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Sehr
geehrter Herr Dr. Holzer!
Dem Bayerischen Rundfunk sowie
dem Bayernteil der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG verdanke ich die
Information, daß die Bayernwerke mitten in der allgemeinen
ökonomischen Betrübnis ihren 75. Geburtstag durch ein
»Fest der Superlative « markierten. 1200
Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik, so las man,
waren geladen; 75o Helfer dekorierten die Olympiahalle nach den
Plänen des Oscar-Preisträgers Rolf Zehetbauer; neunzig
BMWs der 7er-Klasse waren eingesetzt, um die illustren Gäste
zu ihren Nobelherbergen zu kutschieren – kurz, nichts wurde
versäumt, um die Bedeutung des Datums auf echt bayerische
Art jubelnd zu feiern. (Man kann nur hoffen, daß auf der
Gästeliste der H. H. Kardinal und der evangelische
Landesbischof nicht übersehen waren).
Ich stand nicht
darauf, habe aber 74 von den gefeierten 75 Jahren (mit einer
lästigen, durch einen Weltkrieg bedingten Unterbrechung) als
Stromkunde zum Wohl Ihrer Firma und damit wohl auch zur
Finanzierung des Festes der Superlative beigetragen, was mich,
wie Sie sich denken können, mit stiller Genugtuung erfüllt
und mir das Recht gibt, Ihnen als dem einzigen mir bekannten
Vertreter der Bayernwerke den fälligen Glückwunsch
nachzureichen. Und Ihre Festrede hat mich (wenn denn auf die
Presse Verlaß ist) auch als einen Untertanen der
bayerischen Staatsregierung angesprochen. Sie haben darin ja
bayerische Politiker für den Mut gepriesen, mit dem sie die
energiepolitischen Ziele der Firma unterstützt haben, »auch
wenn ihnen der Wind gehörig ins Gesicht blies«. Das
Bild scheint mir zunächst etwas kühn gewählt –
denn es waren ja nicht die Politiker, sondern ihre Untertanen,
denen etwa in Wackersdorf der CS-Reizgaswind Ihrer atomaren
Energiepolitik ins Gesicht blies, und zwar monatelang. Aber
vielleicht war Wackersdorf in ganz anderem Sinne mit Politikermut
verknüpft. Vielleicht haben Sie auf die schmerzhaft
lächelnde Tapferkeit angespielt, mit der die bayerischen
Politiker den Tritt in den Hintern in Empfang nahmen, den ihr
Deutschlands Stromherren verpaßten, als sie die
Wackersdorfpläne wie eine verstrahlte Kartoffel fallen
ließen, einen windigen Vertrag mit La Hague schlossen und
sich so aus der Klemme wanden, in der sie die bayerische
Staatsregierung samt ihren Hubschrauber- und Knüppelgarden
sozusagen mit heruntergelassener Hose zurückließen.
(Verzeihen Sie diese echt bayerische Metaphern-Schlachtschüssel
zum echt bayerischen Fest-Anlaß!)
Oder dachten Sie
eher an den Mut, das AKW Niederaichbach nach wenigen
Betriebstagen abreißen und diese Pleite auch noch als
wertvollen Beitrag zum Entsorgungs-Knowhow zelebrieren zu lassen?
Wie dem auch sei – nicht nur die beim Fest anwesenden,
sondern auch alle anderen bayerischen Politiker, Untertanen und
Stromkunden werden Ihnen für dieses Lob dankbar sein.
Es
gibt darüberhinaus einen ganz persönlichen Grund, der
mich veranlaßt, dieses Glückwunschschreiben an Sie
persönlich zu richten. Es existiert nämlich ein
Briefwechsel zwischen uns, an den ich mich spontan wieder
erinnerte. Im Herbst 1992 fand in Salzburg ein World Uranium
Hearing statt. Auf diesem Hearing berichteten Zeit- und
Ortszeugen aus der ganzen Welt, vornehmlich solche von
traditionellen Gesellschaften (Navajos, Inuit, australische
Aborigines usw.), aber auch Zeugen aus Kasachstan, aus Nordböhmen
und Sachsen, aus den USA und anderen »entwickelten«
Regionen) über die genozidalen, und zwar permanent
genozidalen Umstände, unter denen in ihren Heimaten die
Urangewinnung stattfindet.
Claus Biegert, der Organisator
des Hearings, und ich schrieben Ihnen unter dem frischen Eindruck
dieser niederschmetternden Zeugnisse; richteten die Anfrage an
Sie, wie man als Atom-Wirtschaftler, Atom-Politiker,
Atom-Profiteur mit diesem Wissen zu leben vermag.
Sie
haben uns tatsächlich geantwortet. Und der erste
entscheidende Satz Ihres Antwortschreibens verdient wörtlich
zitiert zu werden:
»Der von Ihnen aufgestellten
These, daß ein Uranabbau generell nicht ohne verheerende
Effekte von Genozid bzw. Ethnozid möglich sei', muß
ich allerdings klar widersprechen. Heute sind nach meiner
Kenntnis in den für uns wichtigen Uranförderländern
strenge gesetzliche Regelungen und Standards für den
Gesundheitsschutz und den Umweltschutz beim Abbau von Uran
festgeschrieben.«
Sie werden verstehen, daß
uns die Dreistigkeit dieser Antwort zunächst einfach die
Sprache verschlug. Wie? Hatten wir nicht vor wenigen Wochen mit
eigenen Ohren die Zeugen gehört – Zeugen aus den
wichtigsten Uranabbau-Gebieten der Erde? Hatten wir nicht aus
ihrem eigenen Mund vernommen, mit welchen trüben Tricks man
ihre Heimat geschändet, ihren mehr oder weniger
widerwilligen Konsens erschwindelt hatte? Hatten wir nicht von
den tausenden von Kubikmetern Yellow Cake, strahlenden
Abraums erfahren, die um die Mündungen der abgebaggerten
Krater herumliegen, völlig unabgedeckt, Wind und Wetter
preisgegeben, unweigerlich die Erde, das Wasser, die umgebende
Atmosphäre kontaminierend? War es überhaupt
vorstellbar, daß diesen Zeugen ein bayerischer
Atomlobbyist, der vermutlich nie am Rand einer Uranabbaugrube
gestanden hatte, ins Angesicht widersprach und von strengen
Regelungen und Standards faselte?
Es war offensichtlich
möglich. Aber offensichtlich haben Sie, sehr geehrter Herr
Dr. Holzer, Ihrem eigenen Argument doch nicht ganz getraut und
auf Seite 2 Ihres Antwortschreibens ein gänzlich anderes,
dem ersten diametral widersprechendes angeführt. Auch dieses
soll, der Gerechtigkeit halber, zitiert werden:
»Notwendig
für die vergleichende Beurteilung der heute zur Verfügung
stehenden Energieträger muß eine Gesamtbetrachtung
sein, welche die Umweltauswirkungen der Gewinnung und des
Einsatzes auch aller anderen Energieträger in die Abwägung
einbezieht. Eine Einstellung des Uranabbaus würde die
weitere Nutzung der Kernenergie unmöglich machen und
zwangsläufig (Hervorhebung von mir, CA) zu einem
verstärkten Einsatz fossiler Energieträger führen,
damit aber unter anderem zu einer weltweiten Erhöhung der
CO2-Emissionen
mit ihren Folgen für das globale Klima beitragen...«
Halten
wir zunächst fest: Es gibt also irgendwelche, nicht näher
spezifizierte, aber doch in Rechnung zu stellende
Umweltauswirkungen des Uranabbaus; sonst hätte das Argument
überhaupt kein Gewicht. Aber – und das verschlägt
einem wiederum den Atem, wenn auch auf ganz anderer Grundlage –
zum Wohle der zivilisierten Menschheit, die unbedingt ihre Mega-
und Terawatt braucht, müssen eben ein paar Kanaken dran
glauben. Sie sollen froh sein, daß sie nicht an
CO2-Emissionen
eingehen, sondern an Yellow-Cake-Strahlung – und
prozentual, aufs globale Ganze gesehen, sind die paar
Stammesmenschen irgendwie abzuschreiben, weil wir sonst
zwangsläufig den Globus mit den Schadstoffen aus
fossilen Energieträgern vergiften müßten. Ergo:
ein paar tote Eskimos und Navajos sind das kleinere Übel,
das stellvertretende Menschenopfer.
Das Argument ist
natürlich so alt wie die Menschheit. Es wurde angewandt beim
Einmauern von Kindern in Brückenbögen, beim Abtransport
von riesigen Sklavenmassen nach Amerika, bei der Ankettung von
Kindern an die Spinning Jennies der industriellen Revolution und
bei vielen anderen Gelegenheiten – das alte Argument von
den zu verheizenden Minderheiten, um die Wohlfahrt des großen
Ganzen zu sichern. Der objektive Zynismus des Arguments ist den
Zeitgenossen fast nie aufgefallen. Er hat sie nie daran
gehindert, die Bibel aufs Nachtkästchen zu legen und ihre
Frauen in Wohltätigkeitsvereine zu delegieren. Aber der
Wurm, verehrter Dr. Holzer, der Wurm steckt im Adverb
ZWANGSLÄUFIG.
ZWANGSLÄUFIG – das erinnert
mich aufs Fatalste an das Schlagwort von den SACHZWÄNGEN –
ein Schlagwort, das für die Ära Helmut Schmidt
bezeichnend war. In Wahrheit gibt es keine Sachzwänge außer
denen, die uns von den thermodynamischen und den
Entropie-Gesetzen auferlegt werden – und die laufen genau
in die Gegenrichtung von dem, was Sie und tausend andere
Technokraten und die große Mehrheit aller Politiker uns
verkaufen wollen (und, geben wirs zu, meist erfolgreich
verkaufen). Es gibt, zum Beispiel, keinen Sachzwang, der die
Bundespolitik daran hindern würde, zwei Prozent der
ungeheuren Vermögenswerte, die in deutschen Banken liegen
(viertausend Milliarden, ohne Immobilienwerte) für Zwecke
des Gemeinwohls zu sequestrieren und mit diesen achtzig
Milliarden den Energiebedarf der Nation ein für allemal aus
einem Mix regenerierbarer, d. h. letzten Endes solarer, Energie
zu stabilisieren. Die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt wären
phänomenal, die Außenhandelsbilanz sähe prächtig
aus – und der Rest der Welt wäre endlich gezwungen,
den Tatsachen ins Auge zu sehen.
Natürlich, ich gebe
Ihnen recht, verehrter Dr. Holzer: das wird nicht geschehen. Es
wird aber nicht deshalb unterbleiben, weil ein SACHZWANG dagegen
vorliegt. Was dagegen vorliegt, ist eine kollektive psychische
Blockade, ist, wie Milton sagt, die Tatsache, daß die Tore
der Hölle von innen versperrt sind. Mindestens
dreitausendfündhundert der genannten Milliarden werden von
Herren, die Sie gut kennen dürften, nämlich den Bankern
und Börsianern, so verwaltet, daß den wirklich
Zeichnungsberechtigten niemals in den Sinn kommt, zu fragen, ob
die Art dieser Mittelverwaltung nicht auf den totalen Ruin der
Biosphäre hinausläuft (das tut sie nämlich
wirklich).
Aber natürlich hätte eine solche
Entwicklung bedenklichste Folgen für die Welt, in der Sie
bisher gelebt haben. Mir ist dies erst so richtig klar geworden,
als ich ein Interview las, das Sie vor nicht allzulanger Zeit
einer deutschen Wochenzeitung gewährt haben. In diesem
Interview haben Sie auf die Frage, ob Sie persönlich etwas
gegen alternative Energie hätten, sinngemäß
geantwortet, Sie hätten nichts dagegen – es dürften
nur keine Überkapazitäten entstehen.
Überkapazitäten.
Das ist das Stichwort. Alternative Energien dürfen einfach
nicht die Chance bekommen, auf nennenswerte Weise in den großen
Strommarkt einzudringen – der muß Ihnen und
Ihresgleichen vorbehalten bleiben. Und deshalb kämpft Ihre
Branche mit Zähnen und Nägeln gegen einen Vormarsch der
Alternativen über die Sechs-Prozent-Grenze. Deshalb wird von
den Badenwerken das Einspeisungsgesetz gebrochen. Deshalb stellt
Ihre Öffentlichkeitsarbeit die Vergütung der
einzuspeisenden Windenergie systematisch (und falsch) als
Subvention und Preistreiberei dar. Deshalb werden Anträgen
auf Einspeisung in fast jedem einzelnen Fall unendlich öde
Formalien entgegengesetzt.
Für uns, die Alternativen,
stellt sich das Problem grundsätzlich gegenteilig. Für
uns sind etwa Atomkraftwerke Überkapazitäten, die nach
Tschernobyl nicht nur so überflüssig, sondern so
gefährlich wie ein Gehirntumor sind. Für uns führt
der Weg in die Zukunft nur über regenerierbare Energie,
gleichzeitig aber über Effizienz- und Suffizienz-Revolution,
welche den Energiebedarf mittelfristig schon dann halbieren kann,
wenn wir unseren Kulturentwurf nicht wesentlich verändern.
(Langfristig müssen wir das tun, aber hier braucht davon
noch gar nicht die Rede sein.)
Dieser Weg führt
zwangsläufig zu einer Demokratisierung der Energie, und die
ist natürlich geschäftlich inakzeptabel, das ist
einzusehen. Aber bemühen wir uns um die Einsicht in das
Notwendige solchen Fortschritts – ohne ihn gäbe es
heute noch die Lobby der Armbrusthersteller, die siegreich die
Einführung von Musketen blockieren. (Schade, daß sie
nicht siegreich waren...)
Doch zum Schluß darf ich
zum bayerischen Jubelfest zurückkehren, genauer, zu Ihrer
Ankündigung, daß Sie sich aus dem Aufsichtsrat der
Bayernwerke zurückziehen. Dies erfüllt uns mit
Hoffnung. Denn reich und stattlich ist der Zug der
Ruhestandsrenegaten, dem die alternative Bewegung so viel
verdankt. Es sei an den Präsidenten Dwight D. Eisenhower
erinnert, der beim Abschied von seinem Amt vor der Macht des
militärisch-industriellen Komplexes warnte; an Admiral Hyman
G. Rickover, den Schöpfer der amerikanischen
Atom-U-Boot-Flotte, der im Ruhestand zum aktiven Gegner der
Atomkraft wurde; an Erwin Chargaff, der die Grundlagen für
die DNS-Forschung schuf und heute zu den schwärzesten
Propheten der technisch-wissenschaftlichen Zukunft gehört;
an Joseph Weizenbaum, seinem Pendant in der Computerbranche; und,
um Deutschland nicht zu vergessen, Klaus Traube sowie meinen
unvergessenen Freund Manfred Siebker. Sie alle haben, nachdem sie
ein bestimmtes beruflich-dienstliches Brot nicht mehr aßen,
neue Zukunftsmelodien entdeckt und nicht gezögert, sie uns
mitzuteilen. Und nichts würde uns mehr freuen, als wenn, zum
zehnten Jahrestag des Tschernobyl-Desasters, der
Aufsichtsratsvorsitzende a. D. Jochen Holzer diesem Orchester
beitreten würde.
Um Ihnen diesen möglichen
Schritt zu erleichtern, lege ich diesem Brief das Flugblatt der
Schönauer Bürger bei, die sich entschlossen haben, die
Stromkonzession und das Stromnetz selbst in die Hand zu nehmen.
Denn, so heißt es im Flugblatt: die Strom-Multis wissen –
wer das Netz hat, hat die Macht! Und über eine neue
Energiestiftung werden wir die viereinhalb Millionen sammeln,
welche der bisherige Versorger als völlig überzogenen
Wucherpreis auf den Netzwert von vier Millionen drauflegt. Wir
werden diese Summe aufbringen – und dann gehts vor die
Gerichte. Eine Grundsatzentscheidung ist überfällig,
mehrere Gemeinden warten, der Kampf gegen die atomaren
Überkapazitäten hat begonnen, oder, wie die Überschrift
des Flugblatts lautet:
ATOM COUNT DOWN – DER
AUSSTIEG AUS DER ATOMENERGIE LÄUFT
Auf dieser Note
der Hoffnung darf ich mein Schreiben beschließen und
wünsche Ihnen einen sonnigen Ruhestand, in den sich keine
wüsten Träume von Yellow-Cake-Landschaften
eindrängen mögen.
Mit freundlichen Grüßen Carl
Amery
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