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Dieses
Buch setzt dort ein, wo mein Ende der Vorsehung – Die
gnadenlosen Folgen des Christentums endete. Damals ging es um
einen Rückblick; ich versuchte zu zeigen, daß der
heutige praktische und theoretische Materialismus aus den Wurzeln
einer Tradition sich nährt, welche in den
handlungsmächtigsten Regionen der Erde zwei wichtige
Leitsätze verinnerlicht hat: erstens den Auftrag absoluter,
um nicht zu sagen tyrannischer Weltbeherrschung an den Menschen
als die einzige herrscherliche Art des Planeten – und
zweitens die Deutung des Weltzustandes als eines Skandals, der
durch «Heils-Geschichte» eines Tages in irgendeiner
geheimnis-, aber auch glanzvollen Weise aufgehoben werden wird.
Und wir haben versucht darzustellen, auf welche Weise der Weg des
Christentums durch die Geschichte konsequent zum modernen
Materialismus als Instrumentarium solchen Heiles geführt
hat.
Die Folge solcher menschlicher Herrschaftsideologie
und Herrschaftspraxis ist das, was man die ökologische Krise
nennt. Sie wird rings um uns immer noch als völlig
selbständige, gewissermaßen zusätzliche Krise
behandelt, und man versucht immer noch, sie innerhalb der die
Köpfe beherrschenden Ordnungs- bzw. Unordnungssysteme
abzuhandeln und zu erklären. Die wunderlichen Fronten und
Bündnisse, die dabei zustande kommen, gehen quer durch alle
«weltanschaulichen» Lager, quer durch die
geographischen und ideologischen Blöcke. Ehe wir uns mit dem
«Warum» befassen, genügt hier ein kurzes Schema
der Gruppen und Richtungen, die sich jeweils zu den sogenannten
«Wachstumsgegnern» und den «Wachstumsbefürwortern»
zusammenfinden.
In Theorie und Praxis gibt es
Wachstumsbefürworter vor allem unter den Inhabern und
Handhabern der Produktionsmittel, ob sie sich nun Kapitalisten
oder Sozialisten bzw. Kommunisten nennen. In der Welt technischer
Großvorhaben (Kriwoj Rog oder die Alaska-Pipeline,
westdeutsche Atomkraftwerkskombinate oder Mehrjahrespläne
der DDR) sind sich Parteien und Kapital, Arbeitgeber und
Arbeitnehmer, Planer und Profitler über die Notwendigkeit,
ja das Wünschenswerte weiteren Wachtstums einig. Ideologisch
unterstützt werden sie von der institutionalisierten
Philosophie bzw. der institutionalisierten
«Wirtschaftswissenschaft» der alten Orthodoxien: von
sogenannten Konservativen, denen es um Reichtum, von
Revisionisten, denen es um die Finanzierung von Reformen, von
Falken, denen es um den Rüstungsetat, und von
Gewerkschaftern, denen es um Arbeitsplätze und höhere
Tarifabschlüsse, das heißt um höhere
Produktivität pro Arbeitsstunde zu tun ist. Hinter den
sogenannten Sachzwängen (und hinter der nackten Angst vor
Popularitätsverlust) bleibt dabei immer die alte, selten als
solche erkannte Theologie sichtbar: das Dogma der Heilserzwingung
durch Brechung der natürlichen Grenzen.
Ähnlich
bunt ist die Zusammensetzung der Wachstumsgegner. Zu den Resten
der alten konservativen Kulturpolitik stieß ganz plötzlich
der autoritätsumwitterte Club of Rome, ein Club von
Technokraten und Managern, der sozusagen aus heiterem Himmel und
vom Großen Computer abgesegnet den Weltuntergang
verkündete. Seine grundsätzlichen Thesen werden schon
1972 von einem stattlichen Prozentsatz sowjetischer
Naturwissenschaftler anerkannt – viel vorbehaltloser, als
dies im Westen geschah. Sozialistische Revisionisten gesellten
sich dazu: Sicco Mansholt, Erhard Eppler, Jochen Steffen. Nach
links schließt sich ein Spektrum unorthodoxer Linker an
(bei uns am auffälligsten Hans Magnus Enzensberger mit
seinem Kursbuch 33), letzten Endes aber auch H. Marcuse
mit seiner im Eindimensionalen Menschen angelegten
Industriekritik. Ganz wenige entschlossene Theoretiker des
eigentlichen marxistischen Lagers folgten gleichfalls: nennen wir
hier Guy Biolat, André Gorz und Wolfgang Harich.
Seit
der wirklichen oder eingebildeten Rezession in Westdeutschland
ist es um diese Theoretiker etwas ruhiger geworden. Der
Konsolidierungsprozeß der Wachstumsgegner findet hier
hauptsächlich in den Bürgerinitiativen statt, die sich
zur Abwehr ganz bestimmter Gefahren bilden oder gebildet haben –
als bisher klassischer Fall muß Wyhl genannt werden. Die
Koalition von Wyhl, die aus uralten Ständen – Winzern,
Bauern, Fischern –, einigen Arbeitern, Vertretern der
Kirchen und linken Dissidenten besteht, erinnert nicht nur von
ferne an eine Koalition, die der letzte Stuart, Jakob der Zweite,
in England und Schottland gegen das heraufsteigende
Industriezeitalter zu formen versuchte. Damals waren es die
schottischen Highlander, die alten Landbesitzer, Reste älterer
Wirtschaftsformen, Katholiken und, vor allem, die sogenannten
Dissidenten, also die damalige christliche Ultralinke. Das
englische Establishment hielt diese Koalition immerhin für
gefährlich genug, um die sogenannte Glorreiche Revolution
gegen Jakob in Gang zu setzen.
Bedeutet das, daß
auch die Sache der Wachstumsgegner eine historisch überholte
Sache ist, so wie sie es damals in den Inselkönigreichen
war? Nun, die Sachlage hat sich eindeutig geändert. Damals
war die Sache des Industriesystems im Aufstieg – heute ist
sie eindeutig auf dem Rückzug, geistig wie materiell. Die
Sache der Wachstumsgegner ist ebenso eindeutig die Sache der
planetarischen Zukunft – ob dies den Herren von der Chase
Manhattan, den Herren Friderichs und Filbinger, aber auch den
Herren der sowjetrussischen Planungsstäbe paßt oder
nicht.
Heute liegt ein genau gegenteiliger Tatbestand vor:
Die öffentliche Begriffsbildung hinkt den Anforderungen der
Zukunftspolitik nicht nur einen Schritt, sondern viele
Bewußtseinsschritte hinterher. Die zentrale Problematik der
Zukunft läuft Gefahr, im Pragmatismus unterzugehen; läuft
Gefahr, von den uralten Herrschaftstricks der Etablierten
unterlaufen zu werden, weil sie noch nicht auf die Höhe des
Begriffs gebracht ist.
Das ist also die Aufgabe. Wir
müssen eine Sicht der Dinge, eine Anordnung unserer Aufgaben
und unserer Gedächtnisinhalte erarbeiten, welche den
tatsächlichen, bereits allenthalben geführten Kämpfen
zwischen «Wachstumsgegnern» und
«Wachstumsfetischisten» ihre tatsächliche
Bedeutung erst vermittelt – kurz: was fehlt, ist ein
Konzept oberhalb der Taktik, ein Konzept auf der Höhe der
Zeit.
Nun übersteigt ein Konzept, das, sagen wir, der
kaltblütig-leidenschaftlichen, massiven Anstrengung etwa des
Kapital von Marx entspricht, vorläufig die
Fähigkeiten und vor allem die Arbeitsmöglichkeiten des
Verfassers. Er kann lediglich hoffen, Wegweiser zu setzen,
Markierungen, welche ihm, dem Zeitgenossen, aber auch den
unmittelbar Zukünftigen eine solche systematische
Anstrengung erleichtern. Er fühlt sich dazu gedrängt,
weil die Zeit drängt. Wir sind zum Handeln gezwungen, und
zwar in diesem Jahrzehnt. Und es ist völlig klar, daß
die bisherigen Mächte (die Institutionen wie die Ideologien)
weder gewillt noch imstande sind, das Notwendige hinreichend zu
begründen und zu fördern. Der Grund ist bedrückend
klar: ihr eigenes Überleben hängt von der Fortsetzung
des Wahnsinnskurses ab, den die Menschheit ratlos und kurzsichtig
steuert. Diese Institutionen und Ideologien sind längst so
weit verselbständigt, daß sie, vor die Wahl gestellt,
entweder sich oder die Menschheit zu opfern, natürlich für
Letzteres votieren werden; trotz der Tatsache, daß vom
Überleben der Menschheit auch ihr eigenes überleben
abhängig ist.
Daran ist (um gleich eine These unserer
Betrachtungen vorwegzunehmen) gar nichts Unheimliches,
Gespenstisches oder gar Mystisch-Theologisches. Mythen, Systeme,
Staaten, Institutionen stehen nicht außerhalb der
natürlichen Gesetzmäßigkeiten und Kreisläufe,
sie sind keine Einheiten eigener Definition. Sie sind vielmehr
ökologische Gattungen zweiter, dritter, vierter Stufe. Für
ihre Existenz sind sie auf Wirtstiere angewiesen, also auf ein
Ökosystem von menschlichen Gehirnen. Zunächst sind sie
symbiotisch, das heißt hilfreich, sie helfen dem Menschen,
die Welt, in der er lebt, zu interpretieren und zu organisieren.
Fast immer werden sie jedoch zu parasitären Gattungen, wenn
ihre Zeit überschritten ist, das heißt, wenn sie nicht
mehr imstande sind, die Hilfe in einer neuen Situation zu
leisten, die sie anfangs geboten haben. Sie interpretieren nun
die Welt nicht mehr für ihre Wirtstiere, sondern blockieren
im Gegenteil die notwendige Information; sie organisieren nicht
mehr das notwendige Überleben der Individuen und Gruppen,
sondern organisieren vielmehr ihre Vernichtung.
«Revolution»
ist also, ökologisch gesprochen, die Vernichtung parasitär
gewordener Organisations- und Erklärungssysteme. Dabei geht
meistens, wie die Geschichte zeigt, die Vernichtung des
noologischen, das heißt des Erklärungssystems, der
Vernichtung der organisatorischen, der «Herrschaf
ts»systeme voraus.
Schicksalhaft wird, gerade in
unserem Jahrhundert, die Möglichkeit der Scheinrevolution;
der Möglichkeit nämlich, organisatorische Systeme vor
ihrem entsprechenden noologischen System zu zerstören. Einer
solchen Scheinrevolution folgt dann genau das, was das Bibelwort
vor unserer Einleitung beschreibt (übrigens das Wort eines
erfahrenen Dämonenaustreibers). Die Sätze aus dem
Vorwort der Deutschen Ideologie von Marx, die ihm
vorangehen, sind keineswegs die Meinung von Marx selbst, im
Gegenteil macht er sich über diesen Ansatz lustig, welchen
er der deutschen Philosophie seiner Tage zuschreibt. Marx, selbst
ein Dämonenaustreiber von hohen Graden, gibt der
organisatorischen Revolution eindeutig den Vorrang vor der
noologischen – aber wie das Schicksal seiner eigenen Lehre
beweist, hat er da noch nicht klar – wenn man will, nicht
dialektisch – genug gesehen. So wurden etwa die leeren
Räume seiner «Staats-Theorie» (die keine war)
zum Schicksal der marxistischen Praxis – die Dämonen
kehrten zurück, mit etlichen, die schlimmer waren als sie
selber. Wird ein noologisches System nicht gründlich genug
vernichtet, wird es nur verdrängt und nicht vollgültig
ersetzt, erfolgt eine neue Setzung, scheinbar willkürlich
und aufs Geratewohl, in Wahrheit aber aus den Beständen der
alten Dämonie. So hat Lenin bestimmt nicht gewußt, was
er der Revolution antat, als er die Formel «Sowjets plus
Elektrizität» ausrief.
Vor dem Hintergrund
dieser warnenden Beispiele, aber auch vor die Notwendigkeit
raschen Handelns gestellt, gilt es also:
1. eine
Erkenntnisweise zu finden, die es erlaubt, das zentrale Anliegen
der Gegenwart auf den Begriff zu bringen – ich nenne sie im
folgenden den ökologiscben Materialismus;
2. im
Lichte dieser Erkenntnisweise unsere Geschichte, das heißt
unsere kollektiven Gedächtnisinhalte zu revidieren und zu
ergänzen;
3. die Perspektiven aufzuzeigen, die bisher
zur Bewältigung der Krise dargeboten werden, und ihre
Unzulänglichkeit zu beweisen – und
4. relativ
sichere Voraussetzungen für gegenwärtiges Handeln unter
solchen Umständen wenigstens zu skizzieren.
Damit ist
die Gliederung für das Folgende gegeben. Eine letzte
Vorbemerkung ist notwendig: den drei ersten, methodischen Teilen
des Buches folgt ein vierter, der sich unmittelbar der hier und
heute möglichen Praxis zuwendet, unter Berücksichtigung
der besonderen Situation in der Bundesrepublik. Er ist, der Natur
der Sache nach, konkreter und eindeutiger gehalten – selbst
auf die Gefahr hin, daß er als «Simplifizierung»
diffamiert wird. Da es dem Autor darum zu tun ist, möglichst
bald aus der sicheren und keimfreien Zelle der Formulierungen
selbst in die Praxis zu kommen, nimmt er dieses Risiko auf sich:
die Praxis wird zeigen, wo und wie zu revidieren ist, nicht die
mehr oder weniger eleganten Fehden der Mandarine.
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