizuführen, müssen wir deshalb:
—
den Energie- und Ressourcenverbrauch herunterfahren, —
die kreative und produktive menschliche Energie und die
kollektive demokratische Energie hochfahren.
Leider nutzen
diejenigen Kräfte, welche uns die Klimakrise beschert haben,
diese Krise, um die soziale Ungleichheit noch zu verschärfen.
Sie nehmen den Armen auch noch den letzten Bissen Nahrung und das
letzte Stück Land weg – Nachhaltigkeit können sie
so aber nicht erreichen.
Wir haben
die Wahl: Entweder streben wir einen menschen- und naturgerechten
Übergang in eine Zukunft ohne fossile Energie an; eine
Zukunft mit sinnvoller Arbeit und einem anständigen und
würdigen Leben für alle. Oder aber wir bleiben auf
unserem gegenwärtigen Weg zu einer ganz und gar
marktzentrierten Zukunft, die die Krise für die Armen und
Randständigen vertiefen und den Reichen einen vorläufigen
Ausweg bieten wird. Der erste Teil dieses Buches beschäftigt
sich mit den Pseudolösungen. Der zweite Teil stellt Lösungen
vor, die auch von unten und vom globalen Süden aus gesehen
gerecht und dauerhaft sind.
Die meisten
Diskussionen und Verhandlungen über den Klimawandel haben
sich auf das kommerzielle und absatzorientierte Energieparadigma
beschränkt, das seine Wurzeln in einer reduktionistischen
und mechanistischen Weltsicht und einer einseitigen Konsumkultur
hat. In diesem Paradigma gibt es nur zwei Lösungsansätze:
erstens die Herangehensweise der Weltwirtschaft, vor allem der
Unternehmen, welche die Erdölökonomie angetrieben
haben, und zweitens die Vorschläge derjenigen, welche die
energieintensive Konsumkultur mit erneuerbaren Alternativen
aufrechtzuerhalten versuchen.
Dieses Paradigma, welches
vor zweihundert Jahren bei der Industrialisierung des Westens
seinen Anfang nahm und das sich durch die Globallsierung auf
Länder wie Indien ausbreitete, hat uns entbehrliche
Menschen, Hunger, Armut, eine Kultur der Angst und Unsicherheit
sowie das Klimachaos beschert.
Erdölabhängige
Industriezweige und Unternehmen haben anfänglich versucht,
die Verbindung zwischen der Klimaveränderung und ihrer
profitorientierten Wirtschaftsweise nach Möglichkeit zu
verleugnen. Als der Zusammenhang aufgrund von wissenschaftlichen
Daten und der Erfahrung der Leute unübersehbar wurde, hat
die Wirtschaft sich etwas Menschlichkeit zugelegt und »Lösungen«
angeboten. Diese Pseudolösungen machen die Sache jedoch bloß
noch schlimmer. Sie beinhalten Undinge wie die Förderung von
unnachhaltigen Energiealternativen – etwa nuklearer Energie
und industriellem Biotreibstoff; C02-»Ausgleich«;
Handel mit Schadstoffemissionen und schließlich riskante
und abenteuerliche Technologien. Riesige Reflektoren am Himmel
und metallverseuchte Müllhalden im Meer sind verzweifelte
Versuche zur Kontrolle von Kohlendioxid, die die ökologischen
Prozesse noch mehr stören.
Solche Lösungen
sollen die energieintensiven Systeme der industrialisierten
Gesellschaften erhalten. Die vorgeschlagenen Energiereformen
funktionieren in einem begrenzten Kontext – sie
funktionieren in reichen Ländern, und sie garantieren den
Erhalt von Systemen, welche in einem größeren Kontext
ungerecht und nicht nachhaltig sind. Sie funktionieren, indem sie
die Belastung für die Armen und den Planeten vergrößern.
Der Umstieg auf Biobrennstoffe ist eine beispielhaft
fehlplatzierte »Lösung«. Die vermehrte
Produktion von Biobrennstoffen verschlimmert die Hungerkrise,
weil den Menschen Land und Nahrung weggenommen wird, um
»Rohstoff« für den unersättlichen Appetit
der fossilen Infrastruktur und die dafür erforderliche
Konsumption zu schaffen. Aus der Sicht der Armen und des Planeten
ist es höchste Zeit, dass wir den Paradigmenwechsel vom
puren Energieverzehr zu einem nachhaltigen und regenerativen
Energiekonsum vornehmen, einen Wechsel von kapitalintensiver
Energie zu kostengünstiger Energie, von einer Energie, die
Arbeitsplätze aufhebt, zu einer Energie, die
Lebensgrundlagen schafft. Mit anderen Worten: Der Energieumstieg,
der den Armen nützt, vergrößert die Möglichkeiten
für sinnvolle Arbeit und verringert den Verbrauch von
fossilem Brennstoff. Ein Umstieg, der die Menschen in die
Versorgungsökonomie (sustenance economy) zurückbringt,
hilft den Armen, weil er ihre Existenzsicherheit erhöht und
ihnen mehr Ressourcen zur Verfügung stellt. Ein solcher
Umstieg hilft auch dem Planeten, weil der C02-Ausstoß
vermindert wird.
Im mechanischen Paradigma, welches die
Natur als Maschine und nicht als lebendigen Organismus
betrachtet, wird Energie als Arbeitsleistung definiert. Die
Menschen jedoch werden je länger je mehr von ihrer Rolle als
Energieerzeuger und Arbeitskräfte entfremdet. Die Armen sind
dreifache Opfer des erdölabhängigen industriellen
Systems. Zuerst werden sie von ihrer Arbeit vertrieben. Dann
tragen sie zu einem unverhältnismäßigen Teil die
Kosten des Klimachaos; sie sind es, die am meisten unter Dürren,
Überflutungen und Wirbelstürmen leiden. Und schließlich
verlieren sie noch ein drittes Mal, wenn Pseudolösungen wie
die industriellen Biobrennstoffe ihr Land und ihre Nahrung
beanspruchen. Ob industrielles Agrobusiness oder industrielle
Biobrennstoffe, Autofabriken oder Superautobahnen – die
Vertreibung und zwanghafte Umsiedelung der indigenen Bevölkerung
und der Bauern und Bäuerinnen von ihrem Land sind die
unvermeidbare Folge eines Wirtschaftsmodells, welches Wachstum
nur durch Missachtung und Aufhebung von Menschenrechten schaffen
kann.
Dieselben Strategien, die den Anspruch der Armen auf
ihr Land und ihre Existenzgrundlage respektieren, vermindern auch
unsere Erdölabhängigkeit. Sie helfen uns dabei, das
Klimachaos zu entschärfen und uns an die Veränderungen
anzupassen. Wer Armut, soziale Gleichstellung und Gerechtigkeit
auf unserem kleinen und endlichen Planeten thematisiert, wird
gleichzeitig auch Peak Oil und die Klimakatastrophe ansprechen
müssen.
Die kreativste und notwendigste Arbeit, die
wir Menschen tun, ist die Bearbeitung des Bodens in
Zusammenarbeit mit der Natur. Die Anstrengungen und das Wissen
der Menschen bezüglich Kultivierung des Bodens verhindern
und korrigieren die Verwüstung der Erde, welche so vielen
historischen Gesellschaften zum Verhängnis wurde. Die
Erhaltung und der Wiederaufbau eines fruchtbaren Bodens bilden
die Grundlage jeglicher nachhaltigen Nahrungsproduktion und
jeglicher Nahrungssicherheit. Es gibt keine Alternative zum
fruchtbaren Boden, um das Leben – auch das menschliche
Leben – auf Erden zu erhalten. Und es ist, wie ich in
diesem Buch zeigen werde, unsere Arbeit mit der lebendigen Erde,
welche uns nachhaltige Alternativen zur dreifachen Krise von
Klima, Energie und Nahrung bietet. Egal wie viele Songs man auf
dem iPod speichern kann, wie viele Autos man in der Garage hat
oder wie viele Bücher auf dem Büchergestell – die
Grundlage von allem ist die Fähigkeit der Pflanzen,
Sonnenenergie aufzunehmen. Was wäre das Leben ohne
fruchtbaren Boden?
Der Umstieg vom Erdöl zur Erde ist
ein multidimensionaler Prozess, der Wirtschaft, Politik und
Kultur umfasst.
Zuerst ist es ein wirtschaftlicher Umstieg
weg von einer erdölabhängigen, globalisierten
Wirtschaft – einer Wirtschaft, die Unternehmen begünstigt,
indem sie Erdöl subventioniert und Kosten externalisiert –
hin zu einem Netzwerk von lokalen Wirtschaften, die mit
erneuerbarer Energie betrieben werden und die im veränderten
Klima Bestand haben. Diese lebendigen Ökonomien sind
erdverbunden – und zwar im metaphorischen wie im
wortwörtlichen Sinn. Sie sind örtlich begrenzt, was
unseren ökologischen Fußabdruck auf dem Planeten
verkleinert und gleichzeitig unser Wohlergehen fördert.
Erdverbundene Wirtschaftsweisen setzen die Natur und die Menschen
ins Zentrum. Ihre Antriebskraft ist die Erhaltung des heutigen
und des zukünftigen Lebens. Ihre Währung ist nicht
Geld, sondern das Leben selbst.
Zweitens ist der Umstieg
vom Erdöl zur Erde eine politische Angelegenheit. Es ist der
Umstieg von undemokratischen politischen Strukturen –
welche einer Gesellschaft Globalisierung und eine fossile
Infrastruktur aufzwingen und eine massive Vertreibung von Bauern
und indigenen Völkern verursachen – zu einer
dezentralisierten Demokratie. In dieser Demokratie können
die lokalen Gemeinden mitbestimmen, was mit ihrem Land und ihrem
Leben geschehen soll. In diesem Sinn ist Erde auch eine Metapher
für eine dezentralisierte Demokratie. Über ihr
Gegenteil schreibt David Bosshart, Direktor des schweizerischen
Gottlieb Duttweiler Instituts: »Die Konsumentendemokratie
ist der Treibstoff für den Bulldozer der Globalisierung.«
Die Konsumentendemokratie ist eine Pseudodemokratie, die der
wirtschaftlichen Diktatur nahesteht; sie verwüstet den Boden
der wirklichen Demokratie. Echte Demokratien wachsen wie Pflanzen
von unten nach oben. Sie werden durch die Mitwirkung des Volkes
genährt.
Drittens ist der Umstieg vom Erdöl zur
Erde auch ein kultureller Wandel – von einem tödlichen
Konsumismus zu einer Wiedergewinnung unserer rechtmäßigen
Position als Mitschöpfer und Mitproduzentinnen mit der
Natur. Das Shoppingcenter und der Supermarkt sind Tempel des
Konsumismus, in denen uns die globalen Unternehmen zur
Mittäterschaft verführen. Wir beteiligen uns an der
Zerstörung, unserer eigenen produktiven Fähigkeiten,
unserer ökologischen Rechte und unserer Verantwortung als
Bürgerinnen und Bürger dieses Planeten. Die Erde lehrt
uns wieder Erdenbürger zu sein. Und für diejenige
Hälfte der Menschheit, welche den Boden landwirtschaftlich
bearbeitet, bietet die Erde auch Schutz. Während die
Globalisierung die Bäuerinnen und Bauern gewaltsam von ihrem
Land vertreibt, bleibt die Erde Symbol für eine andere
Kultur. Sie steht für eine Kultur der Gewaltlosigkeit und
der Dauerhaftigkeit, eine Kultur der würdevollen Arbeit und
eine aktive Kultur, welche das Leben schützt und
erneuert.
Das Zusammenkommen der drei Krisen bringt auch
das Zusammenkommen von drei Chancen mit sich – die
Schaffung von lebendigen Wirtschaftsweisen, lebendigen
Demokratien und lebendigen Kulturen. Die Erddemokratie wächst
und gedeiht auf dem fruchtbaren Boden, der durch die Erde selbst,
den menschlichen Erfindungsgeist und die Arbeit der Menschen
geformt wird.
Das Erdölzeitalter stand für die
Herrschaft des Kapitals, für zentralisierte Kontrolle und
das Regieren mit harter Hand; es war ein Symbol für
Umweltverschmutzung und Nichtnachhaltigkeit, für
Ungerechtigkeit und Ungleichheit, für Krieg und Gewalt. Das
Zeitalter der Erde hingegen symbolisiert die Muttergöttin
Gaia, eine blühende Vielfalt, Demokratie, Gerechtigkeit,
Nachhaltigkeit und Frieden.
Wir werden entweder einen
demokratischen Umstieg vom Erdöl zur Erde schaffen, oder
aber wir werden untergehen. Die Armen, Schwachen,
Ausgeschlossenen und Marginalisierten sind bereits heute bedroht.
Kurzfristig können wir die Profite und den Konsumismus der
Privilegierten weiterhin maximieren, wenn wir die Armen noch mehr
berauben. Aber bald werden nicht einmal mehr die Reichen und
Mächtigen der Rache von Gaia und der Rache der Milliarden
von Ausgebeuteten entgehen können. Wir werden entweder
zusammen Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Frieden erreichen.
Oder wir werden alle in der ökologischen Katastrophe, im
sozialen Chaos und Konflikt versinken.
Die Erde, nicht das
Erdöl, gibt den Rahmen ab, in dem wir die drohende
ökologische Katastrophe und menschliche Brutalisierung in
eine Chance umwandeln können, unsere Menschlichkeit und
unsere Zukunft zurückzugewinnen.
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